John Hepburn schrieb 2005 über Die Rückeroberung von Allmenden – von alten und von neuen. Übersichtlich, kurz, empfehlenswert! (Nur die Übersetzung lässt zu wünschen übrig.)
Hepburn beschreibt die Aneignung der Allmende als Diebstahl. Und die Auseinandersetzungen um diesen Diebstahl als historisches und topaktuelles Thema. Egal ob Agrarwirtschaft, Industriekapitalismus, Bio- Informations- oder Nanotechzeitalter. Es sind dieselben Prozesse.
Zur Essenz der Auseinandersetzung um die Allmende zitiert der Autor aus „Whose Common Future“:
„die Frage (ist) nicht, wie die Umwelt verwaltet werden soll – … – sondern: wer sie verwalten wird, und in wessen Interessen.“
Bei Land, Wald und Wasser – den „alten Allmenden“ – waren diese Fragen im europäischen Mittelalter schon genau so entscheidend wie im Brasilien der Gegenwart. Aber auch für Radiofrequenzen gilt:
„Wer bestimmt, wer Zugang zu diesen Ressourcen hat, …zu welchem Preis, und in wessen Interessen? Große Korporationen erhielten nicht durch Osmose fast alleinigen Zugang zu den Frequenzen. Sie erhielten diesen, indem sie die Regeln festsetzten und die Grenzen zogen – durch einen Prozess der Einzäunung, der im exklusiven Zugang für bereits zuvor mächtige Medienkonglomerate endete. (Herv. S.H.)
Auch die Definition der Allmende kriegt Hepburn kompakt gefasst:
„Eine Allmende ist ein Gut (sei es physisch, räumlich, geistig), welches von der Gemeinschaft für die Gemeinschaft verwaltet wird. Die strittige Frage wird dann, „Wer ist die Gemeinschaft?“. Die Frage hängt unweigerlich von der Ressource ab, um die es geht. Es gibt einen weit verbreiteten und etwas romantischen Mythos, daß „Gemeingüter“ per Definitionem keine Grenzen haben, und allen offen stehen. Wenn wir aber auf die am meisten gefeierten Beispiele von Gemeingütern blicken, sehen wir, daß dies im Allgemeinen nicht der Fall war.
…. Die Verwaltung der Allmende wurde durch die sozialen Beziehungen der Menschen innerhalb der Gemeinschaft bestimmt.“ …Bei Allmenden geht es grundsätzlich darum, daß Menschen Zugang zu Ressourcen haben und in jenem Ausmaß Entscheidungen über diese Ressourcen treffen können, wie sie durch diese Entscheidungen betroffen werden. Wenn man von einer Entscheidung nicht beeinflusst wird, dann hat man kein Recht darauf, mitzuentscheiden. Wenn man beeinflusst wird, dann hat man ein Recht. In dieser Art sind Allmenden eine Verwirklichung von partizipativer Demokratie und von Selbstverwaltung.
Und weiter…
„Wenn der Kapitalismus eine Essenz hat, dann deutet die riesige Fülle an empirischen Daten… darauf hin, daß diese Essenz die Aneignung des Reichtums Vieler durch Wenige ist. Natürlich ist Aneignung nur ein höfliches Wort für Diebstahl. Und dem Vorgang des Diebstahls geht notwendigerweise ein Prozess der Einzäunung bevor – es werden Grenzen gezogen….
Dann schlägt er einen kurzen, zielsicheren Bogen von der Einzäunung der Allmendeweiden Englands bis zur Einzäunung der Bausteine des Wissens und des Lebens. Ganz nach jeweiliger Basis des wirtschaftlichen Reichtums.
„Wir bewegten uns von der Revolution in der Landwirtschaft im 18. Jahrhundert (was mit der Einzäunung des gemeinsam genutzten Landes zusammenfiel), zur industriellen Revolution im 19. Jahrhundert (was mit der Entwicklung eines Patentsystems für intellektuelles Eigentum zusammenfiel) zur Informationsrevolution im 20. Jahrhundert (wo das Patentsystem und das System des Intellektuellen Eigentums ausgeweitet wurden) zur Revolution der Bio- und Nano-technologie und ihren Patenten auf Leben und Materie.
…. auf die Grundbausteine des Universums – um den Weg zu Investitionen in die Nanotechnologische Revolution zu bahnen. Es gibt bereits Patente auf Elemente (Americium und Curium, ausgestellt auf Glenn Seaborg).“ …Wenn man sich nach den früheren technologischen Revolutionen richten kann, so wird die nanotechnologische Revolution wieder einmal in einem Transfer von Reichtum im Großen Stil, von den vielen zu den wenigen, ablaufen.„
Viele andere Beispiele und historische Meilensteine finden sich im Text.
Dabei ist der Kampf um Zugang zu Gemeingütern immer globaler geworden. Früher waren es territorial gebundene Ländereien, heute ist es die Atmosphäre. Früher waren die Probleme und Strukturen offensichtlich. Heute sind sie komplex und kaum durchschaubar. Da wird dem geneigten Kinobesucher zum Beispiel erklärt, er bestehle sich selbst, wenn er einen Mitschnitt macht und die handycamera auf die Leinwand richtet. Ein wahrhaft abenteuerliches Konstrukt, aber steter Tropfen höhlt das Hirn.
Hepburn hat recht, wenn er sagt:
Wenn man sich dafür interessiert, wann der nächste große Transfer von Reichtum vom Öffentlichen an das Private stattfinden wird, muß man sich den Prozess der Einzäunung ansehen. I
Besser wäre, wir entwickeln ausreichend Sensibilität und den Scharfsinn, um diese „Einzäunungsprosezze“ rechtzeitig zu benennen und zu verhindern. Pat Mooney beispielsweise beschreibt in einem Beitrag der demnächst erscheint am Beispiel aktuellster technologischer Entwicklungen die Einzäunung unserer Urteilskraft. Ähnlich Hepburn, der das bezogen auf die Manipulation unserer Geschmacksmuster tut.
„… funktioniert der Prozess der Einzäunung nicht nur durch vermehrte Monopole über Saatgüter, sondern auch durch soziale Kontrolle darüber, wie wir über Nahrung denken, und was für eine Art von Nahrung wir zu uns nehmen wollen – indem unsere kollektive Vorstellungskraft eingeschränkt wird.“
Meist geschieht das alles
„ohne große Medienfanfaren“ … „Die Grenzen wurden schrittweise ausgedehnt.“
Deshalb tritt der Gewöhnungseffekt ein. Oder wer würde heute noch ernsthaft das Privateigentum an Boden in Frage stellen? Wer hat sich nicht daran gewöhnt, dass eines der ursprünglichsten Commons ge- und verkauft werden kann? Wer findet nicht, dass beim Kinomitschnitt „am Diebstahl an uns selbst“ irgendwie doch was dran ist? Gewöhnung bricht Widerstand und wir landen bei „Monokulturen des Gehirns“. (Vandana Shiva)
„Unsere Herausforderung ist es, uns der Einzäunung unserer Vorstellungskraft zu widersetzen… uns neue Arten auszudenken, wie wir alte Allmenden zurückerobern und neue schaffen können. Denn die Allmenden sind nicht statisch. Es gibt keine fixe Anzahl an Gemeingütern. Sie werden ohne Unterbrechung von Menschen und Gemeinschaften überall auf der Welt geschaffen. Gewebt wie ein endloser Teppich. Wir müssen kühn sein, und uns unseres gemeinsamen Erbes erinnern. …. And we need to imagine not only our common futures, but also our future commons.„
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