EINE REPLIK AUF: „DIE COMMONARDEN.* TEILEN UND GEWINNEN. KANN MAN DIE RETTUNG DER WELT WIRKLICH ALS PRIVATSACHE BETRACHTEN?“ VON TILL BRIEBLEB, SÜDDEUTSCHE, FEUILLETON Nr. 191, S.13
Lieber Herr Briegleb,
Sie und ich haben Einiges gemeinsam. Wir befassen uns mit Politik, waren letzte Woche auf dem Kampnagel-Festival in Hamburg und finden den Begriff der ‚Gemeingüter‘ unglücklich. In diesem Punkt haben Sie mich ganz auf Ihrer Seite. Ich hatte schon einmal angeregt, einen Preis für die eleganteste Übertragung des engl. >commons< auszuschreiben. Wollen Sie mitmachen?
Entsprechend angetan war ich von Ihrer Initiative, die Commons und die Commonarden** im Feuilleton zu besprechen. Was ich dann jedoch las, hat wenig mit den Commons zu tun, aber es erlaubt mir zu verstehen, wie man ins Feuilleton kommt: nicht nachfragen, Stichworte musterlos zusammenstricken und – dies vor allem – als Pointe ein zitierfähiger Gedanke. Ganz am Schluß! Ihr letzter Gedanke, Herr Briegleb, ist ein Paukenschlag.
Commons seien „schöne politische Hobbies“ und die Betreiber der Commonsdebatte würden sich
„in den Glauben verirren, sie täten etwas anderes als der pluralistische Angebotskapitalismus auch“.
Bumm! Respekt. Gleich ab damit auf Spiegel Online und in den Perlentaucher, damit die geneigte Leserschaft weiß, womit sie es zu tun hat.*** Mit „der Privatsache“ von Projekthuberln, mit einer „dezentralen Partisanenbewegung„, die an die „Ausstiegsversprechen der Hippiebewegung erinnern„. Bauchladentheater für eine bessere Welt, die sie aber nicht (hin-)kriegen werden, weil die
„Idee der Commons keine klar erkennbare Strategie hat“, sondern eine „große Ansammlung von Ausnahmen ist„.
Es ist schon richtig, Ideen haben keine Strategien. Schließlich …sind es Ideen und keine Menschen. Die Frage ist demnach wie durchdacht und durchsetzungsstark sie sind. Armeegeneräle haben Strategien, manchmal auch Wissenschaftler, feurige Liebhaber oder politische Aktivisten. Nehmen wir an, Sie meinen Letztere. Mit wem haben Sie über die Strategiefrage geredet?
Wer immer sich die Mühe macht, diese „große Ansammlung von Ausnahmen“ einmal genauer anszusehen, wer auch nur ein paar Stunden in den Datenbanken der Commonsforschung surft, wer aufmerksam die Zeitung liest, der wird feststellen, dass das Wichtigste an Ihrem Satz das Wörtchen „groß“ ist.
Ja, Commons sind überall; vor allem aber sind sie überall möglich. Eine andere Frage ist, ob sie überall eine Chance kriegen oder als solche benannt werden und wieder eine andere Frage ist, ob sich der Gedanke der Commons in der gegenwärtigen Krise fast aller Denktraditionen durchsetzt, ob es also gelingt, Wirtschaft und Gesellschaft mehr und mehr nach Allmendeprinzipien zu organisieren. Da es diese Krise der Denktraditionen gibt – insbesondere jene der Konservativen wirbelt gehörig Staub auf – stehen die Chancen nicht schlecht.
Um diese Fragen zu beantworten braucht es viel Theorie, viel Debatte, einen langen Atem und – dies vor allem – Respekt vor der Praxis der Leute, die etwas verändern. Egal wie groß oder klein diese Projekte sind. Mit Herablassung, welche die Autoren vom Perlentaucher bei Ihnen wittern, hat noch niemand einen kulturellen Wandel herbei geführt. Und um nichts Geringeres geht es. Um das Verschieben der gesellschaftlichen Debatte, weg vom homo oeconomicus und den Börsennachrichten hin zu den Nachrichten über best practices der commoners und zum Sichtbarmachen des homo cooperans in uns. Überall liegen Diamanten rum, aber sie funkeln nicht. Deshalb übersieht sie die institutionalisierte Gesellschaft gern. (Von der Tatsache, dass politische, rechtliche und ökononomische Strukturen solche Diamanten geradezu überrollen einmal ganz abgesehen.)
Sie aber, Ihr handwerkliches Geschick in Ehren, beginnen Ihre Auseinandersetzung mit den Commons mit einem Paukenschlag und diagnostizieren gleich mal einen frustrierten Abschied vom „Einfluss auf Strukturen“. Ich vermute, Sie schauen dabei auf diese Strukturen. Also irgendwie von oben nach unten. Zitat:
„Die Foodcoop ändert nichts an der Massentierhaltung. Das Wohnprojekt hat keinen Einfluss auf die Gier des Immobilienmarktes…“
So plausibel das klingt, Herr Briegleb: You miss the point! Ich erinnere mich immer gern an ein Kinderbuch namens „Schalmei und Krüglein„. Dort erlebt man mit Genia, dass man von unten schauen muss, wenn man sein Krüglein mit köstlichen Walderdbeeren füllen will. Ach ja, und man muss ziemlich viel arbeiten.
Vielleicht ist es ja so, dass die Commonsbewegung, der Sie unterstellen keine Strategie zu haben, EINS (Marktversagen) und ZWEI (strukturelle Abhängigkeit des Staates vom Markt) zusammenzählt und sich Folgendes denkt: Wenn David gegen Goliath (den Krieger der Philister) antritt, dann muss es nicht immer ausgehen wie in der Bibel.
Vielleicht wollen sich diese Davids zunächst das Recht auf Autonomie erkämpfen, ein paar Räume, in denen sie sich und immer mehr Lebensbereiche „der Gier des Marktes“ entziehen. Vielleicht geht es ihnen zunächst nicht darum, den Marktmechanismus zu verändern, sondern das eigene Leben. (Scheint Ihnen das wenig?) Und vielleicht gelingt es den unzähligen Projekten und Initiativen weltweit, dabei so kreativ zu sein, dass sie Institutionen denken, schaffen und leben, die in der Summe eine fairere Welt ausmachen. Nicht nur im Süden auch hier. Vielleicht kann man sich diese Vielfalt der Institutionen einmal genau anschauen (bedenken Sie – soziale Innovation war schon seit jeher wichtiger als technologische). Das ist wie das Waldbeerenpflücken. Viel Arbeit. Dennoch, man kann hinsehen und fragen, was diese Regeln und Institutionen ermöglichte, was die Projekte zusammenhält, was sie bedroht, woran sie scheitern und man kann schließlich „filtern“ nach welchen Prinzipien und „Strickmustern“ commoning denkbar ist. Eben genau, um diese Prinzipien übertragbar zu machen (upscaling) – nicht in der Form, aber im Grundgedanken. Vielleicht kann man all das Strategie nennen.
Sie sind sehr herzlich eingeladen daran mitzudenken, denn auch verhaltene Sympathie scheint durch Ihren Feuilletonbeitrag. Das ist mir nicht entgangen.
Eines noch, Sie verzeihen die Ausführlichkeit, die Sie gewissermaßen erzwungen haben: Sie schrieben die Erkenntnis auf, dass die Suche nach „neuen Regeln“ allen Projekten gemeinsam sei, und weiter konstatieren Sie:
„Da mit voller Absicht, die Formulierung dieser Regeln den einzelnen Inititativen überlassen ist, und zwar gemäß ihren nationalen, lokalen und inhaltlichen Umständen, wirkt der Wahlkampf für die Commons leicht so verzweifelt.„
Ich weiss nicht, ob Sie bemerkten, dass sich in der Commonsdebatte niemand ein Rezept ausdenkt und selbiges zum Gesetz macht (wie etwa jenes, dass das Wirtschaftsleben von Angebot und Nachfrage bestimmt sei). Das schützt die Commons vor Ideologisierung. Die Forschung geht streng empirisch vor, was eine Stärke ist, sie aber sperrig macht. Der höchste akzeptierte Abstraktionsgrad sind die Designprinzipien für gelingendes kollektives Ressourcenmanagement, wie Elinor Ostrom sie in ihrer Nobelpreisrede 2009 resümiert hat. Die politischen Aktivisten wiederum versuchen zu zeigen, was die sehr unterschiedlichen Commonsprojekte bei aller Vielfalt verbindet und welcher Horizont sich auftut für ein Leben, das Freiheit und Fairness verbindet. Jenseits des Kapitalismus und dennoch aus ihm heraus.
Wie sollte denn Selbstorganisation und Selbstbestimmung damit zusammen gehen, dass die Leute ihre Regeln NICHT selbstbestimmen? Wie kann man Commons denken, wenn man an den entscheidenden Stellen nur an staatliche Lenkung denken kann? Und wenn der eigene Staat entmündigt ist vielleicht an die EU und wenn diese entmündigt ist an die WTO und wenn die dann…
Sie werfen diesem Ansatz den Abschied von „gesellschaftlich organisierter Politik“ vor. Wissen Sie: Etwas „gesellschaftlicheres“ als die Commons kann ich mir nicht vorstellen. Etwas demokratischeres übrigens auch nicht.
Und wie um alles in der Welt, kommen Sie auf die Idee, dass die Commoners sich „im Wahlkampf“ befänden? Wenn ich die Debatte richtig beobachte, befinden sie sich entweder auf den Barrikaden oder in ihren Projekten oder in Selbstfindungs- und Strategieprozessen.
Zum Schluß: Elinor Ostrom hat nicht geforscht, um irgendwann einmal mit dem Nobelpreis geehrt zu werden. Sie hatte keine Strategie, um dahin zu kommen. Gekriegt hat sie ihn trotzdem. So ist es auch mit großen Umbrüchen in der Geschichte. Sie lassen sich nicht vorhersagen. Am Ende sind sie einfach da. Aber im Rückblick ist immer klar, dass „viele kleine Menschen, die viele kleine Schritte tun“, diesen Umbrüchen den Weg bereiteten. Ich verweise Sie auf die aktuelle Tagespresse. Und es ist auch klar, dass eine andere Gesellschaft nur dann möglich ist, wenn Politiker und Feuillletonisten und Marktteilnehmer und wer auch immer diesen Menschen endlich auf Augenhöhe begegnen.
Mit freundlichen Grüßen
Ihre
Silke Helfrich
* Der Link führt auf Jakobs Blogbeitrag und von dort weiter zu einer Schranke der Süddeutschen.
** Commonarden ist ein hübscher Neologismus, der aber dem weniger ahistorischen Begriff der ‚commoners‘ den Rang gewiss nicht ablaufen wird.
*** Ich habe gleich einmal versucht, etwas zu lernen und den Paukenschlaggedanken im Titel dieses Beitrags untergebracht. Das ist gut für die Statistik.
PS: Dass Sie mich als „Sprachrohr von Elinor Ostrom“ ((die übrigens Politikwissenschaftlerin ist) bezeichnet haben befremdet enorm.
Moin Silke,
zum einen: Was hast Du vom sz-.Feulition erwartet 🙂 Zum anderen: die Kluft zwischen Gemeinschaft und Gesellschaft läßt sich m.E. nicht so simpel schließen, wie die Formulierung „Etwas „gesellschaftlicheres“ als die Commons kann ich mir nicht vorstellen“ es suggeriert. Für mich bleibt die tendenzielle Exklusivität des Gemeinschaftlichen ein Problem und auch die Frage nach dem antikapitalistischen Moment der ganzen Bewegung finde ich bei Berücksichtigung aller erträglichen Vielfalt weiterhin offen. Auf eine gewisse Weise könnten die Commons auch prima zur lokalen Regulation des globalen und sozialstaatlich deregulierten Kapitalismus dienen: Das ist das was ich die commonistische Tendenz zur Konvergenz nennen würde.
Radikaldemokratische Grüße, enno
Hallo Enno,
daher steht „gesellschaftlich“ in Anführungszeichen. Ich habe es benutzt, wie Herr Briegleb es benutzt, also von ihm zitiert.
In meiner Replik wird das von Dir angesprochene Thema nur in Form von Fragestellungen adressiert … und nur am Rande. Mehr gehörte da auch nicht hin.
Das Thema, ob die Idee der Commons vergesellschaftet werden kann (und wie), sollte uns bald mal intensiver beschäftigen. Derzeit tragen wir Skizzen dazu zusammen, die sicher Anfang 2012 veröffentlicht werden.
Viele Grüße
Silke
Liebe Silke Helfrich,
eine schöne Replik. Auch mir war der Artikel in der SZ aufgestoßen – schulmeisterlich, von oben herab.
Wenn „viele kleine Menschen, die viele kleine Schritte tun“ lässt sich die Welt verändern. Das ist auch meine Auffassung. Wir müssen es von unten praktisch tun, viele Beispiele schaffen und voneinander lernen. Ökonomisch gedacht geht es um regionale Wertschöpfungen. Energieautonomie oder eine „eigenbedarfsorientierte Landwirtschaft“ (Stéphane Hessel) wären Beispiele und Strategien(!). Allerdings stehen lokale Projekte immer auch in einem regionalen, interregionalen, nationalen und globalen Kontext (Babette Scurrell: Vielfalt der Arbeit). Waschmaschinen oder Computer nur für für den Vogelsbergkreis (wo ich wohne) zu produzieren, ist sicher wenig sinnvoll. Wichtig scheint mir sowohl die horizontale als auch die vertikale Vernetzung solcher Initiativen zu sein, zu denen ich auch die commons zähle.
Grüße vom Hoherodskopf (größter erloschener Vulkan Europas)
Andreas Drinkuth
Ach, es gibt einen Wettbewerb in Sachen passendes deutsches Wort für Commons? Was richtig Griffiges und zugleich hinreichend Tiefsinniges wirds wohl nicht geben. „Verantwortungsgemeinschaft“ (bzw. Produkte, Nutzen, auch Schäden und Risiken von Verantwortungsgemeinschaften) würd`s vielleicht am Ehesten treffen. Da können dann wohl nur Abkürzungen weiter helfen. (PeV = Produkte einer Verantwortungsgemeinschaft?) Naja… 🙂 außerdem ein wenig quer j Sorry, werd das nun erst einmal alles hübsch zuende lesen.
Vielleicht sollten wir das Namensproblem der Jugend überlassen. Gestern regte ich mich über drei kaputte Fahrkartenautomaten im Bahnhof auf. Chilläx, ermahnte mich meine Tochter. CHILLÄX!!! 🙂
Da hast du sicher recht :-). „Share & Win“ ist ja z.B. wirklich nicht so doof – aber halt nicht hochdeutsch.
Was den SZ Beitrag betrifft: die 1,50 hätte ich mir sparen können, denn die wesentlichen Aussagen waren hier ja schon „vergemeinschaftet“. Und dann beginnt das ja gleich so schnöselhaft, dass man sofort gähnen und sich wichtigeren Dingen widtmen möchte.
Briglebs realsatirische Beschwerde darüber, dass „Commons“ kein so griffiger Werbeslogan wie etwa „Sozialismus“ sei, verspricht dann aber doch minimalen Unterhaltungswert – und, ja, vielleicht auch ein wenig Erkenntnisgewinn für meine Suche nach Beispielen und möglichen Gründen fehlenden Mutes, mehr Weltkommunismus zu wagen ;-).
Ok, als Autor der SZ würde ich womöglich auch nicht meine eigene Verzweiflung über die eigene Unfähigkeit beschreiben wollen, den Slogan „Sozialismus“ mit einer vernünftigen Strategie zu verbinden oder darüber, dass unter den gegebenen Umständen alle Bemühungen um ein richtiges Leben im falschen zwangsläufig zu Varianten kapitalistischer Angebotspluralität werden. Und ich wäre dann wohl auch sehr glücklich, diesen Markel an diejenigen weiterzuleiten, die doch eh schon als Warmduscher, Turnbeutelvergesser, Mütterküsser oder Behindertenparkplatzbenutzersager wahrgenommen werden.
Der Nachteil: ich bekäme nicht mit, dass alles „Sein“ in Wirklichkeit „Werden“ ist, und was daraus wird etwas mit der eigenen Verantwortung für die weitere Menschwerdung des Affen zu tun hat.
Naja, soweit. Ich gönnen mir darauf eine Bio-Banane.
Die Nacht hat 12 Stunden, dann kommt schon der Tag…
Naja, soweit…
PeV, nee, das kommt nicht in die Endrunde 🙂
:-))
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Dies ist ein sehr schönes Feedback auf Silkes Replik.
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