„Gemeinsam und partizipativ“ wollten die Menschen die Verhältnisse gestalten, so las ich kürzlich in einem Konzept zu Postwachstumsökonomie und Gemeingütern.
„Gemeinsam und partizipativ“ Geht das? Entspringen die Begriffe nicht unterschiedlichen Denkwelten?
Partizipation ist seit Jahrzehnten (entwicklungs-)politischer Modebegriff. In der Praxis bestimmt in der Regel jemand zu welcher konkreten Frage die Bürger_innen in welchem Zeitraum, mit welchen Mittel und in welcher Weise etwas sagen dürfen. In der Regel ist dieser jemand eine staatliche Institution. Partizipation heißt zumeist, dass Institutionen den Menschen die Möglichkeit einräumen, auf etwas Einfluß zu nehmen. Dieses Etwas findet bereits irgendwo statt. Es wurde schon von irgendwem – oft von oben oder von außen – vorgeschlagen und/oder durchgeführt.
Im Politsprech hört sich das so an: Partizipation heißt „Teilhabe der Bürger_innen an den Verwaltungsentscheidungen„. Das ist treffend formuliert.
Die Bürger_innen dürfen, ja, sie sollen und müssen dabei sein, wenn Pläne von Experten entwickelt, umgesetzt und evaluiert werden. Sie dürfen etwa bis zu einem bestimmten Zeitpunkt Eingaben schreiben gegen Stuttgart 21, die dann „abgearbeitet“ werden (das Verb entnahm ich einem Interview mit Außenminister Westerwelle über S21, kann leider die Quelle nicht mehr ausfindig machen). Das Projekt wird hie und da aufgehübscht und dann realisiert. Man könnte es am Beispiel Stuttgart auf die Formel bringen: Stuttgart 21 + Partizipation = Stuttgart 21 Plus.
Nun hat der Protest der „Wutbürger“ das Nachdenken über die gängigen Verfahren der Politik neu angekurbelt.
„Wenn ‚Politik planbar‘ sein soll,„fordern etwa renommierte Autoren des Cicero, „müssen Partizipation und Information künftig Standard für solche Projekte von Politik und Wirtschaft werden.„
Bislang dachte ich, das sei in Deutschland längst der Fall. In der Entwicklungspolitik jedenfalls gehören ‚Partizipation und Information‘ zum Standard. Die Anstrengungen, dass das nicht nur auf dem Papier steht, verdienen große Anerkennung. Aber ich habe – nach Jahren entwicklungspolitischer Tätigkeit – verstanden, dass sich „partizipativ“ zu „gemeinsam“ verhält wie ‚der Blick auf’s Backrezept‘ zum ‚Genießen des selbstgebackenen Kuchens“.
Denn das Problem ist grundsätzlicher: Bei Partizipation geht es darum, dass die Bürger beteiligt werden, nicht darum, dass sie sich beteiligen. Es geht darum, dass sie mit-sprechen über Dinge die Andere sprechen. Nicht darum, dass sie für sich sprechen oder ihre Belange miteinander besprechen. Es geht um’s mit-bestimmen, nicht um’s selbst-bestimmen.
Bei gemeinsamer Planung und Umsetzung wie in der Transition Town Bewegung und bei Gemeingütern/commons stehen deshalb andere Verfahren auf der Tagesordnung (was nicht heißt, dass es immer nur das eine oder das andere gibt.) Rob Hopkins, Gründer der Transition Town Bewegung, beschreibt hier aĺl das, was man für die Transformation des eigenen Umfelds braucht. Es ist ein Art Handbuch für das gemeinsame Handeln. Also kein Handbuch der Partizipation.
Da sagt nicht der Staat wo, wann und wie die Bürger_innen mitreden und mitmachen dürfen, sondern die Kooperationsschnittstellen zwischen Bürgern und Staat (und Markt) werden neu definiert. Es geht um Selbstbestimmung, die keiner Legitimation eines Verwaltungsverfahrens bedarf. Es geht um ein Recht, das Menschen nicht erst einfordern müssen. Sie haben es einfach.
Tatsächlich läuft demgegenüber der Partizipationsbegriff Gefahr, auf die Dimension eines notwendigen Planungsinstruments oder Planungsübels zurechtgestutzt zu werden. Er wird benutzt, um Prozesse zu legitimieren und annehmbarer zu machen. „Gemeinsam“ hingegen hat eine andere Konnotation (in der Schwelgerisches nichts zu suchen hat);
„er drückt Selbststeuerung, Emanzipation, Freiwilligkeit und Solidarität im Sinne von Nicht-Hierarchie„,
schrieb mir auf meine Überlegung hin ein Kollege. Und so ist es: ‚parti-cipere‘ ist etwas anderes als ‚eman-cipere‚. Das Etymologische Lexikon von Köbler gibt Auskunft:
Emanzipation: V., >befreien, selbständig machen<, 16. Jh. lat. emancipare, V.,>entlassen, für selbständig erklären<, zu lat. e, ex, Präp.: >aus<, lat. mancipare, >ergreifen, zu eigen geben<, zu lat. manus, F., >Hand<, lat. capere, V., >fangen, ergreifen<.
Zu Deutsch und im Aufforderungsmodus: Hände weg! Es ist unser Leben.
Also ich war erst ziemlich irritiert, ob du denn jetzt ein Plädoyer für S21+ hier verfasst hast. Das lag an der Überschrift und daran, dass auch bei mir »Partizipation« immer einen positiven Klang hat. Das hast du mir jetzt vermiesepetert — danke dafür!
Partizipation ist tatsächlich immer ein Gewährungsverhältnis. Es gibt da immer einen Ungenannten, der die Teilhabe gewährt, oft der Staat. Commons sind was anderes, aber nur dann, wenn sie sich nicht mit »Partzipation« zufrieden geben, sondern selbst entscheiden und die Befugnis dafür durchsetzen. Das scheint mir ein Knackpunkt zu sein: Die Gewährer geben die Befugnis nicht her, weil sie sich selbst ihrer Macht berauben und tendenziell überflüssig machen. Siehe S21.
Emanzipation statt bloß Partizipation — darum geht’s. So muss die nächste Überschrift lauten, das ist klarer 🙂
Gut, ich beichte. Die Überschrift lautete erst anders, aber ich habe dann daran gedacht, dass die Profiblogger immer sagen, die Überschrift müsse nicht unbedingt den Kern treffen, sondern einfach „ziehen“. Letztlich trifft natürlich die Überschrift den Kern, deshalb werde ich sie auch so lassen. 🙂 Vielleicht kommen ja ein paar Menschen rüber, die auf die großen Konzepte – Partizipation oder Emanzipation – weniger anspringen.
Bitte sieh mir den Pragmatismus nach. Meist mach ich mir viel zu wenig Gedanken über die Überschrift, aber bei diesem Eintrag war mir das wichtig, weil mir der Eintrag wichtig ist.
Ich hab mit einem Freund schon vor einiger Zeit über diesen Begriff „Governance“ diskutiert, der ja in der EU so modern ist, und wo es auch drum geht, nicht mehr alles von oben zu verodnen, sondern mehr Menschen mitreden zu lassen und vor allem auch bei der Umsetzung von politischen Programmen mehr Leute mitmachen zu lassen, vor allem NGOs. Und da haben wir es so formuliert: Governance heißt, das Menschen mitreden können WIE etwas gemacht wird (das andere aber schon beschlossen haben), aber nicht OB etwas gemacht wird (oder nicht oder etwas anderes). Wer bei solche Partizipationsprozessen mit dabei sein will, der muss zuerst einmal akzeptieren, dass es das Ding über das er mitbestimmen will geben soll. Alternativen oder nicht bauen sind da nicht mehr drin. Deshalb, so haben wir gemeint, ist die vielgerühmte Bügernähe der EU meist nur eine Pseudobeteiligung, die dazu dient, dass die Bürger die vorgebenen Programme eher akzeptieren und dass die Entscheidungen legitimiert werden. Das trifft ziemlich genau was du sagst und an Stuttgart 21 hat man gesehen, dass es eben nicht immer wirkt, dass die Leute langsam draufkommen, dass sie verarscht werden.
So redet offenbar nicht nur Westerwelle:
„Welt am Sonntag: Herr Minister Niebel, Sie leben in Heidelberg, haben dort Ihren Wahlkreis, und Ihre Partei ist an der baden-württembergischen Landesregierung beteiligt. Verstehen Sie den Protest gegen das Bahnhofsprojekt Stuttgart 21?
Niebel: Überhaupt nicht. Stuttgart 21 wird seit 15 Jahren diskutiert, Parlamente und Gerichte haben darüber entschieden. Mehr als 10 000 Einsprüche von Bürgern wurden abgearbeitet. Wenn man nun dem Druck der Straße folgt, ist die repräsentative Demokratie am Ende.“
Dirk Niebel in der Welt Online:
http://www.welt.de/print/wams/politik/article10348306/Europa-braucht-Stuttgart-21.html
Warum sollte Niebelwelle wollen, dass Bürger miteinander reden? Wenn der Bürger sich selbst organisiert wird der Politiker arbeitslos. Apropos: Wo habe ich das heute gehört? Die FDP habe beschlossen, sich aufzulösen. Westerwelle will aber auch dann Vorsitzender bleiben … . Ich glaube, es war irgendwo in Bayern. 🙂
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