Die Welt online brachte am 15.02. einen Beitrag von Gerd Held zur Rolle des Staates. Darin fordert der Autor eine „Neubesinnung„. Mit liberaler Staatskritik hat der Gemeingüterdiskurs gar nix gemein, aber dieser heldschen Diagnose der Verhältnisse ist dann doch zuzustimmen:
„Der Staat wird zur Sekundärveranstaltung, der nachträgliche Umverteilungen vornimmt. Er hat im moralischen Sinn nichts Originäres mehr, keine eigene Substanz, keine positive Idee. So ist es kein Zufall, dass die Ordnung der Bundesrepublik mit einem Begriff bezeichnet wird, in dem der Staat gar nicht mehr vorkommt: die „soziale Marktwirtschaft“.
Dieses Bild charakterisiert Held als „etwas überzeichnet„, doch Überzeichnungen können Tendenzen sichtbar machen. Und die Tendenz ist: Es gibt derzeit keine Grundkategorien, auf die sich emanzipatorische Politikvorschläge beziehen können.
Hier kommt die moderne Gemeingüterdiskussion ins Spiel… und der Dissenz zu Held, der zum Beispiel schreibt:
„wenn in der Bildungspolitik nicht mehr die Vermittlung der Bildungsbestände des Landes im Vordergrund steht …, sondern ‚gemeinsam Lernen‘ zur Leitidee wird, dann werden Zivilisationsstandards zugunsten von Schüler-Umverteilungen aufgegeben.„
Uiuiui, eine dickere Keule war nicht da! Zi-vi-li-sa-ti-ons-stan-dards-auf-ge-ben“ und „ge-mein-sam-ler-nen“, brrrrr, wer will da schon dabei sein?
„Unsere Zeit ordnet den Staat dem Sozialen unter.“ „Wohin man blickt„, beschwert sich Held, „werden … Unterschiede eingeebnet und damit der Ehrgeiz der Höherentwicklung bestraft.“
Dem Autor sei Lektüre zur Rolle der Kooperation (und des gemeinsamen Lernens) in der Evolution anempfohlen. Aber kaum ist er mit den Beispielen durch, sind wir uns schon wieder einig:
„Die politische Frage unserer Zeit ist nicht, ob wir ‚zu viel‘ oder ‚zu wenig‘ Staat haben. Es geht um die Qualität. … Es braucht eine eigene Idee, an der sich die Gesellschaft orientieren kann.“
Ich finde, die Idee der Gemeingüter ist so eine „eigene Idee.“ Nur bin ich mir nach Lektüre des Heldschen Artikels alles andere als sicher, ob wir von den gleichen Gemeingütern reden. Held wortwörtlich:
„Die zivilisierende Macht muss in Gemeingütern eine eigene Substanz hegen und pflegen, ob es nun um Bildungsbestände, Verkehrswege oder das Gewaltmonopol geht.“
So abstrakt gesprochen hat er Recht. Und genau deswegen, braucht die Gesellschaft keine „Doppelspitze mit den beiden Systemen Wirtschaft und Staat„, wie Held fordert, sondern zumindest ein Triumvirat. Denn wir sind auch noch da! Doch uns soll der heldsche Staat „zivilisieren“ statt weiterhin in seiner „sozialen Dienerrolle“ dahinzuschrumpfen.
Umgekehrt wird ein Schuh draus: Es wird Zeit, dass wir den Staat wieder als unseren (als Gemeingut?) reklamieren, dass alles, was zum Gesetz gerinnt darauf abgeklopft wird, ob es der Zukunft der Gemeingüter dient. Das würde ein staattliches Erdbeben auslösen.
Foto: Bundeskanzleramt reflection by jonworth-eu, Lizenz: CC, By
Die Idee des Staates in einer Zeit, in der Gemeingüter zu Recht wieder wichtiger werden (sollen): Ja, was könnte das sein?
Das erinnert mich ein wenig an Peter Barnes‘ „Kapitalismus 3.0“. Dort wurde dem Staat in diesem Triumvirat (schöne Idee, übrigens) die Rolle des Vermittlers und Ausgleichers zugeschrieben: Die Gemeingüter sollen gegenüber der einhegenden Wirtschaft aufgewertet werden, indem ihre rechtliche Position gestärkt wird. Meinem Verständnis nach könnte man das durchaus als „zivilisierende“ Leistung verstehen. Somit wäre Helds Forderung nach einer Rückkehr des Staates zu dieser Form der Macht sogar erfüllt 😉
Allerdings ist das ja wohl noch keine moralische Grundlage wie es Held fordert, oder? Mich würde mal interessieren, wie sich andere Gemeingüter-Verfechter diese „positive Idee“ vom Staat ausmalen.
Ich sehe es auch so, daß die rechtliche Position der Gemeingüter gegenüber der Marktwirtschaft aufgewertet und damit für alle deutlich sichtbar gemacht werden muß.
Eine moralische Grundlage dafür sehe ich in Artikel 14 GG („Eigentum verpflichtet. …“), der natürlich auch für die Gemeingüter gilt und der aus meiner Sicht zu einer „moralischen“ Nutzung („… zum Wohl der Allgemeinheit“) geradezu auffordert.
Die Verpflichtung zur Regelung der moralischen Nutzung von Gemeingütern muß, so scheint mir, erst noch von Politik und weiten Bevölkerungskreisen erkannt und augegriffen werden.
„L’État et le marché ne sont pas de cadavres que l’ont peut clouer dans un cercueil et jeter à la mer. Ils continueront pendant très, très longtemps à contaminer, à menacer de leur froide logique les rapports de réciprocité qui sont censés réguler les biens communs,
„Staat und Markt sind keine Kadaver, die wir in einen Sarg packen und dann ins Meer schmeißen können. Sie werden noch sehr, sehr lange da sein und mit ihrer kalten Logik die Logik die Beziehungen der Gegenseitigkeit bedrohen, die die Gemeingüter bestimmt“, hat der EU-Abgeordnete und Nachhaltigkeitsexperte Alain Lipietz mal in einem ausführlichen Kommentar http://lipietz.net/spip.php?article2344
über das von mir herausgegebene spanische Commonsbuch gesagt. Und da hat er recht. Die Frage wie ein Staat aussieht, der Gemeingüter aufwertet, wird also Politikfeld für Politikfeld zu beantworten sein. Wir müssen uns dringend systematisch daran machen, das zu beackern. Das ist aber ein Feld, in dem sich schon sehr viele Leute, sehr viele kluge Gedanken gemacht haben. Aus meiner Sicht besteht die Aufgabe nun darin, die alle zusammenzubringen.
Ansonsten habe ich diese Frage abstrakt mal so beantwortet: http://p2pfoundation.net/Partner_State
Und James Quilligan schreibt dies: http://p2pfoundation.net/Role_of_the_State_in_the_Commons
@ G.Hein: Ja, mit Artikel 14.2 argumentieren wir auch immer. Aber auch darüber hat derzeit „der Staat“ die Definitionsmacht. Und wo kein Gemeingutbegriff, da keine Definition von Eigentumsrechten, die diese schützt.
Wie kriegt man nun diese Diskussion (die Konsequenzen von 14.2.) scheuklappenfrei von der Gesellschaft für alle Bereiche durchbuchstabiert? Wenn das gelänge, könnte auch ich mir wieder vorstellen, dass die Idee, der Staat selbst sei Gemeingut (eben weil er unser ist) seine herrschaftsblinde Schlagseite verliert.
Der Ansatzpunkt ist also da, aber die Diskussion darüber wird weder vom Parlament, noch von der Regierung ausgehen… Das müssen „wir“ schon selber machen.
@Herrn Held: wie glaubt denn der Herr, dass die „Bildungsbestände des Landes“ zustandegekommen sind? 😉