und wer arm ist, lebt im Lärm.“ „Der Körper ist das Schlachtfeld gesellschaftlicher Auseinandersetzung.“
Wir sind zum Hören verurteilt. Wir müssen an vielen Orten Dinge hören, die uns nicht gefallen, um die wir nicht gebeten haben oder die einfach nur zu laut sind. Es müsste ein Recht auf kostenlosen Zugang zu Oropax geben; man merkt ich gehöre zu jenen, die sich ein Open Air Konzert am liebsten vom gegenüberliegenden Café aus anhören – immer noch deftig genug. „Was wäre eigentlich, wenn wir täglich ungebetenerweise so viel in den Mund gestopft bekämen wie in die Ohren?“
Das fragt: Hörstadt, eine Initiative der Kulturhauptstadt Europas 2009, Linz, kreativer Vordenker ist der Komponist Peter Androsch
- „Beschallung ist keine Selbstverständlichkeit, und niemand hat das verbriefte Recht, Sie mit Hintergrundmusik zu beschallen.
-
Jede Form von Zwangsbeschallung ist ein Akt der Bevormundung – sowohl prinzipiell als auch unseren Geschmack betreffend.
-
Dauerbeschallung macht nachweislich krank und trägt zur Reizüberflutung bei, unter der besonders Kinder leiden.“..
finden die Linzer und sie haben etwas Wunderbares initiiert:
„Es ist Zeit abzurechnen.
Und der Ort der Abrechnung ist hier.
Hier, auf dem Titelblatt von „Le Figaro“, wo vor 100 Jahren, am 20. Februar 1909, die Anbetung des Lärms, … ihren Ausgang nahmen. Hier, wo sich Filippo Tommaso Marinetti mit dem Futuristischen Manifest über sich selbst erhob und in unglaublicher Hybris die Geißeln der grenzenlosen Maschinisierung, Motorisierung und Mobilität und mit ihr die Geißel der grenzenlosen Schallentwicklung …verherrlichte:
Lärm!
Lärm!
Lärm!
Schall ist die neue Waffe der Macht. … In Supermärkten, Geschäften, Einkaufszentren, Restaurants, Warteräumen, Telefonwarteschleifen, ja Wohnungen, Stiegenhäusern, sogar Toiletten sind täglich Millionen Menschen Opfer toxischer Schallstrahlung, die durch ihre Körper kriecht.
…
Die Mächtigen vergewaltigen die Machtlosen. Willkommen im Wilden Westen des Hörens!…Ein politisches und gesellschaftliches Vakuum ensteht. Dieses Vakuum ist das El Dorado der akustischen Goldgräber. Sie besetzen mit neuen Technologien neue Territorien und begründen Eigentums- und Verwertungsrechte. Sie tun dies frei von Regeln. Nach dem Faustrecht.“…
… der tönende Kapitalismus als horror spatii sono vacui. Aber unsere Hände sind frei und rein genug, um von vorn anzufangen.“ (Herv. von mir)
Und dann beginnt das Manifest – Architektur, Verkehrsplanung, Handel, Schulen, Verwaltung … überhall hat sich „das Unrecht in den Schatten gesellschaftlicher Aufmerksamkeit verkrochen.“ Wer im Lärm lebt, ist arm. Wer arm ist, lebt im Lärm. Eine neue Raumplanung ist akustische Raumplanung! Die Horstädter fordern eine neue Politik, denn
„Jeder Mensch hat das Recht, gesunde Luft zu atmen. … Und jeder Mensch hat das Recht auf körperliche Souveränität. Der Mensch hat deshalb auch das Recht, durch das, was in seine Ohren eindringt, nicht krank zu werden. Und noch viel mehr: Er hat auch das Recht, bei dem, was in seine Ohren eindringt, demokratisch mitzubestimmen und es selbst mitzugestalten.
Wir veröffentlichen dieses Manifest, damit der akustische Raum endlich politischer Raum wird.“
Denn Stille ist Gemeingut! Und weil das so ist, gibt’s in Linz nicht nur revolutionäre Worte, sondern auch konkrete Veränderungen. Öffentliche Räume werden wieder beschallungsfrei gemacht. Das ist die Liste der Einrichtungen und Unternehmen, die sich bereits als beschallungsfrei bezeichnen. Sogar SPAR und Thalia gehören dazu. Die Tendenz ist richtig: Commons schützen muss Reputation bringen.
- Das komplette akustische Manifest im Wortlaut
- Das akustische Manifest auf die Ohren (MP3, 17.5 MB)
Es ist übrigens auf den Tag genau 100 Jahre nach dem Futuristischen Manifest im Le Figaro erschienen.
Weitere Beiträge zum Thema im Commonsblog:
Foto on Flickr by bermarte, Lizenz: CC BY
Pingback: Raphael Mack (denkbeteiligung) 's status on Thursday, 27-Aug-09 20:15:52 UTC - Identi.ca
Pingback: Bitte Ruhe (bewahren) » Denkbeteiligung
Pingback: 1, 2, 3, viele Manifeste « CommonsBlog