Gleich zu Anfang bedient Miriam Meckel in Faznet das Klischee.
„Auch im Internet gibt es den freien Raum, den alle abgrasen: die ‚virtuelle Allmende‘. Wenn die Entwicklung der Datenfluten dort weitergeht wie bisher, wird das Netz die eigene Tragik erfahren.“
Meckel macht es dem Leser nicht leicht. Sie steigt mit einem doppelten Fallstrick ein, denn erstens ist die Allmende kein „Niemandsland“, das „alle abgrasen“. Und zweitens können Datenfluten gar nicht übernutzt (abgegrast) werden, sondern höchstens ungenutzt in Vergessenheit geraten. Und daran geht niemand zu Grunde. „Zum Glück wächst im Netz kein Gras“, …kommentiert deshalb die Faz ihre Bildunterschrift zum Aufhänger der Medienprofessorin.
Dann der erste Satz des Artikels, der entscheidende:
„Im Internet gibt es keine Grenzen.“
Eben! Das unterscheidet das Netz von natürlichen Ressourcensystemen. Doch es gibt Grenzen der Nutzung des Netzes, an der Schnittstelle zu natürlichen Ressourcensystemen, etwa Grenzen der Rohstoffnutzung, die für die Hardware verbraucht werden, oder der energetischen Ressourcen, die für jede Suche im Netz drauf gehen. Darüber ließe sich trefflich debattieren – doch das tut die Autorin nicht.
Meckel ist scharfe Geschütze gewohnt. „Die Freiheit der Allmende bedroht alle“, meint sie, denn die „Datenmengen bedrohen unsere Denkwelten.“ Welchen genauen Einfluß die Datenmengen auf unsere Denkwelten haben (dass sie ihn haben, halte ich für unbestreitbar), sei dahin gestellt. Aber das von Meckel bemühte Bild, ist eben dies: bemüht. Wir Leser mögen uns das Web als Gemeindewiese vorstellen …. (Miriam Meckel nennt das „perspektivische Anpassung“) Warum eigentlich? Im Internet fliegen keine „Milliarden von Papieren“ durch die Luft, es dröhnt kein „ohrenbetäubender Krach aus Musikfiles und Youtube-Videos“ und es gibt keine „Werbeplakate zuhauf.“ Die gibt es in der realen Welt, die uns seit Jahrzehnten den Aufmerksamkeitsraum für Anderes verkleistert. Was hat das mit dem Internet zu tun? (Ich würde es begrüßen, wenn das Aus für alle kostenlosen Werbesendungen auf der Tagesordnung stünde. Wenn wir einfach damit aufhören, täglich Zeitungen und Postwurfsendungen zu drucken, die darüber Auskunft erteilen, wo der Becher Joghurt noch 1 Cent billiger ist. … und ab damit in den Müll. Die Begründung dafür scheint mir in Zeiten des Klimawandels recht einfach: Zu emissionsintensiv.)
Mir scheint, Frau Meckel hat nicht bemerkt hat, dass Hardins „Tragik der Allmende“ genauso als „ökonomisches Mantra in die Wirtschaftsgeschichte eingegangen ist“, wie die „Unsichtbare Hand“ von Adam Smith, gegen die sich Hardin wendete. Muss man dem jetzt mantramäßig neue Erkenntnisse entgegen halten
1. Die Allmende ist kein Niemandsland. (was auch Hardin schon korrigiert hat)
2. Das Internet ist kein rechtsfreier Raum.
Endlose Marketingketten haben weder im Netz etwas zu suchen, noch im Leben da draußen. Wobei mir die „Like-Wellen“ im Netz (die keinesfalls immer kommerziell sind) immernoch lieber sind als die „endlosen Marketingketten“ im realen Leben. Und für unerwünschte Werbung gibt es Spamfilter und anderen technischen Kram, den ich nutze (oder auch nicht), so wie ich einen Aufkleber „keine Reklame bitte“ auf meinen Briefkasten klebe.
Dessen unbeirrt befindet Miriam Meckel:
„Es gibt sie – die Tragik der digitalen Allmende. Nicht Futtermittel werden knapp, wenn sich allzu viele im virtuellen Raum tummeln. Im Gegenteil: Wir steuern auf einen Zustand digitaler Adipositas zu. Es ist der Denkraum, den wir benötigen, um das richtige digitale Futter zu verarbeiten, der knapper wird.“
Dass Bild von der Adipositas zieht, oder? Und es kontrastiert so eigenwillig mit der Metapher von den mageren hardinschen Kühen. Da wird die (Leibes-)Fülle mit der Knappheit zusammengedreht, dass man am Ende irgendwie nicht mehr gerade aus denken kann. Hauptsache, es kommt irgend eine Tragik dabei heraus, um die sich irgendwer kümmern muss. Aber wer?
Der Staat besser nicht, dem stehen auch liberale Glaubenssätze im Weg. Und so findet Meckel den argumentativen Weg zu Elinor Ostrom. Es hätte der hinkenden Vergleich für dieses Fazit nicht bedurft:
„Die Wirtschaftsnobelpreisträgerin Elinor Ostrom hat in ihrer Forschung die Problematik der Allmende institutionenökonomisch betrachtet und kommt zu dem Ergebnis, dass oft lokale, sich selbst organisierende Institutionen am besten in der Lage sind, die Nutzung von Gemeingütern zu organisieren. Das geschieht durch Selbstverpflichtungen, nicht aber durch übergeordnete staatliche Regulierung. Für das Internet ist das ein guter Ansatzpunkt, der all diejenigen auf den Plan rufen müsste, die am Netz als Ort offener Zivilkommunikation (also doch? – S.H.) interessiert sind. Web-Communities können sich selbst Regeln geben, wie ihre Kommunikation aussehen und was sie enthalten soll. Sie können sich gegen Spam und Informationsmüll zur Wehr setzen und diejenigen ausschließen, die ihre Regeln ignorieren.“
Genau das passiert ja auch, denn natürlich lebt das Netz nicht aus sich selbst heraus, sondern aus denen, „die in und mit ihm kommunizieren“, natürlich gibt es Grenzen unserer Kommunikationsmöglichkeiten und Wahrnehmung, die wir nicht beliebig erweitern können. Das ist nichts Neues, sondern wie im richtigen Leben. Auch dort tun wir längst so als seien wir multitaskingfähig, obwohl wir das nicht sind. Mit dem Netz hat das a priori nichts zu tun.
Der letzte Punkt versöhnt, ein bisschen. Immerhin warnt die Professorin vor einer Internetwelt, in der die Gärtner dominieren. Die
„Gärtner der hübsch umzäunten und streng kuratierten Schrebergärtchen im Netz […], wie sie Apple, Amazon oder Netflix anlegen, die das Internet dominieren. Sie werden uns Nutzer […] aus dem einst freien Netz in ein virtuelles Disneyland locken. Dort ist alles grün, hübsch, sauber, massentauglich und teuer. Wir können aufatmen und uns den gefilterten und irritationsfreien Informationen hingeben, für die wir ordentlich bezahlt haben.“
Weniger diplomatisch zerpflückt Harry Prothman den Artikel. Texthilfe gibt’s auch hier.
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