Gerade komme ich vom best-organisierten event ever zurück. Dem Sietar-Forum 2010. Dort trifft sich die interkulturelle Beratungsszene der Republik.
Doch auch die perfekte Organisation (für Herz und Verstand) änderte nichts daran, dass ich eine lange Weile dachte: ‚Wo bin ich hier?‘ Tatsächlich erlebte ich life, was ich im Zuge der Vorbereitung in der Wikipedia gelesen hatte. Dass in der Wirtschaft Vielfalt und Diversity Management so diskutiert werden, dass am Ende folgende Idee steht: Vielfalt ist eine Ressource, die als Marketinginstrument dienen kann. (Siehe auch den Titel des Forums, der immerhin mit Fragezeichen versehen ist. Wegen dieses Fragezeichens wurde ich wohl eingeladen.)
Dass Vielfalt ein business case ist, entnahm ich jedenfalls der anderen key-note von Hans Jablonski.
Ich will das gar nicht bewerten. Mir ist es nur sehr fremd. Aus meiner Sicht ist Vielfalt keine Ressource und schon gar keine Verwertungsoptimierungsressource. Für mich ist Vielfalt das Alpha und das Omega, ein Kernbegriff der Commonsdebatte.
Offen gestanden hatte ich zwei schlechte Nächte vor meinem Auftrtitt heute morgen. Ob ich eine Brücke würde schlagen können zu diesem Publikum, dass sich ständig damit beschäftigen muss, wie man Vielfalt in Unternehmen oder universitären curricula verankern kann?
Nun denn, es ist gelungen. Sogar ziemlich gut. Teilnehmende des Forums waren nicht nur Beraterinnen und Berater, sondern auch Leute aus Verwaltung und Unternehmen. Ich war insgesamt sehr überrascht über die große Ressonanz.
Ein selbständiger Prozessfotograph (sehr spannend!), der die Idee logisch fand, dass wir allmendesensitive Geschäftsmodelle dringend brauchen, sagte im Anschluß:
„Ich will doch nicht, dass Kunden zu mir zurück kommen, nur weil ich ein Foto von ihnen unter Verschluss habe. Ich will, dass sie zu mir kommen, weil ich eine Beziehung zu ihnen aufgebaut habe, die daraus rührt, dass sie meine Arbeit schätzen.“(aus dem Kopf zitiert nach M. Püttmann)
Er macht also seinen Job, lässt sich für seine Arbeitszeit bezahlen, aber schließt die Fotos nicht weg. Genauso mach es viele, die ihre Inhalte frei geben und dennoch Geld verdienen.
Auf der Seite des SIETAR-Forums kommt demnächst mehr zu Vortrag, Folien und Diskussion. Hier veröffentliche ich nur jene Gedanken, die ich mir zur Vorbereitung gemacht, aber dann nur rudimentär vorgetragen habe. In den Vortrag eingebaut hatte ich nur den provokanten Teil, schließlich müssen Vorträge lebendig sein :-).
Thesen zu Vielfalt und Gemeingütern (commons) / SIETAR-Forum 2010; „Ressource Vielfalt“…
Vielfalt ist als eines der wichtigsten Stabilisierungsprinzipien der Evolution ein Kernbegriff der Debatte um Gemeingüter. In Vielfalt sind Allmendressourcen resistent und anpassungsfähig. Vielfalt ermöglicht communities flexibel und solide zugleich zu sein. Und die Organisationsformen der Gemeingüter vertragen sich so wenig mit Monopolen wie biologische Vielfalt sich mit Monokultur verträgt.
Gemeingüter sind gelebte Vielfalt. Sie sind komplexe Systeme, die sich aus drei Grundbausteinen fügen. Vielfältigen Ressourcen, gleich ob endlich oder nicht, vielgesichtigen Gemeinschaften, von der Familie bis zur Weltgemeinschaft, sowie vielgestaltigen Regeln und Institutionalisierungsformen. Sie können sich nur entfalten, wenn diese dreifache Vielfalt wertgeschätzt und gepflegt wird.
Vielfalt ist aus Perspektive der Gemeingüter keine Ressource, sondern Anfang und Ende zugleich. Gemeingüter entstehen aus Vielfalt und reproduzieren sie. Dies ist Grundbedingung für die Netze (commons), die uns tragen. Deshalb kann die verfügbare Fülle an Natur, Wissen und sozialen Räumen in einer allmendesensitiven Gesellschaft nicht vorwiegend als Quelle der Verwertungsoptimierung betrachtet werden. Vielfalt ist in unserem Leben und Wirtschaften so zu erhalten, dass Allmendressourcen weder übernutzt, noch künstlich verknappt werden und dass das ursprüngliche Recht eines Jeden auf Teilhabe an Gemeingütern lebbar bleibt. Das ist der entscheidende Maßstab. Nicht Wachstumsindikatoren oder Bruttoinlandsprodukt.
Vielfalt gedeiht von unten und organisiert sich – wie Gemeingüter – weitgehend selbst. Weder Markt noch Staat haben die Biodiversität, die Kulturtechniken, die unterschiedlichen Wissenssysteme oder die zahllosen Realisierungsformen der Allmende in aller Welt ermöglicht. Ohne achtsamen Umgang mit Vielfalt keine lebendige Ressourcensysteme und kein sozialer Zusammenhalt. Ohne dieses kein Markt. Polemischer formuliert: Diversity Management kann als Konzept der Unternehmensführung nur erfolgreich sein, wenn es auch (und zuvorderst) auf den sorgsamen Umgang mit Vielfalt am Anfang und Ende jeglicher Produktion gerichtet ist. Sonst wird es bald nichts mehr zu optimieren oder am Markt zu verdienen geben.
Über das Paradigma der Gemeingüter werden vielfältige Wissenssysteme, traditionelle wie nicht traditionelle, anerkannt und gestärkt. Auch unterschiedliche Regulierungs- und Rechtsformen finden einen angemessenen Platz, so sie für die Ressourcen funktionieren und von den Menschen angenommen werden. Diese Anerkennung macht die Unterschiedlichkeit der Wissensbestände sowie der Fähigkeiten und Fertigkeiten Einzelner in ihren jeweiligen sozialen Umgebungen wieder sichtbar. Sichtbarkeit wiederum ist notwendige Bedingung für einen achtsamen Umgang miteinander und mit den Ressourcen aus denen wir schöpfen.
Governancesstrukturen für Gemeingüter sind immer vielgestaltig, kommunikationsintensiv und polizentrisch. Die Governancelandschaft der Commons leicht der Gipfellandschaft einer Hochebene. Hier gibt es viele Zentren (Gipfel). Alle sind miteinander über ein meist mühsam angelegtes Wege- und Kommunikationsnetz verbunden. Eine multipolare und kommunikationsreiche Welt, die Welt der Gemeingüter, ist eine lebendigere und sicherere Welt.
In einer Welt der Gemeingüter sind viele Welten möglich. In der Debatte um Gemeingüter geht es um Saatgut und Software, um Wasser um Wissen, um Kultur und die Atmosphäre. Vielfalt ist eine der zenralen Stärken des Konzepts. Doch im politischen Diskurs reicht dies nicht aus. Vielfalt muss getragen sein, von einer gemeinsamen Vision, von der Einheit in Vielfalt (WSF) und der Grundüberzeugung, dass wir immer in Beziehung zu anderen sind. Ich kann mich nur entfalten, wenn sich auch die anderen entfalten, so eine der Grundüberzeugungen der Commonsdebatte. Einzelne werden lebendiger, sicherer und kreativer, wenn sie in vielfältigen Beziehungen sind.
Die Perspektive der Gemeingüter ermöglicht uns trotz verschiedener Interessen, Verortungen und Weltanschauungen eine gemeinsame andere Weltsicht. Und erst wenn wir unsere Sicht auf die Welt verändern, können wir die Welt verändern. Das Paradigma der Gemeingüter entwirft ausgehend von der Vielfalt von Weltanschauungen und Lebenspraxen statt von ideologischer Einfalt eine aktuelle politische Agenda.
Silke Helfrich, 26.02.2010
Gemeingüter kann es in enormer Vielfalt geben. Ich sehe in ihnen große Chancen und Möglichkeiten für Wirtschaft und Gesellschaft und damit auch für eine finanzierbare Beschäftigung in sozialen und gemeinnützigen Handlungsfeldern
Die öffentliche Diskussion um die Gemeingüter ist ist aus meiner Sicht auch wichtig für die Bewältigung der Finanzkrise. Doch vielleicht sind gerade daran manche einflußreichen Kreise nicht wahrhaft interessiert. Denn Gewinner brauchen die Verlierer.
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@ G. Hein, ja diese große Chance sehe ich auch. Ich sehe zudem, dass es nicht wirklich relevant ist, ob „die einflußreichen Kreise“ an dieser Debatte wahrhaft interessiert sind. Die Parteien werden sich der Diskussion vermutlich in programmatischer Not zuwenden (mehrere!) und die Einzelnen, die vielen, die aus dem bisherigen System rausfallen, werden in der Vielfalt der Gemeingüter wieder Möglichkeiten für eigenes Tun finden.
Also, ich bin da optimistisch.
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