Vorbemerkung:
Der Beitrag wurde von mir stark gekürzt. Grundlage bildete die Kurzfassung eines Vortrags von Jochen Kuhnen auf dem Weberkongreß 2009 in Kukate. Ich fand ihn hervorragend, weil er die Fortentwicklung der Allmende aus der suchenden und selbstbestimmt tätigen Entfaltung des Einzelnen wunderbar beschreibt, und zwar am Beispiel des Handwebens. Günstigstenfalls, versteht sich, denn auch die klassische handwerkliche Allmende ist weithin erodiert, was – wie Kuhnen zeigt – mit der Verabsolutierung bestimmter Arbeitsbegriffe zu tun hat. Der Autor stellt Idee und Praxis des Werkbunds als Allmendorganisation vor. Spannend!
Dass ein Gemeingut, ein Common, kein von uns getrenntes Ding ist, sondern ein komplexes soziales System, in dem der Einzelne seinen Platz findet und verantwortet, lugt durch den gesamten Text. Eine ausführlichere Fassung findet sich hier (pdf).
Gastbeitrag von Jochen Kuhnen
Die Hand in Takt halten heißt, sich in den Rhythmus des Lebens einzuschwingen. Einem Menschen, der in dieser Weise ein tätiges Leben führt, erschließt sich der Sinn seines Lebens über sein Handwerk. Eigentlich ist da nichts hinzuzufügen. Aber wirklich werden die Dinge nur, indem wir sie immer wieder neu zur Sprache bringen. So zeigt sich die Wirklichkeit des Handwerks Handweben im Erzählen von diesem Tun. Wobei auch die Werkzeuge und die geschaffenen Gegenstände ihre Erzählung einbringen. Dieses Sprechen hat heute vor allem eins zum Inhalt: Ich bin nicht einverstanden!
- Ich bin nicht einverstanden damit, dass die Welt, durch einen rücksichtslosen, gewalttätigen und irrationalen technologischen Fortschritt zerstört wird.
- Ich bin nicht einverstanden damit, dass diese Welt nur noch als Rohstoffquelle für ein Überlebensprogramm betrachtet wird; wozu auch der Mensch als Organersatzteillager und Gen-Pool gehört.
- Ich bin nicht einverstanden damit, dass jede menschliche Tätigkeit nur noch dann gesellschaftsfähig ist, wenn sie sich in die Kreisläufe einer sich verselbständigenden Warenökonomie fügt.
Hier wird uns der Sinn des eigenen Tuns und Denkens sozusagen wie ein zerschlissener Teppich unter den Füßen weggezogen. Alles scheint sinnvoll zu sein, was auf dem Markt Anerkennung, sprich Käufer, findet. Wer jetzt am Webstuhl sitzt und sich nach dem Sinn seiner Gegenwart fragt, den lade ich ein, dort nach Orientierung zu suchen, wo sie verlorenging.
Die antiken Griechen nannten ihre Handwerker Techniker und Poeten. Ihr Wort Technik bedeutete ein poetisches, d.h. fügendes Hervorbringen und Erkennen. Die handwerkliche Tätigkeit gründete im Bezug des Handwerkers zu Tradition und Sitte, zu Werkzeug und Material und zu Kenntnis und Können seines Wohnortes. Die Griechen nannten das Ethos, was soviel wie Aufenthalt heißt.
Dieses im Ethos gegründete Handwerk als fügendes Hervorbringen hat die griechische Antike nicht überlebt. Es wurde zur Technik, die sowohl ihren Bezug zur Kunst, als auch ihre ethische Bindung verloren hat. Die Folgen zeigten sich für die Handwerker besonders drastisch in der Zeit der Industrialisierung. Das, was wir heute ‚Handwerk‘ nennen, begann mit der fabrikmäßigen Herstellung von Textilien. Der Umbruch wurde begleitet vom heftigen Widerstand der betroffenen Handwerker, die durch die neuen Maschinensysteme nicht nur ihre Existenz, sondern vor allem auch ihre Art zu arbeiten und zu leben bedroht sahen. Sie zerschlugen die Maschinen, die auch technisch gesehen keine Fortentwicklung der handwerklichen Arbeit bedeuteten1, sondern einen völlig neuen Weg einschlugen. Neben der Produktionssteigerung ging es darum, die eigensinnigen Handwerker zu willigen Maschinenbedienern zu machen. Die intellektuell angeführte Arbeiterbewegung hat die Maschinenstürmer bis heute als reaktionär und kleinbürgerlich verurteilt.
Vor diesem Hintergrund erscheint es mir notwendig, sich mit der Bedeutung der Arbeit für die selbst bestimmte und selbst verantwortete Gestaltung des Lebens zu beschäftigen. Darum Handwerk als Lebenskunst – als Kunst, sein Leben zu führen.
Die Voraussetzungen für diese Lebenskunst bringen wir alle mit. Aber wir müssen sie entfalten und üben. Die Gemeinschaft, die Gesellschaft in der wir leben, muß uns dafür den Raum lassen und diesen Raum auch sichern. Und: Auf diesem Weg brauchen wir erfahrene Begleiter, Lehrer. Im Handwerk sind es die Meister, die uns die notwendigen Handgriffe zeigen. Genauso brauchen wir Anleitung dafür, wie man sich über ein Thema wie Handwerk Gedanken machen kann. Ich habe mich von einigen Vordenkerinnen und Vordenkern anleiten lassen.
Die Erzeugung des Menschen durch menschliche Arbeit (Karl Marx)
Wir erleben heute, wie der gleiche Prozeß, der ungeheure gesellschaftliche Reichtümer und Freiheiten hervorbringt, zugleich immer mehr Menschen von diesen ausschließt und gleichzeitig die natürlichen Grundlagen dieses Prozesses in nie gekanntem Ausmaß ausplündert. Von Marx kann man lernen, warum das so ist.
Menschliche Arbeit ist für ihn der Stoffwechselprozeß zwischen Mensch und Natur. Menschen setzen ihre Arbeitskraft ein, um Naturstoffe so zu bearbeiten, dass sie ihnen nützlich sind. Zur menschlichen Arbeitskraft gehören alle Wesenskräfte des Menschen, sowohl körperliches als auch geistiges Vermögen. Daraus ergibt sich, dass sich in der Arbeit das Wesen des Menschen verwirklicht. Arbeit in diesem Sinne ist ein welt- und selbstbildender Bildungprozeß.
Wer als Handweber tätig wird, muß sein körperliches und geistiges Vermögen aktivieren, indem er sich die tradierten Werkzeuge, Werkstoffe und Arbeitsverfahren aneignet und übt. Geschieht das unter Anleitung erfahrener Handweber, wird er damit gleichzeitig Mitglied in einem sozialen Zusammenhang. So verändert und bildet sich der Betreffende – und mit seiner Tätigkeit verändert er auch die Welt, in der er lebt.
Das Elend der Arbeitsgesellschaft und der Segen der Arbeit (Hannah Arendt)
Hannah Arendt bestreitet nicht die Naturnotwendigkeit des Stoffwechselprozesses des Menschen mit der Natur. Aber sie weist darauf hin, dass man die Tätigkeit des Bauern, eines Tischlers und eines Politikers nicht unterschiedlos als Teil dieses Stoffwechselprozesses (als ‚Arbeit‘) bezeichnen kann. Darum unterscheidet sie zwischen Arbeiten, Herstellen und Handeln.
Als arbeitende Menschen bewegen wir uns im nie abgeschlossenen Kreislauf der biologischen Lebensprozesse. Wir halten uns dadurch nicht nur am Leben, sondern kommen auch in den Genuß des Segens der Arbeit. Mühsal und Lohn folgen dem gleichen Rhythmus wie arbeiten und essen. Diese Arbeit findet statt in einer Welt, in der wir als Menschen erst unser ‚Zuhause’, unsere Wohnung einrichten müssen. Dies tun wir als Herstellende. Wir errichten uns ein Haus, das als dauerhaftes Ding ein Stück weit den natürlichen Lebens- und Zerfallsprozessen entzogen ist und dem arbeitenden Menschen überhaupt erst einen Raum für seine Tätigkeit schafft. Zu diesem Haus gehören die alltäglichsten Gebrauchswerkzeuge ebenso wie die eigentlichen Häuser oder Kunstwerke. Wenn die hergestellten Dinge jedoch zum Wegwerfartikel und zum Sperrmüll werden, verlieren wir unsere Wohnung. Wenn sie, wie zum Beispiel Maschinen und Roboter, zur Abschaffung lebendiger Arbeit führen, verlieren wir den Kontakt zu unserer eigenen Lebendigkeit.
Im Handeln schließlich kommt zum Ausdruck, was uns als Menschen von den anderen Dingen der Natur unterscheidet: dass wir die Verantwortung dafür übernehmen, dass und wie wir im Leben stehen.
Doch die tendenzielle Verwandlung von Handeln in Herstellen und von beidem in konsumierbare Güter, führt zur Weltlosigkeit des modernen Menschen, die ihn die doppelte Flucht, nach außen (Weltraum) und nach innen (Therapie), antreten lässt.
Die Befreiung des Menschen zu seinem möglichen Wesen ist für Hannah Arendt nur denkbar, wenn niemand von allen drei Grundelementen des tätigen Lebens ausgeschlossen bleibt oder sich selbst davon ausschließt.
Arbeit als moderne Subsistenz (Ivan Illich)
Ivan Illich weist auf die bemerkenswerte Karriere unserer modernen Auffassung von Arbeit hin, bei der manches auf der Strecke blieb, vor allem das, was die Ökonomen Unterhaltswirtschaft (Subsistenz) nennen. Dazu gehören das Haus, das zu bewirtschaftende Land, das Vieh, die Werkzeuge und alle in diesem Umkreis tätigen Menschen. Ihre Tätigkeiten dienen alle dem einen Zweck: das Haus zu erhalten. In dieser Kultur hatten alle drei Bereiche, das Arbeiten, das Herstellen und das Handeln, ihren Platz. In dieser Unterhaltswirtschaft wurden Frauen nicht wegen ihres Geschlechts diskriminiert. Denn ihr Geschlecht wurde dort nicht biologisch bestimmt, sondern durch ihren Werkzeuggebrauch, ihren besonderen Beitrag zum Unterhalt des Hauses.
Die Perspektive der modernen Subsistenz, die Ivan Illich dem entgegen setzt, besteht aus einer sozialen Infrastruktur, bei der Techniken und Werkzeuge hauptsächlich dazu dienten, Gebrauchswerte herzustellen, die allein den Maßstäben und Bedürfnissen ihrer Nutzer gerecht werden müssten. Eine zentrale Rolle spielen dabei Werkzeuge, die helfen, selbst tätig zu werden; die also nicht die eigene Tätigkeit ersetzen.
Sobald das Handweben nicht mehr Teil einer arbeitsteiligen Warenproduktion ist, sondern tätiger Beitrag zur Entwicklung eines Lebenszusammenhangs, entsteht ein Raum für die wohnungschaffende Herstellung dauerhafter Gebrauchsgüter. Dann wird die Wohnung zur Werkstatt, die Bewohner tun sich zum Werkbund zusammen.
Lebendige Zeit – enteignete Zeit (Oskar Negt)
Bei Oskar Negt steht die enteignete Zeit im Vordergrund. System und Lebenswelt der Menschen hätten sich entkoppelt. Das System ist das der abhängigen Lohnarbeit. Davon abgespalten existieren die Lebensfragen der Menschen – Ökologie, die Entwicklung sanfter Technologien, die sinnvolle Gestaltung der Lebenszusammenhänge – um die sich dieses System immer weniger kümmert. Für Negt besteht die Perspektive darin, dafür zu kämpfen, dass es zu einer Vervielfältigung und Erweiterung gesellschaftlich anerkannter Formen der Arbeit kommt, die der Eigenproduktion und der Selbstverwirklichung dienen. Dafür ist der Kampf um die Zeit zentral.
Viele Handweber betreiben ihr Handwerk heute genau in diesem Bereich: außerhalb der Lohnarbeit. Der Preis für die Bemühungen, ihr Tun doch in das System der Lohnarbeit zu integrieren, ist der Verlust einer selbstbestimmten Tätigkeit.
Handwerkliche Tätigkeit als Weg, sich selbst besser zu regieren (Richard Sennett)
Sennett macht auf ein uraltes Vorurteil der abendländischen Kultur aufmerksam. Es gibt eine Furcht vor den von Menschen gemachten Dingen. Sie können nützlich sein, aber sie können uns auch schaden. Die Antwort darauf ist bis heute: Technik muß von außen politisch kontrolliert werden. Aber sind Menschen ‚von außen’ dazu überhaupt in der Lage? Politiker lassen sich von technischen Experten beraten und sprechen anschließend gern von Sachzwängen. Sennett schlägt vor, das ‚Wie’ und das ‚Warum’ der Technik, des Handwerks, nicht zu trennen. Er behauptet, dem handwerklichen Tun im weitesten Sinne sei die Frage nach dem ‚Warum’ eingebaut.
Sennett fragt nach den wesentlichen Eigenschaften des Handwerkers. Handwerker tun eine Sache mit Hingabe um ihrer selbst willen. Handwerkliche Arbeit gedeiht nur durch Übung, ständiges Wiederholen. Die Maßstäbe stecken dann in der Sache selbst, werden nicht von außen gesetzt. Der Handwerker meidet schnelle Lösungen und versucht aus der Erfahrung mit Fehlern und dem Scheitern zu lernen. Fehler werden als Quelle der Anregung benutzt. Die Belohnung handwerklichen Könnens besteht in der Verankerung in der materiellen Wirklichkeit und dem Stolz auf die eigene Arbeit. In seinem Streben nach Qualität trägt der Handwerker zur Verbesserung des gemeinschaftlichen Lebens bei – ohne dass dies von dorther von ihm gefordert würde. Die Entwicklung im Handwerk wird durch den Zusammenhang von Problemlösen und Finden neuer Probleme vorangetrieben. Für diese Art von Handwerk sind Wettbewerb und sozialer Zwang schlechte Voraussetzungen. Sie verhindern gute Arbeit und entmutigen die Arbeitenden.
Wie beginnen? Der Werkbundgedanke
Einen möglichen Beginn sehe ich im Gedanken und der Praxis des Werkbunds. Der Bund ist die bewusst erstrebte Verbundenheit im Blick auf eine Sache, der man sich gemeinsam widmet. Was den Bund zusammenhält, sind die Gegen-Stände. Der Bund ist der Ort, wo der Ausstrahlung des Einzelnen, seiner Verantwortung und seinem Handeln als einem Neubeginn der im Vergleich zu Gesellschaft und Gemeinschaft größte Spielraum gewährt wird.
Es geht im Werkbund also um die Möglichkeit unseres Wirkens, unseres uns Verbindenkönnens mit der Welt und den Menschen. Auf diesem Wege bilden sich Menschen, erfahren sie ihre Möglichkeit.
Im Werkbund verbünden sich Personen um einer Sache willen, um Entwurf und Gestaltung eines tätigen Lebens in eigener Verantwortung: Handwerk als Lebenskunst. Daß diese Sache im Gespräch bleibt, ist seine vornehmste Aufgabe.
Foto: on flickr by hmerinomx, Lizenz: CC, BY
Interessante Philosophie schön zum mitlesen, soeben direkt geteilt.