Wider das Primat der Politik
Commons sind keine Schnellboote, die uns aus dem Schlamassel multipler Krisen manövrieren. Wer von Commons redet, bohrt dicke Bretter. Wer dicke Bretter bohrt weiß sehr wohl, dass das anstrengend ist und dauern kann.
Doch Commons sind immerhin Rettungsboote, die uns aus dem Schlamassel der kulturellen Krise manövrieren. Was nicht wenig ist. Sie bieten die Möglichkeit, Differenz immer wieder neu zu denken. Denn jedes Commons steht für sich, es ist einzigartig. (Erling Berge) Jedes ist in seiner konkreten Beschaffenheit und Verortung, in seiner Verbundenheit mit anderen Systemen, in seinen vielfältigen institutionellen Bezügen anzusehen und zu gestalten. Diese Vielfalt macht Commons zwar nicht unbedingt schnell und wendig, aber durchaus robust.
Die Differenz zu denken heißt, theoretisch und praktisch immer wieder aus den üblichen Dichotomien auszubrechen.
Warum ist das wichtig?
Politik und Ökonomie erscheinen heute dualistisch angeordnet. Dementsprechende Anordnungen finden sich überall: Kooperation vs Konkurrenz, Staat vs Markt oder öffentlich vs privat. In solcher Art Dualismen zerreibt sich das Andere. Das Soziale und die Ökologie, die Kooperenz, das Gemeinsame und Öffentliche, das Gemeinschaftliche und die Allmende. Kurz; all das, was von den Polen nicht erfasst wird.
In der Realität freilich sind Politik und Ökonomie nur unterschiedliche Gesichter desselben Phänomens. Das Eine ist in seiner jeweiligen Beschaffenheit an die Verfasstheit des jeweils Anderen gebunden. Die Krise des Politischen ist Ausdruck der Krise des Ökonomischen.
”Beide Bereiche teilen nicht nur historisch, sondern auch logisch ein gemeinsames Schicksal. Die Politik kriselt in Korrespondenz mit dem Ökonomischen”,
schreibt die Philosophin Andrea Günter. (Korrespondenz mit A. Günter)
Diese gegenseitige Abhängigkeit von Politik und Wirtschaft befeuert die ökologische Krise, denn politische Macht wird in der repräsentativen Demokratie durch Umverteilung stabilisiert. Der Staat aber kann nur verteilen, was „erwirtschaftet” wird und im Staatshaushalt landet. Das wiederum ist vom Zugriff auf Gemeinressourcen abhängig. Der Mechanismus ist einfach: Man fördert Kohle (oder andere Energieträger), verkauft sie und zahlt einen Teil der ‚Kohle‘ in Form von Steuern an den Staat. Man produziert Güter, bedient sich dabei natürlicher Ressourcen, nutzt die Atmosphäre als Mülleimer und das kollektive Wissen als unerschöpflichen Kreativitätspool, verkauft die erzeugten Güter und zahlt einen Teil der Einnahmen in Form von Steuern an den Staat. So erfüllt der Staat (hier recht, dort schlecht) seine Funktion und deshalb dreht sich in diesem System logischerweise alles ums Geld. Nicht nur in der Wirtschaft, auch in der Politik. Daher tut die Politik für Geld so ziemlich alles – und scheut sich auch nicht, Wertvolles, ressourcenaufwändig Hergestelltes und voll Funktionstüchtiges zu vernichten. Sie nennt es Wachstumsbeschleunigung. Denn dieses Wachstum setzt die wundersame Geldvermehrung in Gang und lebt von ihr. Es scheint allein dafür zu sorgen, dass die Geldquellen – zugleich Quellen der politischen Macht – nicht versiegen.
Das heißt aber auch: klassische und weniger klassische Instrumente der Sozialpolitik – etwa Sozialversicherung und Grundeinkommen – sitzen im selben Boot. Sie sind auf Gedeih und Verderb darauf angewiesen, dass der beschriebene Geldvermehrungs- und Umverteilungsmechanismus funktioniert.
Das Problem dabei ist: die Wachstumsspirale dreht sich gerade durch den steten und wachsenden Zugriff auf Gemeinressourcen immer weiter. Dort, wo Innehalten und radikale Kürzung von Transportwegen angesagt wäre (“das Öl im Boden lassen” oder gezielte Regionalisierung der Produktion) feiert die Politik deren Gegenteil, nämlich Produktionszuwächse und Exportweltmeistereien. Ganz so als lebten wir noch im 20. Jahrhundert.
Worauf es daher ankommt ist, wie Barbara Unmüssig von der Heirnich Böll Stiftung anläßlich der International Commons Conference formuliert:
“die Gerechtigkeitsfrage vom Wachstumsmodell zu entkoppeln.”
und zugleich ganz grundlegend die Produktion dessen, was wir zum Leben brauchen vom wachsenden Zugriff auf natürliche Gemeinressourcen zu lösen! Nicht relativ, sondern absolut.
Wie das geht?
Eine Antwort, die auf der International Commonskonferenz gegeben wurde lautet so: Indem wir die Sphäre der Commons stärken und indem wir Commons auch als Produktionsweise verstehen. Das wurde massiv von Rednern wie Roberto Verzola, Michel Bauwens, Veronika Bennholdt-Thomsen, Stefan Meretz und vielen anderen vertreten. Kritische Stimmen die fürchten, dieser Zugang unterschätze die Dringlichkeit der (ökologischen) Krise, gab es auch. Brian Davey hat sie formuliert. Dies scheint nun eine spannende Post-ICC-Kontroverse auszulösen. Doch dazu später mehr.
Was soll das sein, dieses Paradigma der Commons?, fragte Johannes Heimrath gleich zu Beginn der Konferenz:
“Was machen wir substantiell anders?”
Was charakterisiert die Commons als polit-ökonomisches Paradigma? Ein paar – ergänzungsbedürftige – Antworten.
- Wir kümmern uns nicht um “geistiges Eigentum” und setzen auf vielfältige Besitzformen, in denen Nutzungsrechte der Allgemeinheit im Mittelpunkt stehen.
- Pluralistische Rechtssysteme und -perspektiven werden ebenso gestärkt wie traditionelle Wissenssysteme. Die zentrale Frage ist immer: Welches Wissensmanagement und welche Rechstsysteme verschieben die Machtverhältnisse (Zugang, Nutzung und Kontrolle von Gemeinressourcen) in welcher Weise?
- Wir produzieren nicht vorwiegend für den Verkauf, sondern für den Gebrauch. In einer Commonsbasierten Produktionsweise werden Dinge hergestellt, um sie möglichst lange für die eigenen Bedürfnisse und die Bedürfnisse anderer zu nutzen, statt Produkte so zu produzieren, dass „Sollbruchstellen“ eingebaut sind, um die Kaufzyklen sich verkürzen. Das ist auch (aber nicht zwingend) ressourcenschonend.
- Wir teilen Ressourcen, statt sie zu zentralisieren und zu kontrollieren. (Merke: Google ist kein Commons!)
- Technologien sind grundsätzlich offen, frei und modular. Sie werden von den communities fortentwickelt und kontrolliert und für die Lösung von Problemen vor Ort eingesetzt.
- Es bedarf angesichts der niedrigen Transaktionskosten der zentralen produktiven Ressource der Gegenwart (Wissen) keiner Hierarchien mehr um produktiv zu sein. Es geht also nicht mehr um (materielle) Anreize für Kreativität und Produktivität. Diese brauchen lediglich günstige institutionelle Rahmenbedingungen, Freiheit und vielfältige feed-back Schleifen auf Augenhöhe. Dann gibt es sie im Überfluss. Es geht daher “um das Wegräumen von Hindernissen und die Demokratisierung der sozialen Produktion” (Bauwens)
Das klingt nach Utopia…?
… ist aber schon Realität. Traditionelle Commons konnten mit der kapitalistischen Produktivität nicht Schritt halten. Doch diese Zeiten seien vorbei, meinen etwa Michel Bauwens und Glyn Moody. Denn jetzt gibt es ein Werkzeug, das es ermöglicht, global zu kooperieren, ortsungebundene “communities” zu schaffen und selbst die komplexesten “Produkte” herzustellen, freie Hard– und Software etwa oder selbstversorgende moderne Energieinfrastrukturen. Die Rede ist vom Internet und damit verbundenen Anwendungen. Moderne Commons sind “wettbewerbsfähig”. Und das Schöne daran ist: es ist ihnen ganz egal.
“Die Commons als autonome Produktionsform getragen von Gleichgesinnten (Peers) sind das Herz einer neuen Gesellschaft”,
zeigt sich Michel Bauwens auf der Konferenz überzeugt. Auch er weiß, Commons sind keine Schnellboote, die flink und wendig in eine neue Gesellschaft zischen. Sie sind auf das mühevolle Aufbauen vertrauensvoller Sozialbeziehungen angewiesen.
“Vertrauen – das Wort kann ich nicht oft genug wiederholen”,
betonte auch Elinor Ostrom anläßlich ihrer Nobelpreisrede.
Wer über Commons redet, fordert nicht leichtfüßig das Primat der Politik, denn dieses bliebe im Dualismus hängen. Heute setzt die Politik Regulierungen durch, die sie morgen wieder knackt. Es ist das Ringen zwischen zwei möglichen Hierarchisierungen. Mal dominiert die Politik (meist kurzfristig), meist dominiert die Ökonomie. Je nachdem, welche Krise sich gerade am intensivsten Bahn bricht.
Wer über Commons redet, richtet den Blick auf eine grundlegende Neuausrichtung des Verhältnisses zwischen Markt, Staat und Gesellschaft und auf neue Governanceformen. In diese Richtung müssen sich die akademischen Curricula ändern, wie auch Ruth Meinzen Dick, die Präsidentin der International Association for the Study of the Commons in ihrer Keynote zur ICC unterstrich.
Garrett Hardins vereinfachende und unsaubere Analysen von der „Tragik der Allmende“ gehören revidiert. Die klassische Gütertheorie einer radikalen kritischen Prüfung unterzogen. Und die politikwissenschaftliche beziehungsweise interdisziplinäre Forschung auf neue Institutionalisierungs- und Governanceformen für Gemeingüter fokussiert:
Auf dem vorgestrigen Gemeingütersymposium in Marburg habe ich dafür einige Stichworte genannt:
- Selbstorganisation
- Peer Governance
- Polycentric Governance (hier eine einführende Präsentation von Frank van Laerhoven im Rahmen des Polycentric Governance Workshops der ICC)
- neue Formen des Multilateralismus (Multilateralismus 2.0)
Wir brauchen eine großes Bündnis zwischen Commonsaktivisten und den “postnormalen” Wissenschaftlern. Jetzt!
PS 1: Das „Postnormale“ habe ich hier abgeguckt 🙂 .
PS 2: Die Berichterstattung zur Internationalen Commonskonferenz vom 31.Okt. bis 02. Nov. in Berlin wird hier gesammelt und laufend aktualisiert.