Stellt die Bodenfrage

„Reclaim the Commons“, stellt die Bodenfrage, fordert die Allmenden zurück, sagte Karl Linn (1923-2005) immer wieder.“ So beginnt ein Aufsatz von Elisabeth Meyer-Renschhausen (vgl. auch Unter dem Müll der Acker), der 2005 in Stadt+Grün erschien.

Damit macht mich die Autorin neugierig. Und, zugegeben, von Linn hatte ich noch gar nichts gelesen. Dabei kommt nicht an ihm vorbei, wer sich mit städtischen Gemeingütern befasst.

Linn -ein aus Deutschland vertriebener Jude- gilt als Vater der nordamerikanischen Community Garden Bewegung. Falls Sie jetzt den Impuls verspüren, wegen dieser etwas großmütterlichen Bezeichnung wegzuklicken:

Community gardening is 50% gardening and 100% local political organizing. (K. Linn)

Gemeinschaftsgärten, Boden unter den Füßen, Wurzeln schlagen. Therapeutische Räume schaffen (in den USA wurde 2002 Horticultural Therapy als eigene Ausbildungsrichtung anerkannt.) Das sind die Stichworte. Es geht Linn um vermehrten Zugang zu einem Stückchen Grün, gerade für Arme. Community Gardening – das ist eine Frage der Gerechtigkeit.

Zugang zu Land/Boden zur Bewirtschaftung ist nicht nur in den ländlichen Regionen, sondern gerade in den Städten ein Problem. Verschärft in solchen, die vom Umland nicht ausreichend versorgt werden können. Wie Havanna während der so genannten „Spezialperiode“.

Kein Wunder also, dass die städtische Landwirtschaft in den vergangenen zwei Jahrzehnten gerade in Kuba eine Blüte erlebte. Eric Assadourian schreibt im Bericht zur Lage der Welt 2008 zur Frage ob Gärten + Kleinbauern mehr als einen winzigen Teil des Lebensmittelbedarfs eines Landes decken können:

„Kuba hat – nachdem im Zuge des Zerfalls der Sowjetunion und dem US-Embargo die Ölimporte von 13 Millionen auf 6 Millionen Tonnen fielen – eindrücklich bewiesen, dass dies möglich ist. Kuba hatte einst die am stärksten industrialisierte Landwirtschaft Süd- und Mittelamerikas und setzte sogar doppelt so viel Kunstdünger pro Hektar ein wie die Bauern in den USA. Aber der Untergang der Sowjetunion und der darauf folgende Mangel an Öl, Düngemittel und Pestiziden zwang Kuba, die landwirtschaftliche Produktion schnell zu lokalisieren. Heute beziehen viele Menschen ihre Lebensmittel von kleinen Stadthöfen und Gemeinschaftsgärten. Allein in Havanna gibt es mehr als 26.000 Gärten mit einer Gesamtfläche von 2.400 Hektar, die 25.000 Tonnen Lebensmittel erzeugen.“(1)

Die städtische Community Garden Bewegung wuchs vor allem in den USA, Kanada, Australien und Neuseeland. In den USA (v.a. New York + Berkeley) hat Linn seit den 70ern die Gemeinschaftsgärtnerei als ehrenamtliche Nachbarschaftsarbeit auf innerstädtischen Brachen initiiert. Oft mit Nachbarn, die sich eingangs gar nicht kannten.

„Seit den 90er Jahren hat die Nachbarschaftsgärtnerei besonders in den Ghettos der Neuzuwanderer neuen Aufschwung erfahren. … Seither geht es explizit um Selbstversorgung. Besserverdienende schenken ihre Ernte den lokalen Suppenküchen, die diejenigen versorgen, die keinerlei Sozialhilfe mehr bekommen.“

Commons, hab ich hier schon öfter gesagt, sind eben das Netz der Gesellschaft.

Seit den 90ern hat sich Linn dafür eingesetzt, Flächen auf Tunneleingangsstücken der lokalen U-Bahn in Paradiese zu verwandeln. …

„mit Hochbeeten und festen Sandwegen dazwischen, so dass Rollstuhlfahrer völlige Bewegungsfreiheit haben.“

Dass Nachbarschaftsgärtnern nicht nur sozial-ökologisch sinnvoll ist, sondern die Lebensräume und Lebensqualität so verbessert, dass sie „umgerubelt“ werden können, haben leider zuerst die Falschen gemerkt. Das Engagement der Hobbygärtner wurde

„von anliegenden Vermietern direkt dazu benutzt, die Preise für ihre Häuser und Wohnungen immer höher zu setzen. Ein Hausbesitzer mit Häusern direkt an den drei Community Gärten (gemeint sind die „Mini-Gemüseparks“ von Berkeley, S.H.) setzte jedes Mal, wenn einer der Gärten wieder fertig wurde, den Verkaufspreis für sein heruntergekommenes Haus höher. Schließlich wurden farbige Anwohner oder Alleinerziehende, die sich mit … Verve beim Aufbau ihrer Gemeinschaftsgärten engagiert hatten, … aus dem Quartier getrieben.“

Das war nun sicher nicht in Linns Sinn. Doch das System war in etwa so: Verantwortung für die Gärten übernimmt eine -eher lose organisierte- Gruppe von Nachbarn. (Eben keine Profis oder die Stadtverwaltung.) Zugang haben alle. Nutzen dürfen alle. Sozial und ökologisch profitieren alle. Den finanziellen Gewinn aber streichen die Grundbesitzer ein.

Community Gardening kann man nicht losgelöst von der Frage des Grundbesitzes betreiben. Meist ist das Land in staatlichem oder in Privatbesitz und wird dann als Trust verwaltet (siehe Foto). Die Gemeinschaftsgärtner haben über das Land aber oft nicht die volle Kontrolle. Es geht ihnen sicher auch gar nicht um das Eigentum an Boden (im Sinne des dominium), sondern lediglich um das Recht, den Boden so zu nutzen, dass er die eigene Lebensqualität und die des Umfelds hebt. Also eine Art kollektives Nutzungseigentum.

Commons lassen sich ohnehin nur in Kategorien von Besitz (ohne Veräußerungsrecht) und Nutzungseigentum, nicht als absolutes Herrschaftseigentum (dominium) denken.

Das die Bewegung mit der Eigentumsfrage umgehen muss, war auch Linn klar. Seither hielt er die Eingliederung der Community Gardening Bewegung in einen größeren politischen Zusammenhang für unerlässlich (globalisierungskritische Bewegung, Bewegungen, die sich „Reclaiming the Commons“ auf die Fahne schreiben).

Seither engagierte er sich auch dafür, dass die Gemeinschaftsgärten in die Bebauungspläne der Stadt Berkeley aufgenommen werden. In Seattle ist das bereist gelungen.

(1) Vgl. u.a.: Mario Gonzalez Novo und Catherine Murphy, „Urban Agriculture in the City of Havana: A Popular Response to a Crisis",
Growing Cities Growing Food: Urban Agriculture on the Policy Agenda: A Reader on Urban Agriculture (Resource Centres on Urban Agriculture
& Food Security: 2001) S. 329-47.

foto: on flickr by o2ma

Ein Gedanke zu „Stellt die Bodenfrage

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