… fragt die erste Ausgabe der neuen kulturkreativen Zeitschrift, die im Wortsinn die deutsche Publikationslandschaft bereichert. ‚Wovon wir alle Leben‘ ist nicht nur Titel der Ausgabe sondern auch Titel meines Beitrags. Darin liegt eine Verbeugung vor der Empfindsamkeit eines Großen der Weltliteratur: Lew N. Tolstoi,
„Du wirst drei Worte begreifen: du wirst begreifen, was in den Menschen ist und was den Menschen nicht gegeben ist und wovon die Menschen leben„
(aus Wovon die Menschen leben; L.Tolstoj)
Christian Siefkes hat auf Keimform ausführlich über die erste OYA berichtet. Der Anspruch der Macher_innen ist kein geringerer als die „unerschöpfliche Kraft der Verbundenheit zwischen Menschen“ zu teilen, die nach Ansicht von Chefredakteurin Lara Mallien „das Kapital und der Reichtum der Zukunft sind„. „
Ich nahm auf der Reise nach Jena die Zeitschrift zur Hand wie Tage zuvor auf der Reise nach Hannover die Erzählung Tolstois. Ich schrieb Anmerkungen an den Rand und in meinen Kalender (Doppelseite mit Seminar, Buch- und Filmtipps). Im Heft steckt irgendwo ein Energiespender. Ich bereichert meine Zitatenschatzkiste, etwa wenn es im Gespräch von vier Mitgliedern langjährig bestehender Gemeinschaften ‚Vom Geben und Nehmen‚ heißt:
„wir sind in puncto Wertschätzung alle unterernährt„.
Das Einüben einer Kultur der Wertschätzung und der Liebe („wovon die Menschen leben„) lässt sich nicht einfach verregeln. Doch gerade der Aspekt der Rechte und Regeln in der Debatte um Gemeingüter wird überbetont. Eine Akzentverschiebng scheint ist notwendig, denn es geht um“ eine Kultur des Umgangs mit Gemeingütern“.
„Das heißt, dass ein Gemeingut nicht nur eine bestimmte Landfläche ist, sondern auch die Idee eines Menschen, mit der diese Fläche gestaltet werden kann. Seine Idee fließt in die Gemeinschaft ein, die nun vor der Herausforderung steht, den schmalen Grat zwischen der Verwirklichung einzelner Lebensträume und dem Gemeinwohl zu gehen.“ (Dieter Halbach, Ökodorf Siebenlinden).
Im Gespräch wird deutlich, dass in einigen der Gemeinschaften
„die wirklich innovativen Projekte aus der Initiative Einzelner entstanden. Wir sollten lernen, dass wir der Initiativkraft des Einzelnen im gemeinschaftlichen Kontext mehr Raum geben. Diese Kräfte müssen wir unterstützen.“
Das Grundthema der Runde ist das Grundthema der Commonsdebatte: ‚Gemeinschaft und Individualität‘.
„Der Einzelne braucht Freiraum, darf sich nicht nur als Rädchen im Getriebe fühlen.“
Die Dinge so zu gestalten heißt, sich auf schmalem Grat suchend bewegen. Es erfordert Aufmerksamkeit, Wissen und Geschick, erlaubt Innehalten, aber keinen Stillstand, denn eine Frage muss in jeder Situation neu beantwortet werden:
„Wie kommen wir zu einer Gemeinschaft, in der wir uns reinen Wein einschenken, in der jeder seinen besten Wein gibt?“
Das ist umso schwerer, als es den „Menschen nicht gegeben [ist], zu wissen, was sie für ihren Leib brauchen“ „Es ist keinem Menschen gegeben zu wissen, ob er am Abend Stiefel oder Leichenschuhe braucht.“ (Tolstoi). Das Essentielle offenbart sich erst nach Krisensituationen oder ganz zum Schluss.
Endlos könnte ich aus dem Beitrag von Andreas Weber zitieren, der ein Plädoyer für Eine Politik des Lebens hält:
„Die Idee der Gemeingüter ist die Idee des in der Natur von allen geteilten Lebens, in dem der einzelne eine Position hat, die aus Freiheit und Verbundenheit zugleich resultiert: aus der Integration dieses Paradoxes, das zu größerer Tiefe führt„.
„Die Natur als Ganze ist bereits das Paradigma eines Haushalts der Gemeingüter. Nichts in ihr ist Monopol, alles ist Open Source. Die DNA konnte sich nur darum in so viele verschiedene Spezis verästeln, weil alle ihren Code nutzen dürfen, weil jeder das Beste daraus basteln kann. … ein solches Denken hat die Kraft zu einer neuen politischen Metaphysik.“
Ich lerne fasziniert den deutschen Filmemacher Ralf Schmerberg kennen, mit ihm die Mind Pirates. Schmerberg schaffte es
„sehr schnell nach ganz oben – und zum Glück […] aus eigener Kraft wieder nach unten zurück auf den Boden„.
Und von dort entwickelte er das Projekt „dropping knowledge„, anknüpfend an
„die Tradition der mündlichen Überlieferung. Die Menschen sprechen frei und unzensiert, alle sollten an ihrem Wissen und ihrer Weisheit teilhaben können.“
Auf der Website kann jeder seine Fragen vorschlagen, die Antworten tröpfeln ein und formen – irgendwann – ein Bild. Ich werde mir was über Commons ausdenken.
Während Gandalf der Oya über eine „Bodenreform“ nachdenkt, die dem Prinzip, dass
„das Land sich selbst gehört und Du dem Land“
entspricht, was bedeutend zuträglicher sei als eine „anonyme zentralstaatliche Vergesellschaftung„. Doch
„Wenn das Land sich selbst gehören soll, braucht es als menschliches Gegenüber eine selbstbestimmte Gemeinschaft.“
Das Reflektieren über die mit den Commons verbundenen Gemeinschaften, über die vielen Wirs, die aus unzähligen Ichs bestehen, ist auch Teil der sehr aufschlußreichen Bedeutungsrecherche zum Stichwort Allmende; erstellt von der Berner Wirkstätte für das Alte Wissen Menhir. Der fakten- und quellenreiche Text fördert mir Neues zu Tage. Etwa, dass mein/meini im Wort gemein sprachwissenschaftlich auf die indogermanische Wurzel mei/moino zurück geht – was soviel wie ‚Wechsel‘ und ‚Tausch‘ bedeutet. Daher:
‚gemein‘ = „worin man sich abwechselt, was einem im Wechsel zukommt„
Allmende > all+Gemeinde, heißt also historisch „allen Berechtigten/ allen zum jeweiligen Wir zählenden zukommend“ . Da sind wir bei einer weiteren Grundfrage der Commonsdebatte. Was ist dieses ‚Wir‘? Und wer gehört dazu? Die Berner schreiben:
„Jedem ‚Wir‘ stehen ‚die Anderen‘ gegenüber. Fällt ein Rudel Schnecken über unsere Salatköpfe im Garten her, ist sofort klar, wer hier die berechtigten Allmendnutzer sind.„
Im realen Leben ist es etwas komplexer. Dem Beitrag wäre übrigens zugunsten der Lesbarkeit (Lupe hatte ich im Zug nicht dabei) deutlich mehr Platz zu widmen gewesen, sag‘ ich, weil ich Etymologie hinreißend finde.
Schließlich lohnt der Blick, den Oya in die Geschäftswelt von Bene Müller von der solarcomplex AG gewährt. Müller war maßgeblich an den Konzeptionen der deutschen Bioenergiedörfer (derzeit 10-20) beteiligt. Er glaubt, Eigenversorgung mit regenerativen Energien sei in Deutschland bis zum Jahr 2030 zu etwa 50 % möglich. Die Solarcomplex AG folgt nicht wirklich Gemeingutprinzipien, denn entscheidend für das Stimmengewicht in der AG ist der Anteil der Aktien (allerdings mit drastischer Deckelung bei 5%). Die Regelung „jeder Aktionär = eine Stimme“ habe sich als nicht tragfähig erwiesen. Auch die Rechtsform der Genossenschaften hatte für solch ein Projekt „ein zu linkes Image„, erzählt Müller. Ideologische Zuschreibungen taugen in dieser Debatte bekanntlich nicht. Da ist es spannend zu sehen, wie Müller – AktienAG hin oder her – anschaulich beschreibt, was auch die Unternehmer der Ökodörfer formulieren: Gemeingüter mindern das unternehmerische Risiko.
Ach, und ist Ihnen bewußt, dass es
„mehr Omas mit einem vollen Obstgarten gibt, den keiner mehr aberntet, als man denkt?„
Die Mundräuber machen „Mundraub salonfähig“ und haben zu diesem Zweck eine Internetseite geschaffen, Mundraub – Freies Obst für Freie Bürger, auf der jede_r nachschauen kann, wo es frei nutzbares Obst und Gemüse gibt. Die Seite lädt ein, eigene Fundstellen einzutragen. (Wunderbares Projekt für Schulklassen!) Ein schönes Prinzip wird hier formuliert. Nämlich, dass ein Mundräuber „nicht mehr nimmt, als er tragen kann.„
„Die Kommunen und Gartenbesitzer auf dem Land müssten eine touristische Chance in der Pflege ihrer lokalen Allmende sehen…. Ein Mundräuber kann einem Ort auch ganz einfach etwas zurück geben, indem er nach der Ernte dort einkehrt.“
Für das Zitatenschatzkästchen waren schließlich die Reflektionen von Susanne Becker ‚Über das Glück, ein Gemeinschaftsklo zu putzen‘ hilfreich. Sie wartet mit dieser Erkenntnis auf:
„In jeder Gemeinschaft wohnt ein ‚Herr Niemand“, und den kann man auch nicht rausschmeißen“.
Ich könnte munter weiterzitieren. Vandana Shiva, Stefan Meretz, Julio Lambing, Matthias Fensterer, Achim Lerch, Ulrike Meisner, Johannes Holbein… vor allem aber Marco Bischof, Johannes Heimrath und Ellis Huber, die trialogisch ihre Vorstellungen einer heilsamen Kultur formulieren:
„Das Bild [einer] heilsamen und am Schluss auch heilen Kultur, das wir zeichnen möchten, muss ansteckend wirken. Niemand kann sie verordnen oder herstellen, sie kann nur in einem gemeinsamen Prozess des Ermöglichens, Ermutigens und Ermächtigens wachsen.“
Dieser gemeinsame Prozess, das was wir commoning nennen, ist der Kern der Gemeingüterdebatte und Voraussetzung für gesunde Lebenswelten. Und nun Schluß!
Die erste Ausgabe der OYA sollte hier weitgehend für sich sprechen. Ich kann dem nur noch ein Bienchen für die Kohärenz des Projekts hinzufügen: die Lizenz stimmt (cc by sa), die Organisationsform der die Oya produzierenden Gruppe ist eine Genossenschaft (getragen von Menschen, die erprobt sind im commoning). Das Abo gibt’s hier.
Dass ich die Oya haptisch etwas schmalbrüstig fand, hat wohl mit dem Gefühl zu tun, so viel gewichtiger Inhalt passe nur in ein wirklich schweres Heft.
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