„Gemeinschaftliches Leben ist gegenseitiger Besitz und Genuß, und ist Besitz und Genuß gemeinsamer Güter. Der Wille des Besitzes und Genusses ist der Wille des Schutzes und der Verteidigung. Gemeinsame Güter − gemeinsame Übel; gemeinsame Freunde − gemeinsame Feinde.“
Das schreibt Ferdinand Tönnies, jener deutsche Soziologe, der 1887 eine bahnbrechende Arbeit „Gemeinschaft und Gesellschaft“ zum Gemeinschaftsbegriff verfasst hat. Wer Tönnies nicht im Original lesen will (wobei angemerkt sei, dass er sich einer angenehmen, fühlbaren Sprache bedient), der kann Näheres zu seinem Gemeinschaftsbegriff auch auf dem Blog von Kai-Uwe Hellmann: The Next Generation of Communities finden.
Tönnies hat da einen wunderbaren Satz notiert. Warum? Er scheint mir in der Wortwahl weitgehend treffend. Der Begriff Besitz zum Beispiel impliziert im Gegensatz zum Eigentum kein (individuelles) Veräußerungsrecht. In der Commonsdebatte sollte daher m.E. auch richtiger von Gemeinbesitz statt von Gemeineigentum die Rede sein. Gegenseitigkeit (Reziprozität), also Geben und Nehmen ist neben „Vertrauen“ eine der zentralen Erfolgsbedingungen für nachhaltiges Commonsmanagement.
Genuss widerum kommt ursprünglich von usus fructus (lat.), „Gebrauch (und) Genuss“ und findet sich heute noch im deutschen Sachenrecht § 1030 BGB in der Figur des Nießbrauchs (i.d.R. mit Nutzungsbeschränkungen versehen.) Wir sind sozusagen alle Nutznießer der commons, gleich ob wir uns dessen bewußt sind oder nicht.
Wenn wir uns aber dessen bewußt sind, dann scheint es immer wieder hilfreich, sich diese simple Nutzungsregel zu vergegenwärtigen: usus & usus fructus: Ja, abusus: Nein. (Gebrauch und Genuss Ja, Mißbrauch nein.)
Tönnies formuliert die Verantwortung der Gemeinschaft für den Kollektivbesitz als Wille
- Wesenwille (z.B. in typischen Gemeinschaften wie Familie, Mannschaft, Freunde). Hier ist der Akteur Teil eines größeren sozialen Ganzen, er empfindet sich als dienendes Mittel zu gemeinsamem Zweck. Er fühlt sich einem Kollektiv als „Gemeinschaft“ zugehörig. Und…
- Kürwille (> Willkür). (Aktiengesellschaft, Staat), wo der Bezug auf Andere instrumentell ist, also Mittel zum eigenen Zweck. Der Akteur partizipiert am Kollektiv als an einer „Gesellschaft“.
Wenn ich es also richtig verstanden haben, liegt es im Wesen von Gemeinschaften (im Tönniesschen Verständnis), ihren kollektiven Besitz zu schützen und verteidigen.
Freilich bedarf es im Zeitalter der Globalisierung und Digitalisierung einer Aktualisierung des Gemeinschaftsbegriffs aus dem nunmehr vorvergangenen Jahrhundert. So scheint mir zum Beispiel der enge räumliche Bezug, den Tönnies als Wesensmerkmal von Gemeinschaften ausmacht, nicht mehr aktuell. Doch bereichernd wird die Lektüre von Tönnies wohl auch in 100 Jahren noch sein.
Foto: Guter Wille by Caratello on flickr
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