Manchmal ist mir diese Open (Source) Euphorie suspekt. Zum Beispiel wenn sie weitgehend losgelöst von der Frage durchs Netz geistert, was wir für welchen Zweck entwickeln und tun. Hier ein aktueller Beitrag von Gary Richmond im Free Software Magazine zum Potential von Open Source Biologie. Richmond schreibt mit beeindruckender Begeisterung.
Ich verstehe zwar nichts von Molekularbiologie, aber ich verstehe, dass Molekularbiologie keine Softwareproduktion ist und die DNA keine Kombination von Nullen und Einsen. Deshalb holt Richmond sich am Ende auch selbst ein – schließlich ist der Schritt vom „Bioerror“ zum „Bioterror“ nicht weit und Computerviren sind mit realen Viren nicht vergleichbar.
Es ist eine Binsenweisheit: …Man kann mit lebender Materie nicht genauso verfahren wie mit Softwarecode. Und dennoch sind wir geradewegs auf dem Weg dahin. Sowohl in der proprietären als auch in der „freien Welt“ sind wir dabei, das Leben selbst zu programmieren. Es sei nur eine Frage der Zeit, so Richmond, bis ein Linus Torvalds der Biologie auftaucht, eine mail an die einschlägige community schickt und die klassische biologische Forschung mit all ihren Zugangs- und Nutzungshürden gerinnt zu Makulatur.
Garagengenetiker und Biohacker (der Begriff wird von Richmond zu recht kritisiert) werden die Demokratisierung der Wissenschaft voranbringen, indem sie Forschung und Datenverarbeitung aus den Laboren und der Umklammerung kommerzieller Interessen befreien.
„These guys are the whitehats who want to democratise science, not hack into a biolab database and steal critical data. They want to create their own data and just like Steve Jobs did, they’re doing it in the garage. Literally.“
Das ist gut, denn es ist der einzig vielversprechende Weg aus der Verwertungsmaschinerie. Ein neuer Versuch, Forschung tatsächlich an den Bedürfnissen der Menschen zu orientieren und nicht den Interessen von Pharmaindustrie oder Agrarbusiness zu unterliegen. Eine Bürgerbiologin – so nennt sie Richmond – versucht Gene von Quallen zu modifizieren, um sie Joghurt beizumischen, damit das Vorhandensein von Melamin (Auslöser des Babymilchskandals in China) festgestellt werden kann. Wenn das gelingt, will sie ihre Arbeitsergebnisse der Öffentlichkeit zur Verfügung stellen – also gemeinfrei machen. Eine andere Bürgerbiologin hat in einem Ein-Quadratmeterbüro Microben entwickelt, die einfache logische Operationen durchführen können – Marschrichtung Bio-Computer.
Noch besser findet Richmond das Design einer Bakterie, die Reispflanzen befähigt, Stickstoff effizienter zu binden (in seltsamem Gleichklang zum Chor derer, die meinen, wir bräuchten mehr oder eine andere als die noch existierende biologische Vielfalt, um mit dem Klimawandel umzugehen und die wachsende Weltbevölkerung zu ernähren. Was wir stattdessen brauchen ist der Erhalt dieser Vielfalt und die Verfügbarkeit derselben für die Menschen.)
Material und Daten für ihre Forschungen erhalten die Garagengenetiker auf E-bay, in einigen offenen Datenbanken oder bei Biobrick vom MIT.
Auch die Ethik der Garagengenetikercommunity kommt als Zwilling der Freien Software Ethik einher
“Get some, give some”. Ein klassisches Commonsprinzip.
„Registry users benefit from using the parts and information available from the Registry in designing their engineered biological systems. In exchange, the expectation is that Registry users will, in turn, contribute back information and data on existing parts and new parts that they make to grow and improve this community resource.
Und dennoch wird mir leicht unwohl, wohl (hoffentlich) aus Unwissen über die Gesamtarchitektur, an der die Protagonisten der Bürgerbiologie bauen.
„…the thinking behind all this is not just quite as ideologically driven as it is for the FSF. … there is a desire to accelerate change and invite non-corporate expertise across the distributive medium of the web which is not just changing the world of software but the whole way we all do our business, research and leisure activities.
„Accelerate change“… diese „Schneller, Höher, Weiter“ Euphorie, erinnert mich an DDR-Sportwelten und den ausgeträumten Traum vom dopingfreien Olympia zugleich. Der gebannte Blick auf „the rate of progress, discovery and application“ lässt die Frage danach: Welchen Fortschritt wir für wen und zu welchen Bedingungen brauchen, an den Rand des Beitrags rutschen.
Dort sagt Richmond endlich, geht es um eine „Sicherung“ und einen ethischen code… man arbeite daran, vertrauenswürdiger als Nationalstaaten das tun. Letzteres glaub ich gern.
Demokratisierung der Wissenschaft durch Bürgerbiologie, das Herauslösen von Entdeckerfreude aus kommerziellem Vermarktungsinteresse – das ist großartig. Denn schließlich wird jeder neue Dammbruch in der Genforschung gebetsmühlenartig mit dem Potential begründet, dass diese für die öffentliche Gesundheit habe. Marktfähig gemacht werden aber vor allem solche Produkte, die zahlungskräftige Kunden (in der Mehrzahl Gesunde) nachfragen – während die UNO sich gezwungen sieht, eine lange Liste so genannter „vernachlässigter Krankheiten“ aufzustellen – für die wir keine Durchbrüche, sondern lediglich eine intensiviertes Forschungsinteresse bräuchten. Im Interesse der öffentlichen Gesundheit und der Armen.
Bürgerbiologie und Freie Gentechnik muss also eine Grenzziehung vornehmen, auf die Freie Software – das große Vorbild – verzichten kann. Die Unendlichkeit der Möglichkeiten freier Software ist vorstellbar und sinnvoll für alle. Die Unendlichkeit der Möglichkeiten freier Genmanipulation erscheint mir eher wie ein Schreckensszenario, denn man kann Fehler (bugs) nicht einfach zurück programmieren. Es gibt im richtigen Leben kein reverse engeneering.
Deshalb hat die Idee eines bio-genetical community resource pool einen faden Beigeschmack. Was wäre das? Eine Art Superpool der Gene im Unterschied zum Supermarkt der Gene? Im Supermarkt der Gene liegen im untersten Regalfach die ganz normalen, weiter ob die aufgepeppten Gensequenzen in günstigen Kombinationen. Ganz oben – auf Sichthöhe – jene, die für einen besseren Intelligenzquotienten sorgen, für eine bestimmte Pigmentierung der Haut und für blaue Augen. Wir suchen aus was wir wollen und ab zur Kasse. Wer will sich in Zukunft schon das dümmste Kinder der ganzen Schule leisten?
Diese Welt des Supermarkts der Gene haben wir längst betreten. Babys nach Maß für die, die es sich leisten können. Die Auswahl des Geschlechts gegen Bares ist in den USA gang und gebe. In dieser Welt haben nur wenige (geschätzte 10%) Zugang zur wunderbaren Vielfalt verbesserter Gene. Sie besteht nicht mehr nur aus Arm und Reich an Eigentum, sondern auch aus Arm und Reich an Genen. Geldreich und Genreich gehören in der proprietären Welt der Genmanipulation selbstredend zusammen.
Anders in der freien Variante der kommunitären Ressourcenpools: da könnten wir uns alle bedienen. Das ist demokratischer; und trotzdem nicht mein Ding.
Das In-die-Welt-Setzen leuchtender Kaninchen vermag mich ebensowenig zu faszinieren wie – topaktuell – transgene Affen, deren Erbgut weitergegeben werden kann. Ein weiterer Durchbruch. Ein weiterer Dammbruch.
Es geht also einerseits um Demokratisierung durch Offenheit von Forschung. Die Vorstellung, dass dies die Wissenschaft entkommerzialisieren könnte, ist in der Tat faszinierend, da bin ich ganz auf Seiten Richmonds. Und es geht anderersseits – vielleicht noch dringender – um die immer wieder neu zu stellende Frage der Grenzziehung in den Wissenschaften, die das Leben selbst zum Gegenstand haben.
Weil die DNA keine Softwarecode ist und Mikrobologie keine Softwareprogrammierung. Weil es um die Bausteine des Lebens geht und nicht um Nullen und Einsen.
Für die Commonsdebatte wäre es ein unglaublicher Durchbruch, wenn wir in diesem heiklen Bereich beweisen könnten, dass offene und von den Bürgern selbst getragene Forschung zu effizienteren und sinnvolleren Grenzziehungen in der Lage ist als der Staat oder die Staatengemeinschaft.
Foto on flickr by mknowles
Kleine Krittelei: Reverse Engineering ist kein »zurück programmieren« oder Bugfixing, wie es die Passage nahe legt, sondern der Versuch, aus einem fertigen Stück Software (oder sonstwas) durch Forschung auf die einzelnen Bauteile zu schließen (z.B. den Quellcode oder die chemische Formel). Insofern könnte man die analytischen Bereiche der Gentechnik eher mit »Reverse Engineering« vergleichen.
Ansonsten stimme ich dir zu. Wie man Freie Bio/Gentechnik begrenzt, ist mir allerdings auch nicht klar. Vermutlich kann sich das nur aus der Praxis ergeben und in Formen von Selbstverpflichtung o.dgl. — vergleichbar mit dem Hippokratischen Eid — münden.