Weltsozialforum fordert Wiederaneignung der Gemeingüter

Durchgehalten hab‘ ich nicht. Nach der 17. Deklaration – weitere 10 sollten folgen – raffte ich mein Regencape vom verschlammten Boden: das Weltsozialforum 2009 strebte seinem Ende entgegen, ich dem Ausgang des Mega-Veranstaltungsgeländes (UFRA).

Gerade war mir klar geworden, dass das Thema Gemeingüter (auf Portugiesisch bens comuns) einen enormen Energie- und Legitimationsschub erhalten hat. …Das 9. Weltsozialforum, das weltweit größte Treffen Sozialer Bewegungen, hatte soeben einen Aufruf zur Verteidigung der Gemeingüter veröffentlicht. (Hier der Link zum Blog von Sergio Amadeu, auf dem der Aufruf in allen vier WSF Sprachen erscheint.)

5 Minuten sprach Chico Whitaker, Alternativer Nobelpreisträger und einer der Gründer des Forums, auf der Asambleia das Asambleias. Das ist die Versammlung der Versammlungen, die letzte Großveranstaltung des Weltsozialforums. Hier werden die Ergebnisse aller thematischen Foren zusammengetragen. Diese fünf Minuten sind schwer umkämpft. Zum ersten Mal in der Geschichte des WSF erhielten die bens comuns hier einen eigenen Platz.

Der „Aufruf an alle Menschen zur Wiedergewinnung der Gemeingüter“ macht sich für die Re-integration zersplitterter Einzelthemen und Diskurse stark, denn angesichts der „Zivilisationskrise“ (Buzzword des Forums) ist Kooperation zwischen den inzwischen gut vernetzten themenbezogenen internationalen Netzwerken dringender denn je .

Was kann die Umweltbewegung von der Bewegung für Freie Software lernen? Was die Bewegung für Freie Kultur, oder für die Demokratisierung der Wissenschaft von den Ökos? Wie kann aus der Perspektive der Gemeingüter die Eigentumsfrage neu gestellt (und beantwortet) werden?  Die notwendige „Konvergenz der Bewegungen“ – so die Überzeugung der Initiatoren – kann jedenfalls gut über die Idee und Praxis der Gemeingüter gelingen. Denn: Commons diskutieren hieße

Visionen diskutieren, indem man die politische Diskussion nochmal neu organisiert.“ Sie unter anderem den neuen technologischen Kontexten anpasst!

Der Aufruf ist gut. Er ist kurz. Er hat Signalwirkung. Nicht mehr, aber auch nicht weniger. Er verbindet explizit die Debatte um natürliche Allmende mit der um Wissensallmende.  Er spricht von Wasser und freier Software zugleich, auch wenn sich die entsprechenden Protagonisten dieser Debatten auf dem WSF wohl eher selten begegnet sind.

Und er schlägt erste Austausch- und Koordinierungsinstrumente vor. So werden in Kürze in den vier Forumssprachen (portugiesisch, spanisch, englisch, französisch) Commonsseiten eröffnet. Man will dem Thema Sichtbarkeit verleihen und Projekten und Initiativen gleichsam Plattform wie Referenzpunkt bieten.

Auch die Internationale Wassercommunity hat in ihrer Abschlußerklärung dieses 9. WSF die Gemeingüter als orientierendes Konzept unterstrichen:

„Wasser ist ein Gemeingut und Zugang zu Wasser ist ein Menschenrecht.

Bislang hieß es „Wasser ist ein Menschenrecht.“ Der Unterschied ist alles andere als banal. In diesem Zusammenhang ist auch eine weitere Differenzierung wichtig, die in der Abschlußerklärung der gut vernetzten Wasserorganisationen ihren Ausdruck findet: Weder öffentliches, noch privates Eigentum garantieren per sé den nachhaltigen Umgang mit Wasser. Der entsprechende Passus ist nun sinngemäß wie folgt formuliert: sowohl die Privatisierung der Wasserressourcen als auch die Verwaltung des Wassers „durch die öffentliche Hand in einer privatisierenden Logik“ ist abzulehnen.

Eine der wichtigsten internationalen Zusammenschlüsse, die Allianz für Klimagerechtigkeit, hat in Belém einen starken Impuls bekommen. In der  Abschlusserklärung heißt es:

die Bewegung für Klimagerechtigkeit wird die Gemeingüter einfordern, und die sozialen und ökonomischen Realitäten in den Mittelpunkt unseres Kampfes gegen den Klimawandel stellen.“

Ähnlich klar äussert sich das zum ersten Mal einberufenen Thematische Forum für Wissenschaft und Demokratie (mit Teilnehmern aus 18 Ländern von 4 Kontinenten) und viele andere. Wie gesagt, ich habe nicht bis zum Ende durchgehalten.

Den zentralen Wirkmechanismus der Commons brachten m.E. die Indígenas auf den Punkt. Reziprozität – Gegenseitigkeit. Diese gelte es zu erweitern. Und dafür müsse man die Sozialbeziehungen verändern. Sie haben am treffendsten von allen formuliert, was die Essenz der Commonsdiskussion – als Wertedebatte – ausmacht. Veränderung der Sozialbeziehungen jenseits marktvermittelter Mechanismen.

Die Commons sind eine Welt der Gaben und der Gegenseitigkeit statt des Waren und des Tausch. Beide Welten werden immer nebeneinander existieren(glaub‘ ich). Es geht also darum, die Räume der Commons zu erweitern und die des Marktes zurück zu drängen.

Für 2010 wurde dem Internationalen Rat des WSF ein thematisches Forum zu den bens comuns vorgeschlagen. Das wäre in der Tat die Gelegenheit, einen Begriff mit Leben und Bewegung zu füllen, der noch immer zu akademisch verhandelt wird und der vor allem das Potential hat, den Menschen – anders als die Rede von der Zivilisationskrise – einen Motivationsschub zu verpassen.
Denn die Commonsdebatte hat nicht nur etwas Zukunftsweisendes, sie knüpft einfach an viele kulturelle und historische Erfahrungen in denen es gelingt, so mit den Gemeingütern umzugehen, dass die Gabenfülle der Allmende wirklich allen zu Gute kommt.

Fest steht: ein Begriff hat Einzug gehalten ins WSF, der Begriff der Gemeingüter. Er wird von dort nicht mehr verschwinden.

foto on flickr by LuisCarlosDíaz

10 Gedanken zu „Weltsozialforum fordert Wiederaneignung der Gemeingüter

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