Weiter so! Ein Artikel nach dem anderen purzelt in die mailbox. Linke aller Schattierungen entdecken die Commons. Das Linksnet für Linke Politik und Wissenschaft kündigt gleich mehrere Beiträge an
„zum Zwecke der kommunistischen Rückeroberung bis in die radikalen Anfänge zurück und wieder nach vorne.“
Nun, das habe ich nicht ganz verstanden und es klärt sich auch im Artikel nicht auf.
Den Auftakt der Reihe macht ein Beitrag von Thomas Gehrig, der sich mit den verschiedenen Versuchen auseinandersetzt, die Commons „zu fassen“, aber mit einem wenig schmeichelnden Vorwurf beginnt. Er meint dass
„Commons … zu einem black-box-Begriff geworden [ist], ähnlich dem der ›Nachhaltigkeit‹ des ökologischen Diskurses. Er bedient damit die ideologischen Muster bürgerlicher Öffentlichkeit.“
Obwohl ich alle google-alerts auf Commons/Gemeingüter/Allmende geschaltet habe stelle ich fest: Nachhaltigkeit ist in aller Munde. Aber von den Gemeingütern reden nur ein paar Blogger und Akademiker, hin und wieder erscheint er in einer Zeitung und immer öfter im Internet. Bis zum „black-box-Begriff“ ist es noch weit. Zeit genug, um diese Falle zu vermeiden. Christian Siefkes hat es in einem Kommentar treffend zusammengefasst:
„Wir arbeiten daran, den Commons-Begriff zu schärfen, denn die mit den Commons zusammenhängenden Praktiken sind zu wichtig und zu nützlich, als dass man wegen dieser Unschärfe ganz auf den Begriff verzichten könnte.“
Da stehen wir. Ziemlich am Anfang. Deshalb stellt Thomas Gehrig zu recht fest.
„Wie offen der Begriff und wie heterogen damit der Gegenstand Commons aufgefasst wird, kann ein Blick auf die Inhaltsverzeichnisse entsprechender Sammelbände zum Thema zeigen. Als Beispiel soll hier in erster Linie der von Silke Helfrich und der Heinrich-Böll-Stiftung (HBS) herausgegebene Band »Wem gehört die Welt? Zur Wiederentdeckung der Gemeingüter« (München 2009) dienen.“
Zu ergänzen ist freilich, dass das Buch vor nunmehr 3 Jahren konzipiert wurde und inzwischen Einiges geschehen ist. Es ist ein bisschen schade, dass Thomas Gehrig nicht bis zu Ende gelesen hat und in seinem Beitrag vor allem das Vorwort zerpflückt. Denn abgeschlossen wird der Band mit einem Beitrag von Jörg Haas und mir. Dort benennen wir den Kern der Commons so: Commons sind eine soziale Beziehung.
„Wir verwenden Commons oder Gemeingüter als einen zentralen politischen Begriff: Er bezeichnet Güter und Ressourcen, die in einer besonderen Beziehung zu einer Gruppe von Menschen, einer Gemeinschaft, stehen. Diese Gruppe erfasst oder bezeichnet diese Ressourcen als die „ihrigen“. Es geht also um das Sich-zu-eigen-Machen (nicht im Sinne des liberalen Eigentumsrechts). Es geht ausgehend von den individuellen Bedürfnissen, um die Macht des Wörtchens „unser“. Es geht darum, Ressourcen und Güter, gleich ob sozialer, kultureller oder natürlicher Art, nicht nur zu nutzen, sondern auch für sie Sorge zu tragen.
Der Gemeingüterbegriff verweist demnach auf eine Mit-Besitzerbeziehung, die zugleich eine Mit-Verantwortungsbeziehung und Mit-Nutznießerbeziehung ist. Diese Beziehung existiert nicht „an sich“, ist also der Ressource oder dem Gut nicht inhärent. Sie ist soziale Konvention, ist Recht, formal oder informell. Anders ausgedrückt: Commons sind eine soziale Beziehung. Sie sind nicht die Ressourcen selbst, sondern strukturieren sich aus der Beziehung der Einzelnen zu den Ressourcen sowie aus den Beziehungen der Individuen untereinander bezüglich der Ressourcen“ (Wem gehört die Welt, S. 255/256)
Da wird eine Definition angeboten, nicht als „Findungsversuch“ (Gehrig) nicht als wissenschatlicher Konsens, sondern als Statement und Resumée der Arbeit am Sammelband. Bis heute würde ich den Kern der Aussage beibehalten. Ich lerne nun, dass es vermutlich schlauer gewesen wäre, den Artikel an den Anfang zu stellen. 🙂 Jedenfalls hoffe ich, Herr Gehrig, „die Sache ist jetzt klarer.“
Der Autor kommt dann zu einem sehr wichtigen Punkt, nämlich, dass
„Gemeingüter über ihre spezifische Regulierung bestimmt und durch sie gekennzeichnet werden sollen. Die Ziele dieser Regulierung stellen sich in der Commons-Bewegung jedoch als äußerst heterogen bis widersprüchlich dar: Geht es den einen darum, den Zugang und die bisher ›freie‹ Nutzung von Gütern oder Ressourcen einzuschränken bzw. zu regulieren (Beispiel sind hier vor allem Naturressourcen), geht es anderen um den Abbau von (jeglichen) Regulierungen (Stichworte sind IT-Medien, freier Zugang zu Wissen etc.). Die Frage bleibt also: Was macht Commons aus, die in besonderer Weise reguliert werden sollen, oder: welche Art der Regulierung macht etwas zu einem Common?“
Es ist richtig, dass die Ziele widersprüchlich erscheinen, aber sie sind es nicht. Es kommt auf die Ressource an, die ein Commons fundiert. Die Ziele sind gleich: faire Nutzungsrechte für alle einerseits sowie Erhalt und Weiterentwicklung des Ressourcenpools andererseits. Sie erscheinen nur unterschiedlich, weil je nach unterschiedlicher Beschaffenheit der Ressourcen unterschiedliche Regelungen zu treffen sind. Im Klartext:
Bei rivalen Ressourcen (Wasser, Land, Wald) wird für die nachhaltige Nutzung irgend eine Art der Grenzziehung erforderlich sein.
Bei nichtrivalen Ressourcen (Wissen, Ideen, Licht…) bedarf es dieser Grenzziehung nicht und open access ist die Regel. (Dazu poste ich in kurze nochmal einen englischsprachigen Beitrag.)
Das Ziel ist immer dasselbe: Erhalt oder Mehrung der common pool resource (der Gemeinressource) bei Wahrung der Zugangsgerechtigkeit.
Negri und Hardt scheinen sich tatsächlich auf diese definitorischen Fragen nicht einzulassen – aber sie haben die Zentralität des Begriffs erkannt (wenngleich sie ihn mit den Öffentlichen Gütern in einen Topf werfen) und fordern im Grunde einen kollektiv-diskursive Neukonstruktion des Begriffs, da sie die Commons für
„the incarnation, the production, and the liberation of the multitude.“ halten.
Von solch schwerwiegenden Worten mag man halten was man will, Fakt ist, sie sagen etwas sehr Richtiges, wenn es heißt:
„There is no other way to construct concepts but to work in a common way.“ (Hardt/Negri: Commonwealth, S. 301)
Und genau das passiert jetzt – in der Wissenschaft wie in der politischen Diskussion.
Ganz anders die Argentinier Vercelli/Thomas in unserem Sammelband. Ihr Verdienst ist es, den Versuch, Commons zu definieren aus den unhaltbaren dichotomischen Kategorisierungen herauszulösen. Der Grund ist zunächst ganz einfach: Nehmen wir das beliebte Beispiel „Materielles/Anfassbares VERSUS Immateriellens/Nicht Anfassbares.“ Das Immaterielle ist stets in das Materielle eingeschrieben. Es ist in der Realität untrennbar mit ihm verbunden. Licht und Glühlampe, Wort und Buchseite, Gen und Pflanze. Es gibt nicht das eine ODER das andere. Und Güter verschiedenster Art bekommen „Allmende-Charakter, »wenn sie aus einer Gemeinschaft entstehen« (Vercelli/Thomas 2009: 110). Die Autoren begnügen sich wie viele Andere nicht damit, die Ressourcen als So-Seiendes und per definition kollektiv zu Bewirtschaftendes zum Kern der Definition zu machen. Gehrig zitiert den treffenden Punkt ohne ihn in dieser Weise zu würdigen. Genau dieser Punkt schält sich immer mehr als das Gemeinsame aller Definitionsversuche heraus:
Keine Commons ohne Commoning, wie Peter Linebaugh uns gelehrt hat. Gemeingüter sind nicht, sie werden gemacht. (Zur begrifflichen Unterscheidung verweise ich einfach nochmal auf diesen kurzen Blogeintrag und auf den Antrophologen Stephen Gudeman, der Commons als soziales Ereignis beschreibt.)
Gelingendes Commoning geht weit über die Klärung der Eigentumsfrage hinaus, die im linksnet Artikel überbetont erscheint, irgendwie mit der Unterstellung, ein Teil der Commoners imaginiere den Begriff vor allem als „Gemeineigentum der Menschheit“ und halte damit einen Großteil des Problems für gelöst. Doch nichts wird schon einfach dadurch zum Gemeingut, dass man die Eigentumsform ändert. Commons müssen gepflegt werden.
In gleicher Weise ist nichts ›von Natur aus‹ Gemeingut, wie Gehrig erneut treffend zitiert. Aber sehr wohl gibt es Ressourcen, die aus guten Gründen allen bzw allen Mitgliedern einer bestimmten community zustehen (s.u.). Die Frage ist: Können wir das auch einlösen? Schaffen wir es, sie zum Commons zu machen (bei der Atmosphäre ist das bislang grandios mislungen. Die einen übernutzen sie, die anderen saufen ab. Der Neue Griff nach Land weist auch in die Gegenrichtung. Unzählige Beispiele könnte man hier anführen.) Und die noch viel entscheidendere Frage wird vom linksnet Autor auch gestellt:
„Es fehlt nur noch die Antwort auf die ›Gretchenfrage‹, wer definiert, was »Gemeinressourcen« sind, auf die wir alle das gleiche Recht auf Nutzung haben?“
Ich will eine Antwort versuchen, die auch anderswo schon mehrfach veröffentlicht wurde:
Ressourcen, die als Gaben der Natur oder vorangegangener Generationen quasi schon vor uns existierten bzw. die niemandem individuell zuschreibbar sind, sind Gemeinressourcen. Es gibt nach meiner Auffassung keine belastbare philosophische Begründung für die Privataneignungsfähigkeit von Land, von Bodenschätzen, von Wasser, von Saatgut, von Code, vom Alphabet, von Noten und Tönen, von der Atmosphäre oder vom Mond. Auch nicht in Vermischung mit Arbeit (John Locke). Konsequent gedacht, wären hier nur die Früchte der Arbeit, die Kartoffel aber nicht das Land, privataneignungsfähig.
Eine weitere Quelle sind Ressourcen, die der Allgemeinheit von ihrem Produzenten geschenkt wurden: Impfstoffe, die Seitenbeschreibungsprache html, die Wikipedia oder alle in Gemeinfreiheit befindlichen Dinge. Kurz: Ererbtes, Kollektiv Hergestelltes und Geschenktes.
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„Der Gemeincharakter wird als »Ergebnis eines Konstruktionsprozesses« und damit zugleich als Resultat der entsprechenden »politischen und sozialen Kämpfe[ ]« (Vercelli/Thomas 2009: 113) verstanden. … Die Frage, die sich hier anschließt, ist nicht die naturforscherische: Wie bestimme ich ein Gemeingut?, sondern die politische: Was soll Gemeingut sein?“, fragt Gehrig und trifft den Nagel auf den Kopf
Sic! Die Diskussion ist eine eminent politische (insofern ist nur folgerichtig, dass eine Politikwissenschaftlerin den Nobelpreis für Wirtschaftswissenschaften 2009 zuerkannt bekam.) Und genau dies erklärt, warum so viele politisch und sozial umkämpften Bereiche Teil der Commonsdebatte sind.
Es geht um die Feststellung, dass gemeinschaftlich verwaltete Ressourcen (bottom up nicht top down) unter bestimmten Bedingungen verlässlicher sind (Unmüssig 2009) – sowohl für die Menschen als auch mit Blick auf den Ressourcenerhalt. Sie sind verlässlicher als zentral gesteuerte oder den Kriterien des Marktes unterworfene Regime. Für diesen Nachweis und die Bestimmung der Bedingungen (direkte Kommunikation, selbstbestimmte Sanktionsverfahren, klare Grenzziehungen, selbstbestimmte Regeln oder in hohem Maße von den Nutzern anerkannte Regeln, funktionierende Monitoringsysteme u.a.m) hat Elinor Ostrom den Nobelpreis erhalten. Das wird in dem linksnet Artikel ja ausführlich gewürdigt.
Und „modern“ (nochmal Unmüssig 2009) sind Commons aus vielen Gründen: Der Begriff, gerade weil er Ausdruck einer sozialen Praxis ist, muss von jeder Generation zu jeder Zeit und an jedem Ort wieder neu definiert und angeeignet werden. Er kann als prozessuraler Begriff gar nicht veralten. In dem Maße wie communities über moderne Kommunikations- und Produktionsmittel sowie Infrastrukturen verfügen (Wikipedia, Freie Software Bewegung, Peer-to-Peer Produktion im materiellen Bereich, Energieproduktion) produzieren sie zunehmend komplexe und „moderne“ Artefakte – als Commons. Das ist der Horizont – auch in der „grünen“ Commonsdebatte, so man diese Zuschreibung wirklich braucht.
Den Vorzug „Regelungsmöglichkeiten jenseits von Markt und Staat bereitzustellen“, unterstreicht Gehrig, aber aufzuklären ist meiner Ansicht nach weniger „was dies »jenseits von Markt und Staat« jeweils bedeutet“ sondern wie es jeweils praktisch funktioniert. Und dafür – das macht die Debatte sperrig! – gibt es keine Patentrezepte.
„Each commons is one of a kind“ hat der Herausgeber des Wissenschaftsjournals International Journal of the Commons Erling Berge jüngst anlässlich der Internationalen Commonskonferenz gesagt.
Andere würden es vielleicht so formulieren: Jedes Gemeingut ist ein sozialer Kampf. Und ich fände es super, wenn es gelänge dafür „den fortschrittlichen Teil der ArbeiterInnenbewegung zu gewinnen“ (Gehrig). Und alle andern auch.
PS: Ein Wort noch zur harschen Kritik an Peter Barnes. So wie ich seinen Ansatz verstanden haben (siehe auch den Beitrag zum Skytrust in dem Sammelband „Wem gehört die Welt“ geht es bei Barnes gerade darum den Staat aus dem Weg zu räumen. Die Gehrigsche Interpretation „Barnes’ Modell [laufe] auf eine Verdopplung des Staates hinaus“ ist für mich nicht nachvollziehbar.
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