Was Transition Town Movement und Freie Software Bewegung gemeinsam haben
Wir befinden uns auf dem größten Universitätsgelände Westafrikas, der Universität Cheikh Anta Diop. Es ist trockenzeitstaubig, inmitten des Staubs wimmeln Menschen. Wir schauen ihnen auf die Brust, um herauszufinden wer hier studiert und wer zum Weltsozialforum gehört. Immerhin sind etwa 90.000 Teilnehmer_innen gemeldet. Doch nur ein ernüchternd kleiner Teil trägt das WSF-Bänden um den Hals, denn, so stellt sich heraus, der Unibetrieb läuft wider Erwarten weiter.
Die Organisation des 10. Weltsozialforums Anfang Februar 2011 trägt daher abenteuerliche Züge. Alle Veranstalter stehen Kopf. Wir rechnen zur Präsentation der französischen Fassung des Gemeingüterreports Biens Communs Prospérité par le Partage (Gemeingüter Wohlstand durch Teilen) mit einer Handvoll Leute. Und selbst das erscheint optimistisch, denn der im letzten Moment zugewiesene Raum befindet sich gar nicht auf dem Universitätsgelände; sondern in der FESTAF. Was das bedeutet, wissen auch die Taxifahrer nicht. Die Mitteilung erreicht das hbs-Team am Tag vor der Veranstaltung. So bleibt nur noch, die Information per Hand auf die längst gedruckten Flyer zu kleben. Schön geduldig. Als wir am 07.02.2011 zunächst die FESTAF und dann “unseren” Raum ausfindig machen, ist dieser von Studenten belegt. Ich schlage ganz ernsthaft vor, mit dem Professor zu reden; vielleicht könnten wir … die Studenten zum Publikum machen. Referenten aus Deutschland, Frankreich und Mali hat man auch im Senegal nicht alle Tage. Die Idee wird verworfen und nach Kräften umdisponiert. Der Multimediaraum der FESTAF stünde zur Verfügung. Dolmetscher, Sprecher und die ersten Gäste (ja doch) packen an. Um sich anschließende weiter in Geduld zu üben. Im Multimediaraum wird gerade ein Film gezeigt. Er sei “in ein paar Minuten” zu Ende. Unschwer zu erraten, dass in Westafrika ‚ein paar Minuten‘ recht lang sein können.
Doch das Warten hat sich gelohnt. Inzwischen treffen immer mehr Neugierige ein, darunter Abgeordente des Europarlaments. Am Ende ist der erkämpfte Raum der FESTAF mit ca 50 Personen gut gefüllt. Als Ko-autor_in des Berichts gebe ich eine Einführung in die aktuelle Commonsdiskussion, bei der es nicht um das Wasser, den Wald, das Saatgut oder die Software an sich geht. Gemeingüter sind vielmehr als soziale Organisationsform zu verstehen, die Problemlösungen “jenseits von Markt und Staat” aufzeigt. Die Leiterin des Berliner Büros des Instituts für Wirtschaft, Karin Horn, hatte es kürzlich in der FAZ auf den Punkt gebracht:
“Warum ist die Allmende wichtig? Weil sie Probleme löst.”
Zwei Beispiele sollten das illustrieren. Die Transition Town Bewegung einerseits, die von unten versucht, ein fossilenergiearmes Leben in unseren Städten umzusetzen, und das Copyleft andererseits. Letzteres ist ein Rechtsinstrument zur Sicherung von Software als Gemeingut. Was beide gemeinsam haben und zum Commons macht?
- Es sind selbstorganisierte Lösungen. Die Gesellschaft ist die treibende Kraft, der “change agent”, manchmal auch nur Einzelne; Menschen, die die Reputation und das Geschick haben, Veränderungsprozesse zu katalysieren, wie etwa Rob Hopkins von Transition Town und Richard Matthew Stallman, der Gründer der Freien Software Bewegung. Markt und Staat treten in den Hintergrund.
- Die Protagonisten gehen davon aus, dass es Dinge gibt, die wir teilen müssen – dazu gehört die Atmosphäre genauso wie der Softwarecode.
- Sie operieren nicht mit der Idee der “Knappheit” und produzieren nicht für den Markt, sondern sie reproduzieren Nutzungsmöglichkeiten für alle und schöpfen dabei aus dem, was vorhanden ist oder kollektiv weiterentwickelt wird.
- Sie sind “easy to copy!” Auch in der Transition Town Bewegung ist “voneinander abgucken” nicht nur erlaubt, sondern explizit gewünscht. Nachmachen ist möglich, man muss sich “nur” dafür entscheiden. Diese Entscheidung ist nicht in erster Linie eine Frage der Ressourcen, sondern sie findet im Kopf statt.
- Sie gehen von der Überzeugung aus, dass vertikale Kontrolle sowie von außen oder von oben verordnete Regeln tendenziell zum Scheitern verurteilt sind.
- Sie begegnen den gegebenen Machtverhältnissen nicht, indem sie den Kampf David gegen Goliath antreten, sondern indem sie aktiv die anderen möglichen Welten gestalten. Getreu dem Motto des Weltsozialforums: Eine andere Welt ist möglich!
Hervé Le Crosnier ergänzt diese Gemeinsamkeiten um den von Peter Linebaugh geprägten Satz:
“There is no commons without commoning”. (Es gibt keine Gemeingüter ohne gemeinsames Tun.)
Le Crosnier ist Verleger und Wissenschaftler aus Frankreich, er schlägt als zweiter Referent eine Brücke zur historischen Dimension der Gemeingüterdebatte und bezieht sich dabei auf die Magna Carta vom Beginn des 13. Jahrhunderts, deren Grundelemente noch heute die westlichen Verfassungen prägen. Nur die damit eng verbundene Charter of the Forests sei in Vergessenheit geraten. Dabei waren gerade dort die Nutzungsrechte der “commoners” geregelt, der Allmendnutzer. Der Zugang zum Holz bedeutete für die Menschen jener Zeit soviel wie für uns heute das Öl. Der Honig aus den Wäldern war die wichtigste existierende Zuckerquelle. Diese Trennung zwischen Magna Carta und Charter of the Forests (obwohl sie zusammen gehören) reproduziere sich noch heute, etwa in der Spaltung der Menschenrechte in bürgerlich-politische Rechte und die so genannten WSKU Rechte.
Selbstredend, so Hervé le Crosnier, könne man mit Commonstheorie nicht alle Probleme lösen. Selbstredend funktionierten sie im lokalen, überschaubaren Kontext besser als im globalen. Selbstredend sei es nicht der einzige Weg aus den politischen Krisen der Gegenwart, aber die Gemeingüterdebatte rücke Lösungen in den Blick, die, wie einst die Charter of the Forest, zu Unrecht in Vergessenheit gerieten. Und sie ermögliche uns die vielfältigen Organisationsformen neu zu verhandeln, auf einem Kontinuum zwischem dem >>Nicht Handelbaremn – Gemeingütern – Globalen Öffentlichen Gütern – Marktförmigem<<.
Dass diese Allmende, die Idee des Teilens und gemeinschaftlichen Reproduzierens aber ein ganz moderne Angelegenheit ist, berichtet anschließend Adama Dembélé. Er ist Freier Software Aktivist und Unternehmer aus dem Mali. (Hier ein Interview mit ihm in französischer Sprache.) Dembélé beschreibt, in welcher konkreten Form die Kontrolle über Software – mit der heute mehr produziert werde als mit Industriemaschinen – und damit über die eigene Entwicklung möglich ist. Worum es gehe sei Autonomie, so der westafrikanische Computerexperte.
“Sie müssen sich das so vorstellen: Wir programmieren Freie Software, aber wir würden nie jemandem den Zugang zum Quellcode verwehren, so dass jeder Mensch diese Software für sich nutzen und weiterentwickeln kann. Zugleich bieten wir Dienstleistungen rund um diese Software an. Und davon leben wir. Man kann den Umgang mit Softwarecode und den Softwareprogrammen mit einer Quelle und der Nutzung des Quellwassers vergleichen. Man kann also dem Fluß Wasser entnehmen, um damit die eigenen Felder zu bewässern. Das bedeutet aber nicht, dass man das Recht hat, die Quelle zu privatisieren.”
Es bedeutet vielmehr, dass wir angemessene Regeln für kollektive Nutzungsrechte an Ressourcen brauchen, die allen zustehen, und dass diese Ressourcen zu verteidigen sind. Denn was alle Gemeingüter gemeinsam haben ist Folgendes:
“Sie sind anfällig für Einhegungen”, betont Hervé Le Crosnier.
Dabei seien es gerade die Gemeingüter, die die Welt am Leben und die Gesellschaften zusammen halten. Es sind die Gemeingüter (das commoning), die es auch völlig von Markt und Staat ausgeschlossenen Menschen ermöglichen, in Würde zu leben. Es sind die Gemeingüter, die uns durch die Krisen tragen.
Es ist daher nicht in erster Linie ein Bereitstellungsproblem, wie Ökonomon sagen würden, sondern Gemeingüter müssen ständig gepflegt werden, sonst verschwinden oder erodieren sie – wie das noch vor 15 Jahren recht gut funktionierende Öffentliche Nahverkehrssystem aus dem Gedächtnis der Senegalesen verschwand. Noch einmal Dembelé:
“Wir haben die Pflicht zum Schutz der Gemeingüter, so wie wir etwa Freie Software mit der GPL schützen. Die GPL verhindert, dass Freie Software reprivatisiert wird. Dieser Schutz ist von einer Gemeinschaft getragen und er nützt der Allgemeinheit.”(Anm. GPL beruht auf dem Copyleft-Prinzip, s.o.)
Für die Commons streiten hieße daher “das Leben verteidigen”, beendet Dembelé seinen Vortrag und eine lebhafte Debatte beginnt. So lebhaft, dass sie von den Veranstaltern unterbrochen werden muss. Wir müssen den Raum verlassen, Studenten rücken nach.
In der Debatte gibt es zahlreiche Fragen zu Begriffen, Eigentumsrechten und Konflikten in den Commons. Die Politiker_innen im Raum wollen den Ansatz auf ihr Fachgebiet beziehen. Wir erleben eine aufgeschlossene und hochkonzentrierte Reaktion von einem top-informierten Publikum. Die Frageliste ist lang, die Antworten mitunter länger. Ein Afrikaner, ich glaube aus Guinea, wird ungeduldig; zu ungeduldig schließlich um abzuwarten bis die Moderation das Wort erteilt. Er ergreift es und sagt (Gedächtniszitat):
“Was Ihr da erzählt, ist für uns nichts Neues. Die Praxis des commoning ist das, was die Menschen in Afrika tun. Sich um die eigenen Dinge kümmern, Regeln aushandeln, Ressourcen teilen. Das ist also nichts Neues. Aber es ist das erste Mal, dass ich einen Vorschlag und ein Konzept höre, dass mir nicht erst Soziologen oder Entwicklungsexperten übersetzen müssen. Wir verstehen es einfach, weil es unsere Praxis ist.”
Ich arbeite seit gut 15 Jahren in der Entwicklungspolitik oder zu entwicklungspolitischen Fragen. Es war das schönste feedback ever.
Foto: Hervé Le Crosnier, Adama Dembélé, Silke Helfrich, by Nancy Alexander
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Danke für den interessanten Artikel: Ich entdecke nach und nach im Netz Ansätze, die beide hier vorgestellten Bewegungen (Transition Bewegung und Open Source Bewegung) auch inhaltlich zusammenbringen. Z.B. OpenSourceEcologiy.Org – einem Wiki bei dem Konstrultionspläne für einfach zu bauende Werkzeuge und Maschinen geteilt werden, um Versorgung vor Ort zu vereinfachen.