Internet – Allmende des 21 Jhd.

Gestern in heise news ein hundertfach kommentierter Artikel von Stefan Krempl zum 50 Jährigen der VG Wort. (vía) Dort erfahre ich von bemerkenswerten Rundumschlägen Heribert Prantls, dem Chef des innenpolitischen Ressorts der Süddeutschen Zeitung. Ziel der Kritik: das Internet und seine gesetzesbanausigen Nutzer.

„… Prantl, … rühmte in seiner Festrede, dass sich die Verwertungsgesellschaft aus einem ‚besseren Holzkahn‘ in ein ‚hochseetaugliches Schiff‘ verwandelt habe. Es stelle sich aber die Frage, ob sie damit bereits für die gefährliche Fahrt ins ‚Mare Horribilis‘ in Form der ‚Kommunikationswelt des 21. Jahrhunderts‘ gerüstet sei. ‚Das Kap Horn heißt Internet‘,… malte Prantl aus. Vielfach sei bereits prophezeit worden, dass das Urheberrecht daran zerschellen werde. Für die Charakterisierung der Internetnutzer … holte der Jurist in seiner Tirade weit aus. ‚Es gibt einen alltäglichen Web-2.0-Narzissmus’… Das Internet sei zu einem ‚Entblößungsmedium‘ auch der jungen, gehobenen Mittelschichten verkommen. ‚Aus Orwell wird Orwellness, aus Datenaskese ist eine Datenekstase geworden.‘ Das Netz sei eine ‚Selbstverschleuderungsmaschine‘, in der die Nutzer ihre Persönlichkeitsrechte ‚verschenken‘. ‚Es wird zu einem Raum, in dem man alles macht, was man sonst nicht macht.‘ Die ‚unendliche leichte Verfügbarkeit‘ von Bits und Bytes gebe vielen das Gefühl: ‚Hier ist die Allmende des 21. Jahrhunderts.‘ So würden ‚Millionen Töne und Texte‘, die urheberrechtlich geschützt seien, ohne Zahlung von Gebühren genutzt. Es… regiere nun ‚die globale Enteignungsmaschinerie Internet‘ mit ihren ‚Tauschbörsen als Umsatzplätzen digitaler Piraterieware‘ und ein ‚wieder eingeführter Kommunismus'“ (Herv. S.H.)

Nun: Datenaskese hatten wir Ossis schonmal. Datenaskese ist auch noch ein Problem, wenn ich als entwicklungspolitisch Interessierte die Auslandsberichterstattung klassischer Medien verfolge.

Und: Wem ich was verschenke, entscheide immer noch ich selbst – unter Wahrung meiner Urheberpersönlichkeitsrechte. Bloggen sei ein Stück Selbstdarstellung? Ok. Für mich hat es aber vornehmlich strukturierende Funktion. Das Aufschreiben hilft mir, gelesene Texte zu durchdenken und zu erinnern. Was ich vor einem Jahr mal gedacht habe, finde ich hier im Blog schneller wieder als in meiner „Zettelwirtschaft“. Wenn noch dazu Andere vom Aufschreiben profitieren, und ich wiederum von deren Kommentaren profitiere, ist das super. Bedaure schon jetzt, dass irgendwann wieder Lebenssituationen kommen, in denen ich meine Gedanken und Energien nicht in dieser Weise „verschleudern“ kann.

Was ich nun aus Commonsperspektive nicht unkommentiert lassen möchte, ist diese unglückliche Metapher von der „Allmende des 21. Jahrhunderts“.

Die Allmende unterlag historisch immer Zugangs- und Nutzungsregeln. Sie konnte eben gerade nicht ohne eigenen Beitrag genutzt werden. Die Bauern haben ausgehandelt, wer wann wie welche Weide oder Trift wofür nutzen darf und wofür nicht. Die Fischer haben ausgehandelt (und tun dies noch heute), wer zu welcher Jahreszeit, wo, welchen Fisch in welcher Größe fängt. Daran hat man sich zu halten. Immer gehören auch Regeln dazu, in denen festgelegt wird, wer nicht nutzungsberechtigt ist.

Allmende/ Gemeingüter sind also durchaus ein ausschließendes Konzept. Entweder werden all jene ausgeschlossen, die nicht zur entsprechenden „community“ gehören. Oder es werden bestimmte Nutzungsformen ausgeschlossen bzw. mit hohen (finanziellen) Hürden versehen, weil sie die Allmende zerstören würden.

Für bits&bytes, die sich – im Gegensatz zu Wasser oder Land- durch Nutzung nicht verbrauchen, hieße das: Zugangs- und Nutzungsverhinderung zerstören die Allmende. Offener Zugang zu bits&bytes ist hingegen kein Problem, weil die Allmende des Immateriellen durch Nutzung wächst. Wer also das Internets als Allmende schützen will, muss den Zugang offen halten. Wer das nicht tut, landet irgendwann im elektronischen Supermarkt. Der Eintritt in den Supermarkt kostet dann unzählige digitale Schlüssel, codes und Gebühren, die an ebenso unzählige Verkäufer zu entrichten sind. Damit wären ganz viele draußen. Mit Allmende hat das nichts zu tun. Das wäre ein rein marktorientiert eingerichtetes Internet – mit Sicherheit nicht so innovativ wie das, was wir haben.

Freilich heißt das alles nicht, dass Arbeit, die „der Allmende“ durch  schreiben, programmieren, komponieren und korrigieren hinzugefügt wird, nicht honoriert werden sollte. Deswegen werden Ideen, wie die der Kulturflatrate diskutiert.

Allmende brauchen Regeln und andere, innovative Geschäftsmodelle. Das ist klar. Aber sie sind kein Niemandsland, in dem jeder machen kann, was er will, in dem allen alles ohne Gegenleistung zur Verfügung steht. Sie sind nicht das Niemandsland, welches Garrett Hardin analysiert und dann aller Welt als Allmende verkauft hat. Manche Missverständnisse sitzen tief!

Mit der neuen Generation der Commons, der digitalen Allmende des 21. Jahrhunderts, wird nun immer offensichtlicher, dass es Allmende gibt (und schon immer gab, denken Sie an Sinnsprüche, Sprache und Töne), die nur dann im „mare horribilis“ versinken, wenn sie nicht genutzt werden.

Dass es Prantl, obwohl Jurist, mit der begrifflichen Abgrenzung hier nicht genau nimmt, zeigt auch ein anderes Beispiel: „Töne und Texte“: Schöne Alliteration, allerdings im Kontext geeignet, die Verwirrung zu steigern. Hier schien das stilistische Element wichtiger als die korrekte Aussage.

Töne (als Klang) sind Gemeinressourcen. An und für sich. Sie sind etwas, was niemand individuell geschaffen hat. Sie sind nicht privataneignungsfähig. Vergleichbar mit der Sprache, die niemandem individuell (auch keiner klar definierten Gruppe) gehört. Töne und Sprachen können am besten als Allmende gepflegt werden. Durch Sprechen und Erzeugen zum Beispiel. Und zwar von allen, die dies wollen. Restriktive Sprachpolitik hat in der Regel zum Aussterben von Sprachen geführt.

Texte hingegen wären nur vergleichbar mit Musikstücken/ Melodien. Also etwas, das durch spezifische Anordnung der Sprache oder Töne, einem (oder mehreren) Urhebern zuzuschreiben ist. Um deren Interessen und Arbeit zu schützen, wurde das Urheberrecht erfunden. Wogegen es grundsätzlich nichts einzuwenden gibt. Wohl allerdings gegen die Blüten, die das Urheberrecht treibt.

Prantls Rede nun, dass „Millionen Töne … überrechtlich geschützt sind“ ist irreführend. Die Allmende selbst lässt sich nicht urheberrechtlich schützen. Sie lässt sich auch nicht patentieren. (Es würde mich trotzdem nicht wundern, wenn demnächst jemand mit dem Ansinnen daherkäme, das „A“ zu patentieren. Wir haben schon allerlei patenten Unsinn erlebt.) Wo das geschieht, verliert die Ressource ihren Charakter als Allmende. Sie wird der gesellschaftlichen Verfügungsgewalt entzogen und ist dann irgendwann mal weg.

Der Umgang mit Allmenden war immer geprägt von Reziprozität und von einer Beziehung, die Rechte und Verantwortung zusammen denkt. Ist das  nicht der Fall, verschwindet auch die Allmende – in ihrer Existenz oder in den Händen von korrupten cliquen und Individuen.

Und schließlich: Die Allmende des Internets als wiedereingeführter Kommunismus. Meine Güte! So sieht das auch das erzkonservative American Policy Center. Nicht nur manche Missverständnisse, sondern auch manche Gespenster halten sich lange. Das liegt denen in den Genen.

Commonism ist kein communism. Privateigentum wird nicht aufgehoben, sondern in seine Schranken verwiesen. So was Ähnliches steht auch in Artikel 14.2 der bundesrepublikanischen Verfassung. Etwas grobschlächtig formuliert: auf das WIE der Nutzung kommt es an, nicht ausschließlich darauf, wem etwas „gehört“. Besitz statt uneingeschränktes Eigentum über Sachen. Nutzungseigentum statt Herrschaftseigentum.

Ein Commonismus mit zentralistisch-autoritärem Gestus ist undenkbar. Ich sehe keine Commonspartei, nur eine Commonsbewegung. So vielfältig und in unterschiedlichsten Bereichen geerdet, wie die Allmende selbst.

Es geht in einer Gesellschaft, die den Allmenden verpflichtet ist, nicht primär um Ent-eignung, sondern um An-eignung. Um ein Sich-zu-Eigen machen dessen, was die Allmende für die Gesellschaft leistet. Und um eine Werben dafür, das jeder Einzelne etwas beizutragen hat, damit die Allmende auch in Zukunft ihre Funktion erfüllt: Uns Substanz des Lebens und das Netz mit doppeltem Boden zu sein.

PS: ich hörte, im 21. Jahrhundert soll Kap Horn besser umschiffbar sein. Die Welt hat sich verändert. Auf dem Foto jedenfalls sieht Kap Horn ganz friedlich aus.

foto on flickr by krishrieves


2 Gedanken zu „Internet – Allmende des 21 Jhd.

  1. Pingback: Internet Bill of Rights. « RaheBlog

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