Das Kaleidoskop der Commons

Seitdem ich vor ein paar Jahren das erste Mal mit der Idee der Commons konfrontiert wurde, fielen mir immer wieder zwei Dinge auf: 1.) Commons sind unglaublich vielfältig und verbergen oft ihre exakten Konturen (sofern sie denn welche haben) vor dem Auge des Betrachters, wie ein Chämäleon im Sand. Es ist und bleibt ziemlich schwierig, ihr Grundprinzip zu verstehen, gerade weil sie eben so vielfältig sind. 2.) Wenn man diese Konturen dann einmal entdeckt hat (oder zumindest für sich entdeckt zu haben glaubt), dann verfolgen einen die Commons auf Schritt und Tritt. Manchmal glaube ich, das Klügste wäre, das Kaleidoskop der Commons einfach zu beschreiben, statt darüber zu reden.

Ich erinnere mich gut daran, dass es mir unendlich schwer fiel, den Unterschied zwischen Ressourcen und Commons zu begreifen. Nächtelang haben wir über das Thema gestritten und uns (auch gegenseitig) die Haare gerauft. Ich weiss nicht, ob meine heutige Perspektive darauf soziologisch einwandfrei und ideengeschichtlich korrekt ist, aber das ist mir auch egal. Schliesslich weiss ich selbst am besten, wie ich damit umgehe – und zwar so:

Zunächst suche ich mir eine Ressource, die zum Beispiel rivaler (z.B. Quarkkuchen mit Pfirsich) oder nicht-rivaler (z.B. eine Musikkomposition) Art sein kann. Dann schaue ich, wer die Nutzer dieser Ressource sind und ob die Nutzer dieser Ressource ihren Umgang mit dieser Ressource so geregelt haben, dass man im Umgang der Nutzer mit der Ressource ein Commons erkennen kann. Das ist nicht immer so ganz einfach, denn oft sind die Commons nicht sehr plakativ und nicht leicht als solche zu erkennen – wenn man einmal von den stereotypen Dauerbrennern wie Wikipedia absieht. Die Pole im Kaleidoskop der Commons sind leichter zu erkennen, die Zwischentöne nicht.

Heute stürze ich mich mal wieder begeistert auf eine meiner Lieblingsressourcen, die ich in der Padaria Flôr d’Aguda in dem kleinen Küstenvorort Aguda in Portugal sozusagen identifiziert habe: Die Kunst des Backens und die Vielfalt der daraus resultierenden Delikatessen. Warum treffe ich ausgerechnet hier, in diesem Ort mit ein paar Hundert Einwohnern, auf eine Bäckerei, deren Produkte so lecker duften, die so knusprig und frisch sind und so handgemacht, wie man sie in deutschen Landen eigentlich nur noch aus dem Märchenbuch kennt? Sind hier etwa Commons am Werk? Existieren hier noch funktionierende Sozialbeziehungen zwischen dem Kunden und dem Bäcker, in denen der Bäcker sein bestes gibt, um seinem Handwerk alle Ehre zu machen und der Kunde ihm dies durch Treue dankt und damit, dass er das global importierte Fabrikbackwerk aus den großen Supermärkten dort lässt, wo es hingehört – nämlich wo der Pfeffer wächst? Vielleicht kooperieren hier die Bäcker, um ihre Produkte gemeinsam zu verbessern, tauschen Rezepte aus und Erfahrungen, bekommen von den Kunden Feedback und so weiter? Möglicherweise, aber ich weiss es nicht. Ich habe keine Ahnung, wie das hier geregelt wird, denn ich verstehe Portugiesisch ungefähr so gut wie Chinesisch und deshalb entziehen sich diese Fragen gottseidank meiner wissenschaftlichen Analyse und ich kann mich (hurra) auf den Genuss der leckeren Pastéis de Nata konzentrieren, statt über Commons zu philosophieren. Naja, fast … denn die Verlockung, mein Frühstück auch zuhause wieder der liebevollen Backindustrie zu entreissen und die Backkunst durch ein Commons-inspiriertes Konzept von Austausch und Kooperation zu reanimieren ist schon sehr gross.

Und da ist er auch schon wieder, der kleine Unterschied: nicht die Brötchen sind ein Commons, sondern die Art, wie wir ihre Herstellung handhaben und wie wir die Kunst lecker zu backen pflegen und erhalten. Es sind die Beziehungen zwischen den Menschen, die in diesem Fall die Vielfalt der Backwaren und ihre Qualität erhalten und vergrössern und nicht die Brötchen selber.

2 Gedanken zu „Das Kaleidoskop der Commons

  1. Na ja, Pastéis de Nata bekommst du in Portugal wie Brötchen bei uns — nahezu überall und in unterschiedlichen Qualitäten. Auch dass Brötchen oder Pastéis de Nata in kleinen Bäckereien statt in Back-Kombinaten entstehen, macht noch keine Commons. Und überhaupt geht’s bei den Commons nicht so sehr um die Dinge, die Brötchen oder Sahne-Törtchen, sondern um erster Linie um die soziale Selbstorganisation der Commoners beim gemeinsamen Umgang mit Dingen und Ressourcen. Und das sind in aller Regel gerade keine Kunden-Beziehungen! — Ach, ich sehe gerade, das hast du mit dem letzten Absatz noch ergänzt, dann sind wir uns ja einig 🙂

    Da du gerade bei Portugal bist, hier ein anderes Beispiel eines Commoning. In Campo Maior im oberen Alentejo setzen sich monatelang die Dorfbewohner zusammen und falten Papierblumen. Sie schmücken damit das ganze Dorf und laden dann zu einem Fest ein, das eine Woche dauert. Diese Tradition gab es jährlich bis 2004, dann fehlten die Blumenfalter, das Commoning funktionierte nicht mehr, die Volkskunst drohte auszusterben. Doch dieses Jahr hat es wieder geklappt. Es wurden 23 Tonnen Papier verfaltet. Natürlich ist drumherum auch viel Kommerz entstanden, aber der Kern ist die gemeinsame Aktivität des ganzen Dorfes. Hier bekommt man einen ganz guten Eindruck: http://www.festasdopovo.pt/galeria.html

    • Danke für den wunderbaren Link zu den Blumenfaltern von Campo Maior. Das ist ja wirklich unglaublich.
      Was die Backkunst betrifft, so ging es mir gerade um diesen Unterschied. Ein Commons-basiertes Handwerken- hier am Beispiel der Bäckerei – könnte die Vielfalt in diesem uralten Handwerk als Ressource begreifen und schützen, die einen entscheidenden Einfluss auf unsere Lebensqualität hat. Denn egal, ob man nun die Brötchen von Flôr d’Aguda lieber mag oder die der Münchner Backfabrik Hofpfisterei, was unsere Lebensqualität mindert ist der Verlust an Vielfalt. Und gerade am Backhandwerk kann man sehr „schön“sehen, wie die Gesetze des Marktes in den letzten Jahrzehnten die Vielfalt zerstört haben. Ein einstmals berühmtes Handwerk in Deutschland ist zu einer Rohlingaufbackundintütenabfüll-Unkultur verkommen. Das ist die Logik des Marktes: Aufwand minimieren, Gewinn maximieren und wachsen bis die Börse crasht. Vielfalt ist für diese Prämissen viel zu kompliziert und dies gilt leider für alle Facetten der Weltmärkte: Normschweine, Normrinder, Normfischstäbchen, Normselbstbaumöbel, Normmarkenklamotten, Normschuhe, Normparfüms, Normsouvenirs … wohin das Auge reicht. Wenn der Markt nur lange genug absolutistisch herrscht, dann stirbt die Vielfalt. Mittlerweile scheint ja jedes regionale Souvenir der Welt irgendwo in China gefertigt zu werden. Der Preisdruck erzwingt dies ja. Ich kenne kein einziges Beispiel, in dem marktwirtschaftliche Prinzipien allein auf Dauer Vielfalt erzeugt haben. Von der Planwirtschaft ganz zu schweigen, deren Hauptunterschied zur Marktwirtschaft ja darin zu liegen scheint, dass in ihr selbst noch am letzten Mist, den die Marktwirtschaft im Überfluss produziert, Mangel herrscht. Aber gerade im Erzeugen und im Erhalt von Vielfalt liegt für mich eine der wichtigsten Stärke des Commonings. Es ermöglich nämlich Dinge zu tun, die marktwirtschaftlich kaum fassbar sind und die trotzdem (oder gerade deshalb) einen enorm positiven Einfluss auf unser gesellschaftliches Wohlbefinden haben. Wikipedia ist dafür ein gutes Beispiel. Der Erhalt der handwerklichen oder kulturellen Vielfalt und ihrer Produkte wäre ein anderes.

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