Gemeingüter „regieren“: Aber wie?

Regieren sie nicht vielmehr uns? Eine lebendige Gemeingütersphäre ist der Kitt der Gesellschaft. Das Gegenteil davon erleben wir derzeit. David Bollier hat zur immer drängender werdenden Frage der Governance der Gemeingüter im Berkman Center for Internet & Society der Harward Universität referiert.

Wie können wir mit den Commons umgehen? Welche Regeln gibt es? Welche Prinzipien stellen sicher, dass was als Gemeingut entsteht und wächst, auch Gemeingut bleibt. Bollier konzentriert sich auf digitale Gemeingüter und die Wissensallmende. Doch „Governance of the Commons“ ist eine Materie, zu der es bislang kaum systematische Forschung gibt. …

Bollier macht zunächst einen kurzen Ausflug in die Geschichte der Commons und skizziert sein Verständnis der Gemeingüter als

„ein neues Modell der Wertschöpfung und besondere Form, Ressourcen zu teilen“.

Bei natürlichen Ressourcen können wir auf eine reiche Tradition des Umgangs mit Gemeingütern zurück greifen. Ihre Regeln, Normen, Kommunikationsformen und Sanktionsmechanismen studieren. Elinor Ostrom hat das so akribisch getan wie keine andere. Bei immateriellen Gemeingütern ist das anders. Gemeinfreie Werke wurden gewissermaßen als etwas traditionsloses angesehen, als etwas, was man auf den Boden oder in den Keller packt, wo Dinge landen, die keinen Marktwert hatten.

Doch dann kam etwas Neues. Das Internet. Und mit ihm wurde das Teilen von Geschichten, Kultur und Musik immer einfacher. Richard Stallman begann, freie Software zu entwickeln – nicht einfach nur zu programmieren – vielmehr verband er das Programmieren mit dem Aufbau einer community und mit der Entwicklung eines rechtlichen Rahmens für Freie Software. Stallman hatte während der Programmierung des Texteditors Emacs erkannt, dass es zwei zentrale Probleme gibt:

1. alles musste immer wieder rückgebunden werden an eine Person/ Autorität, die alle Beiträge koordiniert und integriert – viel zu langsam, aufwändig und ineffizient

2. es gab keine Rechtsinstrumente, um die Philosophie freier Software durchzusetzen

Seit Mitte der 90 er Jahre sind diese Probleme prinzipiell gelöst. Es gibt eine Art neue Infrastruktur für (digitale) Gemeingüter:

  • Technologisch: Offene Plattformen und FLOSS

  • Rechtlich: auf dem Urheberrecht basierende neue/ freie Lizenzen (GPL oder die Share Alike Lizenzen von Creative Commons)

  • Sozial: communities mit neuen Normen, Idealen und Praktiken (vgl. die vier Freiheiten der Bewegung für Freie Software)

Doch diese Infrastruktur ist immer wieder neu auszubuchstabieren und zu bereits Bestehendem ins Verhältnis zu setzen. Wieviel Gesetze brauchen wir und welche? Welchen Einfluss hat die Soziologie und Psychologie der Commoners? Welche ethischen Maxime lassen sich formulieren? Brauchen wir eine neue Taxonomie?

Wofür entscheiden wir uns?

  • Offenheit oder Freiheit? (Offenheit der Plattformen garantiert noch nicht, dass die NutzerInnen selbst über die Regeln bestimmen können)
  • Individuum oder Gemeinschaft? Zugespitzt gefragt: „Are you in the commons or are you out?“ Das eine wäre der Ansatz von Creative Commons, da kann man sich SA (Share Alike) Lizenzen aussuchen. Man kann aber auch anders. Somit kann ein Gemeingut entstehen, muss aber nicht. Das andere wäre der Ansatz der GPL – Wer mitmacht ist pro-common: einmal freier Inhalt, immer freier Inhalt. Punktum. Hier weißt Bollier auf das Problem der Inkompatibilität hin, das letztlich zu einer „Balkanisierung“ der Ansätze führen kann, denen die Gemeingüter am Ende zum Opfer fallen. Doch müssen wir nicht beides integrieren? Schließlich ist die Kategorie des Individuums ohne die des Kollektivs gar nicht denkbar, so wie ein Innen nicht ohne ein Außen denkbar ist und konvex nicht ohne konkav existiert. Wo gibt es da geeignete Denkansätze?
  • Auf das Urheberrecht/Copyright/ beschränkte Eigentumsrechte aufbauen oder den Eigentumsdiskurs (und das Unwort vom „Intellektuellen Eigentum“) entschieden ablehnen?
  • Freiwilligkeit/sozialer Prozess oder Recht und Gesetz? Ersteres wird vor allem in Ländern des Südens noch gelebt, während wir in der westlichen Hemisphäre dazu neigen, für alles ein Gesetz zu basteln im Vertrauen darauf, dass es schon irgendjemanden geben wird, der es durchsetzt.
  • Unveräußerlichkeit von Gemeingütern oder Bewilligungspflicht für Veräußerung? und andere mehr

Was funktioniert besser?

  • Beteiligung von allen ohne Zwang (wie in der Wikipedia, bei Freier Software oder in der Blogosphäre) oder Kontrolle durch „stewards“, Treuhänder o.a.?

Wie ist das Verhältnis zwischen Gemeingütern und Markt?

  • Wo fängt das eine an und hört das andere auf? Welche Werte dominieren gerade an den Schnittstellen (Stichwort Hybridökonomie). Hier gibt es viel Verwirrung: Falsche Gemeingüter – wie bei Flickr und Facebook, sagt Bollier. Denn Flickr und Facebook seien letztlich „profitmaximierende Unternehmen, die nutzererzeugte Inhalte auf der Basis von Nutzungsbestimmungen vertreiben, die sie diktieren.“ Anders gesagt. Auf Facebook zahlen wir nicht mit Geld, sondern mit unseren Daten, die dann auf dem Markt verkauft werden. Doch es geht auch anders, wie Jamendo und Magnatunes zeigen.

Der Markt wird immer übergriffig sein – welches sind die Schutzmechanismen der Gemeingüter, die in sie eingebaut werden müssen?

Wenn wir über Governance der Gemeingüter reden, müssen wir uns zu diesen Fragen verhalten. Doch selbst wenn wir lernen, sie systematisch zu beantworten, eines geht all diesen Fragen voraus: Unsere Haltung zu den Gemeingütern.

Bollier dazu per mail:

„It seems that in certain types of commons, the „value proposition“ of the commons requires that you „enter into the space of the commons“ before the value can be accessed. That is, you have to become participatory and collaborative, and embrace the social ethic of that commons, in order for you to reap the benefits that flow from it. But once you do (or once enough people do), a resource that was once a commodity can be transformed into a resource of the commons. But the personal commitment is critical.“(Herv. S.H.)

Schließlich sind die Commons kein Ding, keine bestimmte Eigentumsform, nicht einfach eine ökonomische Struktur und auch keine politische Ideologie. Sie sind eine besondere Form, Sozialbeziehungen zu gestalten. Eine Lebensart, der wir uns öffnen müssen – im jeweils eigenen Leben. Erst dann kann sich uns der Reichtum der Gemeingüter erschließen.

Das ist eine Kulturrevolution, für die es keinen Masterplan gibt. Gemeingüter sind ein flexibles Paradigma, dass sich auf fast jede Art von Ressourcen anwenden lässt.“ Man könnte es auch so sagen: Ein Gemeingut entsteht nur dann, wenn Menschen es so wollen; wenn sie sich bewußt dafür entscheiden.

 Zum webcast des Vortrags von David Bollier (mit dem ich einigen Ärger hatte): http://cyber.law.harvard.edu/interactive/events/luncheons/2009/05/bollier

3 Gedanken zu „Gemeingüter „regieren“: Aber wie?

  1. Deine Gegenüberstellung von CC und GPL stimmt so nicht. Zum einen entscheidet auch bei der GPL der Autor, dass er sein Werk unter GPL stellt und jeder weitere Autor, der sich beteiligen will, tut das ja auch freiwillig und weiss worauf er sich einlässt. Zum anderen gibt es CC-Lizenzen, die im wesentlichen wie die GPL funktionieren. Das ist vor allem die Attribution-Share-Alike (CC-BY-SA) Lizenz.

    Eher auf den Punkt bringen kann man diese Frage vielleicht mit der Unterschiedung zwischen copyleft und public-domain?

  2. Was ich aus dem Referat von David Bollier und Frau Helfrichs Ergänzungen herauslese ist – aber vielleicht ist das auch nur meine Wahrnehmung -, dass die Entscheidung ob und in welchem Grad ich am Commoning teilnehme, eine persönliche Entscheidung ist, die auf meinen Werten basiert.
    Wenn das so ist, dann ist ein eventuell beklagter Verfall der Gemeingüter nicht nur der Ausdruck einer „herrschenden Macht“, welche den „Beherrschten“ den Zugang zu Gemeingütern verweigert, sondern auch der Unwillen und die Unfähigkeit der „Beherrschten“ zum Commoning.

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