Herfried Münkler ist Politikprofessor an der Humboldt-Universität zu Berlin. Genauer: Er ist Geschichtsphilosoph, Experte der Ideengeschichte. Das ist wichtig zu wissen. Münkler macht mir Angst. Dabei hat er eine Menge Bücher geschrieben und noch mehr StudentInnen unterrichtet. Wie kann er mit ein paar Federstrichen seine gesamte Glaubwürdigkeit riskieren? Als Wissenschaftler und als Bürger?
Markus Beckedahl hat sich zu Münklers Kenntnisarmut in Sachen Internet hinreichend geäußert. Ich mag ja dieses „Die-Alten-Herren-Haben-Keine-Ahnung-Bashing“ normalerweise nicht, aber in dem Fall kommt Markus einfach nicht drumrum.
Zum dem auf Netzpolitik von über 100 Menschen treffend Kommentierten ärgert mich der Münklersche Gemeingut-Begriff. Münkler ist nicht nur Hardin auf den Leim gegangen, er verwischt auch ziemlich banale Unterschiede.
Nehmen wir die Sache mit dem Unterschied zwischend er „realen“ und der „virtuellen“ Welt und was daraus für die Eigentumsdiskussion folgt.
„Diese Position einer prinzipiellen Verbotsabwehr verbindet sich mit der Auffassung, in der virtuellen Welt des Internets hätten die Eigentumsansprüche, wie sie in der realen Welt erhoben werden, keine Geltung, sondern müssten einer kostenfreien Nutzung durch alle zugänglich sein.“
Münkler behauptet also im Umkehrschluss: Die Eigentumsansprüche in der realen Welt haben auch in der virtuellen Geltung.
Ich werde vom Zitieren von Autoritäten der Ideen- und Politikgeschichte absehen, da der Autor dieser Zeilen deren Arbeiten besser kennt als ich. Ich werde einfach aufschreiben, was ich politik- und rechtswissenschaftlichen Schriften entnehmen konnte. Also, die Sache ist so (hier zum Einhundertvierzigtausendesten Mal).
Es gibt einerseits die Welt der materiellen Dinge. Ein Glas, ein Schuh oder ein Apfel. Diese Dinge sind endlich. Wenn wir sie zerschlagen, zerschleißen oder aufessen, sind sie weg. Wir haben sie durch den Gebrauch verbraucht, aufgebraucht und zum verschwinden gebracht.
Und es gibt andererseits die Welt der immateriellen Dinge. Eine Idee, ein mp3 file, ein digital verfügbarer Text. Wenn wir sie mitteilen, hören, kopieren und alle mitlesen lassen – wenn wir sie also in dieser Weise gebrauchen, sind sie nicht weg, sondern immer noch da. Das ist banal, aber wichtig (etwas grobschlächtig, zugegeben, denn die Sache ist komplizierter. Viel Immaterielles steckt im Materiellen und umgekehrt.)
Aber behelfen wir uns mit der Einfachheit des Holzschnitzartigen:
Wenn ich nun jemandem ein Glas oder einen Apfel wegnehme, dann hab ich das Glas oder den Apfel dieser Person gestohlen. Ich kann jetzt aus dem Glas trinken – der Bestohlene nicht. Ich kann den Apfel essen – der Bestohlene guckt in die Röhre. (Ich könnte den Apfel auch teilen – aber „sharing“ – eines der Schlüsselwörter der Gemeingutdiskussion – kommt in der Welt des dichotomischen Denkens offenbar nicht vor. Darüber wäre an anderer Stelle zu debattieren.)
Wenn ich nun aber – in der Welt des Immateriellen – jemandes Idee nutze, jemandes mp3 file höre oder jemandes Text lese, dann hat die entsprechende Person die Idee, den Musikgenuss und die Möglichkeit der Textlektüre immer noch. Diese Dinge sind nicht weg – nicht gestohlen, jedenfalls nicht nach der Definition, auf die sich die Juristen geeinigt haben.
Herfried Münkler bringt diesen fundamentalen Unterschied mit heideggerschem Gestus in seinem Kommentar unter. Er redet von der „ontischen Differenz“, „die Realität und Virtualität tatsächlich und wirksam voneinander trennt.“ Es gibt ihn also, diesen Unterschied im Sein. Soweit sind wir uns einig.
Weil das so ist (und wir uns einig sind), würde ich gern verstehen, warum ein Kenner der Ideengeschichte meint, dass ein soziales Konstrukt wie das des Eigentums – als absolute Verfügung über eine Sache aus der „realen Welt“ – sich einfach in die andere Welt – die der Ideen – schieben lassen soll? Aus welchem Grund?
Die Regeln der Verfügung über Schuhe oder Apfel, sind nicht einfach auf die Welt der Ideen übertragbar, auch nicht wenn Münkler – kraft seiner Autorität – das suggerieren möchte. Wenn wir das tun würden, würden wir automatisch die Freiheit der Gedanken einschränken, doch es liegt im Wesen der Gedanken, frei zirkulieren zu können, nicht aber im Wesen des Glases oder des Apfels.
Jede Idee von Eigentum ist ein soziales Kontrukt, logo. Die Idee des „Geistigen Eigentums“ ist nun ein besonders abenteuerliches Konstrukt. Ich suche noch nach einem Text (der Philosophie-, Idee- und Politikgeschichte – Münkler könnte hier helfen), der dieses Konstrukt auch nur halbwegs überzeugend begründet. Ich habe noch keinen gefunden.
Eine weitere Perle des Münklerschen Kommentars:
„diese Auseinandersetzung (wird) vor allem von Autoren und Verlagen geführt wird, da hier die Gemeingutpraxis existenzgefährdend ist.“
Man erinnere sich: Münkler ist Hardin aufgesessen, der ja nicht ein Gemeingut, sondern Niemandsland analysiert hat. Münkler glaubt – wie Hardin damals – über Gemeingüter reden hieße: Jeder soll zu allem immer Zugang haben und nix dafür tun und nix dafür zahlen.
Das ist in vielerlei Hinsicht falsch. Zumindest aber ahistorisch.
In der Praxis der Gemeingüter gibt es diverse Eigentumsformen. (dh. Regelungen über Zugang, Nutzung, Entnahmerechte, Veräusserung usw.) Gemeingüter sind kein Niemandsland (darüber habe ich mir hier schon die Finger wund geschrieben). Sie sind vielmehr eine Praxis, in der Menschen sich auf Regeln des Zugangs und der Nutzung der Dinge einigen (selbstbestimmt), in der die Ressourcen (der realen Welt) nicht zum frei- oder ausbeuten freigebeben werden. In der Menschen ihr Auskommen finden. In der aber auch Menschen sagen, wenn Dinge, auf die wir alle einen Anspruch haben, nicht endlich sind, dann lasst sie uns nicht künstlich verknappen.
In der Diskussion um Gemeingüter geht es um die Durchsetzung von Teilhaberechten an Dingen, die niemand individuell geschaffen hat. Und auch darum, für den Erhalt dieser Dinge, Verantwortung zu übernehmen. Nicht um „kostenlosen und ungehinderten Zugang zu allem“ – wie Münkler unterstellt.
Bei Linebaugh/Rideker, kann man in so bedrückender wie beeindruckender Weise nachlesen, dass seit Jahrhunderten für viele Menschen dieser Welt, nicht die Gemeingutpraxis, sondern die Eliminierung der Gemeingutpraxis existenzgefährdend ist. So gefährlich, wie Zugangssperren für’s Internet für die Freiheit der Rede und des Denkens sind.
Wir brauchen aber nicht zurück ins 17. Jahrhundert. Es gibt viele Orte auf der Welt, wo Menschen, die Gemeingüter verteidigen, eingesperrt, erniedrigt und umgebracht werden. In der Tat, Professor Münkler, Existenzgefährdung und Gemeingüter haben eine Menge miteinander zu tun. Gemeingüter sichern Existenz. So herum wird ein Schuh draus.
Und dann – es musste ja so kommen – wirft Münkler es an die Wand: das Gespenst des Kommunismus. Er identifiziert die Subjekte dieser angeblich ungeheuerlichen Gemeingüteridee … Leichtes Schaudern stellt sich ein:
„…ein Ensemble von Freiheitskämpfern, die ihre anarchistischen (kein Staat!) oder kommunistischen Ideen (kein Eigentum) in der virtuellen Welt des Internets realisieren wollen.“
Markus würde am liebsten mit dem Kopf gegen den Tisch schlagen… aber im Ernst: Ich habe das jetzt schon so oft gehört (die Krönung war der Brückenschlag von den Gemeingütern zu den Roten Khmer, SIC!), dass ich beginne, es ernst zu nehmen.
Was um Himmels willen ist das für eine Angst, die da geschürt (Angst ist seit Urzeiten da beste Disziplinierungsmittel)? Was für eine Dämonisierung derer, die ihre Stimme für so einfache Dinge erheben wie die Freiheit des Zugangs zum Internet oder die Verteidigung des Zugangs zu Gemeingütern? Da geht’s um die Grundlagen der Moderne – um sowas wie Menschenrechte!
Was ist das für eine Unfähigkeit zuzuhören, sich auf Diskurse einzulassen und Argumente aufzunehmen? Was für eine ideologische Blockade im Kopf. Ich beschreib sie mal so: Privateigentum (an Sachen und Ideen) = Freiheit = Moderne = Gut! Wer so nicht denkt gehört unter Generalverdacht (so wurden schon die Levellers im 17. Jahrhundert mundtot gemacht.
DAS macht mir Angst. Das ist Ideologie.
Vielleicht sollten wir Professor Münkler eine Buchvorstellung an der Humboldt Uni vorschlagen. Dort können wir über die Freiheit des Internets, unser Problem mit dem „intellektuellen Eigentum“, den Gemeingutbegriff und die Sorgen der Menschen reden, die für solche Einlässe nur noch Spott übrig haben.
Foto on wikipedia; by Amrei Marie, CC-BY-SA-3.0-DE.
Da „die“ „uns“ immer als Kommunisten bezeichnen muss wohl was dran sein 😉
Der ernste Hintergrund denke ich ist der, dass eben tatsächlich der bürgerliche Begriff vom Eigentum angekratzt wird durch die Digitalisierung der Lebenswelt. Da hilft für manche eben nur noch um sich beißen unter Ausschaltung des Verstandes.
Ach, das ist ein Alt-68er, der gegen seine eigene Vergangenheit beisst (allerdings auch schon länger).
schau mal auf: http://blog.fefe.de/?ts=b4c5047f
Zitat: „Reputation braucht in der Konstruktion Jahre, aber man kann sie in wenigen Minuten komplett zerstören. Mein Tipp: lassen Sie Gras drüber wachsen, heiraten Sie und nehmen Sie den Nachnamen der Frau an, ziehen Sie nach Südamerika um, schneiden Sie sich den Bart ab, und in zehn Jahren oder so, da nimmt sie dann vielleicht wieder jemand ernst.“
Pingback: Seitenhiebe » Blog Archive » Bitte Einreihen zum Münkler-Bashing!
Hallo Sabine,
Du schreibst:
Die Idee des „Geistigen Eigentums“ ist nun ein besonders abenteuerliches Konstrukt. Ich suche noch nach einem Text (der Philosophie-, Idee- und Politikgeschichte – Münkler könnte hier helfen), der dieses Konstrukt auch nur halbwegs überzeugend begründet. Ich habe noch keinen gefunden.
Die ersten vier Abschnitt aus COPYRIGHT, COPYLEFT AND THE CREATIVE ANTI-COMMONS von Anna Nimus haben zumindest mich davon überzeugt, dass geistiges Eigentum eine Berechtigung haben kann.
hach, oben ist das Zitat von Dir verlorengegangen: Die Idee des „Geistigen Eigentums“ ist nun ein besonders abenteuerliches Konstrukt. Ich suche noch nach einem Text (der Philosophie-, Idee- und Politikgeschichte – Münkler könnte hier helfen), der dieses Konstrukt auch nur halbwegs überzeugend begründet. Ich habe noch keinen gefunden.