“Die Neuerfindung der Vereinten Nationen ist unverzichtbar,” schreiben Miguel d’Escoto Brockmann, 2008/2009 Präsident der UNO Vollversammlung und der brasilianische Befreiungstheologe Leonardo Boff. Die beiden haben sich offenbar auch mit dem Gemeingütervirus infiziert. Sie haben eine Universelle Erklärung zum Gemeingut der Erde und der Menscheit verfasst! Zwei gewichtige Stimmen aus dem Süden!
Boff und d’Escoto erklären das Scheitern der UNO. Hier eine kurze Zusammenfassung ihrer Kritik (Teil 1 des verlinkten Textes):
- Institutionen sind nicht anhand der Dinge zu messen, die sie getan haben, sondern an ihrem Seinsgrund. Die entscheidende Frage ist: haben sie das Ziel erreicht, für das sie angetreten sind?
- Die UNO hatte nur ein Ziel: Die kriegerischen Konflikte insbesondere der ersten Hälfte des 20. Jhd. einzudämmen. Dafür, so die Überzeugung damals, müssten die Nationen zu einem zivilisierten Miteinander finden und es bedürfe einer multilateralen Streitschlichtungsinstanz. Man glaubte zudem, eine weitere Zeitbombe deaktivieren zu können: die des Hungers und der Armut. Dies führte zur Unterzeichnung der Charta der Vereinten Nationen von San Francisco (1945) und den so genannten Bretton Woods Institutionen, die “in Wirklichkeit dazu beigetragen haben, die Armut in der Welt zu verschärfen, statt sie zu überwinden.” (Sie nehmen kein Blatt vor den Mund! S.H.) Die UNO habe beide Gründungsziele verfehlt, schreiben Boff und d’Escoto. Dem folgen harte Worte zu den Invasionen in Afganisthan und im Irak.
- Mitte des vergangenen Jahrhunderts gab es das heutige Umweltbewußtsein noch nicht, doch sofern die UNO wirklich bestrebt sei, das “Gemeinwohl aller Gesellschaften” voranzubringen, müsse sie dieses “durch die Gemeingüter der Erde und der Menschheit bereichern.”
- Heute sei die UNO bei der “enormen Mehrheit der Bewohner dieser Erde” diskreditiert. Auch das mächtigste Land der Erde habe die Institution mit herrischem Gehabe und Respektlosigkeit demoralisiert.
Und dennoch: Man kann die Vereinten Nationen nicht einfach vergessen.
“Sie ist unsere Organisation. Sie wurde in unserem Namen, im Namen der Völker gegründet.”
Solch eine Organisation vertrage kein Veto der Mächtigen und “keinerlei Privilegien für niemanden”, “die Entscheidungen, die alle betreffen müssen von allen getroffen werden”, und alle seien „gleichermaßen verpflichtet, sich Straftaten gegen die Mutter Erde und die Menschheit zu enthalten – oder die Konsequenzen zu tragen”.
Um die Vereinten Nationen zu retten, gelte es zunächst darüber nachzudenken, wie es zu einer so dramatischen Abkehr von den Gründungszielen kam. Vermutlich waren einige nie wirklich an einer Instanz interessiert, der sie sich unterzuordnen hätten, andere hätten nie an das Primat des Rechts im Internationalen Rahmen geglaubt. So scheint das
„Recht des Stärkeren auch heute noch die Mentalität und das Verhalten einiger einflußreicher UNO Mitglieder zu prägen„.
Die Macht der Generalversammlung (ihr Präsident wurde zur “Protokollfigur” und zum Chef einer unsäglichen UN-Bürokratie degradiert) wurde sukzessive beschnitten.
“Doch wir, die Mehrzahl der UNO-Mitglieder, weigern uns zu akzeptieren, dass irgend ein Land für sich eine Ausnahmebehandlung reklamiert.“ „Die Mutter Erde kennt keine Offenkundige Bestimmung, alle Völker sind ihre Söhne und Töchter, und alle leben mit gleicher Würde und gleichem Recht im Gemeinsamen Haus.”
Die Macht der Generalversammlung und der 192 Nationen könne man zurückerobern. D’Escoto und Boff machen drei konkrete Vorschläge, um die UNO zu demokratisieren. Ich fasse es mal so zusammen: Die Gemeingüter müssen zum Ausgangspunkt und Kern ihrer Arbeit werden.
I. Eine Universelle Erklärung zum Gemeingut der Erde und der Menschheit als zentrales Dokument für die Neuerfindung der UNO und in Ergänzung der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte (“Wir sind uns darüber im Klaren, dass ein exzessiver Antropozentrismus, Gier und Egoismus die Annahme einer solchen Erklärung erschweren werden, doch es wird gelingen.”)
II. Eine Charta, die mit den Erfordernissen des 21. Jahrhunderts Schritt hält, die unser Überleben garantieren und die Gemeingüter der Erde und der Menschheit fördern kann.
III. Ein Tribunal, in dem Persönlichkeiten alle 5 Regionen der UNO vertreten sind, dass Straftaten gegen die Gemeingüter der Erde und der Menschheit verfolgen kann, so sie von Mitgliedern vorgetragen werden. (Vergleichbar dem Internationalen Strafgerichtshof.)
Begonnen haben sie mit der Erklärung, die hier zu finden ist. Die beiden anderen Projekte folgen, versprechen Boff und d’Escoto. Am 27. Februar wurde die Deklaration in Nicaragua vorgestellt. Ich finde Ortega (den jetzigen) zwielichtig, aber immerhin hat er das unterzeichnet und scheint die Initiative zu fördern. Ich habe richtig Lust ein bisschen mitzuwerkeln. 🙂
Fotos: Leonardo Boff, by Hermínio Oliveira, Agencia Brasil, Lizenz
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Ich habe meine Zweifel an dieser Initiative zur Neuerfindung der UNO.
Sicher müssen wir uns Gedanken darüber machen, in welchem Zustand sie sich befindet und was sie uns noch wert sein soll. Ihr Ansatz ist per sé kein schlechter, wenn sie dazu beitragen kann, Frieden auf der Erde zu sichern, Glück und Wohlergehen aller Menschen zu befördern, Forum für weltweite Abstimmung und herrschaftsfreie Zusammenarbeit zu sein und die Gemeingüter der Erde und der Menschheit zu mehren und zu schützen. Unter diesem Ansatz will ich sie beileibe nicht in den Mülleimer der Geschichte tun und versuchen, ihr etwas Positives abzugewinnen und ihr Fortbestehen ggf. mit zu befördern.
Aber ich muss UNO und somit auch die Initiative zu ihrer Neufassung kritisch sehen. Ist sie doch eine Organisation von Staaten und Staaten sind Bestandteil eines autoritären patriarchalen Systems, höchster Ausdruck des patriarchalen Paradigmas selbst, wenn auch die Gründung der UNO nach dem II. Weltkrieg angemessen und notwendig war und mit ihr notwendig gewordene Ziele verfolgt wurden, welche sicher auch heute immer noch Geltung haben.
Wir dürfen in diesem Zusammenhang auch nicht Nationen und Völker als etwas Gleichwertiges ansehen und sie im Sprachgebrauch synonym verwenden. Es handelt sich hier um sehr verschiedenen Kategorien. Nationen sind wiederum Produkte der geschichtlichen Entwicklung unter patriarchalen Verhältnissen. Und wer will uns sagen, was Völker sind, sie bestimmen? Oder sie gar voneinander abgrenzen?
Nein, mir macht es Sorge, wenn ich mir vorstelle, dass da in diesem hohen Hause schon wieder neue Herren zusammensitzen, reden und über das Schicksal der Menschen, der Erde und ihrer Gemeingüter weltweit beraten und befinden wollen. Es würde wieder vorwiegend von „großen Männern“ dominiert werden, die sich in dieser Rolle wohl fühlen. Es ist kein Wunder, dass diese neue Initiative von zwei „großen Männern“ unternommen wurde und sie dem auch gleich erst einmal einen umfangreichen Schriftsatz vorangestellt haben.
Dieses ist keine Kritik an den Inhalten ihrer Erklärung, die finde ich gut.
Ich ziehe hier auch nicht die Integrität, die Verdienste und den schätzenswerten Willensansatz dieser beiden und weiterer Männer in Zweifel, dafür kenne ich sie viel zu wenig.
Jedoch bin ich skeptisch, gerade bei Theologen. Alle bekannten sogenannten großen (Welt-)Religionen sind patriarchalisierte Religionen, ich halte mich davor zurück und aus eigener leidvoller Erfahrung habe ich genug von Theologen und Pastoren. Dieses ist wiederum keine Kritik an der Person von Herrn Leonardo Boff.
Ich denke, wir brauchen keine weltweite Zentrale, auch nicht als eine erneuerte und demokratisierte UNO, in welcher über das Schicksal aller Menschen, Bevölkerungen und der Gemeingüter der Erde von Staaten und Ausgewählten befunden wird. Das ist in meinen Augen schon wieder eine Idee im Rahmen des patriarchalen Paradigmas.
Und wozu eine neue Charta schreiben und glorreich einführen, wenn die Realität doch eine andere bleibt. Mit einer Charta werden zwar Rechte geschaffen, aber die nützen wenig, wenn Menschen nach wie vor nichts zu essen haben. Rechte können aufgeschrieben werden, aber von einem Recht wird mensch noch nicht satt. Die Energie wird verbraucht in der Durchsetzung von Rechten.
Was wir brauchen und was ich mir viel besser vorstellen kann, das ist eine weltweite, direkte und selbstorganisierte Vernetzung aller Menschen, Gruppen, Bevölkerungen und Regionen, in welcher sie ihre eigenen und globalen Probleme selber regeln. Hier gibt es nur Vernetzungen und Knoten, und zwar in beliebig hoher Zahl und veränderlich, also nicht starr. Alle können mit allen in Kontakt treten und kommunizieren. Niemand kann sich in dieser Vernetzung kommunikative Herrschaft aneignen, weil so etwas sofort umgangen werden kann. Wenn zukünftig UNO so verstanden wird, ja dann bitte.
Für diese Vernetzung können wir uns durchaus die modernen technischen und technologischen Mittel zu Nutze machen, ich denke hier an das Internet, was ja auch schon längst im Gange ist. Wobei auch immer gleichzeitig abgewogen werden muss, ob solche Techniken und Technologien immer noch im Rahmen dessen bleiben, dass sie Mensch und Natur in der Gesamtbewertung nicht eher schaden und sozusagen Gemeingüter nicht „aufessen“. Aber in einem nichthierarchischen Netz sollte so etwas funktionieren.
Ich denke, dass eine solche Vernetzung für die Zukunft unbedingt angeraten und erforderlich sein wird, wenn wir als Menschen und als Menschheit weltweit mit den zu erwartenden Herausforderungen erfolgreich und gewaltfrei umgehen wollen. Ich denke da beispielsweise an die Herausforderungen, die uns wegen der prognostizierten Klimaerwärmung und den damit im Zusammenhang stehenden Folgen und Veränderungen noch entgegen kommen werden und die alle Menschen in irgendeiner Form betreffen werden, auch wenn sich viele heute noch sicher wähnen. Den Einwirkungen aus der Verkettung der Ereignisse wird niemand entgehen können, auf keinem Fleck der Erde. Wir werden uns da alle in weltweiter Vernetzung gegenseitig helfen müssen, selbstorganisiert, selbstbestimmt und zeitnah, anders wird es nicht gehen. Das wird vor allem für kommende Generationen gelten. Die Grundlagen dafür müssen wir freilich heute schon legen.
Dabei schließe ich eine gewisse Organisierung nicht aus.
In diesem kommenden Prozess wird uns keine „Erdzentrale“ wirklich helfen können, kein zentrales Gremium, keine UNO, auch keine neu erfundene. Das ist alles viel zu schwerfällig, herrschaftsanfällig und nicht mit genügend Empathie ausgestattet.
Wir können das nur selber tun und wir werden dazu in der Lage sein.
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@ Bernd Egger:
„Nein, mir macht es Sorge, wenn ich mir vorstelle, dass da in diesem hohen Hause schon wieder neue Herren zusammensitzen, reden und über das Schicksal der Menschen, der Erde und ihrer Gemeingüter weltweit beraten und befinden wollen. Es würde wieder vorwiegend von „großen Männern“ dominiert werden, die sich in dieser Rolle wohl fühlen. Es ist kein Wunder, dass diese neue Initiative von zwei „großen Männern“ unternommen wurde und sie dem auch gleich erst einmal einen umfangreichen Schriftsatz vorangestellt haben.“
Ich glaube, hier liegt ein Missverständnis vor, dass man per Klick auf den Kontext und die verlinkten Wikipedia Biographien der beiden „großen Männer“ schnell aufklären kann. Weder Boff noch d’Escoto haben in der UNO irgendwas zu sagen. Sie sitzen (beide sozusagen emeritiert) in Brasilien bzw. Nicaragua und machen sich Gedanken, die sie ins INternet schreiben – mit der Überschrift „VORSCHLAG“. Es gibt eine Passage in dem Schriftstück, da wird die Machtlosigkeit des Präsidenten der UN-Vollversammlung derart beklagt, dass man d’Escoto wünschte, er könne sich von dieser Demütigung lösen.
Nein, eine „Erdzentrale“ wird die Commons nicht reproduzieren können, aber wir wären einen Schritt weiter, wenn sie zumindest dazu beitragen könnte (eben ohne Herrschaftsanspruch) die Reproduktion der Gemeingüter nicht zu verhindern.
„Und wozu eine neue Charta schreiben und glorreich einführen, wenn die Realität doch eine andere bleibt.“
na dann lassen Sie uns gemeinsam den Kopf in den Sand stecken.
Sprache bestimmt das Denken, wenn wir viel über Commons reden, aus unterschiedlichen Perspektiven, wird irgendwann die Botschaft fühlbar und dann denkbar und dann ändern sich Realtäten.
Meine Kritik in meinem Kommentar ist streckenweise sehr harsch ausgefallen, das ist mir bewusst. Das liegt daran, dass ich eine starke Abneigung gegen alles Autoritäre und Patriarchale habe. Solches schien mir in dem Zusammenhang, welcher in dem obigen Beitrag dargestellt wurde, bereits wieder irgendwie entgegenzukommen.
Ich habe die beiden genannten Initiatoren und Autoren der Erklärung, Miguel d’Escoto Brockmann und Leonardo Boff, nicht mit den „großen Männern“, wie ich sie bereits wieder in der UNO sah, gleichsetzen wollen, auch wenn ich sie mit dem gleichen Begriff benannt habe. Dies hat tatsächlich leicht zu einem Missverständnis geführt. Es ist mir klar, dass diese beiden Männer „aus einem ganz anderen Holz geschnitzt sind“. Auch habe ich Respekt gegenüber der Befreiungstheologie.