„Umwelt-Auftragsmörder“ oder Kein Strand für alle

Zur Rolle des Staates in der Gemeingüterdebatte wird noch viel zu diskutieren sein. Hier anders als anderswo. Oft wird der Staat als trustee der Gemeingüter herbeigewünscht. Das scheint nicht unlogisch: Wen anders – wenn nicht demokratische Institutionen – sollte man mit der Verwaltung von Dingen beauftragen, die nicht auf lokaler Ebene in den Griff zu kriegen  sind? Küstenstreifen zum Beispiel. Hier ist Staat als trustee mitten in  Europa noch einigermaßen vorstellbar, wenngleich es nicht immer vernünftig oder effizient erscheint, an den Staat zu delegieren … . Aber anderswo ist es anders.  In ihrer Oktoberausgabe hat die ILA einen Artikel veröffentlicht, der schlagartig klar macht, warum mir das Wort Rechts-Staat beim Gedanken an Mexiko immer genau in der Mitte im Hals stecken bleibt.

Mexiko  verfügt über insgesamt 11500 Kilometer Küstenstreifen. Die Küsten sind Eigentum der Nation, die Strände per Gesetz allen frei zugänglich – theoretisch. Schon seit vielen Jahren gibt es eine schleichende Privatisierung der begehrtesten Flecken am Meer. … Manchmal sind es exklusive Hotels …. Manchmal auch sogenannte Bauentwicklungsgesellschaften. …Wenn das Recht dabei im Weg steht, wird es gebeugt oder einfach missachtet. Ein konkretes Beispiel aus dem Bundesstaat Guerrero. …

Ein Fall von vielen im Bundesstaat und wohl von hunderten im ganzen Land.“

Es ist die Geschichte eines engagierten Umweltbeauftragten, der seine Arbeit macht. Er geht den Anzeigen von Umweltschützern gegen ein Tourismusprojekt des Unternehmens „Bungalows Playa Azul“ nach und stellt fest:

„Fehlende Baugenehmigung geschweige denn eine Umweltverträglichkeitsprüfung, zweifelhafte Grundstückspapiere, zerstörte Ufervegetation, illegale Auffüllung von Teilen der Lagune, keine Planung für eine Kanalisation, Invasion und damit illegale Aneignung von Eigentum der Nation. Die Liste ist lang, die Bauträger haben kaum eine Gesetzesübertretung ausgelassen.“

Doch kurz darauf nimmt die Angelegenheit eine überraschende Wendung.

Die Anwälte des verklagen den Umweltbeauftragten auf „Hausfriedensbruch“ und „unangemessene Ausübung von Funktionen  … Umgehend wird ein Disziplinarverfahren gegen Lozano eingeleitet. Bereits im Januar 2009 kommen die Kontrolleure zu dem Schluss, mit dem Besuch in situ habe der Beauftragte seine Kompetenzen schwerwiegend überschritten und müsse abgesetzt werden. Der Grund: „Amtsmissbrauch“ …Im Mai 2009 erlässt ein Richter in Acapulco Haftbefehl gegen Lozano. (den Umweltbeauftragten – S.H.) Die knappe Begründung ist fast schon surreal: ‚Vergehen gegen die Justizanwendung‘.

Lozano wird nicht müde, auf das Beispielhafte seines Falles zu verweisen. Im ganzen Land sei ‚Schritt für Schritt‘ eine illegale private Aneignung von Küsten und sogar einzelnen Inseln zu verzeichnen. Mangrovenwälder, Lagunen als Süßwasserreservoire, die biologische Vielfalt der Küstenstreifen allgemein blieben im Rahmen von Bauvorhaben auf der Strecke. „Hier wird ein Erbe der Nation zerstört.“ ‚Notare, örtliche Behörden, die untätige Nationale Wasserkommission CNA, ein Richter mit seinem Stempel, alle spielen mit‘. Lozano nennt diese Verantwortlichen „Umwelt-Auftragsmörder‘.

Am Ende des Beitrags steht dieser Satz :

„Ein besser organisiertes Netzwerk von Umweltbewegungen könne auf Dauer vielleicht doch etwas gegen die ‚Tragödie der Gemeingüter‘ bewirken, hofft er.“ (Lozano)

Dabei erzählt die ganze Geschichte nicht ein Sterbenswort von der angeblichen Tragik der Gemeingüter (Tragödie ist ein literarisches Genre und nicht die Übersetzung der hier gemeinten „tragedy“). Vielmehr beschreibt sie die Tragik des mexikanischen Staates. Armes Mexiko!

Foto: by

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