oder: Von Commons und der Wissenschaft, Bienen und der Wikipedia
Das 2. Weltforum für Wissenschaft und Demokratie fand Anfang Februar 2011 in Dakar statt. 90 Organisationen und Universitäten waren beteiligt. Die Idee des Forum ist, einen Raum zu schaffen, der einen Dialog zwischen Wissenschaft und sozialen Bewegungen möglich macht. Deshalb findet das Forum auch im unmittelbaren Vorfeld zum Weltsozialforum statt. Die Abschlußerkärung wird sicher bald folgen, aber ein paar Gedanken zum Verhältnis von Commons und Wissenschaft, so wie sie auf dem Forum diskutiert wurden bzw. wie ich sie sehe, möchte ich gern hier festhalten. Dass es so viele Anregungen zum Thema gab, ist Hervé le Crosnier und den Kollegen von VECAM zu verdanken. Sie haben dafür gesorgt, dass die Commons einen Ehrenplatz im Programm einnahmen.
Wo liegt das Problem?
- Wissenschaft ist zunehmend so organisiert, dass sie für den Wissenschaftsmarkt statt für die Wissensallmende produziert. Das findet in ganz geradlinienigen Privatisierungstendenzen* seinen Niederschlag (was Auswirkungen auf die Wissensproduktion und das Selbstverständnis der Wissenschaftler_innen hat), in der Vernachlässigung der Geisteswissenschaften, in der Beschränkung des Zugangs zu wissenschaftlichem Wissen durch ein völlig überholtes Urheberrecht und daran gekoppelte Vertriebssysteme, die das Interesse von Wissenschaftsverlagen statt das der Allgemeinheit voran stellen, in der Zunahme von Stiftungsprofessuren, in der Wirtschaftsinteressen folgenden Vergabe von Stipendien und vielem mehr.
- Wissenschaftler/innen sind häufig auf der Suche nach Lösungen, die die Leistungen der Commons ersetzen und nur wenige machen die Leistungen der Commons und die Lösungen der commoners sichtbar. Damit ist in der Regel eine gewisse (technisch-adminstrative) Machbarkeitsfixierung verbunden. Vornehmstes Beispiel ist die kulturelle, genetische und institutionelle Erosion der Biodiversität. Sie hängt eng mit der Entwicklung von Hybridsaatgut und gentechnisch manipuliertem Saatgut zusammen und das wiederum ist an die Durchsetzung so genannter Intellektueller Eigentumsrechte für Kultursaatgut gekoppelt. Dabei böte gerade die ungeheure Vielfalt an Kultursorten die beste Möglichkeit, sich an die Folgen des Klimawandels anzupassen. Was ist stattdessen der Vorschlag, an dem öffentlich wie privat fleißig geforscht wird? Saatgut gentechnisch so zu manipulieren, dass es „klimafertig“ verkauft werden kann. Das können aber nur wenige große Firmen (kann man dem letzten Link entnehmen) und für diese ist der Klimawandel ein neues Argument, um die Kontrolle über unsere Lebensgrundlagen, dh. über unsere Lebensmittelproduktion weiter zu monopolisieren.
- Wissenschaftliche Forschung hat sich in einer Weise ausdifferenziert, dass sie der Komplexität der Gemeingüter kaum noch gerecht werden kann. Interdisziplinäre Ansätze und die Kombination vieler (v.a. empirischer) Forschungsmethoden sind hier wichtig und die brauchen Mut und Fördermittel/-strukturen zum Experimentieren.
Soviel zum Problem, nun zur produktiveren Seite des Verhältnisses von Gemeingütern und Wissenschaft.
- Wissenschaft ist unerläßlich für die Identifikation der schleichenden Erosions- und Einhegungsprozesse der Gemeingüter. (Es müsste übrigens heißen „Eroding the Commons“ statt „Erosion of the Commons“, denn diese Erosion ist ja ein aktiver Prozess.) Die Commonsforschung liefert die Substanz für die Argumentation gegen diese Einhegung, vor allem aber die Belege dafür, dass und wie gemeinschaftlich Lösungen für kollektives Ressourcenmanagement gelingen. Und da brauchen die Forscher_innen eigentlich nur die Wissenschaftsgeschichte selbst anzuschauen, denn …
- Wissenschaft ist das Commons par excellence. Zumindest war das in der Vergangenheit so. Freiheit der Forschung, Peer-to-Peer Review, Selbststeuerung, das Aus-der-Wissensallmende-schöpfen, sie erweitern und bereichern … Wissenschaft war seit jeher als Commons organisiert. Dass nun eine eher betriebswirtschaftliche Logik in die Universitäten Einzug hält sollte (hoffentlich) von kurzer Dauer sein, denn auf der Tagesordnung steht ganz dringend, sich gehen die „Verbetriebswirtschaftlichung“ (Demirovic) in der Wissenschaft zu wehren und Wissenschaft wieder als Commons zu organisieren. Das betrifft sowohl die Forschungsmethoden als auch die Forschungsinhalte. Teil dieser Forderung ist das „Recht auf Zugang zu wissenschaftlichem Wissen“, wie in Artikel 15/1 der Universellen Deklaration der Menschenrechte beschrieben:
„Jeder hat das Recht, am kulturellen Leben der Gemeinschaft frei teilzunehmen, sich an den Künsten zu erfreuen und am wissenschaftlichen Fortschritt und dessen Errungenschaften teilzuhaben.“
Und nun der Punkt, der mir am wichtigsten ist.
- Wissenschaftliches Wissen hat andere Wissensformen oft an den Rand gedrängt. Die Wissensallmendebewegung hingegen ist nicht an eine spezifische Form des Wissensmanagements oder der Wissenskonzeption gebunden. Sie ist als Bewegung in ihrer konkreten Erscheinungsform sehr unterschiedlich. Aber was alle Projekte und Initiativen eint ist, dass sie sich gegen die Kommodifizierung des Wissen wehren. Dieser Gedanke verbindet die unglaublich vielfältigen Ansätze. Von Science Commons bis zum All India People’s Science Network. In einer Wissensallmende sind verschiedene Wissens- und Wissenschaftskonzeptionen möglich. Männliche – weibliche, nord – süd, schriftlich – mündlich, ‚wissenschaftlich‘ – traditionell. Die Frage ist, ob und wie sich unter Berücksichtigung aller Beiträge universalisierbare Aussagen bzw. Schlussfolgerungen filtern lassen, also solche, die überall Gültigkeit besitzen (etwa wie die Ostromschen Design Principles für Gemeingüter). Wie kommen wir zu einem Universalismus, der nicht nur den Prämissen des westlichen Forschungskanons folgt?
Insbesondere der letzte Punkt trieb die Gemüter um. Es wurde auf diesem 2. Weltforum für Wissenschaft und Demokratie viel über „unspoken, stolen, mythic, oraly transmitted knowledge“ geredet, über Wissen, das in sozialen Praktiken aufgehoben ist. So sagen wir zum Beispiel weltweit: ‚Lass die Bienen in Ruhe.‘ Doch keiner erinnert sich mehr recht, warum. Dabei ist das eine ganz einfache Naturschutzmaßnahme, die die Reproduktion des Lebens sichert. (Jedenfalls war das bis jetzt so. Inzwischen setzen subtilere Mechanismen den Bienen zu, will heißen: Wir wissen gar nicht mehr, wie wir es anstellen sollen, die Bienen in Ruhe zu lassen.) An dieser Stelle musste ich an den Curupira denken, diesen kleinen brasilianischen Waldgeist, der verhindert, dass die Menschen zu bestimmten Zeiten den Wald betreten; um ihn ruhen zu lassen.
Die Wissenschaft muss sich mit diesen Wissensformen verbinden, sie aufgreifen, ihren “Geist” verstehen – oder sie wird sich den Menschen aufoktroyieren. Eine Kenianerin schrie es fast in den Saal. „Das menschliche Leben ist wissenschaftlich seit es uns gibt.” So kann man das auch sehen! Zumindest liegt eine Menge Weisheit in den sozialen Praktiken weltweit, und mir ist völlig egal, ob man das Wissenschaft nennt oder soziale Innovation – die klassische Wissenschaft jedenfalls wird sich damit verbinden müssen, wenn sie als Gemeingut erhalten bleiben, also Wissen im Interesse der Allgemeinheit produzieren will. Oder wie Amit Sengupta, dessen exzellente Moderation ich sehr schätzen lernte, es ausgehend vom Wissensallmendebegriff ausdrückte:
„the notion of knowledge commons must be able to embrace each kind of science and knowledge management we practice.“
Neben der Innovation in wissenschaftlichen Laboren (dann aber bitte Open Access), tragen vier Innovationsformen zur Reprodution der Gemeingüter bei, so der Debattenbeitrag einer Französin:
- Innovation durch Nutzung (wie in der konventionellen Saatgutentwicklung),
- Innovation durch Funktionalität (wie beim Ulmer Car2Go Modell),
- Innovation durch partizipative, iterative Prozesse und
- soziale Innovation (wie die Transition Town Bewegung)
Im Kulturellen Bereich sind solche Innovationen nur selten vom Staat oder vom Markt getragen, wurde konstatiert, vielmehr entstehen sie im Austausch.
Zwei konkrete Vorschläge ergaben sich aus der Debatte:
- eine kollaborative Zeitschrift, die es den Wissenschaftler_innen erlaubt, Wissen über die Commons zu produzieren/publizieren (Hier ist ein anderes Profil angedacht, als das des International Journal on the Commons.)
- Eine Wikipedia des traditionellen Wissens zu der aktionsorientierte Netzwerke zwischen Zivilgesellschaft und kritischer, interdisziplinärer Wissenschaft beitragen.
Den zweiten Vorschlag finde ich zwar charmant (insbesondere wegen dieser Diskussion), aber noch viel besser fände ich es, wenn die auf dem Forum vielfach vorgetragene Erkenntnis – “scientific knowledge has silenced other knowledges” – sich auch in den Regeln der existierenden Wikipedia niederschlüge und dort ganz explizit das Wissen von unten – gekennzeichnet freilich – Aufnahme fände. Denn es wäre schon fast ironisch, wenn ausgerechnet das erfolgreichste Wissens-Gemeingut der jüngeren Geschichte, die Erosion der vielfältigen Wissensformen reproduziert.
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* PS: Eins noch zur Privatisierungsdebatte: Es geht ja – wie immer bei den Commons – nicht einfach um die Frage „öffentlich oder privat“. Es geht um Autonomie – jenseits von Markt und Staat. Oder wie es hier in einem Kommentar von Tome schön ausgedrückt wird:
Foto on Flickr, Lizenz: CC By.„Die Frage ist auch nicht, ob die Hochschulen privat oder staatlich sind, sondern ob sie in Kernbereichen autonom sind (z.B. Zulassung der Zahl der Studierenden, angebotene Fächer und Abschlüsse, Bezahlung und Einstellung der (wissenschaftlichen)Mitarbeiter). Tatsächlich wird es spannend sein zu sehen, ob eine rechtliche Privatisierung zu einer faktischen Einschränkung der Autonomie der Hochschulen (z.B. Angebot der Fächer) führen wird.“
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Gibt es in dieser Debatte irgend eine Unterscheidung zwischen „Wissen“ und „beliebig ausgedachten Meinungen“ bzw. „Wiedergeben von Oberflächenerscheinungen“? Ich weiß, dass es genau an dieser Stelle kribblig wird mit dem „Ausschließen anderer“. Aber muss „Wissen“ ALLES umfassen, was Menschen über die Welt sagen und denken, oder sollte es auf „richtige“ Erkenntnisse eingeschränkt sein? Und wonach richtet sich dann diese Bewertung? (was ist richtig, was falsch, was wahr?)
Ich denke, es wird immer unterschiedliche Formen von Wissen geben und es sollte auch gerechtfertigt sein, spezifische Formen von Wissen, die z.B. methodisch bewusst „hinter die Oberfläche“ schauen, den verkehrenden Schein des Offensichtlichen durchdringen, auch in spezifischer Weise auszuzeichnen. Es geht da z.B. um solche Sachen wie die Erkenntnis, dass sich entgegen dem äußeren Anblick die Erde um die Sonne dreht und nicht umgekehrt.
Hi Annette, was meinst Du mit „beliebig ausgedachten Meinungen“? Und irre ich mich, wenn Du „der Wissenschaft“ die „richtigen Erkenntnisse“ unterstellst, was ja in vielfacher Hinsicht wiederlegbar ist? Worum es in dieser Diskussion geht ist die Wertschätzung unterschiedlicher Wissenssysteme.
Sagen wir mal so: Menschen wissen, wofür 150 verschiedene Pflanzen gut sind, wie sie sich entwickeln, wie sie angewendet werden können und sie geben dieses Wissen von Generation zu Generation weiter. Mündlich. Aber wir können das nicht zitieren (nicht mal in der Wikipedia ist das erwünscht – obwohl dieses Wissen Millionen von Menschen ein auskömmliches Leben sichert), weil sie es nicht so klassifiziert haben, wie die Biologen das gewohnt sind, weil sie keine Artikel verfasst haben, auf die wir uns beziehen können. Weil sie kein – ich sag’s mal so – verwertbares Wissen erzeugt haben. Und doch sind z.B. transnationale Konzerne ganz wild darauf, an dieses Wissen zu kommen – das Ergebnis ist oft Biopiraterie.
Und diese Menschen schauen sicher auch „methodisch bewusst“ hinter die Oberfläche, sie nutzen nur andere Methoden, die uns völlig fremd sind und die wir nicht nachlesen können.
Oder: Du kommst in ein indisches Dorf – dort werden i.d.R. die Möbel selbst hergestellt. Du bestellst eine kompliziertes Teil mit 100 Extras und Schubläden und ausgefachten Türen. Der Schreiner „kann nicht rechnen“, stellt aber trotzdem eine komplizierte Rechnung an und nach 30 Minuten weisst Du: Du brauchst eine exakt von ihm bestimmte Menge Holz. Aber wir können es nicht überprüfen, wir kennen die Methode nicht.
Darum geht es in der Debatte um traditionelles Wissen und nicht um Aberglauben oder die Behauptung, dass sich die Sonne um die Erde dreht.
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