Goethe: Eigentumsrecht ungültig

Heute fand ich dieses Gedicht von Johann Wolfgang von Goethe. Katechisation!

Lehrer:     Bedenk‘, o Kind! Woher sind diese Gaben? Du kannst nichts von Dir selber haben.
Kind:        Ei! Alles hab‘ ich vom Papa.
Lehrer:     Und der, woher hat’s der?
Kind:        Vom Großpapa.
Lehrer:     Nicht doch! Woher hat’s denn der Großpapa bekommen?
Kind:        Der hat’s genommen.

(Johann Wolfgang von Goethe, Berliner Ausgabe. Poetische Werke [Band 1–16], Band 1, Berlin 1960 ff, S. 468-469.: Gemeinfrei)

Ich lese gerade einen interessanten Artikel zum Bodenrecht bzw. zur Notwendigkeit, dieses zu reformieren (mehr dazu in Kürze).
Beim Boden ist es so: Man kann die klassische Begründung für das  Eigentumsrecht in der Tradition von John Locke nicht auf den Boden anwenden. Denn diese lautet: privataneignungsfähig wird eine Sache dadurch, dass sie mit individueller Arbeit vermischt ist.

die natürliche Vernunft … sagt, dass die Menschen, nachdem sie einmal geboren sind, ein Recht haben auf ihre Erhaltung und somit auf Speise und Trank und alle anderen Dinge, die die Natur für ihren Unterhalt hervorbringt. (II, 25; 1)

Meine Arbeit, die sie dem gemeinen Zustand, in dem sie sich befanden, enthoben hat, hat mein Eigentum an ihnen bestimmt.“ (II, 28)

(Aus John Locke, Werkausgabe: The Works, I-III, London 1704, I-X, 11. Aufl. 1812, (new ed. corrected) 1823 (Nachdruck Aalen 1963)

Die Vermischung der Natur, die noch allen gehört, mit der eigenen Arbeit, die dem Individuum gehört, berechtigt dieses Individuum sich diesen Teil der Natur anzueignen. Locke nennt als Beispiel die Aneignung eines vom Baum gefallenen Stückes Obst: Es gehört dem, der es aufgehoben hat, weil er es durch das Aufheben mit seiner Arbeit vermischt hat. Aber was konkret vermischt er mit dem Boden?

Das Eigentumsrecht, so wie Locke es begründet, gilt somit genau genommen höchstens für die Früchte des Bodens. Für das, was man darauf baut, was man anbaut. Nicht für den Boden selbst. Oder zumindest nur im Grenzfall (etwa wenn Boden dafür erworben wird, intensive Bodenschutzmaßnahmen durchzuführen, Bodenqualität zu sichern oder dergleichen.)

Den Boden hat irgendjemand, irgendwann mal „genommen“, wie Goethe das (jedes?) Kind erkennen lässt. Der Philosoph und Sozialwissenschaftler Christoph Strawe, dessen Artikel ich gerade lese, drückt es so aus:

„Man muss nur lange genug zurück gehen, dann stößt man auf den Raub als Ursache von Eigentumsverteilung“.

(in: Grundzüge eines modernen Bodenrechts, Stiftung trias, Basel 2007, S.11)

Diese Idee lässt sich auf alle Gemeingüter beziehen. Sie sind nicht privataneignungsfähig, weil sie per Definition nicht Produkt der Arbeit des Einzelnen sind.
Sie sind entweder natürliche Gaben, die wir kollektiv nutzen und reproduzieren (Boden, Wasser, Atmosphäre) oder sie sind kollektive hergestellte kulturelle und intellektuelle Leistungen (Kulturtechniken, Sprache, Code). Sie sind NIE nur der Arbeit eines Einzelnen zuschreibbar. Wir können deshalb nur darüber verhandeln, welche Nutzungsrechte wem in welcher Weise zustehen und wo die Grenzen dieser Nutzungsrechte sind.
Ausschließliche private Verfügung über Gemeingüter kann es nicht geben.

PS: Falls jemand weiß, wie ich das im Widget hier links besser darstellen kann; Hilfe ist sehr willkommen!

Foto: Signatur von Johann Wolfang von Goethe, gemeinfrei.

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