Pharmaforschung: Wir müssen schneller scheitern

‚Wir müssen schneller scheitern, um das Tal des Todes zu überbrücken.‘ So könnte man die Botschaft von Health Commons auf den Punkt bringen. Über die Gesundheits-Commons habe ich hier und hier schon berichtet, nun endlich genauer hingesehen und den Grundlagentext gelesen. Die Schlußfolgerung will ich vorweg nehmen.

Es müsste Pharmaforschungscommons heißen oder neutraler Pharmaforschungspool.


Worum geht es?

Die Diagnose: Forschung und Entwicklung verlaufen rasant, insbesondere in der Molekularbiologie. Es gibt immer schneller, immer mehr Informationen über molekulare Zusammenhänge auf immer individuellerer Ebene. Wir bewegen uns auf die personalisierte Medizin zu.

Das Wissen explodiert, und dennoch dauert es im Schnitt 17 Jahre bis ein Medikament entwickelt wird. 17 Jahre vom Gen, Molekül, einer neuen Substanz zur Pille.

Die Ursache sind vertikale Forschungsstrukturen. Jeder verfolgt einen Strang, ohne Zugang zu den anderen Forschungssträngen zu haben. Das Ergebnis ist eine katastrophale Trefferquote von weniger als 1 zu 1 Millionen (dh. weniger als eine verfolgte Spur ist letztlich erfolgreich). Das verursacht exorbitante Kosten, womit die Pharmalobby gern argumentiert und Konzession an die Pharmakonzerne begründet werden. Doch warum das Rad immer wieder neu erfinden? Insbesondere klinische Daten aus der Translationsforschung stehen unter Verschluss. Dabei ist gerade das, was nicht funktioniert hat (z.B. klinische Testreihen zur Toxizität bestimmter Substanzen) wertvolle Information für die Forscher, denn sie weist den weiteren Weg. Statt aber diese Information zur Verfügung zu haben, müssen Forscher jedes Mal von vorn beginnen, die sprichwörtliche Nadel im Heuhaufen zu suchen. Jahr für Jahr. Testreihe für Testreihe.

„die Daten aus klinischen Testreihen sind in der Medikamentenentwicklung massives Schwundmittel für Zeit und Investitionen“

(natürlich nicht nur aus Gründen proprietärer Forschungsverfahren, auch Datenschutzfragen spielen hier eine Rolle)

Doch der Befund ist: Jeder lernt für sich allein, das kollektive Wissen wird nicht angezapft und es gibt keine Strukturen das „Wissen der Menge“ wirklich zu nutzen Stattdessen sind gegenwärtig alle…

Anreizsysteme perverserweise gegen eine möglichst rechtzeitige Entwicklung eines Medikaments gerichtet„.
“Pharmafirmen prosperieren heute, wenn sie den Wert von solchen  Anhaltspunkten/Infos und Forschungszielen in die Höhe treiben, an denen sie Verwertungsrechte und Patente halten, nicht damit, dass sie eine bestimmte Krankheit kurieren.“

Health Commons will nun das „ganze System in einer Bewegung ändern und viele „vertikal organisierte Industrien in horizontal integrierte Ökosysteme transformieren“. Einfacher ausgedrückt: Forscher sollen das, was sie zum Vorankommen brauchen, so schnell bestellen können wie eine DVD bei Amazon.

Dafür gibt es drei Stellschrauben:

– vertragliche, weitgehend standardisierte Vereinbarungen mit Zulieferern von Informationen, Daten, Zelllinien, Tierversuchsergebnissen, Proteinen … kurz alles was im Forschungsprozess gebraucht wird.

– der Aufbau eines maschinenlesbaren, semantischen Netzes, dh. einer  Plattform zur kollaborativen Nutzung dieser Informationen

– Lizenzverträge, die Nutzungsrechte in der Forschung erweitern, angelehnt an Creative Commons

Aus linearen, uneffizienten, langwierigen und äußerst kostspieligen Forschungsvorgängen wird ein System in das permanent Rückmeldeschleifen eingebaut sind, von der Grundlagenforschung bis zum marktreifen Medikament.

So könnten die Ressourcen in der Forschung „auf die Schlüsselprobleme und -möglichkeiten“ fokussiert werden. Die Frage, die Health Commons nicht eindeutig beantwortet ist: „Schlüsselprobleme“ für wen? Das sehr erfolgreiche Projekt liest sich mitunter, als agiere es im machtfreien Raum.

Wenn Pharmaforschung schneller, einfacher und billiger zu machen ist, wenn auch kleine Gruppen mit weniger Mitteln mit den Pharmariesen konkurrieren können (Demokratisierung der Wissenschaft ist immer gut!), wenn das Argument nicht mehr zieht, dass Pharmaforschung bis zur Marktreife – nach meist öffentlich finanzierter Grundlagenforschung – aus Kostengründen nicht öffentlich gestemmt werden kann, dann trägt ein Gesundheits-Commons Projekt dazu bei, dass die Gesellschaft die Kontrolle über die Medikamente die wir brauchen und entwickeln wieder zurückgewinnt. Dann müsste es eigentlich heißen: Wir brauchen Health Commons für mehr Entscheidungsfreiheit und Handlungsmöglichkeiten in der Gesundheitspolitik!

Stattdessen steht im Grundlagentext:

„Health Commons kann die Produktivität im Pharmasektor und die Profite erheblich erhöhen, indem die Anreizsysteme neu ausgerichtet und Zusammenarbeit stimuliert wird.“

Die Frage cui bono findet hier eine klare Antwort! Schade!

Es ginge darum, so die Macher, „das volle Potential der existierenden Firmen“ auszuschöpfen, denn der Pharmasektor ist nicht nur der beste Beweis für Marktversagen, sondern auch Beleg für die Unwirtschaftlichkeit des ganzen Systems. Nur 6 von 1800 Biotechnologischen Unternehmen, die seit 1980 gegründet wurden, so entnimmt man dem White Paper von Health Commons, haben über die Jahre mehr Geld erwirtschaftet als investiert. Die „Kronjuwelen dieser Firmen“ seien ihre Informations- und technologischen Plattformen. Würden diese nun auf „elegante Weise“ zusammengebracht, könnte sich das ändern.

Aber auch die etwa 2500 gemeinnützigen Organisationen und Stiftungen, die in der Medikamentenforschung tätig sind, profitierten von Health Commons, ergänzen die Autoren das Gewinnerszenario von Health Commons. Es wirkt wie ein Gemeinplatz. Man spürt wie sie sich nach dem Kooperationswillen der Pharmariesen strecken, die das Projekt offenbar braucht, um relevant zu werden.

Gewinner seine auch „wir alle“, schließlich seien die Möglichkeiten dieses neuen Pharmaforschungsparadigmas „Im Zeitalter des Subtypisierung des Genoms und der personalisierten Medizin, wo jede Krankheit potentiell eine verwaiste Krankheit ist, … sehr weitreichend.“

Ich verstehe: Jedem Menschen mit seiner individuellen Vorgeschichte, seiner individuellen genetischen Ausstattung und seinem individuellen Portemonnaie – sein eigenes Medikament. Wenn das die Vision ist („Virtual Pharmas for individual patients – the ultimate in personalized medicine“), dann ist bei allem Enthusiasmus zu erwarten, dass jene, die auch eine individuelle Vorgeschichte, eine individuelle genetische Ausstattung und ein individuelles Leiden aber kein dickes Portemonnaie haben, auch kein personalisiertes Medikament bekommen!

Das ist eine Frage, die Health Commons nicht beantwortet, wie mir scheint. Wie werden die Akteure (Kooperations-Partner und Finanzierer des Projekts) überzeugt, dass es sich nicht nur lohnt, in Therapien für seltene Krankheiten von immer kleiner werdenden, kaufkräftigen Patientengruppen zu investieren? Wie regt Health Commons dazu an, vor allem dort zu investieren, wo es keinen Markt gibt – bei den großen vernachlässigten Krankheiten der Armen? Wie kann das Projekt an sozioökonomische Fragen und Fragen der Gesundheitsökonomie rückgebunden werden?

Warum wirbt es mit der Möglichkeit, dass die Nutzerihre eigenen privaten Commons machen können (Was bitte?), um dann

„Individuen und Firmen zu gestatten, den machtvollen Hebel der Commons für sich zu nutzen?“

Und schließlich: wer entscheidet, welche Informationen in den Pool gegeben werden und welche nicht?

Der Health Commons Pool speist sich bislang vorwiegend aus öffentlichen Daten (public domain). Soweit ich verstanden habe, wächst er in dem Maße, wie die einzelnen Partner ihre Daten zur Verfügung stellen. Wer wird die Firmen dazu bewegen, auch Dinge freizugeben, die sie in alter Tradition lieber für sich behalten würden? Wie kann man  gewährleisten, dass nicht einfach alles „schneller“ geht, indem schneller öffentliche Daten ausgeplündert und privat verwertet werden?

Wegen dieser offenen Fragen scheint mir PharmaforschungsCommons vorerst die treffendere Bezeichnung. Denn vorerst ist das Projekt eine Art ‚Familie großer und kleiner Forschungscommunities, die über eine standarisierte, vernetzte, semantische Plattform kooperieren und ihre Arbeiten effizienter aufeinander beziehen können… die „das Tal des Todes“ zwischen einer Idee, einem Gen oder einer Substanz und einem potentiellen Medikament schneller überbrücken.

Gesundheit als Gemeingut aber muss mehr sein als schnellere und effizientere Pharmaforschung. Sie entsteht nur über die Beteilung der Menschen an der Gestaltung all der Lebens- und Arbeitsbedingungen, die für uns gesundheitsfördernd sind. Partizipative Medizin, Teilhabe an den Entscheidungen und natürlich auch Zugang zu Medikamenten spielen hier eine wichtige Rolle. Für letzteres können die Pharmacommons einen wichtigen Beitrag leisten.

Gesundheit als Gemeingut bedeutet aber vor allem, das Thema nicht den Pharmaunternehmen zu überlassen, sondern Gesundheit soweit als möglich in die eigene Hand zu nehmen. Oder wie es Prof. Eberhard Göpel, Professor für Gesundheitsförderung der Hochschule Magdeburg Stendal in Anlehnung an die Ottawa-Charta zur Gesundheitsförderung ausdrückt:

Gesundheit wird von Menschen in ihrer alltäglichen Umwelt geschaffen und gelebt: dort, wo sie spielen, lernen, arbeiten und lieben. Gesundheit entsteht dadurch, dass man sich um sich selbst und für andere sorgt, dass man in die Lage versetzt ist, selber Entscheidungen zu fällen und eine Kontrolle über die eigenen Lebensumstände auszuüben sowie dadurch, dass die Gesellschaft, in der man lebt, Bedingungen herstellt, die all ihren Bürgern Gesundheit ermöglicht.“ (in: Hrsg: Eberhard Göpel/ GesundheitsAkademie e.V.: Systemische Gesundheitsförderung, Frankfurt/M. 2008, S. 18)

foto: by Matt from London, Lizenz: CC BY

3 Gedanken zu „Pharmaforschung: Wir müssen schneller scheitern

  1. Die entscheidende Frage ist, was dann noch patentierbar ist, wenn so geforscht wird. Wenn dieses Verfahren effektiver ist und keine Patente bei rausspringen ist die Pharmaindustrie die nächste Musikindustrie. Die reine Produktion von Medikamenten ist nämlich vergleichsweise trivial. Deswegen ja der Streit um die Generika.

  2. so isses, die nächste Musikindustrie. Ich denke, Patente werden keine große Rolle mehr spielen … die waren wichtig, in einer Zeit, als man Monopolzugriffe durchsetzen musste. In der personalisierten Medizin wird das anders. Da kaufen dann die Pharmakonzerne (die, die das Monopolzeitalter überlebt haben) den Leuten ihre Genome ab und dann verkaufen sie die Interpretation derselben mit dem entsprechenden Medikamenten dazu zurück. Das ist ein Strukturwandel, ähnlich wie in der Musikindustrie.

  3. Pingback: “Open Biology” für schnellere Durchbrüche in der Medikamentenforschung | Gemeingüter

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