Faladji sind lebensspendend. Das Wort kommt aus dem Persischen und bezeichnet ein antikes Bewässerungssystem. Im Oman wurde es vor circa 2500 Jahren eingeführt. Archäologische Funde weisen allerdings auch Bewässerungssysteme nach, die bis zu 4500 Jahre alt sind.
Für die Wassernutzung in Haushalten und Landwirtschaft sind die faladji oder quanats, die es auch in den arabischen Nachbarländern des Oman, im Iran und selbst in einigen europäischen Ländern gibt, unverzichtbar. Wie die acequias in Mexiko oder die johads in Indien folgen die Systeme einem einfachen Prinzip: An den Berghängen wird das Grundwasser angegraben und dann in Kanälen – die Topographie geschickt nutzend – zu den Siedlungen geleitet.
Anfänglich verläuft der normalerweise mit den einfachsten Mitteln geschaffene Kanal meist unterirdisch durch felsigen Boden, anschließend über mehrere Kilometer offen bis zu dem Feldern. Dort wird das Wasser nach festgelegten Regeln so verteilt, dass sich niemand benachteiligt fühlt.Heute machen Meerwasserentsalzungsanlagen und Pumpen (sinkende Grundwasserspiegel), aber auch die zunehmende Arbeitsmigration, dh. die Lösung von Bindungen an die Herkunftsgemeinschaften und deren Regeln den faladji Konkurrenz. Doch nach wie vor gilt: auf das Bergwasser kann nicht verzichtet werden, weshalb der omanische Staat in Erhalt, Pflege und Erweiterung der Systeme kräftig investiert.
Seit 2006 ist das Aflaj-faladj System (aflaj ist die hier beschriebene faladji-Variante, bei der die Kanäle praktisch nie austrocknen) in den Regionen Dakhiliya, Sharqiya und Batinah UNESCO-Weltkulturerbe. Sie stellten
„eine außergewöhnlich gut erhaltene Form der Landnutzung dar“,
heißt es in der Begründung. In den genannten Regionen sind noch 3,000 Kanalsysteme in Benutzung. Im ganzen Land sollen es nach Auskunft des Wasserministeriums 11.000 sein. Die Nutzer wissen, dass sie vom jeweils anderen abhängig sind, sie folgen in ihren Managementregeln nicht nur (aber auch) den Sternen, sondern klaren gemeinschaftlich bestimmten Regeln. Und sie setzen nachfragebasierte Instrumente ein, um das System am Leben zu erhalten. Eine interessante und offenbar tragfähige Mischung.
Im Nizwa.net habe ich mehr erfahren. Nizwa ist die alte Hauptstadt des Oman und enstand um solch ein faladji herum. Es gibt sie überall dort wo:
- keine ganzjährig wasserführenden Flüsse sind
- potentiell regenreiche Gebiete (z.B. Bergketten) nahe sind
- arides Klima herrscht, so dass die Oberflächenverdunstung offener Wasserspeicher zu groß wäre
- der Grundwasserspiegel im bewirtschaftbaren Land zu tief liegt, um einfach nur Brunnen zu bohren
Der ‚Mutterbrunnen‘ eines faladji kann 20 bis 60 m tief sein, von dort zweigt der Hauptkanal ab, von dem alle 50 bis 60 m ein Seitenkanal abzweigt. Die Fließgeschwindigkeit ist so, dass konstante Bewässerung großer Flächen möglich ist.
Das Verfahren zur Verteilung des Wassers wird als „kompliziert aber fair“ beschrieben. Es muss sicher gestellt werden, dass alle Anspruchsberechtigten ihre Felder bewässern können. Anspruchsberechtigt wird man durch Beiträge (Besitzanteile), die vererbt werden können. Anspruchsberechtigungen können aber auch durch Versteigerungen, die alle sechs Monate stattfinden, erworben werden. Hier kommt die Nachfrage ins Spiel, die die Höhe der Einnahmen bestimmt. Diese Einnahmen (sowie jene aus dem Verkauf von Obstbäumen entlang der Kanalsysteme) kommen der Pflege der Kanäle zu Gute.
Der Kümmerer nennt sich „maintainer„. Bei größeren Einheiten werden Komitees gewählt. Meist gehören ihnen die Älteren, mit den Kanälen am besten vertrauten Menschen an. Der wakil ist der Kopf des Ganzen, er kümmert sich um die Besitzrechte, die Festlegung des Verteilungsschlüssels, um wichtige Entscheidungen zu Pflege und Reparatur sowie um die Verwendung des faladji-Vermögens. Die meisten Entscheidungen trifft er selbst, bei großen Veränderungen wird eine Versammlung einberufen. Daneben gibt es mitunter einen Schatzmeister, der auch die Auktionen organisiert sowie den Bauleiter oder Schachtmeister, der sich um den physischen Erhalt des Ganzen kümmert und auch dafür zuständig ist, dass die Verteilung des Wassers klappt. Er legt also die Zeiten des dawran-Zyklus (siehe unten) fest. Und dann sind da noch die mit den Pflegearbeiten betrauten Arbeiter. Sie legen Dämme an, säubern die Kanäle und so weiter. Sie sind nicht vom falaj angestellt, sondern werden von den Landbesitzern je nach geleisteter Arbeit entlohnt. Diese Arbeit ist nicht sonderlich beliebt, wie ich einer Radiosendung entnehmen konnte, die mich auf das Thema brachte.
In der Regel wird zu einem gegebenen Zeitpunkt nur je ein Grundstück (z.B. Garten) bewässert. Die Ausdehnung der Kanalsysteme ist dabei sehr unterschiedlich. Sie versorgen mitunter Tausende von Menschen und Hunderte von Gärten. Die zur Verfügung stehende Wassermenge ändert sich je nach Grundwasserstand, Porosität der Böden und Jahreszeit (das erinnert mich an den Spruch eines „mayordomo“ – eines Verantwortlichen für die acequias in Mexiko: „ich bin nur der mayordomo, nicht der liebe Gott“), wobei die Beschaffenheit der faladjis den hydrologischen und topographischen Bedingungen in sensibler Weise angepasst ist.
Der „Mutterbrunnen“, der an einer grund- und regenwasserreichen Stelle gegraben wird, führt meist Wasser hervorragender Qualität und wird stromabwärts gegraben. Alle 20 m gibt es Zugangsschächte, die das ganze System durchlüften und Festkörper wegschwemmen. Am äußeren Schachtmund ist ein Ring aus gebranntem Kalk angebracht. Der soll verhindern, dass Wasser von außen in das Kanalsystem fließen kann (Flutungsschutz). Die Ringe sind zum Schutz von Mensch und Tier meist abgedeckt, aber groß genug, dass ein Mensch hineinkommen kann, etwa um den Kanal zu reinigen.
Nutzungsrechte:
– Am offenen Ende der falajs darf von allen kostenlos Trinkwasser für Mensch und Tier entnommen werden (das erste und wichtigste Nutzungsrecht)
– Darüber hinaus gibt es insbesondere bei größeren faladji an geeigneten Plätzen Badestellen – für Männer, Frauen und Kinder. Auch deren Nutzung ist frei für alle.
– Die Kanäle durchqueren Moscheen und rituelle Anlagen. Dort wird das Wasser für rituelle Waschungen der Toten genutzt.
– Erst danach steht das Wasser für die Bewässerung der privaten Grundstücke zur Verfügung. Es wird Grundstück nach Grundstück bewässert. Das System ist vermutlich auch deshalb so erfolgreich, weil es verlässlich ist. Die Inhaber der Wasserrechte können sich darauf verlassen, dass sie das Wasser zu einer bestimmten Zeit an einem bestimmten Ort zur Verfügung haben.
Die Zuteilung basiert auf dem „dawran“ (ich habe keine weiteren Infos zu diesem Begriff finden können, kann jemand helfen?). Dawran wird offenbar der Zyklus genannt, durch den die Bewässerungszeiten für die Grundstücke festgelegt werden. Jedem Stück Land entspricht ein Bewässerungszeitraum. Das reicht von 7 einhalb Minuten bis zu 24 Stunden, je nach Region und Systembeschaffenheit. Früher wurden die Bewässerungszeiten u.a. durch Prüfung der zunehmenden Schattenlänge eines Mannes eingehalten, heute nutzt der maintainer vermutlich eine Uhr. Manchmal wird auch nach Volumen statt nach Zeit verteilt. Ein Teil dieser Wasserrechte, der mulk, ist – je nach eingebrachten Mitteln und Leistung – im permanenten Besitz der Gründer des faladji und wird von diesen weitervererbt. Ein anderer Teil kann von jenen, die keine Besitzanteile halten oder von Farmen, die mehr Wasser brauchen als ihnen im dawran-Zyklus zukommt, erworben werden.
Hier wird auch deutlich was es heißt, dass ein „commons“ keine Ressource ist (also nicht das Wasser), sondern nur in Bindung an eine menschliche Gemeinschaft denkbar ist. Die Regeln werden seit Jahrhunderten von allen akzeptiert und sie können von den Nutzern an sich ändernde Bedingungen angepasst werden. (siehe auch 8 Gelingensbedingungen erfolgreichen Gemeingutmanagements) Das hat die faladjis oder quanats so erfolgreich gemacht.
„This system of water distribution is accepted by all and maintained the same until nowadays. This helped the aflaj survival by its close ties to the community, and its management by those most familiar with it and most affected by its state of health.“, schreibt Nizwa.net. (Herv. S.H.)
Die, weitgehend selbstbestimmt verwalteten faladji sind mit Existenz und Lebensqualität in den oft von Dürre bedrohten communities untrennbar verbunden, daher geben auch Anteilseigner nicht selten etwas an das faladji zurück:
„The system is an integral part of village life. … Since the community depends on the falaj in all aspects of its social life, it acknowledges its dependence upon the falaj and it is common for a land owner to bequeath date palms and water rights back to the falaj institution to augment its income and ensure its continued survival. Local people have their own structure of decision-making in farming that are actively planning and executing their own responses..“
Der Umgang mit drohender Dürre, etwa durch Verzicht auf Bodenbearbeitung, so dass weniger Wasser aufgenommen wird, durch Nutzung von einem statt der vorhandenen zwei Kanäle, durch zusätzliche Arbeitsleistung, um die Effizienz der Wassernutzung zu erhöhen ist abstimmungs- und arbeitsintensiv, aber wirksam. Das ist ein Grund dafür, warum die Regierung Omans die Erhaltung der Systeme unterstützt (siehe nochmal die Gelingensbedingungen) und für deren Ausbau sorgt.
Faladji, so die Experten, werden die Hauptbewässerungsquelle im nördlichen Oman bleiben. Die Alternative: moderne Tankwagen und Plastikflaschenwasser. Keine gute Idee.