Anmerkungen zur Wachstumsdebatte: Jenseits des Green New Deal

Kann der Wachstumspfad nachhaltig sein, oder kann er nicht? Die Frage spaltet die Protagonisten der Wachstumsdebatte. Zumindest ist schwer nachvollziehbar, wie die anvisierte Steigerung des Bruttoinlandsprodukts, laut Lissabon-Vertrag drei Prozent im Jahr, mit der notwendigen CO2 Emissionssenkung, 90% bis 2050, zusammen gebracht werden soll.

Wachstums- und Emissionskurve verhalten sich anders zueinander als Armuts- und Reichtumskurve. Sie laufen einfach nicht voneinander weg. Selbst bei effizienterem Ressourceneinsatz wird eine ansteigende Wachstumskurve den Fall der Emissionskurve erheblich bremsen. Hier verläuft die Grenze des Green New Deal.

Denn …mehr Effizienz, egal ob in der Nutzung energetischer oder mineralischer Ressourcen, führt immer zu einer Erhöhung der Nachfrage und zu mehr Einsatzmöglichkeiten dieser Ressourcen (etwa benzindurstige Sitzheizungen und Fensterheber). Das Ergebnis ist erhöhter Verbrauch. Bekannt ist dieses Phänomen als Jevons‘ Paradoxon. Wenn dann noch das durch Effizienzgewinne eingesparte Geld in zusätzliche Flüge oder Finanzmarktspekulationen investiert wird, ist nichts gewonnen.

Effizienzsteigerung sei daher „so revolutionär, als hätte man 1789 in Frankreich gefordert, der Adel solle das Volk effizienter ausbeuten“, schrieb Marcel Hänggi jüngst in der Besprechung eines Buches, das die „Energieeffizienzrevolution“ feiert.

Wachstums- und Emissionskurve können sich auch wegen der tendenziell sinkenden Wachstumsrate nicht einfach voneinander lösen. Je größer das Wachstum, umso geringer die Wachstumsrate, denn aus gleichem absolutem Zuwachs ergibt sich notwendigerweise eine immer geringere Zuwachsrate, da das Gesamtvolumen dessen steigt, was für unseren Konsum aus der Erde und den Sozialzusammenhängen herausgefräst wird.

Letzeres verweist auf zwei (wenngleich nicht die einzigen) Quellen des Wachstums, denn das „mehr und immer mehr“ muss ja irgendwo her kommen.

  1. wirtschaftliches Wachstum beruhte bislang immer auf einer zusätzlichen oder im Wortsinn tiefgehenderen Ausbeutung von Allmendressourcen (Neuerschließung von Bodenschätzen in den durch Klimawandel eisfrei werdenden Gebieten, Tiefseebohrungen, Schleppnetzfischerei, Inwertsetzung der Welt auf Nanoebene uvm.). Derzeit wird die letzte beackerbare Erde mit Exportmonokulturen bestückt, etwa um den Agrospritdurst zu stillen oder Lebensmittelimporte in die Heimatländer von Agrarinvestoren abzusichern (Stichort Land-Grabbing). Es gibt einen neuen Run auf das ursprünglichste aller Gemeingüter: Grund und Boden.
  2. immer mehr Lebensbereiche werden in den Verwertungsprozess einbezogen, immer mehr Dinge künstlich verknappt. Wissen und Ideen etwa: Hier geht es nicht um den größten Nutzen für die Allgemeinheit, sondern um betriebs- und volkswirtschaftliche Rechnungen, die auf überholten Glaubenssätzen basieren. Zu diesen überholten Glaubenssätzen gehört die Idee der Knappheit selbst. Genau genommen ist nicht einmal Boden knapp (sondern nur endlich beziehungsweise rival in der Nutzung). Bei richtiger Bewirtschaftung kann auch Boden sich mehren und nährstoffreicher werden. Knapp werden Dinge durch unsachgemäßen Umgang gemacht.

Weil Wachstum- und Emissionskurve aneinanderkleben und Effizienzgewinne nicht automatisch zu einer „ressourcenleichten Wirtschaft“ führen, resümiert Wolfgang Sachs vom Wuppertal Institut prägnant: „Jemand, der heute auf Wachstum setzt, seift die Wahrnehmung des Publikums ein“.

Was also tun?

Nach der kalten Dusche können wir einen seifenfreien Blick riskieren und erfrischendere Nachrichten zur Kenntnis nehmen:

Das (Wachstum des) BIP sagt wenig aus über Wohlbefinden und Lebenszufriedenheit. Das heißt: Gesellschaftlicher Wohlstand und Zufriedenheit des Einzelnen verhalten sich nicht proportional zur produzierten Gütermenge. Tatsächlich ist spätestens seit 1970 zwischen Einkommensentwicklung, BIP und Lebenszufriedenheit kein positiver Kausalzusammenhang mehr feststellbar.1

1970. Das ist vierzig Jahre her. In solchen Zeiträumen entstehen und vergehen ganze Länder. Genug Zeit also, um das Phänomen zu beobachten. Wir könnten nun die Energien auf etwas anderes konzentrieren: Auf unseren gesellschaftlichen Wohlstand statt auf das Wachstum von Güter- und Dienstleistungsmengen, die wir nicht immer zwingend zum Leben brauchen.

Die Voraussetzungen dafür sind nicht schlecht. Dazu noch ein hilfreicher Befund: Die Menschen streben nicht unbedingt nach mehr Geld, Gütern und Dienstleistungen, jedenfalls nicht ab einem gewissen Einkommensniveau, nennen wir sie ‚Grundsicherung +‚, und noch viel weniger ab einem gewissen Lebensalter. Im Jahr 2007 erklärten in Deutschland nur 27 % der Befragten, sie strebten nach mehr materiellem Besitz. Nur bei den unter 30 jährigen waren es mehr als 50%.2

Hier bestätigt sich, was Gemeingüterforschung in unzähligen Fallstudien empirisch belegt: Wir sind mehr als ein homo oeconomicus, ein individueller Nutzenmaximierer.

Damit wir uns nicht missverstehen: Effizienzsteigerung, so wie sie im Zentrum des Green New Deal steht, muss und soll es geben: Sie verschafft uns Zeit, aus bestehenden Keimformen ein neues Paradigma für ein ressourcenleichtes Leben zu entwickeln. Aber Effizienz wird nicht reichen. Nicht einmal als Zwilling der Konsistenz. Sie wird, um mit Nico Paech zu sprechen, die

unhintergehbare Realität, dass eine Ausdehnung des Wohlstandsarsenals3 nicht ohne Beanspruchung physischen und ökologischen Raums gelingt, der schon vollständig okkupiert ist“ nicht durch die „Erschließung ungeahnter Ausweichmöglichkeiten austricksen“ können.

In Abhängigkeit davon, wie Effizienzsteigerung erreicht werden soll, kann sie sogar zu dramatischen sozialen Konflikten führen. So ist Öl nicht einfach durch Biomasse ersetzbar, denn Erneuerbare Energien gibt es nicht zum Nulltarif. Sie haben absolute Grenzen, die – ökologisch gesehen – in der Verfügbarkeit von Grundflächen oder in der Vielfalt und Resilienz unserer Ökosysteme liegen. Sozial gesehen liegen sie in der Frage der Zugangsrechte der Je-Anderen zu den Ressourcen. Wer etwa Futtermittel importiert, um die eigene Fleischindustrie zu subventionieren, beschneidet die Verfügung jener Menschen an Wasser, Land und Biodiversität, die auf diesen Ressourcen sitzen, an sie gebunden und auf sie angewiesen sind.

Zur notwendigen absoluten Entkopplung von Produktion und Ressourcenverbrauch können wir nur kommen, wenn wir den Wachstumspfad und die damit verbundenen Fixierungen (Knappheit, Markt, Güterproduktion) verlassen. Wohlstand hat auch andere als materielle Quellen und Wohlstand ist in anderer Weise als der einer immerwährenden Steigerung der Güter- und Dienstleistungsmenge reproduzierbar.

Das zu denken ist befreiend. Wir können uns allmählich von der Idee abwenden, immer „von den Produkten her zu denken“, die am Markt platziert werden müssen. Die wichtige Frage lautet stattdessen: Was brauchen wir zum Leben?

In der Produkt- und Wachstumsfixierung setzt sich der Wachstumszwang linear nach unten in alle wirtschaftlichen Gliederungen fort. Daraus gibt es dann – bei Strafe des Untergangs, d.h. des Verschwindens vom Markts – tatsächlich kein Entkommen. Das  erscheint weniger bedrohlich, wenn es noch andere Lebenssicherungssysteme gibt. Bisher war das in einigen Ländern Mitteleuropas der Sozialstaat,doch allmählich wird klar, dass auch er an Schwindsucht leidet, denn der Füllmechanismus der Sozialstaatskassen klebt am Wachstumszwang wie der Pferdefuß am Belzebub.

Was bleibt sind die Commons.

Es wird uns nichts bleiben als zu zeigen, dass eine Drittelung des westeuropäischen Pro-Kopf-Verbrauchs (2000-Watt-Gesellschaft) nur dann ohne Einbussen des Wohlbefindens erreicht werden kann, wenn wir Lebensstile in den Blick nehmen und uns einer einfachen Tatsache bewusst werden: Es ist nach wie vor genug für alle da. Wir können aus der Fülle der Allmende schöpfen.

Die Ideen und Innovationen der Vielen, das Wissen der Menge, die Behutsamkeit der Sensiblen, die Genügsamkeit der Weisen, der Lebenswille aller und das tief verankerte Wissen darum, dass die Lebensqualität der Anderen unsere eigenen Lebensqualität in entscheidender Weise prägt … all dies eröffnet Wege aus der Krise. Die Allmende ist ein Füllhorn und wird es bleiben, wenn wir die Klugheit besitzen, es wieder und wieder aufzufüllen. Auf schlaue Regeln kommt es an.
Selbstredend gibt es große Stellschrauben, an denen mit Macht gedreht werden muss. Drei davon möchte ich nennen:

  1. Begriffe brauchen einen neuen Schliff, so dass sie vom Wachstumsmythos befreit an Klarheit gewinnen. Wohlstand etwa ist kein Synonym für Wirtschaftsleistung und nicht zu verkürzen auf materiellen Wohlstand. Ab ca 15.-20 Tausend Euro im Jahr bringt ein „mehr“ im Schnitt keine gefühlten Gewinne an Lebensqualität.
  2. Die Glaubenssätze und Grundlegungen der Wirtschaftsordnung sind zu hinterfragen, etwa das Primat des Shareholder Value, wie es in den Unternehmensverfassungen festgeschrieben ist. Oder die Idee: „Der Gewinner ist, wer am besten konkurriert.“ Zum homo oeconomicus gesellt sich der homo reciprocans. Und der homo donans.
  3. Andere Wohlstandsquellen sind in den Blick zu rücken, die Dinge also, die auch ohne den Umweg über den Markt Lebensqualität schaffen. Die Gemeingüter. Die Dinge, die einen Großteil unserer Bedürfnisse befriedigen, wenn wir sie sinnvoll (nachhaltig) nutzen, weiterentwickeln und mit anderen teilen. Sie ermöglichen Wohlstand, auch wenn weniger Geld zur Verfügung steht. Wer Gemeingüter fördert (und hier liegt eine Zukunftsaufgabe des Staates), mindert den Wachstumszwang.
    Doch das Drama der Gemeingüter im Deutschen Sprachraum ist, dass wir keinen Begriff für sie haben.“, um noch einmal Wolfgang Sachs zu zitieren.

Das müssen wir ändern. Jetzt!

1Heute wird pro Kopf der Bevölkerung annähernd doppelt so viel erwirtschaftet wie vor 40 Jahren, und die verfügbaren Einkommen sind 75 % höher. Doch der Anteil Zufriedener und sehr Zufriedener liegt bei nach wie vor 60%. Noelle-Neumann/Köcher: Jahrbuch S.35, nach Meinhard Miegel. Exit, S.30
2Miegel, Meinhard /Petersen, Thomas: Der programmierte Stillstand, 2008, S.50
3hier als Zuwachs materiellen Wohlstands (von Gütern und Dienstleistungen) verstanden.

12 Gedanken zu „Anmerkungen zur Wachstumsdebatte: Jenseits des Green New Deal

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  4. Wenn das (Wachstum des) BIP wenig über Wohlbefinden und Lebenszufriedenheit aussagt, so liegt das allerdings nicht nur daran, dass „Gesellschaftlicher Wohlstand und Zufriedenheit des Einzelnen sich nicht proportional zur produzierten Gütermenge“ verhalten. Denn das BIP sagt über die Gütermenge nichts aus sondern nur etwas über deren Wert, der letztlich auf die dafür notwendig aufzuwendende Arbeitszeit zurückgeht. Wird diese aufgrund von Produktivitätsfortschritten geringer, so werden mit dem gleichen BIP immer mehr Güter und Dienstleistungen produziert.

    Wir hatten im letzten Jahr den Fall, dass der Naturkosthandel das erste mal einen Umsatzrückgang zu verbuchen hatte, obwohl sie mehr Waren also je zuvor umgesetzt hatten, weil die Preise für Bio gesunken waren. Das macht das vielleicht deutlich.

    Was die Energieeffizienz oder allgemein Ressourcenefficient angeht, so würde ich sagen, dass deren Steigerung eine notwendige aber keine hinreichende Bedingung für eine sozial bzw. ökologisch nachhaltige Entwicklung von Wohlstand ist, die sich (neben sozialen Faktoren wie Entwicklungsgerechtigkeit) an absoluten Zahlen über Schäden bzw. Risiken orientieren muss, die die materielle Produktion der Güter und Dienste implizieren. Es mag auch sinnvoll sein, sich das Schadpotenzial pro investierte menschliche Arbeitszeit zu vergegenwärtigen. Aber vordringlich für eine rationale Entscheidung über Produktionsmengen und Produklkten (und letztlich auch über ökologisch und sozial poptimale Produktionsstandorte) erscheint mir als Berechnungsgrundlage nicht der ökonomische Wert sondern deren Gebrauchswert.

    In Bezug auf den green new Deal würde ich sagen: Ja, aber…

    Gruß hh

    • Entschuldingt bitte die vielen Vertipper. Bin es von Utopia.de gewohnt, nachbessern zu können und war etwas voreilig mit dem abschicken. Die Formulierung zum Naturkosthandel ist noch etwas missverständlich, also: Die Preise fielen, deshalb in Cent und Euro gemessener Umsatzrückgang trotz physkalischer Umsatzplus.

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  6. @ Hirschel: also der Tippfehler „poptimal“ ist schonmal klasse.
    ansonsten:
    „Was die Energieeffizienz oder allgemein Ressourcenefficient angeht, so würde ich sagen, dass deren Steigerung eine notwendige aber keine hinreichende Bedingung für eine sozial bzw. ökologisch nachhaltige Entwicklung von Wohlstand ist“

    Ja, das sehe ich auch so. Ähnliches gilt für den Green New Deal, der deshalb im Beitrag mit seinen „Grenzen“ beschrieben ist. D.h. die Grundaussage ist: Man muss den Green New Deal nicht bekämpfen, man muss ihn ergänzen.

    • Ja, das habe ich auch schon mit Freude zur Kenntnis genommen. Hoffentlich strahlt Ihre Haltung noch ein wenig auf „die Linke“ aus, die da – bisher – doch sehr undialektisch herangeht.

      Gruß hh

  7. Sehr verehrte Frau Helfrich,

    von Ihrem Engagement für „unser aller“ Allmende habe auch ich profitiert. Ihrem Internet-Blog über die Verleihung des Wirtschafts-Nobelpreises an Elinor Ostrom 2009 verdanke ich, dass unserere Gemeingüter für mich erstmals sichtbar wurden. Vielen Dank. Ich möchte dazu etwas zurückgeben, woran ich seit geraumer Zeit arbeite.

    Es könnte Sie interessieren, dass es eine Innovation gibt, welche u. a. das Potenzial hat,
    · den Gemeingütersektor in Bewegung zu bringen und
    · die Gemeingüterökonomie in soziales Kapital zu wandeln;
    · die Spielregeln des Kapitalismus „von unten“ und auf breiter Ebene zu ändern;
    · gesellschaftliche und soziale Probleme zu den Gemeingütern, wie beispiel- und vorbildhaft von Elinor Ostrom, Peter Barnes, Ihnen und anderen aufgezeigt, auf unternehmerische Weise zu lösen, und zwar gemeinsam vor Ort, wirtschaftlich selbsttragend, von „normalen“ Menschen – auf gleicher Augenhöhe mit Markt und Staat.

    Ein virtuelles sozialunternehmerisches Instrument, es heißt DU und meint ein neues institutionelles Entrepreneurial Design für eine „lokale“ Wirtschaft, macht es möglich, dass Anbieter/in und Nachfrager/in, also Produzent/in und Konsument/in, Erzeuger/in und Verbraucher/in „auf gleicher Augenhöhe“ in wirtschaftliche Übereinstimmung kommen können. Es sorgt dafür, dass es möglich wird, volkswirtschaftliche Bausteine in Dörfer, lokale Gemeinschaften bzw. Gruppen so zu integrieren, dass die Dorfwirtschaft (1) als „Allmende-Binnenwirtschaft“ jenseits von Staat, Markt und Kapitalismus 2.0 (Peter Barnes) funktionieren kann – und (2) im Aussenverhältnis als Wirtschaftseinheit z.B. „Sozialunternehmen“ (nach dem Vorbild von Grameen).

    Mit einer „lokalen DU-Wirtschaft“ öffnet sich für jede Gemeinschaft die Türe zu einem binnenwirtschaftlichen Gemeinschaftsraum, in dem die Mitglieder frei sind. In dem sie ihr unternehmerisches und soziales Leben selbstbestimmt in die eigenen Hände nehmen können. Und in dem eine Gemeinschaft ihre lokale Wirtschaft natürlich und nachhaltig gestalten, sanieren – auch entschulden – kann. Jede/r kann, nach einfachen Regeln, daran teilhaben und wird für sein Engagement belohnt. Das innovative Instrument DU ist so flexibel und so vielfältig, wie die Menschen und Gemeingüter selbst.

    Übergeordnete Commonsziele sind: Wiederaufbau von Gemeinschaften, Labor für Gründer (Entrepreneurs), Verfassung der Allmende (Elinor Ostrom, Verlag Mohr Siebeck, 1999), Kapitalismus 3.0 (Peter Barnes, VSA-Verlag, 2008, Teil 2, S. 93f.)

    Obligatorische Commonsziele: lokale Ernährungssouveränität, lokaler gemeinschaftseigener Binnenmarkt, freies lokales Kommunikationsnetz, Währungsumlauf-Souveränität, Bildungssystem, das zum Erhalt einer gesunden Bevölkerung und zu einer generativen Bevölkerungsstruktur führt … – und natürlich die Stärkung bzw. Wiederaneignung unserer Gemeinschaftsgüter.

    Vorbilder zeigen: Es geht!

    Zu meiner Person: 64 J., Ökologe, ehem. freiberufl. Steuer- und Wirtschaftsberater, lebe in den bayerischen Alpen, in einem Gebiet, in dem seit Jahrhunderten die gemeinschaftliche Nutzung der Allmende in der Form der Almwirtschaft gelebt wird und bis heute funktioniert. Das DU ist im ersten Entwicklungsschritt ein Landweg. Will sagen, dass es weltweit und auch in Städten gelingen kann. Ein experimentelles Modell könnte ein bayerisches Bergdorf sein. Das Tal quillt förmlich über vor Allmenderessourcen – unsichtbar für die meisten. Dennoch hat ein Verwandlungsprozess gerade begonnen – mit dem Ziel von mehr Miteinander und wirtschaftlicher Unabhängigkeit.

    „Einkommensverteilung ist ein sensibles Thema – mein Studium der Steuer-Statistik ergab,
    dass 1 Prozent der Bevölkerung mehr besitzt, als die restlichen 99% zusammengenommen.
    Soll das die rechte Grundlage für die Gesellschaft der Zukunft sein?“
    Scott Nearing, 1883-1983, Professor an der Wharton School of Economics

  8. Guten Tag, Herr Beyerlein! Es steht außer Frage, dass insbesondere im Alpenbereich DU als heile Welt oft funktioniert. Autarkie und Sozialkapital funktionieren in Kleinstrukturen. Gerade war ich in Lienz, wo gefragt wurde, warum das benachbarte Südtiroler Pustertal so viel erfolgreicher als das Osttiroler Pustertal ist. Wir planen eine Vergleichsstudie.
    Erfolgreiche Beispiele sind irgendwie gewachsen. Mißerfolge auch. Schwierig wird es, wenn es ein Programm wird. Mich würde interessieren, wie Sie die niedrige Geburtenrate in Osttirol erklären, wo es die ganzen intakten Lokalstrukturen gibt. Trotzdem gehen die Jungen weg. Auch intakte Strukturen sterben aus. Deshalb sind neue Ideen gefragt.

    • Danke für Ihre Anfrage. Sie stellen hier eine elementar wichtige Frage, mit der ich mich bereits auseinandergesetzt habe.
      Sowohl das Südtiroler Tal der Rienz als auch das Osttiroler Tal der oberen Drau und seine Menschen sind mir ein wenig bekannt. Die geschilderten Probleme der niedrigen Geburtenrate/hohe Sterbezahl, der fehlenden jungen Familien und den damit verbundenen Verlust von Lebensstrukturen, -qualität und -perspektiven kenne ich dagegen „hautnah“. Diese sind nahezu identisch mit vielen bayerischen Dörfern und Gemeinden.
      Für ein generatives Wachstum der einheimischen Bevölkerung fehlen inzwischen bereits ein bis zwei Generationen. Die Folgen für Dorf und Land sind gravierend, wie wir hier spüren: es blutet aus und verliert systematisch seine Lebendigkeit und seine besten Talente. Im Gegenzug „erhält“ das attraktive Dorf aus den Städten die Alten und Kranken (mit Geldanhäufung). Doch irgendwann sind auch die Zurückgebliebenen so perspektivlos, dass sie ihren Kindern in die Städte folgen. Das Verhältnis von Stadt- zur Landbevölkerung verkehrte sich bei uns in Deutschland so in wenigen Jahrzehnten von früher 10 : 90 auf heute 88 zu 12 Prozent. Laut einer Schätzung der Vereinten Nationen werden in 15 Jahren statt 3,5 bereits 4,5 Milliarden Menschen in Städten leben.
      Ihre sehr berechtigte Frage formuliere ich so:
      Warum gehen dem Land die Kinder und besten Talente
      an die Städte verloren?
      Die Antwort trifft mich als Großvater auch ganz persönlich:
      „Je mehr Bildung ein Kind erhält, gleich wo es lebt,
      desto mehr ist es gezwungen, sein erworbenes Wissen dort anzuwenden,
      wofür es bestimmt ist: nämlich in den Städten der Welt.“
      Zwar nicht die einzige, aber eine der bedeutsamsten Ursachen der dramatischen Verstädterung und der Entwicklung der Dörfer in die Unterentwicklung – ist die radikale Einseitigkeit in den Schulbüchern.
      Was also tun?
      Ich hätte dazu drei Vorschläge: (1) eine erfolgreiche kolumbianische Bildungsinnovation für Hochschulen; (2) ein ebenso erfolgreiches Erwachsenenbildungsprogramm für Social Entrepreneurship oder (3) ein virtuelles Umsetzungsinstrument (DU) für eine Dorf-Gemeingüter-Wirtschaft mit Dorfmarkt und „Dorfbank“ sowie Labor für Gründer im Gemeineigentum.

      Interessiert?

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