Commons: Die Relativierung der Bürgerlichkeit

Zusammenfassung und Reflektion des Zweiten Interdisziplinären Politischen Salons: Zeit für Allmende.

Thema: Gemeinschaften brauchen Gemeinschaftsgüter und umgekehrt.

„Es geht um Zuständigkeit.“, findet Jörg Haas. „Jedes Common braucht eine Art von community, die sich kümmert.“ Das gilt nicht nur für Wasser und Wald, sondern auch für Software:

„Wenn sich keiner bereit erklärt, die bugs zu flicken oder Sicherheitslücken zu schließen, hat man irgendwann ein Stück Nonsenscode. Und löchrige Software wendet niemand an. Ebenso: Wenn es keinen Bauer mehr gibt, der eine spezifische Sorte anbaut, dann verschwindet die Sorte.“ „Und wenn die Sorte weg ist, verschwindet irgendwann auch das Wissen.“, ergänzt Gregor Kaiser.

Immaterielle Gemeinressourcen sind also genauso existenziell gefährdet wie natürliche, denn

„Dinge, die scheinbar unbegrenzt zur Verfügung stehen, werden plötzlich eingehegt.“ (Oliver Moldenhauer)

Positiv gewendet:

„Das Wissen ist genauso bedeutsam wie die materielle Ressource als solche.“ (G.Kaiser)

Der Commonsbegriff birgt genau diese Erkenntnis. Er erfährt während des Salongesprächs Unterstützung als systemische Referenz auf eine andere, weniger Menschen ausschließende gesellschaftliche Ordnung. Nennen wir es Utopie.

Doch die Zerstörbarkeit der Gemeinressourcen ist nicht die einzige Gemeinsamkeit zwischen rivalisierenden und nicht rivalisierenden Ressourcen. Schließlich ist alles,

„worüber wir hier reden … in der öffentlichen Debatte oder gar in der volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung unsichtbar“, wie Bertram Keller betont.

Hier setzt die Moderatorin einen Schlußstrich. Die Idee war nicht, wie während des ersten Salongesprächs, den Gemeinsamkeiten und Unterschieden der Ressourcensysteme auf den Grund zu gehen. Vielmehr ging es um die Frage:

„Gibt es etwas, das Gemeinschaften… charakterisiert und befähigt, eine bestimmte Funktion zu erfüllen? Die Funktion: Allmende in der Verfügungsgewalt der Menschen zu halten und damit zu erhalten bzw. zu erweitern?“ (S.H.)

Welche spezifischen Merkmale müssen Gemeinschaften haben, damit sie (wieder) eine stärkere Rolle im Erhalt der Ressourcensysteme übernehmen? Was müssen sie können? Wie sich konstituieren? Wie beschaffen sein?
Franz Theo Gottwald bringt diese Fragen auf den Begriff der Gelingensbedingungen für Gemeinschaften. Commonsforschung verweist in diesem Zusammenhang immer wieder auf dieselben Faktoren: direkte Kommunikation, Partizipation an der Aushandlung von Regeln oder ein hohes Maß an Regelakzeptanz, funktionierende Sanktionen u.v.m. Er fügt dem aus 20 jähriger Erfahrung im Aufbau von Gemeinschaften hinzu:

„Wie ist es mit Kommunikations-, Koordinations-, Konfliktlösungskompetenz, wo kommen die her? …Oder tiefer, motivational gesucht: Woher kommen Vertrauen, Glauben oder der Aufbau einer gemeinsamen Ideologie?“ Sein Resümee: „nur die Gemeinschaften funktionieren, die eine unglaubliche Konfliktbewältigungskompetenz haben. … Wenn ich Gemeinschaften aufbaue, …darf ich nicht vorschnell normieren…, sondern ich investiere in den Aufbau von Verhaltenskompetenzen“, ausgehend von geteilten Werten und Normen.

John Weitzmann ergänzt aus seiner Arbeit für Creative Commons:

„Normen sind wichtig, aber bei den meisten Gemeinschaften sind die geschriebenen Normen … eine Besonderheit. … ein Kristallisationspunkt, um den herum man sich organisiert. Über die kann man reden, man kann sie ändern. Aber was die community zusammenhält, ist der Glaube daran, dass das wofür man arbeitet eine gute Sache ist.“

Diese Fragen werden nur vor dem Hintergrund der Grundannahme nachvollziehbar, dass Gemeinschaften konstitutiv sind für den Gemeingüterbegriff. Eine These, die allerdings bis zum Schluß umstritten blieb.

Schon die Aussage von Jörg Haas zum Stichwort „Zuständigkeit“ wurde aus drei Gründen angezweifelt: erstens gäbe es auch commons, die dann am besten existieren, wenn sich niemand kümmert. Wie einige natürliche Ressourcen. (Stefan Krug) Zweitens bedürften Gemeinschaften offenbar „einer gewissen Übersichtlichkeit“ (Sven Giegold). Sie müssten also „klein genug sein, dass soziale Normen in einer direkten Wechselwirkung noch durchgesetzt werden können.“ Dabei gäbe es, wie Jörg Haas für das Klima hervorgehoben hat, verwaiste Gemeinschaftsgüter“, also Ressourcen ohne Bezugsgemeinschaft. Die Idee der Weltgemeinschaft (vgl. auch die im Völkerrecht verankerte Formulierung vom „Erbe der Menschheit“) wurde in diesem Zusammenhang als riskante Illusion verstanden. Drittens gäbe es Gemeingüter,

„da haben wir noch nicht heraus gefunden, wie man sie kaputt kriegt. Zum Beispiel die Naturgesetze. … Auf der Welt gibt es noch einige Ecken, wo Gemeingüter keine Kümmerer haben, weil es bisher noch keiner geschafft hat, sie zu zerstören.“ (Sven Giegold)

Ich würde diesen Satz etwas korrigieren und sagen: Es ist noch niemand auf die Idee gekommen, sie für Partikularinteressen zu verwerten. Sie zur Ware zu machen. Sie zu verwahren statt zu wahren. Deswegen sind sie noch da. In dem Maße wie Commons als verwertbar entdeckt werden, werden sie eingehegt. Das war bei Genen so, bei digitalem Code und wird bei den Ressourcen des Mondes (die bislang als Erbe der Menschheit gelten) auch so sein.
In gegenläufiger Tendenz geschieht etwas Ähnliches. Das hat Rainer Kuhlen zu der These animiert:

„Wissen wird aus der Perspektive des Zugangs erst dann zum Commons, wenn die Verlagswirtschaft selber sieht, dass ihre Geschäftsmodelle nur auf Dauer funktionieren, wenn sie den Zugang zu Wissen frei macht. …Das kann man für viele Bereiche durchspielen.“

Bezogen auf die Relation zwischen Gemeinschaft und Gemeinressourcen heißt das:

„Etwas wird nur dann zum commons, wenn es sich aus den Zuständigkeiten der Partikulargemeinschaften löst.“

Diese These wird von Bertram Keller aufgegriffen, der sie auch für natürliche Ressourcen durchdenkt. Er meint:

„Etwas löst sich nicht völlig von jeglicher Gemeinschaft. Es transzendiert nur die Ursprungsgemeinschaft oder die partikulare Gemeinschaft. Die Bewegung in den unterschiedlichen Ressourcensystemen ist dabei gegenläufig. Während im Informationsbereich etwas ausgehend von den Partikulargemeinschaften in ein commons transzendiert, dass über diese Gemeinschaft hinausgeht, in der es entstand, ist es bei natürlichen Ressourcen umgekehrt: Ein Commons „liegt bei allen“ – aber die Kümmerer müssen in kleinen Gemeinschaften liegen. Denn es hilft nichts, wenn der argentinische Bauer trotzdem abholzt, weil es für ihn die sinnvollste Nutzungsart ist. In dieser kleinen partikularen Gemeinschaft muss die Idee des Ressourcenschutzes letztlich ankommen.“

Was ist nun aber mit solchen Ressourcen, denen sich keiner zugehörig und für die sich niemand zuständig fühlt? Die so genannten global commons: Streng genommen sei dieser Begriff ein Widerspruch in sich, da es eben keine Gemeinschaft gäbe, auf die man ihn beziehen kann, meint Wolfgang Sachs. Gegenargument: Letztlich könne man

„so etwas wie den Schutz rivalisierender globaler Güter (Atmosphäre) nur hinkriegen, wenn man global denkende stakeholder hat. Keine lokale Gemeinschaft hat aus sich heraus ein Interesse, das groß genug wäre, das globale Gut zu schützen“ (Bertram Keller)

Da kommt der Begriff der Anwaltschaft ins Spiel, der in der Commonsdebatte hoch relevant ist. Wer kann „Anwalt“ oder „Hüter“ (steward) der Gemeingüter sein? Wer ermächtigt wen? Die -durchaus provokant gemeinte- Frage von Benedikt Härlin in diesem Zusammenhang:

„Ist die Debatte über Commons nicht der Versuch, neue, nicht gewählte, nicht demokratisch legitimierte Kümmerer-Communities in die Lage zu versetzen, bestimmte Güter zu kontrollieren? Anders gesagt: Wessen Geschäft betreiben wir da?“

Die NGO’s haben in Sachen Anwaltschaft ein demokratietheoretisches Problem, wie einige Salonteilnehmer hervor heben. Andreas Poltermann formuliert zudem, dass wohl kaum

„Gemeinschaften -vor dem Hintergrund der Vielfalt von Werteinstellungen- ein Ausgangspunkt für eine Philosophie des ‚Guten Lebens‘ sind.“ „Bleibt die Anwaltschaft durch den Staat.“, folgert Sven Giegold:

„Wenn das aber die Antwort ist, taugt der Gemeinschaftsbegriff als gemeinsamer Nenner nicht mehr, weil es eben nichts gemeinsames Drittes ist jenseits von Markt und Staat. Jedenfalls nicht bei globalen natürlichen Ressourcen.“

Allerdings erscheint es vorschnell, die Gemeinschaftsidee in dieser Weise über Bord zu werfen und so das Kind mit dem Bade auszuschütten. Daher hält Bertram Keller Sven Giegold auch entgegen:

„Letztlich funktioniert es nur, solange niemand auf die entsprechende Ressource zugreift. Man braucht zumindest eine Metagemeinschaft, die diesen Anreiz des Zugriffs fernhält. … irgendein System, dass dafür sorgt, dass multitude zumindest auch bestehen bleibt oder zumindest kein totalitärer Zug reinkommt.“

Wir brauchen nicht EIN System, wir brauchen viele, unendlich viele Problemlösungsmöglichkeiten.
Die These, dass der Begriff der Gemeinschaft ein konstituierendes Element für commons sei, die Frage also, inwieweit wir die Gemeinschaftsgüter über die Gemeinschaft definieren oder nicht, bleibt im Raum stehen. Unterstützt und angefochten zugleich.

Interessant hingegen die „Lösung“, die sich abzeichnet. Das Gespräch nimmt eine Wendung zur Analyse der gesellschaftlichen Verhältnisse, die zunächst einmal klar stellt: Wir haben eine neue technologische Basis und wir sind mit einem Maß an Zerstörung natürlicher Gemeinressourcen konfrontiert, die neue Produktions-, Distributions- und damit Rechtsformen erzwingt. Diese werden nicht ohne, aber jenseits von Markt und Staat zu suchen sein.

Annette Mühlberg beschreibt am Beispiel Freier Software, wie einige dieser communities „die Suche von Regelungen, …von moralischem Verhalten, codices“ “ aufgenommen haben. Und gar begonnen haben, sie zu fixieren (vgl. GPL). Die Frage, die sich anschließend stellt ist, ob das in irgendeiner Weise für andere Ressourcensysteme übertragbar ist
Die Fragen danach, wie wir die Software frei halten, alte Getreidesorten erhalten, wie es uns gelingt, globale Gerechtigkeit und Emissionsschutz zu verbinden, zielen auf die gleichen Machtfragen und Kategorien. Die konkreten Antworten freilich (Institutionen, Zugangs-, Nutzungs-, Grenz- und sonstige Regeln) sind am Ende sehr verschieden. Doch sind nicht zumindest die Prinzipien verantwortungsvollen Commonsmanagements verallgemeinerbar?

„Gibt es so etwas wie moralische Werte oder Verhaltensrichtlinien, die global anwendbar sind?“ (Annette Mühlberg)

In diesem Zusammenhang werden die Begriffe des interesselosen Wohlgefallens (Kant) und des reziproken Altruismus ins Spiel gebracht. Jörg Haas findet ersteren

„nicht ganz zutreffend. Es kann vielleicht darum gehen, dass das unmittelbare Monetäre, in den Hintergrund tritt. Aber natürlich hat jeder, der ein commons managt auch ein Interesse dran. …Die Frage ist vielmehr, ob und in welchem Maße ein entsprechender Kümmerer nachweisen kann, dass sein Interesse in Deckung zu bringen ist mit den Interessen der Allgemeinheit.“

Reziproker Altruismus wurde hier definiert als

„arbeiten für die anderen aber auch für sich.“ „Wenn das in einer Gemeinschaft vorhanden ist, ist eine gute Basis dafür gelegt, dass commons erfolgreich sind. … Wenn dies nicht transzendiert, zerstört sich die community und mit ihr das commons selber.“ (John Weitzmann)

Also doch eine Lanze für communities und zwar bezogen auf alle Ressourcen, was dem Argument von Sven Giegold widerspricht, der meint:

„Wenn es zum Beispiel um den Erhalt von Kartoffelsorten geht, dann kann man das der lokalen Gemeinschaft überlassen. .. Aber wenn es um den Erhalt des globalen Klimas geht, kann das vielleicht nur staatlichen Institutionen gelingen“. Fazit: Es kommt auf die Art des Gemeingutes an, wie sie abgesichert werden können, ob man das besser durch vernünftig regulierte Märkte, über Netzwerke, Gemeinschaften oder über den Staat macht.“

Doch erstens sind lokale Gemeinressourcen mit den regionalen oder globalen untrennbar verbunden, so wie materielle und immaterielle Güter sich nicht voneinander trennen lassen und zweites ist der Staat

„nicht das Gegenstück der Gemeinschaft, sondern ein Produkt der Gemeinschaft.“ (John Weitzmann)

Die Frage ist vielmehr, um welche Werte und Normen wir ringen, die communities und letztlich auch staatliches Handeln prägen. Dorothee Wenner provoziert in diesem Kontext mit der These von der „Auflösung des Bürgertums“, daraus entstehe die Notwendigkeit Kategorien und Begriffe jenseits der bürgerlichen Gesellschaft zu entwickeln. „Geistiges Eigentum“ ist solch eine konstruierte bürgerliche Kategorie, die neue kreative Lösungen verhindert. Wolfgang Sachs gibt zu bedenken, dass die Ideale der Bürgerlichen Gesellschaft zugleich einen Begriff von Commons widerspiegeln, zumindest in unserem Glauben,

„dass in der Freiheit das für alle gemeinsam Produktive wächst.“

Unterstützt wird die These der Auflösung des Bürgerlichen zum Abschluss des Salons von Rainer Kuhlen, der diagnostiziert:

„Die ganzen bürgerlichen Freiheiten werden gerade in globale und virtuelle Zusammenhänge eingebunden und genau dadurch löst sich dieser bürgerliche Gesellschaftsbegriff auf. Die jetzige Gesellschaft beruht nicht mehr auf der Beharrung der individuellen Freiheit, die die Garantie der Freiheit aller ist, sondern vielmehr darauf, dass die individuellen Freiheiten und Rechte zugunsten eines Commons zurückgenommen werden.“

Der Commonsbegriff – das wurde in beiden Salongesprächen deutlich- sägt an den Grundpfeilern der modernen bürgerlichen Gesellschaft: Privateigentum und individuelle Rechte – im Sinne ihrer Relativierung.

Silke Helfrich
03.09.2009

foto by oceanflynn on flickr

2 Gedanken zu „Commons: Die Relativierung der Bürgerlichkeit

  1. Pingback: Die dunkle Seite der Macht — keimform.de

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