Stefan Meretz hat auf Keimform einen sehr übersichtlichen Artikel zur Einordnung der Commons (Gemeingüter) in die Gütertheorie zur Diskussion gestellt.
Das ist richtig wichtig, denn die meisten Wirtschafts-, Sozial- und Politikwissenschaftler oder JournalistInnen sind es gewohnt, Güter in erster Linie (und oft ausschließlich) nach neoklassischen ökonomischen Kriterien zu klassifizieren (hier zusammengefasst).
Diese Klassifikation (die sofort aktiviert wird, sobald man „Gemeingüter“ sagt; in der Tat eine kritikwürdige Übersetzung) geht am Kern der Commonsidee vorbei. Das wird in Stefans Artikel ersichtlich. Klar wird auch, dass es eben nicht dasselbe ist, ob wir von den Ressourcen selbst, der Eigentumsform oder den Commons (Gemeingütern) reden. „Gemeingüter = Gemeineigentum“ ist ja ein weiteres geläufiges Missverständnis, dem man mit dieser Übersicht beikommt.
Auf Keimform gibt es eine Debatte zum Artikel, in die ich mich schon eingemischt habe, hier ein paar zusätzliche Gedanken und Einwände.
Stefan Meretz sagt: „Jedes Gut kann durch vier Dimensionen gekennzeichnet werden.“
- Beschaffenheit
- Nutzungsweise (beide eng mit der Physis des Guts verbunden)
- Sozialform
- Rechtsform (beide mit der Form verbunden, die ein Gut annehmen kann)
Ich glaube, dass die Nutzungsweise, denen Stefan die Exklusivität (Ausschließbarkeit) und Rivalität zuordnet, nicht eng mit der Physis des Guts verbunden, sondern vielmehr ein Ausdruck der Sozialform ist (wie im erläuternden Text auch beschrieben wird).
„Ein Gut ist in der Nutzung dann exklusiv (ausschließbar), wenn der Zugriff auf das Gut unterbunden werden kann.“
Ergo; es gibt ein Subjekt. Hier tut jemand was. Und was er tut, hat nicht unbedingt etwas mit der Physis der Sache/Ressource zu tun.
Ein Beispiel:
Information und Wissen sind nicht rivale Güter, ebenso Softwarecode – sie sind von der Beschaffenheit her so, dass wir sie teilen können, ohne anderen etwas wegzunehmen. Es wäre also sinnvoll, sie als inklusive Güter zu betrachten und zu nutzen. Geschieht aber oft nicht, weil es eben um das Verwertungsinteresse an diesen Dingen geht (z.B. die Verkaufbarkeit proprietärer Software), also werden zu sie exklusiven Gütern gemacht.
Anders gesagt: Der einzig relevante Unterschied zwischen stofflichen und nichtstofflichen Gütern scheint mir die Rivalität. Und die gehört zur Beschaffenheit.
Ein weiterer Gedanke: Ich würde den genannten Dimensionen noch eine weitere hinzufügen. Nennen wir sie Genese:
Aus meiner Sicht können Dinge die sich – über die sozialen und rechtlichen Formen – als Commons (Gemeingüter) entfalten (müssten) auf dreierlei Weise entstehen:
- als Gabe der Natur (dann sind es common pool resources,) wie die Biosphäre, die Photosynthese, das Wasser, die Wälder, die Klimastabilität. Also Dinge, die schon vor uns da waren und uns deswegen allen gleichermaßen zustehen. Oft, v.a. im Umweltspektrum, wird der Begriff der Gemeingüter nur auf diese Kategorie bezogen.
- als Produkt eines Herstellungsprozesses, der niemandem individuell zuordenbar ist – etwa Algorythmen, die Sprache, die kulturelle Vielfalt…
- als Produkt eines Herstellungsprozesses, der zwar einer konkreten Person zuordenbar ist, von dieser aber zum Gemeingut gemacht wurde. Das Internet wäre kein allen verfügbares Netz ist der Fall von Tim Berners Lee nicht entschieden, auf die Kontrolle über die Produkte seiner Arbeit zu verzichten und das World Wide Web Consortium zu veranlassen, nur patentfreie Standards zu verabschieden.
Allerdings ist mir noch nicht ganz klar, wie das im Schema einzuordnen wäre. Die „Gaben“ stünden im Zentrum des Ganzen. Sie fallen de facto mit den in der Natur verfügbaren Ressourcen zusammen. Die anderen beiden Kategorien sind jedoch nie a priori da, sondern immer schon Ergebnis eines sozial vermittelten Prozesses.
Überhaupt würde ich ins Zentrum den Begriff der Ressourcen und nicht den der Güter stellen, denn erstere werden überhaupt erst durch soziale Prozesse zu Gütern.
Zudem: Ich bin noch nicht ganz sicher, ob mir der Begriff des „Beauftragten“ gefällt. Wir haben das im Allmendesalon immer „Kümmerer“ genannt. Es ist wichtig, sich um Commons zu kümmern um künftigen Kummer mit den Commons zu vermeiden. Ha, auch durchgefallen?
Beauftragte aber erinnern mich an Bevöllmächtigte und da ist der Abevau dann nicht mehr weit.
Und ein Letztes: Bei den Rechtsformen, würde ich zumindest auf die Zugehörigkeit des „öffentliche“ (=staatlichen) Eigentums zum Kollektiveigentum verweisen.
Klasse finde ich die Quintessenz, nämlich dass die Wahrnahme der Allgemeininteressen Teil der Produktionsweise selbst werden muß und hier bilden
„Die Commons … die Potenz, die Ware als bestimmende soziale Form der Re-/Produktion der gesellschaftlichen Lebensbedingungen abzulösen. Eine solche Ablösung wird jedoch nur kommen, wenn sich in allen Bereichen des Lebens Gemeinschaften konstituieren, die sich »ihre« Commons zurückholen und in eine neue bedürfnisorientierte Logik der Re-/Produktion einbinden.“
Danke Stefan!
Toller Fund. Danke Silke und Stefan!
2 Ideen um zu dieser Diskussion beizutragen:
1. Staatliches Eigentum ist fuer mich separat von kollektivem Eigentum zu sehen, da sich aus beiden unterschiedliche Managementsysteme ergeben. Staatliche Verwaltung ist zumeist sehr zentral und hierarchisch organisiert, waehrend kollektives Eigentum einer Gruppe oft einen Konsensus innerhalb der Gruppe voraussetzt um gut verwaltet zu werden.
2. Wie koennten die Stefans 4 Dimensionen und Silkes 3 Entstehungsgruende zusammenpassen? Die oekonomische Definition (unter Nutzung) beschreibt ja nicht nur die Charakteristika eines Gutes, sondern sagt auch das wahrscheinliche Rechts- und Managementregime voraus – Private Gueter werden am besten als Privateigetum verwaltet usw. Dies ist aber nicht immer wahr und liegt wohl an den Entstehungsgruenden 2 und 3.
3. Land Trusts wuerden auch unter Entstehungsgrund 3 fallen, oder?
Danke für Ergänzung und Korrektur, Silke! Du hast recht: Die Nutzungsweise ist nicht eng mit der Physis verbunden, das war zu kurz gegriffen. Insbesondere die Exklusion ist ein Resultat der sozialen Form und keineswegs »natural« gegeben.
Bei deinem Vorschlag der Ergänzung des Schemas durch eine Dimension »Genese« bin ich mir unsicher. Kern deiner Überlegung ist ja, wie wir den Unterschied von Ressource (CPR bei den Commons) und sozialem Prozess hineinbekommen. Hier möchte ich zu bedenken geben, dass es die von uns getrennte Ressource »an sich« nicht gibt bzw. dass sie als solche keine Rolle spielt. Relevant wird eine Ressource, wenn sie Ressource »für uns« wird, also wenn die Art und Weise des sozialen Zugriffs ins Spiel kommt. Wenn auf sie aber sozial zugegriffen wird, ist sie keine bloße Ressource mehr, sondern wird durch Veränderung beim Zugriff durch uns »hergestellt«. Wir stellen also nicht bloß unsere unmittelbaren Lebensmittel her, sondern auch unsere natürliche Umwelt — intentional oder nicht. Das siehst du daran, dass es zumindest auf der Erde wohl fast nichts mehr gibt, dass nicht durch uns beeinflusst ist (vielleicht noch der Erdkern). Das heisst, es gibt keine unproduzierten »Dinge, die schon vor uns da waren«, sondern alles wurde von unseren Vorgängern in so die Welt gesetzt, wie es dann für uns da ist (positiv oder negativ). Nichts ist »a priori da«.
Das ist jetzt kein fundamentaler Einwand und ich weiss auch nicht, was das für Konsequenzen hat, aber ein »emphatischer Naturbegriff« (»Gabe der Natur«) scheint mir unangemessen.
Mit dem Gabenbegriff willst du ja eigentlich begründen, dass Naturgüter »allen gleichermaßen zustehen«. Warum? Aus meiner Sicht stehen alle durch die Menschen hergestellten Güter den Menschen zu. Ganz generell. Natürlich ist die soziale Form nicht danach, so dass in praxi, die meisten Güter per Exklusion den Menschen vorenthalten werden. Aber ist das »gerecht«? (hihi;-))
Beim »Beauftragten« bin ich übrigens leidenschaftslos, es klang mir spontan verbindlicher als Maintainer (Kümmerer). Mehr nach Selbstbeauftragung als Teil der Selbstentfaltung.
@Stephan: natürlich ist Öffentliches Eigentum was Anderes, aber Gesamthandseigentum ist auch was Anderes als das Eigentum einer Genossenschaft. Es gibt einfach viele Formen kollektiven Eigentums. Gemeinsam ist ihnen aber, dass es – im Unterschied zum Privateigentum – eben mehreren und nicht einer Person gehört. Und darum geht es hier. Es ist also Teil des Kollektiveigentums.
Wie nun diese Genesedimension in das Schema passt, darüber muss ich nochmal nachdenken.
Ich glaube es geht nur, wenn man die Ressourcenebene und deren „Verwandlung“ in etwas Soziales voneinander trennt, also dieser Grafik eine vorschaltet.
Zu den Landtrusts: Ich denke, sie gehören in die erste Kategorie. Land ist im Kantschen Sinne als Gemeinressource zu verstehen. (Ja, Stefan, ich glaube, das braucht eine ethische Begründung und die hat Kant geliefert. https://commonsblog.wordpress.com/2009/08/20/boden-ist-unverkauflich-fur-ein-gemeinguterbasiertes-bodenrecht/
) Ein Landtrust ist dann nur noch eine geeignete soziale Form, eben diese Gemeinressource nicht zur Ware werden zu lassen.
Und nun @Stefan:
„Aus meiner Sicht stehen alle durch die Menschen hergestellten Güter den Menschen zu.“
… aber ein Schuh ist doch auch ein Gut und der steht doch nicht „den (allgemeinen) Menschen“ zu. Das scheint mir zu unscharf.
Ansonsten geht es mir mit den „Gaben“ wie Dir mit dem „Beauftragten“: Ich bin da leidenschaftslos. Früher hab ich immer hingeschrieben „ererbte“ Ressourcen, aber das trifft’s auch nicht. Es geht um das, was wir auf der Erde vorfinden, ohne dass jemand irgendwas produziert und ohne dass jemand beschließen muss, es in die Allmende zu geben. Eigentlich geht es um all das, was die meisten unter „Allmende“ verstehen :-). Was nun die meisten unter Allmende verstehen wäre in dieser Übersicht ein kleines Kästchen als Ausgangspunkt der Debatte.
Wie wenn man sagt: „Commons sind der Wasser und der Wald.“ (dummerweise will genau das die Presse immer hören und dann verzettele ich mich immer 🙂
Das Schema ist ja deshalb so schön, weil dadurch schlagartig klar wird, wie vieldimensional die Debatte ist!
@Silke:
Ja, das ist es. Es ist eine sehr grundsätzliche und damit allgemeine Aussage. Deswegen auf dieser Allgemeinheitsebene meine Schuhantwort: Doch, der hergestellte Schuh steht allgemein allen zu. Der Schuh in deinem Besitz allerdings nicht. Eben das ist ein wichtiger Unterschied!
Ich habe das hier produziert:
http://www.mindmeister.com/30390910/ding-ressource
Die Ebene der Genese von Gemeinressourcen habe ich eingeführt – die kann man dann mit der “Verwarung” verbinden und erklären, dass private Aneignung und das „zur Ware machen“ IMMER auch Aneignung von Common Pool Resources ist. Und dass das ein Riesenproblem ist. Ich füge später noch ein paar Beispiele in die mindmap ein. Freilich ist sie jetzt nicht mehr so kurz und knackig wie die Urfassung, aber Reduktion kommt nach der Visualisierung von Komplexität.
Ein Problem habe ich übrigens auch mit der Trennung von “stofflich” und “nicht-stofflich”. Gerade wenn man Ressourcen als nicht von uns getrennt betrachtet, wird ja offensichtlich, dass das Nichtstoffliche immer in das Stoffliche eingeschreiben ist. Der genetische Code in die Pflanze oder uns selbst, der Softwarecode nützt uns nur, wenn es Hardware gibt, die Ideen in Bücher oder auf Tonträger usw. Aber all dies gehört dann zum erklärenden Text, den Stefan Meretz – wenn wir das “perfekte Schema haben”, bestimmt schreibt 🙂 , hihi
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