Kürzlich hatte ich Gelegenheit, ausführlich mit Oliver Willing zu sprechen. Willing ist Geschäftsführer der Zukunftsstiftung Landwirtschaft der GLS Treuhand. Dabei ging es nicht nur um die Arbeit der Zukunftstiftung (in die finanzielle Unterstützung des Bundes und nicht nur von privaten Spenderinnen und Spendern fließen müsste!), sondern wir versuchten, den Unterschied zwischen einem Verständnis von Saatgut als Ware vs. Saatgut als Gemeingut zu fassen. Denn derzeit wird …
„Saatgut zunehmend als reines Wirtschaftsgut betrachtet und damit zum Rohstoff der Biotechnologie und der Börse.“
Dabei ist Saatgut die Software des Lebens. Saatgut birgt den Code unserer Lebensmittel, der (wie digitaler Code) gepflegt und weiterentwickelt werden muss.
„Saatgutvielfalt gehört zu den wichtigsten und ältesten Kulturgütern der Menschheit, älter als die Pyramiden von Gizeh und der Kölner Dom“,
sagt Willing. Doch diese Vielfalt teilt das Schicksal der Allmende. Denn erst wenn sie schwindet, … wird deutlich, wie sehr sie unsere Lebensqualität bestimmt.
Drei Herausforderungen kennzeichnen die aktuellen Auseinandersetzungen im Saatgutbereiche: rasante Konzentrationsprozesse, Patentierung und das Einschränken der Fruchtbarkeit des Saatguts durch Gentechnik oder Hybridisierung. Der Begriff Hybride bezeichnet Nachkommen von Inzuchtlinien, deren Eigenschaften nicht an die nächste Generation weitergegeben werden. Hybride sind zwar teilweise noch fruchtbar, aber nicht samenfest, das heißt Eigenschaften und Gestalt der Elternpflanze erhalten sich nicht. Damit ist ihr Nachbau wirtschaftlich uninteressant.
Die Folgen: Verlust der Vielfalt von Kulturpflanzen, Verlust des Wissens, der Kulturen und Techniken, die mit der Saatgutpflege verbunden sind, Abhängigkeit und Entdemokratisierung der Saatgutnutzung und -zucht.
- Vor 30 Jahren gab es weltweit ca 7.000 Saatgutfirmen. (eed 3/2006) Keine davon hatte einen Weltmarktanteil von über 1 %.
- 2004 kontrollierten 10 Konzerne fast 50 %, 2007 schon 67% des weltweiten Saatgutmarktes. (http://www.etcgroup.org)
- In den letzten 100 Jahren betrug der Sortenverlust bei Kulturpflanzen über 75%. (FAO, 1997)
- Die fruchtbaren, nachbaufähigen (= samenfesten) Sorten nehmen in der Europäischen Sortenliste stetig ab.
Züchtung ist aufwändig und teuer. „Eine Sorte kostet 60 bis 80 Tausend Euro über eine Entwicklungszeit von etwa 10 Jahren“, weiß Willing. Doch entweder gehen Steuermittel in die Gentechnikforschung oder die Saatgutentwicklung wird dem Markt überlassen. Wird Saatgut aber als Wirtschaftsgut betrachtet, führt die Dynamik des Marktes letztlich dazu, dass viele Firmen Abertausende Hektar mit ihren Sorten bestücken. Regionale Sorten „rechnen sich nicht“. Sie sind nicht großflächig vermarktbar.
Saatgut hingegen als Gemeingut zu verstehen, würde die Züchtung regional angepasster Sorten mit guten agronomischen Eigenschaften privilegieren. Im Ergebnis blieben auch Vielfalt und Selbstbestimmung erhalten. Deshalb ist es entscheidend, dass Saatgutzucht zur gesamtgesellschaftlichen Aufgabe wird.
„Wir wollen gesunde Lebensmittel und ökologischen Landbau, dann müssen wir dafür auch die Basis, das Saatgut, erhalten“, argumentiert Oliver Willing.
Die Zukunftsstiftung Landwirtschaft der GLS Treuhand unterstützt seit 1996 sechs Getreidezüchtungs- sowie über 20 Gemüsesaatgutprojekte. Es geht um Regionalität, um freie Kooperation und um die Verfügbarkeit des Wissens durch Austausch von Saatgut und Kenntnissen. Und es geht um Exzellenz in Qualität und Geschmack. Die Ergebnisse können sich sehen lassen. Der Schweizer Biozüchter Peter Kunz, der von der Zukunftsstiftung gefördert wird, bietet Sorten mit 99% Stinkbrand-Resistenz an. Biozüchter Dieter Bauer konnte 1999 beim Bundesortenamt erstmals eine Möhrensorte anmelden (Rodelika), die „Geschmack“ als Unterscheidungsmerkmal aufwies. Bis dato galt der Geschmack nicht als explizites Zuchtziel.
Saatgut als Gemeingut erhalten, heißt:
- Informationen über Züchtungsziele und -verfahren offen legen (Open Access)
- Fruchtbarkeit und damit Nachbaufähigkeit erhalten, um Weiterentwicklung und regionale Anpassung zu sichern
- Züchtung, Forschung und Entwicklung gemeinschaftlich und öffentlich finanzieren
- freier Austausch statt Abhängigkeit durch Nachkaufzwang
- Sorten so schützen, dass freie Verfügbarkeit und Nachbaufähigkeit erhalten bleiben
Den Weg dorthin weist unter anderem der Saatgutfonds, den jeder Einzelne jederzeit unterstützen kann.
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Mehr zum Thema hier auf dem tazblog, beim farmblogger und auf dem FCZ-Blog; „Linda und das GNU“. Dort heißt es:
„Mit den Lizenzen von Software verhält es sich ganz ähnlich wie mit Linda und den anderen Kartoffeln.“ Stimmt! Lesen Sie auf dem FCZ-Blog warum.
Auf dem Commonsblog: Saatgut ist Software.
Foto: by dawnzy58 Lizenz: CC, BY
Pingback: Dauerkrautfunding und Copyleft für Saatgut-Commons | CommonsBlog