Allmende = Freie Nutzung ist ein Missverständnis

Im Heidelberger Forum für kritische Theorie und Wissenschaft wird offenbar intensiv über Allmende diskutiert. Der Professor i.R. für Soziologie und Ethik, Kristian Hungar hat ein paar Thesen zur Allmendpolitik und zur Geschichte der Allmende notiert. Diese werde ich hier kurz kommentieren:

„Es geht um die Frage, ob auf den zur Zeit neu entstehenden Feldern

– der Informationstechnologie und -ökonomie und
– der Gentechnologie und -ökonomie, analog zum wenig älteren Feld
– der Umwelttechnologie und -ökonomie

eine Politik der Allmende, d.h. der selbstverwalteten Nutzung von Ressourcen, denkbar und auch zu verwirklichen ist.“

Soweit d’accord.

„Man kann den Allmende-Begriff eher visionär fassen und damit einen erstrebten Zielzustand der freien Nutzung eines öffentlichen Gutes bezeichnen. Allerdings unter Rückgriff auf eine als nichtentfremdet gedachte Vergangenheit der ‚Allmende‘.“

Einspruch: Allmende sind weder öffentliche Güter, noch zeichnen sie sich prinzipiell durch „freie Nutzung“ aus. Es gibt bestimmte Allmende (m.E. solche, die sich auf  den Umgang mit und die Nutzung  von nicht rivalisierenden Ressorurcen beziehen – Softwarecode, Kultur, Wissensbestände), in denen Freie Nutzung und Freier Zugang die einzig angemessene Form ist, Zugangsgerechtigkeit herzustellen.

Bei Allmenden geht es aber grundsätzlich um Zugangsgerechtigkeit der jeweils Anspruchsberechtigten (deshalb folgt auf die Frage, um welche Ressource, um welches Gut es geht – stets die Frage nach der entsprechenden „Gemeinschaft“). Zugangsgerechtigkeit ist auf unterschiedliche Weise herstellbar. Das ist bei einer lokalen natürlichen Ressource (die klassische Allmendweide) eben keine Freie Nutzung sondern eine von möglichst allen Nutzern akzeptierte geregelte Nutzung. Bei Wissensallmenden lautet die Regel dann schlicht: Open Access.

Allmende = Freie Nutzung ist also alles andere als visionär, sondern ein Missverständnis, das dann im Falle der natürlichen Ressourcen nicht selten direkt in die Hardinsche Tragik führt.

Im eben erwähnten Sinne der „Regelung“ (und im Widerspruch zur Idee der Freien Nutzung) macht Hungar dann einen Exkurs in die Geschichte des Kommunalismus.

„Peter BLICKLE weist nach, daß es in Westeuropa seit dem 11. bis ins 18. Jahrhundert eine breites Band kommunal verfasster Städte und Dörfer gegeben hat, die nach selbstgeschaffenen, an Frieden und Gemeinem Nutzen orientierten, Verfassungen sich regierten. Ein mächtiger Schatz historischer Erfahrungen, der die Verwaltung der Allmenden einschließt.“ (alle Herv. von mir)

Zur Entstehung und Praxis sowie Zerstörung der kommunalen Allmende-Regime, notiert er:

  • Allmende entstehen im Zuge des raschen Strukturwandels der europäischen Entwicklung zum Hochmittelalter‘ im 11. bis 13. Jahrhundert als Element der Verselbständigung der Kommunen – Dörfer wie Städte – gegen Militanz (Fehde) und Ausbeutung durch herrschende Stände
  • Intention der Allmende: In eigener Verantwortung und Frieden für den Gemeinen Nutzen zu arbeiten
  • Umsetzung der Allmende bedurfte: von benachbarten Bauern oder Städtern selbst eingesetzte Gerichte, Schaffung eines eigenen Rechts in Form von Satzungen, Wahl der Repräsentanten, i.d.R. Mehrheitsentscheidungen, in gewichtigen Angelegenheiten Einstimmigkeit, Sanktionsfähigkeit  vor Ort

Politisch gesehen hält Hungar zwei Faktoren für wichtig, die den Städten und Dörfern den Weg zu mehr Selbständigkeit ebneten: der Zwang zur funktionalen Ausdifferenzierung einerseits und das Machtvakuum (Trennung und Neurelationierung von Kirche und Reich) andererseits.

„Allmenden können aus der Kommune heraus aufgelöst werden, aber auch durch übergeordnete Eigentümer/Herrschaften.“

  • Innere Gefährdung: Zerstörung des Machtgleichgewichtes in der Kommune (Oligopolbildung, Verfall des Mitspracherechts) – oft im Kontext technologischer Veränderungen und daraus resultierender Änderungen in der Nutzungsweise
  • Äußere Gefährdung: z.B. übergeordnete Herrschaft, die nicht nur mäßig besteuert und die Freiheit der Selbstverwaltung gewährleistet – aus ökonomischem Eigentinteresse heraus (Erweiterung eigener Nutzungen durch Jagd, Holzentnahme für Bergwerke, Salinen) oder aus Interesse an Machtgewinn

Dieser Aspekt der technologischen Entwicklung scheint mir zentral. Es ist kein Zufall, dass ausgerechnet jetzt die  Allmenddebatte wieder auftaucht, in einer Zeit, in der es mit der Entwicklung moderner IT und dem rasanten Fortschritt von Bio- und Gentechnologie einen technologischen Paradigmenwechsel gegeben hat. Denn technologische Sprünge machen es möglich, immer neue Ebenen und Bestandteile von Gemeinressourcen zu „erschließen“ und damit entweder zu „Gemeinem Nutzen“ oder im privatwirtschaftlichen Interesse zu verwerten.

Das Fazit Hungars:

„Nach der bisherigen Erzählung scheint … die politisch verfasste Praxis der Nutzung der Allmenden (Allmendressourcen, common pool resources), eine Erscheinung der Vergangenheit. Die politologische Forschung (OSTROM) hat nun aber nachgewiesen, dass auch im Fall privatwirtschaftlicher Übernutzung von Ressourcen kommunale Selbstverwaltungen neu entstehen können, wenn der übergeordnete moderne Staat sich auf die Gewährleistungsfunktion zurücknimmt und den eigeninteressierten Wettbewerbsmarkt zurückdrängt.

So ist es: Die Commonsdiskussion verweist beides in seine Schranken: Staat und Markt.

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