Im Commonwealth Club of California hatte Tim O’Reilly am 28. Juli prominente Gäste: Jimmy Wales, John Wilbanks und Stephen Friend diskutierten über die Chancen der „Bürgerwissenschaft„. Nein, das ist nicht so langweilig wie die Mimik der Herren 🙂
Voraussetzung dafür, dass die Menschen die Medizin(ische Forschung) revolutionieren, ist – Ex-Merck Vizepräsident Stephen Friend sagt es klar-: die massive Übergabe bzw. Sammlung unserer biologisch-genetischen und Patientendaten. Freiwillig und mit Begeisterung, weil wir „wissen wollen was ist“.
Etwa so, wie sich hier Hunde- und Katzenbesitzer über jedes Detail der Krankengeschichte ihrer Vierbeiner austauschen … um sich selbst zu helfen. Lobbygrouppen, die sich über neue soziale Spaltungen oder Datenschutz Gedanken machen, werden schon in den kommenden 3 Jahren den Kürzeren ziehen, prophezeit Stephen.
Wilbanks bezieht sich auf zwei Formen, Wissenschaft von unten zu erobern: Bürger könnten z.B. Wissen aus einzelnen Fachgebieten zusammenstellen und auf open access Wissenschaftsjournale verlinken. Paradebeispiel Wikipedia. So wird das sonst unentwirr- und unverstehbare fachchinesische Dickicht zugänglich und billig wäre diese Art der Informationsaufbereitung zudem.
Eine „extremere Form“, so Wilbanks, sei etwa das Human Microbiom Project. Leute tragen ihre mikrobiologischen Daten selbst zusammen oder erstellen eine Art mikrobiologisches Mapping jeglicher Oberfläche in ihrer Umgebung. Auch billig. Nur: Was geschieht dann mit dem Ergebnis?
- Darf die freie Verfügbarkeit unserer intimsten Daten zur Voraussetzung für die Demokratisierung der medizinischen Forschung werden?
- Welche Nutzungs- und Verwertungsrechte erhalten Firmen an den so entstandenen Gigadatenbanken und preiswert sequenzierbaren Genen?
- Welchen Preis zahlt die Gesellschaft dafür, dass jede/r Einzelne ein legitimes Interesse an „personalisierten“ Medikamenten und „optimierter Verwertung“ seiner individuellen Daten hat? Den auf mikrobilogischer Ebene gläsernen Bürger? Dagegen jedenfalls erscheinen aktuelle Datenschutzdebatten mikro-winzig.
Der junge französische Philosoph und Autor Camille de Toledo nannte es „einen Verrat am Fleisch“, dass unser Körper ein Körper für das Kapital wird, einfach nur dadurch, dass … er sich in Daten und Zahlen umwandeln lässt“ (via) Toledo stellte – so der Deutschlandfunk am vergangenen Wochenende – die These auf, dass derzeit „der soziale Körper genauso schnell verwertet wird wie das Geld“.
Der Körper aber ist gewissermaßen einer der physischen Träger unserer bio-genetischen Gemeingüter. So wie sich planzengenetische Information und damit Diversität in verschiedene Baumarten einschreibt, sind wir selbst das (letzte) Refugium human-genetischer Vielfalt. Und genau dieses zunehmend der Verwertung auf den Kapitalmärkten unterzogen – die Zerlegung in Datenpakete, die Entschlüsselung der Geheimnisse des Lebens durch neue Technologien macht es möglich. So wie sie Heilung möglich macht. Oder sind letztlich die „wolkigen Verheißungen medizinischen Fortschritts und Wissenschaftsethos – nur dürftige Tarnung von Kapitalinteressen“, wie Arno Orzessek in dieser Besprechung vormuliert. Von Interessen denen die „Bürgermedizin“ letztlich als Planierraupe dient?
Der Anthropologe Kaushik Sunder Rajan sagt:
„Ganz allgemein revolutionieren die technologischen und epistemologischen Veränderungen im Bereich der Biotechnologie unsere Vorstellung davon, was wir „Leben“ nennen. Das Leben wird nun plötzlich zu etwas Materiellem, das man handeln und tauschen kann.„
Ist das der Preis für revolutionäre Bürgermedizin? Ist er gerechtfertigt?