Während sich die Welt der Commons meist um Grundelemente des Lebens wie Trinkwasser, Atemluft, Saatgut und intellektuelles Eigentum zu drehen scheint, stolpere ich von einer Kleinigkeit zur anderen und komme mir vor, als klage ich auf höchstem Niveau. Aber muss man wirklich jeden Mist essen, nur um nicht zu klagen, weil man sich auf hohem Niveau befindet? Ausgerechnet im mexikanischen Monterrey, mit dessen Bohnengerichten ich mich am liebsten totschiessen lassen würde, um mir das Essen zu ersparen, ging mir wieder mal ein liebgehabter Nationalstolz flöten.
Wir Deutschen haben die besten Bäcker der Welt! Ich höre es immer wieder und habe es in den vergangenen dreißig Jahren selbst oft gedacht. In der Dulceria La Colmena, einer kleinen Süßigkeitenwerkstatt am Rande Monterreys, ist mir diesbezüglich das stolzieren vergangen (oder war das schon beim Bäcker Gantner im schweizerischen Wädenswil – mit seinen unfassbaren Rhabarber-Wähen; in der Patiserie von Buis-les-Baronnies – mit Croissants au Beurre, die im Munde in tausend Teigblätter zerspringen; im Panificio von Parma und sogar im Bread & Cie in der University Avenue von San Diego?). Was hier aus frischen und einfachen Zutaten gezaubert wird, mit Honig, Mandeln und Walnüssen und anderswo mit Millefeuille au beurre, mit Vanillecreme und frischem Rabarber, mit Oliven, luftgetrockneten Tomaten und einer Menge Phantasie … wo bitte gibt es das bei uns heute noch? Selbst in Kalifornien findet man heute besseres Brot als hier.
Zu allem Überfluss verspürte ich heute, kurz nach meiner Rückkehr aus Mittelamerika, Lust am Stuttgarter Flughafen von einem der vorherrschenden Stuttgarter Bäckereifachgeschäfte (oder wie heisst das jetzt) einen Leberkäs‘ Wecken (LKW) zu verspeisen. Meine Tochter wollte auch einen. „Nicht zu dick den Leberkäse bitte, ich bin selbst schon dick genug!“, sage ich noch. Es hilft nichts. Vier Euro 80? Wie bitte?? Das sind 2 Euro 40 pro LKW, also 4 Mark 80. 1976 gab’s wohlschmeckende Brötchen mit hausgemachtem Leberkäse noch für 50 Pfennige. Auch wenn es keine Mark mehr gibt und dafür Inflation – die Lebenskosten haben sich seit Gründung der Bundesrepublik ungefähr vervierfacht, der Leberkäs’preis hat sich aber seit meiner Schulzeit verzehnfacht. Und das für diesen lätschigen Wecken mit einem nach Nitritpökelsalz riechenden Fleischmassebrocken darauf? Bekomme ich einen Erdbeerkuchen zum runterspülen dazu? So einen aus 5 cm Industriebisquit darunter und 5 cm aromatisierter Gelatinemasse darauf und etwas Schlagsahne aus der Spraydose?
Herrjeh, wie drehe ich die Geschichte so, dass am Ende etwas zu den Commons dabei heraus kommt? Naja, so schwierig ist das nicht. Die Backkunst ist doch ein ererbtes Gemeingut – oder nicht? Der Zugang zu hochwertigen Lebensmitteln ein möglicher und auch erstrebenswerter Luxus, der ruhig jedermann offen stehen sollte. Ein schmackhaftes Essen zu mehreren schmeckt doch allemal besser, als wenn man ein leckeres Designertörtchen allein hinter verschlossenen Türen verspeist.
Fest steht, man muss sich auch um diese Commons gemeinsam kümmern, muss sie benennen und verteidigen, sonst gehen sie verloren. Als Kunde durch die Wahl der Produkte und des Bäckers, bei dem wir einkaufen. Und als Bäcker (und das gilt nicht nur für die Bäcker), indem man seine Phantasie beflügelt, selber bäckt und nicht nur Tiefkühlrohlinge heiß macht und mit etwas Ehrgeiz und Berufsstolz den Karren rumreißt – raus aus diesem Jammertal. Wer als Kunde jeden Mist frisst, der ihm aus Selbstbedienungströgen günstig entgegen springt und wer als Bäcker nicht versucht, seine Kunden von der Qualität seiner frischen Torten und Brote zu überzeugen, der braucht sich nicht zu wundern, wenn bald neben den Äpfeln aus Neuseeland auch noch Brötchen zu uns eingeflogen werden (oder ist es schon so weit?).
Es gibt das gute Brot auch bei uns noch immer, da bin ich sicher. Ab heute werde ich es wieder suchen.
*Titel des Orginals: À la recherche du temps perdu (Auf der Suche nach der verlorenen Zeit) von Marcel Proust. Ich bin zur Zeit auf der Suche nach diesem verlorenen Buch, denn ich habe es im Flieger liegen lassen
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