von Bernd Egger
In der aktuellen Commons-Debatte, wie ich sie bisher wahrgenommen habe, fehlt mir bislang ein Hinweis auf den Subsistenzansatz, gerade weil darin der Begriff der Allmende zentral ist.
Der Subsistenzansatz, den ich meine, wurde seit Ende der 70-er Jahre und weitgehend in den 80-er Jahren in der Bundesrepublik von feministischen Wissenschaftlerinnen entwickelt und herausgearbeitet und wurde/wird bisweilen auch „Bielefelder Ansatz“ genannt. Nahezu gleichwertig ist der Begriff Subsistenzperspektive.
Die drei herausragenden Frauen, Wissenschaftlerinnen und Autorinnen sind Maria Mies, Veronika Bennholdt-Thomsen und Claudia von Werlhof. Der von ihnen entwickelte Ansatz bzw. ihre Subsistenztheorie verfolgt einen konsequent kapitalismuskritischen, patriarchatskritischen und materialistischen Ansatz.
„Die Bielefelderinnen“ haben den Begriff der Allmende, …die sie überwiegend als natürliche Grundlage für Unabhängigkeit und freies naturverbundenes auskömmliches Wirtschaften von menschlichen Gemeinschaften verstehen, nicht erfunden, aber wiederbelebt und in das Zentrum ihrer Theorie und Praxis gestellt. Sie pflegen auch einen kritischen Diskurs zum Wesen und zur Geschichte der Allmende, insbesondere für den europäischen Raum, einschließlich der Wortgeschichte dieses Begriffes. Eine wichtige Quelle ist ihnen dabei neben anderen der amerikanische Gesellschaftsforscher, Soziologe und Autor Immanuel Wallerstein und sein Werk, insbesondere sein Hauptwerk: „Das moderne Weltsystem“, Band 1: Kapitalistische Landwirtschaft und die Entstehung der europäischen Weltwirtschaft im 16. Jahrhundert“, Frankfurt/M.1986.
Wallerstein, der sich auf eine große Fülle von Quellen bezieht, beschreibt sehr klar, wie z.B. in England bereits im 13. Jahrhundert (in anderen Teilen Westeuropas ab der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts) mit den Einhegungen von Gemeindeland zum Zwecke der Schafzucht durch private Pächter (die sogenannten Yeo-Man) seitens der feudalen Grundbesitzer begonnen und damit ein kapitalistischer Produktionsprozess zunächst in der Landwirtschaft in Gang gesetzt wurde. Dies geschah in einem Interessengeflecht von ländlichem Adel (der durch Einnahmen aus Verpachtung zu Geld zu Konsumzwecken und z.B. zur Anschaffung moderner Bewaffnung kommen wollte), bürgerlichen Geld- und damit Kapitaleignern (welche ihr Kapital zu vermehren trachteten und dabei auf die Ausbeutung der nunmehr in großer Zahl entwurzelten und „frei“ gewordenen Menschen als billige Arbeitskräfte setzten) und den neu aufkommenden privatwirtschaftlich agierenden Pächtern. Letztere waren gewissermaßen landwirtschaftliche Einzelunternehmer, die sich damit aus den bäuerlichen Dorfgemeinschaften herauslösten und für sich und gegenüber den anderen die Solidarität der Gemeinschaft aufgaben.
Der gesamte Prozess war alles andere als friedlich, er wurde gewaltförmig erzwungen, wurden doch damit die tradierten Lebensmöglichkeiten der überwiegend ländlichen Bevölkerung durch die Wegnahme (Einhegung) des Allmende-Landes, das sie bis dato für den gemeinschaftlich organisierten Viehtrieb sowie für Ackerbau nutzten, drastisch beschnitten. Das brachte die Menschen in massenhafte Not (Nahrungsmangel) und führte dazu, dass sie sich in den von Kapitaleignern errichteten Manufakturen, die der Weiterverarbeitung der in kapitalistischer Landwirtschaft erzeugten Produkte (Wolle u. a.) dienten, für gering bezahlte Lohnarbeit verdingen mussten. Sie waren nun gezwungen Geld zu verdienen, um ihr Überleben zu sichern (Nahrungsmittelkauf u.a.). So begann Kapitalismus.
Diesen Prozess und die damit einher gehende Gefahr für ihre Unabhängigkeit erkannten natürlich die Menschen in den bäuerlich-dörflichen Gemeinschaften. Sie leisteten Widerstand. Das ausgehende Mittelalter war eine Zeit gehäufter, intensiver und flächendeckender sozialer Kämpfe. Das ist weitgehend in Vergessenheit geraten oder wird nicht bekannt gemacht oder anerkannt. Geschichtlich herausragend für die sozialen Auseinandersetzungen in der frühkapitalistischen Zeit sind für Mitteleuropa und insbesondere für den deutschen Raum die Bauernkriege im ersten Viertel des 16. Jhdts..
Letztendlich waren die widerständigen und aufständischen Menschen und Bevölkerungen der brutalen militärischen Macht und den Unterdrückungsinstrumenten der um Herrschaft ringenden Eliten aus Adel, Geldbürgertum und Klerus unterlegen. Das ist uns aus der Geschichte überliefert. Dieser Ausgang war und bleibt im Grunde eine Tragik von großer Tragweite für die weitere Entwicklung der menschlichen Gesellschaft und für menschliche Freiheit und Unabhängigkeit überhaupt bis in die heutige Zeit, zunächst für Europa, dann aber für die ganze Welt.
Bei Wallerstein und fortentwickelt im Subsistenzansatz wird also deutlich, dass uns die Allmende geschichtlich nicht einfach so „verloren ging“, sondern dass Menschen von Menschen in einem gewaltförmigen und interessengeleiteten Prozess von dieser enteignet wurden und weltweit immer noch werden, um sie abhängig zu machen und zu verunsichern, um sie im kapitalistischen Verwertungsprozess ausbeuten zu können und um ihnen eine wahre Grundlage widerständigen Verhaltens zu nehmen.
Diese im besten Sinne materialistische Geschichtsbetrachtung und herrschaftskritische Sicht der Dinge machen sich die o.g. Autorinnen zu eigen und führen diese in ihrem Subsistenzansatz fort, wodurch ihr Verständnis von Allmende geprägt ist.
Sie stellen deshalb auch die Verteidigung und die Wiederaneignung der Allmende in ihren jeweils verschiedenen Formen in den Mittelpunkt sowohl ihres Ansatzes als auch emanzipatorischer Kämpfe und sozialer Bewegungen der Gegenwart weltweit. Maria Mies sagt dazu kurzgefasst: Keine Resistenz ohne Subsistenz! (u.a. Brief vom Sept. 2007 an den Autor dieses Beitrages).
Eine Facette dieses stetigen Ringens ist der Einsatz gegen die Privatisierung von Gemeingütern und Gütern der öffentlichen Daseinsvorsorge im Hier und im Jetzt.
Als einen lesenswerten und gut verständlichen Einstieg in den wissenschaftlichen Subsistenzansatz empfehle ich das Buch von Veronika Bennholdt-Thomsen und Maria Mies: Eine Kuh für Hillary – Die Subsistenzperspektive –, Verlag Frauenoffensive, 1997. Es ist im Buchhandel leider schon lange vergriffen; im Antiquariatsbuchhandel sind mitunter noch Einzelexemplare zu bekommen, allerdings inzwischen zu relativ hohen Preisen, siehe unter anderem http://www.zvab.com; aber es gibt ja noch Bibliotheken. Dieses Buch hat mich begeistert.
Auch ein sehr schöner Einstieg in die Materie ist die vierteilige Serie vom Frühjahr/Sommer 1999 aus der Berliner Umweltzeitung DER RABE RALF: Das Leben ist unökonomisch von Claudia von Werlhof (leider derzeit nicht online, kann aber bei der RABEN-Redaktion in gedruckter Form bestellt werden). Der Text folgt einem Vortrag, den Claudia von Werlhof im Januar 1993 im Rahmen eines Kolloquiums an der Humboldt-Universität Berlin gehalten hat.
Abschließend hier ein Auszug daraus. Er bietet eine mögliche Begriffserklärung zur Subsistenz, die freilich nicht abgeschlossen und allumfassend ist, denn Subsistenz ist mehr. Sie kann als Lebensweise verstanden werde, als ein Standbein des Lebens, des Wirtschaftens, des Umgangs mit Natur und von Vergesellschaftung, auch für uns in dieser ach so modernen Welt und gehört deshalb in die aktuelle Commons-Debatte:
„Subsistenz … ist die direkt naturabhängige Arbeit vor allem von Frauen und Bauern, die in jeder Gesellschaft existiert und deren Grundlage bildet. Zur Subsistenz (wörtlich etwa: Selbstversorgung) gehören vor allem die kleinbäuerliche Produktion, die Hausarbeit, das Gebähren und Aufziehen von Kindern.“
Claudia von Werlhofs Text „Das Leben ist unökonomisch“ habe ich provisorisch unter http://kurzlink.de/subsist.html online gestellt. Unter dem Originaltitel „Subsistenz – Abschied vom ökonomischen Kalkül“ stehen dort alle vier Teile untereinander.
An der Wiederveröffentlichung sämtlicher Texte auf rabenserien.grueneliga-berlin.de arbeiten wir!
Hier ist noch ein neuerer Text von Maria Mies für alle, die es etwas konkreter mögen: „Die Subsistenzperspektive“.
http://www.republicart.net/disc/aeas/mies01_de.htm
Ja, wirklich toll. Eine gute Hilfe. Vielen Dank!
Großartig, Herr Bauer, danke!
Der commonsblog ist sehr, sehr wichtig. Danke!
Und wie gut, dass es den DER RABE RALF gibt!
A propos Subsistenz: Es gibt einen neuen Beitrag von mir zum Thema „Geld oder Leben. Was uns wirklich reich macht“, – ein wirklich kleines Büchlein im oekom-Verlag. Es geht natürlich um die zentrale Frage, wie es anders gehen kann heutzutage.