Tut mir leid, dass ich die Übersetzungs- und Benennungdebatte nochmal aus der Kommentarkiste in den Mainstream hiefen muss. Aber ich halte die Frage nach einer „griffigen“ deutschen Bezeichnung für die Commons für ein Pseudoproblem. Die Commons, wie Silke ganz richtig angemerkt hat, ja sind doch nicht im Wahlkampf. Aber selbst wenn sie es wären? Was soll dieser Eindeutschungshype? Hamburger, Ketchup, Pizza, Cruise Missile (wer bitte sagt denn heutzutage noch Marschflugkörper?), Cookies, Internet, Microsoft, Jeans, Sushi, Wale Watching, Tsunami, Hit, Bestseller. An dieser Stelle traue ich mich, die dämliche Liste der weltbekannten Denglizismen zu beenden, denn wem leuchtet nicht ein, dass man einen Bestseller verkaufen kann, ohne ihn in einen Hervorragendverkäufer zwangszumutieren? Ein semantisches Problem ist es jedenfalls nicht.
Was ist Google? Jeder Teenager kann diese Frage heute beantworten. Aber was heisst Google? Oh, das ist aber schwierig. Glotzen heisst nämlich goggle und nicht google, auch wenn mancher in Google schnell mal was nachgoggelt. Vielleicht hilft uns der Google-Translator hier weiter? Jawoll! Google heisst Google. So einfach ist das. Es heisst absolut überhaupt nichts. Genauso wenig wie Mercedes, Ford oder Trabbi. Und selbst wenn diese Begriffe mal etwas geheissen hätten, so wüsste heute doch kein Mensch mehr was und warum.
Aber bleiben wir erstmal in der Politik. Marxismus! Kann mir mal kurz jemand erklären, was Marxismus bedeutet? Nein, ich sagte kurz. Das ist mir schon zu lang. Mehr als 3 Sätze sind zu lang. Oder besser noch Leninismus? Was ist ein Trotzkist? Ein Maoist? Ich erinnere mich an eine Demo der Maoisten in Kathmandu und bin mir ziemlich sicher, dass die meisten der jungen Leute, die dort demonstrierten noch nie im Leben etwas von Mao gehört, geschweige denn gelesen hatten. Das Durchschnittsalter lag nämlich ungefähr bei 15 Jahren. Liberalismus? Kapitalismus? Soziale Marktwirtschaft? Mein Gott, so schwierig kann das doch nicht sein. Es rennen doch Zehntausende von Leuten rum und nennen sich Marxisten oder Christdemokraten. Irgend einer muss doch mal in 3 Sätzen erklären können was das bedeutet?
Das Problem an den Commons ist doch nicht das angeblich farblose Sprachbehältnis, das wir für sie haben, sondern dessen unsichtbarer Inhalt. Das Problem ist nicht, dass Commonismus (dtsch. Gemeingüterismus) wegen grottenfalscher Fehlinterpretationen ausfällt, sondern dass im Moment noch kein normaler Mensch weiss, was er sich unter dem Begriff Commons eigentlich vorstellen soll. Auch Ostromismus würde dieses Problem nicht lösen und fällt sowieso flach, weil Personenkult ausgedient hat und besonders in den Reihen der Wissenschaft auch keinen guten Ruf genießt. Wir könnten es natürlich auch Constellation coop nennen oder Invasion von der Vega. Aber wozu? Warum bleiben wir nicht einfach bei den Commons? Gerade im Deutschen, denn hier wird das nicht so leicht mit dem Landtag verwechselt, wie in England. Commons: Im deutschen ein wunderbar bedeutungsfreies Wort. Eine richtige Ressource, die man hegen und pflegen sollte. Vielleicht sollte man das Feld sogar noch weiter beackern: Commonarden? Herr Briegleb, das ist eigentlich gar keine schlechte Idee. Die Commonarden commonizieren miteinander, um ihre Commoning rund um die Ressource als Commons zu organisieren. Ich sehe es schon richtig wuseln.
Im Grunde halte ich es auch für falsch, Herrn Briegleb dafür zu schelten, dass er nicht weiss, was Commons sein sollen. Sie wissen es ja selber kaum. Ich habe ja auch keine Ahnung was Spezielle Relativitätstheorie sein soll. Dabei bin ich Naturwissenschaftler und es interessiert mich sogar sehr. Das ist überhaupt ein interessanter Vergleich. Denn warum kennt eigentlich jeder Hinz und Kunz die Relativitätstheorie, obwohl kein normaler Mensch versteht, was sie besagt? Es liegt vermutlich nur daran, dass Albert Einstein uns die Zunge herausgestreckt hat und sich dabei fotografieren ließ. Vielleicht gelingt uns mit Elinor Ostrom ja ein ähnlicher Coup.
Auch Einstein und seine Mitstreiter taten sich mit Erklärungen außerordentlich schwer. Einstein schreibt, so heisst es im Internet: „Die spezielle Relativitätstheorie ist aus der Maxwell-Lorentzschen Theorie der elektromagnetischen Erscheinungen auskristallisiert“. Aus diesem Zusammenhange ist deutlich ersichtlich, wie die „Lorentzkontraktion“ in Einsteins Lorentz-Transformation implizite enthalten ist. Da die Formel für die Lorentz-Kontraktion für gleichförmige Translationsbewegungen gilt, so können wir ergänzend sagen, daß auch die „spezielle Relativität“ in den Maxwell-Lorentzschen Gleichungen implizite enthalten ist.
Deutlich ersichtlich? Was Sie nicht sagen, Herr Professor. Und das alles exakt in drei Sätzen.
Übrigens: Das Fehlen eines griffigen Slogans für die Spezielle Relativitätstheorie konnte nicht verhindern, dass Einsteins Ideen die Welt trotzdem grundlegend verändert haben. Nicht nur zum Besseren, wie man heute weiss. Aber Einstein hat trotz unserer blöden Gesichter am Inhalt seiner Theorie weitergearbeitet und wohl nicht daran gedacht, eine Werbagentur mit seiner Vermarktung und Promotion zu beauftragen.
Und wir? Wollen wir wirklich ausgerechnet die Commons vermarkten? Aber wenn schon, dann bitte richtig. Commons? Echt gechillt! Und immer ein paar USPs* in der Hinterhand halten, bitte. Zum Beispiel sowas: Commonarden nutzen gemeinsam ein Ding, um damit Fun und ein cooles Leben zu haben. Statt bloss fett an sich selbst zu denken, commonizieren sie. Commonizieren heisst, einfach mal gechillt abhängen, um die Sache in Ruhe zu belabern, damit die anderen Kumpels übermorgen auch noch was von dem Ding haben. Und halt Du Dich da raus Vadder, denn das kriegen wir schon selbst hin. Kapiert?
* USPs = Unique selling points
ja also, die letzte Passage wird schonmal für die Aufnahme in den kulturellen Teil der nächsten Buchpublikation vorgemerkt 🙂
Echt? Das ist ja voll gechillt! 😀
Recht hast du. Aber die Motivtion, darüber nachzudenken rührt sicher nicht aus der Sehnsucht nach einem genalen Werbeslogan sondern daher, etwas zu finden, das hilft, den Kern der Angelegenheit einigermaßen unmissverständlich auf den Punkt zu bringen. Aber da sind deine Einwände schon stichhaltg.
Sich nicht gleich erschließende Begriffe können außerdem anregen, sich ein wenig dabei anzustrengen, das Gemeinte zu erläutern. Hatte kürzlich einige im Berliner Nachhaltigkeitsprozess Aktive u.a. danach befragt, was ihrer höchstpersönlichen Meinung nach Nachhaltigkeitsstrategien im Allgemeinen und speziell die Berliner Lokale Agenda 21 prinzipiell leisten könnte oder sollte, und einige haben sich dann fürchterlich distanziert vor diesem „schrecklichen Begriff Agenda den niemand versteht“ (und dann auch noch von Schröders Agenda 2010 in den Abgrund gerissen worden sei).
In Lichtemberg hat man den Nachhaltigkeitsprozess und die kommunale Nachhaltigkeitsstrategie deshalb unter den Slogan „Besser Leben in Lichtemberg“ durchgezogen, was dann sogleich den planetarischen Rio-Kontext gekillt hatte und letztlich half, das Ganze in Vergessenheit geraten zu lassen. So kanns gehen.
Ich verstehe natürlich was du meinst. Aber es ist kein Problem, sondern eine Stärke der Commons-Idee, dass sie sich schlecht auf „den Punkt“ bringen lässt. Warum? Weil eine Kernkonzeption darin besteht, dass die Commoner durch Kommunikation und Einverständnis ihre individuelle Lösung für ihr Commons finden. Dezentral. Kreativ. Selbstorganisiert. Zu erklären, wie dies geht, wäre absurd. Wie sagt schon Elinor Ostrom? „There are no panaceas“. Die Commoners der Millionen möglicher Commons müssen selbst herausfinden, wie sie ihren Umgang mit der Ressource und deren Erhalt handhaben. Die Gesellschaft (und der Staat) muss nur fördern und unterstützen, dass sie es tun. Die Commons sollen doch gar nicht auf „den Punkt“ gebracht werden, sondern auf unendlich viele.
„Aber es ist kein Problem, sondern eine Stärke der Commons-Idee, dass sie sich schlecht auf „den Punkt“ bringen lässt. Warum? Weil eine Kernkonzeption darin besteht, dass die Commoner durch Kommunikation und Einverständnis ihre individuelle Lösung für ihr Commons finden.“
Da bin ich ganz bei dir. Mein spontaner Kurzinterpretationsversuch von Commons = „gemeinsame Verantwortung“ war wohl tatschlich auch zu eng.
„Dezentral. Kreativ. Selbstorganisiert“
Und selbst das könnte zum Dogma werden. Denn warum soll es keinen bewusst verabredeten bzw. in bewusster Absprache (jeweils und/oder) gemeinsam projektierten, herzustellenden, beanspruchbaren und wo notwendig aufrechtzuerhaltenen Nutzen geben, der nicht auch (!) zentral koordiniert ist? Würde etwa ein gewisser Grad an Klimastabilität bzw. Konzentration von „Treibhausgasen“ in der Atmosphäre zu einem Common erklärt d.h. ersteinmal die Absicht erklärt werden, dies zu einem gemeinsamen zu verantworteten Gut der gesamten Menschheit zu machen, müssten Ziele und Maßnahmen doch auch global aufeinander abgestimmt werden. Er würden zentrale und dezentrale (Aneignungs-) Prozesse, Entscheidungen, Maßnahmen usw. aufeinander abgestimmt bzw. Bedingungen für die Möglichkeit, dies zu tun, hergestellt werden.
Manche Dezentralität wird ja auch erst durch zentrale Strukturen möglich.
„Zu erklären, wie dies geht, wäre absurd.“
Ja.
„Die Commoners der Millionen möglicher Commons müssen selbst herausfinden, wie sie ihren Umgang mit der Ressource und deren Erhalt handhaben.“
Möglich, aber die Gleichung „zentral = nicht selbst“ stimmt womöglich nicht in jedem Fall zumindest, wenn wir das Wörtchen „auch“ hinzufügen.
„Die Gesellschaft (und der Staat) muss nur fördern und unterstützen, dass sie es tun. Die Commons sollen doch gar nicht auf „den Punkt“ gebracht werden, sondern auf unendlich viele.“
Schon richtig. Aber hast du das jetzt nicht wunderbar auf den Punkt gebracht? 😉
Du hast natürlich absolut Recht, aber der Umgang mit globalen Ressourcen ist nicht gerade ein einfaches und auch kein typisches Beispiel für Commons, wie Elinor Ostrom sie analysiert hat. Insofern gebe ich Dir absolut recht, dass man es mit den Definitionen nicht übertreiben sollte. Auch die Menschheit als ganzes kann ihren eigenen Weg finden. Und das wäre dann wohl per Definition eine Ausnahme von Ostroms Regeln: Nämlich ein Patentrezept. 🙂
danke für diesen beitrag, jakob :-))!
du sprichst mir aus der seele!
und: ich find es total super, dass du dich so eifrig als commonsblogger betätigst!
Hallo Brigitte. Es ist mir ein Vergnügen. Silke kann sich ja nicht klonen. 🙂
ich habe jetzt jedenfalls ein Problem: Ich muss jetzt überlegen, ob ich das schon halb editierte neue Buch nun doch nochmal mehr auf den Begriff der Commons zuschneide. Ich finde die Argumente nämlich auch überzeugend. Werde ich mal drüber nachdenken!!
Bin gerade sehr fasziniert von den Regionaldebatten in Asien. Hoffentlich dazu später mehr. Auf jedem Fall bringe ich ein schönes Beispiel aus Japan mit nach Hause.
Es bei Commons zu belassen, finde ich auch am besten.
Ich bleibe bei Allmende.
Das finde ich völlig akzeptabel. Ich sage ja auch manchmal „Computer“ und manchmal „Rechner“. Einen Commodore 64 meine ich damit in keinem Fall. Die Inhalte zu den Begriffen ändern sich und warum sollte eine Allmende nur aus Gras und nicht aus Gigabits und Terrabytes bestehen? Im internationalen Diskurs halte ich den Begriff Allmende allerdings für nutzlos.