Es gibt absolut nichts und das mitten im Überfluss

Commonsfreie Zone

Seltsam, dass ich erst nach Mexiko fliegen muss, um zu begreifen was der Verlust von Commons tatsächlich bedeuten mag. Nicht ganz freiwillig sitze ich im Radisson Perisur fest, dessen wichtigste Attraktion die gegenüber liegende Shopping Mall Perisur zu sein scheint. Ein Ort des Grauens. Zwischen dem Hotel und der Shopping Mall wälzt sich Tag und Nacht vielspuriger Verkehr, der die Vorstellung von Ruhe so realistisch wie ein Kamel hinter dem Duschvorhang erscheinen lässt. Wer im Lärm lebt ist arm

Über diese Todezone reckt sich ein seltsam rot lackierter Gittertunnel, durch den die Gäste bequem zu Kunden werden können ohne unterwegs der Versuchung zu erliegen, durch einen Sprung in die Tiefe dieser Erfahrung zu entgehen. Auf der anderen Seite angelangt muss man Obacht geben, um nicht von Parkplatzrasern über den Haufen gefahren oder von den grimmig dreinschauenden Wachleuten über den Haufen geschossen zu werden. Ich verstehe das schon, …

denn so zu Fuß muss ich wirken wie ein Obdachloser auf der Suche nach den Mülltonnen der lokalen McDonalds Filiale. Bin ich aber nicht. Trotz meines merkwürdigen Auftretens ohne Automobil, was den Wachen durchaus suspekt erscheint, lässt man mich anstandslos passieren. Ich hole tief Luft und betrete die Höhle des Löwen durch den Eingang von Sears.

Innen steigt mir sofort süßlichen Duft in die Nase, etwa so wie der Toilettenduft eines Spitzenrestaurants. Dies steigert erwiesenermassen die Kauflust. Vielleicht konzentriert man sich auf’s Einkaufen, um sich von dem merkwürdigen Geruch abzulenken. Immerhin riecht man die riesige Abgaswolke von draußen nicht mehr so genau.

Das Innere der Shopping Mall hat genau eine Funktion: Es hält Besucher (Bezahlvieh) davon ab, irgend etwas anderes zu tun als zu shoppen. Was auch? Es gibt hier absolut nichts und das mitten im Überfluss. Ferngesteuerte Kampfpanzer und Hubschrauber (was ist eigentlich mit Guttenberg?), lilafarbig leuchtende Handies, Brautkleider, Hamburger, Sonnenbrillen zum Preis mehrerer Monatsgehälter und dazwischen drin … nichts. Absolut gar nichts! Keine gemütliche Sitzbank, kein Zocalo mit hübschen Springbrunnen und schattigen Bäumen, keine Straßenmusikanten oder Aktionskünstler, keine Bocciabahn, keine Spielplätze, keine herumstehenden Leute, die miteinander ein Schwätzchen halten … nichts. Rein gar nichts.

Das ist es also, was der viel beschworene Markt für uns Menschen vorgesehen hat. Ein funktionalisierter Raum, in dem sämtlicher Platz, Geruch, Klang und Dekoration exakt einem Zweck dient, nämlich uns das Geld aus der Tasche zu ziehen. Womit? Ganz einfaches Geschäftsmodell. Es gibt absolut nichts anderes zu tun. Ich verlasse die Mall und unternehme einen letzten Versuch, ein paar Schritte spazieren zu gehen. Hoffnungslos. Am Schrein irgend welcher Schutzheiligen gebe ich auf, denn diese Perspektiven (siehe Foto) sind einfach zu trostlos.

Frustriert ziehe ich ab, hinüber in mein Hotel. Auch dort dasselbe Phänomen. Auch hier gibt es nichts zu tun. Man kann höchstens etwas essen. Gammelige Mangocreme, zähes Rindfleisch stundenlang im Sud über Sprirituskochern geschmort, gärende Ananasscheiben – und das mitten in Mexiko. Sie kriegen mich weich. Ich trinke ein Bier aus der Minibar für 42 Pesos. Ich habe gehört, keiner meiner Kollegen hätte je dieses Hotel (so wie ich) verlassen wollen. Wohin auch?

Dann fällt mir ein, ich habe doch etwas zu tun. Ich habe Internet, einen Fotoapparat und Zugang zu einem Blog … . Ich denke an einen Beitrag über den Segen der Erfindung des Automobils, der schwer zu erkennen ist, sobald man keines hat.

5 Gedanken zu „Es gibt absolut nichts und das mitten im Überfluss

  1. Du bist am Perisur untergebracht? Ich fasse es nicht!
    Aber ich muss natürlich noch einen Kommentar zu den Shopping Malls abgeben. In San Salvador sind die Mittelständler immer froh, wenn ihre kids sich irgendwo in der Shopping Mall verabreden und dort den ganzen Samstag Nachmittag BurgerKing oder Mac Donalds heimsuchen.
    Die Erklärung ist so einfach wie nachvollziehbar. Die malls gehören zu den sichersten Orten in der Stadt (so eine Hausrecht statt Bürgerrecht -Diskussion erscheint da wie der pure Luxus) und sonst gibt es…. kaum Alternativen.

  2. Pingback: Hier gibt es absolut nichts und das mitten im Überfluss | Gemeingüter

  3. Danke für Deinen Beitrag. Interessant geschrieben.
    Wo die Angst und Terror regiert ist nicht gut leben. Deshalb hat es mich wohl noch nie nach Mexiko gezogen. Da wollte ich nie Urlaub machen.

    • Ich muss gestehen, diese Aussage habe ich gar nicht beabsichtigt. Ich bin gerade in Nordmexiko, im Zentrum des Drogenkriegs. Das ist zeitweise schon etwas merkwürdig, aber immerhin leben hier Millionen von Menschen, die diese Zustände hier ein Leben lang ertragen müssen. Aber ich habe in anderen Teilen Mexikos eben auch schon hervorragende Commonsbeispiele gefunden, z.B. auf dem Zocalo von Coyoacan oder Oaxaca, wo man auch ohne Geld an einem sozialen Leben teilnehmen kann. Aber das Perisur-Hotel ist in der Tat ein Alptraum in dem man spüren kann was es bedeutet, wenn einem sämtliche Gemeingüter abhanden kommen. Übrigens, was ich an der Drogenkrieg- und Terrorgeschichte schlimm finde ist die Wahrnehmung, Mexiko sei das Problem. In Wirklichkeit sind die Menschen in Mexiko ja die Opfer des Drogen- und Waffenmarkts, der in diesem Land eine ganze Gesellschaft in Angst und Schrecken versetzt. Es ist wirklich frustrierend die Hilflosigkeit der Menschen gegenüber diesem Milliardengeschäft zu erleben.

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