Gastbeitrag von Gerhard Scherhorn
Steht die Wachstumskritik wirklich im Dienst des Großkapitals?*
Erwiderung auf den Artikel „Wo die Wachstumskritiker landen“ von Lucas Zeise in Heft 4/2011 der Marxistischen Blätter.
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„Wer in der wirtschaftspolitischen Auseinandersetzung gegen die Förderung des Wachstums plädiert, schlägt sich auf die Seite des Großkapitals“ – so Lucas Zeise in den Marxistischen Blättern 4/2011.
Wachstumskritik, so meint der Autor, liege besonders in Deutschland ganz im Interesse der ungehemmten Kapitalakkumulation, weil sie den politischen Kurs unterstützt, durch den „die Konsumnachfrage im Inland gering gehalten wird, die Löhne unter dem Zuwachs der Produktivität bleiben und damit die Wettbewerbsfähigkeit deutscher Unternehmen auf dem Weltmarkt gefördert wird.“ Wer für niedriges Wachstum plädiert, o h n e d i e s e m K u r s z u w i d e r s p r e c h e n , „tritt ein für hohe Erwerbslosigkeit, soziales Elend und eine Schwächung gewerkschaftlicher Gegenmacht“ und trägt dazu bei, dass die Kapitalakkumulation voranschreitet. Denn „dank niedriger Lohnkosten, dank demzufolge geringer Nachfrage im Inland und entsprechend geringer Inflation steigen trotz mäßiger Investitionen im Inland die Exporte, der Exportüberschuss und vor allem die Unternehmergewinne,“ der entstehende Kapitalüberschuss „wird vorwiegend im Ausland investiert.“
Das ist ein Zerrbild der Wachstumskritik. Ein gescheites Zerrbild, wie viele Karikaturen. Es kann die nützliche Funktion haben, Wachstumskritikern vor Augen zu führen, in welche Nachbarschaft sie geraten können, wenn sie nicht entschieden genug klarstellen, dass sie die Wachstumsorientierung deshalb kritisieren, weil – und insoweit – das Wirtschaftswachstum auf dem Verzehr der allen gemeinsamen Lebens- und Produktionsgrundlagen aufgebaut ist. Auch Zeise beklagt, dass der gegenwärtige Wirtschaftskurs diese beschädigt. Doch er denkt dabei nur an die materiellen Ressourcen „Boden, Wasser, Luft, die Tier- und Pflanzenwelt, Metalle, Steine, Kohle, Erdöl und Gas“ und unterstellt den Wachstumskritikern, es gehe ihnen „nur darum, Maßnahmen gegen den Raubbau an der Natur und Umwelt durchzusetzen,“ während es doch immer auch darum gehen müsse, „wer die Kosten für diese Maßnahmen trägt.“
Dieser Vorwurf kann gerade Niko Paech nicht treffen, den er eingangs als Beispiel anführt, und ebensowenig die wissenschaftliche Vereinigung für Ökologische Ökonomie (VÖÖ), die unter Paechs Vorsitz ihre Jahrestagungen den Aspekten der Postwachstumsökonomie widmet. Sie wollen das Wirtschaftswachstum als vorrangiges Ziel abschaffen, weil die Priorität dieses Ziels die Abwälzung („Externalisierung“) von Kosten auf die Gemeingüter teils rechtfertigt und teils verschleiert. Und zu den Gemeingütern, die die Lebens- und Produktionsgrundlagen aller bilden,
gehören neben den naturgegebenen auch die sozial gestalteten Gemeingüter, also z.B. neben dem Klimasystem, der Biodiversität, den Rohstoffvorkommen auch Gesundheit, Beschäftigung, Bildungschancen, gesellschaftlicher Zusammenhalt, Verteilungsgerechtigkeit. Auch auf sie werden Kosten abgewälzt, auch zu ihren Lasten sind Preise niedriger und Gewinne höher als sie bei nachhaltigem Wirtschaften wären.
Kurz: Auch durch Verzehr sozialer Gemeingüter wird Wachstum erzielt – doch erst wenn wir die Gesamtheit der Gemeingüter in ihrem Potential erhalten, können wir von nachhaltiger Entwicklung sprechen. Soweit sich dann noch ein bescheidenes Wirtschaftswachstum einstellt, ist es eine Nebenfolge, und die nachhaltige Entwicklung bildet das vorrangige Ziel. Aber weil man sich dieses Ziel nicht in allen Konsequenzen klar macht, stellen manche sich gern vor, dass Nachhaltigkeit ihnen den Pelz waschen, sie aber nicht nassmachen wird. Um diese Unschärfe zu vermeiden, geht man heute von der Nachhaltigkeitslyrik zur Wachstumskritik über, denn die Denkfigur „Postwachstum“ ist eindeutiger, härter und anschaulicher als die Rede von der Nachhaltigen Entwicklung. So soll unmissverständlich klar werden, dass Nachhaltigkeit nicht ohne Systemänderung zu haben ist.
Die Systemänderung besteht im Kern darin, d e n P r i m a t der Kapitalakkumulation abzuschaffen, nicht diese selbst. Der Primat der Akkumulation privaten Kapitals erlaubt es diesem, Erträge aus dem Substanzverzehr an den Gemeingütern zu ziehen. Der Wettbewerb erzwingt diesen Substanzverzehr, solange die Wettbewerber nicht verpflichtet sind, in die schonende Nutzung oder Wiederherstellung oder Substitution der von ihnen genutzten natürlichen und sozialen Ressourcen zu investieren. Dass man die Investition unterlassen – sprich: die Erhaltungsaufwendungen externalisieren – kann, spart Kosten, ermöglicht Mehrproduktion, erhöht Gewinne, verschafft
einen Wettbewerbsvorsprung, und wenn das ein Wettbewerber ungestraft tun darf, müssen die anderen dasselbe tun, um nicht auskonkurriert zu werden.
Das Gegenteil des Substanzverzehrs ist Nachhaltigkeit; nachhaltige Entwicklung besteht in der Erhaltung der Gemeingüter; diese kann außerhalb ökologischer und sozialer Nischen nur mit einem Verbot der Externalisierung allgemein durchgesetzt werden. Das ist politisch und rechtlich möglich, wie es ja auch möglich war, Monopolisierungstendenzen durch das Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkung wenigstens tendenziell zu kriminalisieren. Der Kapitalismus hat keine eingebauten Grenzen, deshalb muss die Gesellschaft ihm Grenzen setzen. Die Unternehmen können verpflichtet werden, in die Erhaltung der von ihnen genutzten Gemeingüter mit gleicher Effektivität zu investieren wie in die Erhaltung ihrer privaten Produktionsanlagen.
Die Kapitalakkumulation wird dadurch nicht beseitigt; sie hat in jedem System ihre Funktion. Doch wenn alle relevanten Gemeingüter (bis hin zu den Finanzmärkten, die dadurch wieder auf die Kapitalallokation auf den realen Märkten fokussiert werden) in die Erhaltungspflicht einbezogen werden, wird die Akkumulation eingeschränkt und gleichmäßiger verteilt, so dass von ihr keine Gefahr mehr für die Nachhaltige Entwicklung ausgeht. Diese Gefahr liegt nicht nur darin, dass die n a t u r g e g e b e n e n Ressourcen, die für die gesamte Menschheit da sind, die gegenwärtige und die künftige, in ihrem Potential immer weiter aufgezehrt werden, so dass wir im Hinblick auf die materielle Versorgung „den Ast absägen, auf dem wir sitzen“ und uns schließlich in Ressourcenkriegen, Armutswanderungen, Radikalisierung und Kriminalisierung selbst zerstören. Die Erhaltung der n a t ü r l i c h e n Gemeingüter kann verhindern, dass die Versorgung mit materiellen Gütern eines nicht fernen Tages zusammenbricht; doch das ist nicht alles.
Denn der Primat der Kapitalakkumulation bewirkt auch, dass die Ungleichheit der Einkommen und Vermögen immer größer wird, was Zeise den „eigentlichen Skandal“ nennt. Die Rede ist von der Gefahr, dass die s o z i a l e n Gemeingüter zerbrechen, die den zweiten Garant für die Zukunft der Menschheit bilden, weil sie diese zu Kreativität und Kooperation befähigen. Im Grunde haben sie alle mit der Verteilung von Chancen – für Bildung, Einkommen, Gesundheit, Selbstverwirklichung, Gemeinschaft – zu tun und werden zerstört, wenn die Ungleichheit zu groß wird. Deshalb ist Nachhaltigkeit zwar auf Mäßigung der materiellen Ansprüche angewiesen, auf Suffizienz, aber keinesfalls auf eine Suffizienz allein bei den Lohnabhängigen, die die Kapitalakkumulation verstärkt. Im Gegenteil: Da die industrielle Produktivität auch für nachhaltige Entwicklung noch eine Weile steigen muss, ist die Teilhabe und Partizipation aller – das Gemeingut Beschäftigung – nur über kürzere und flexiblere Lebensarbeitszeiten erreichbar und muss die Suffizienz von einer Kombination aus produktivitätsorientierter Lohnpolitik und progressiver Besteuerung flankiert werden. Das würde die Abschöpfung des Volkseinkommens durch die hohen Einkommen in einem Rahmen halten, der Geringverdienern auch bei geringerer Arbeitszeit genug für eine auskömmliche Lebenshaltung übrig lässt.
Auch ist die Erhaltung der Gemeingüter in einer global vernetzten Welt unter keinen Umständen vereinbar mit einer Hinnahme oder gar Befürwortung dauernder hoher Exportüberschüsse oder dauernder hoher Importüberschüsse, denn beide sind schwerwiegende Fälle der Externalisierung nationaler Kosten auf andere Länder und auf das weltwirtschaftliche Gleichgewicht. Dieses aber ist, wie uns spätestens seit der Finanzkrise bewusst wird, eines der wichtigsten und kostbarsten sozialen Gemeingüter.
Was bleibt von der These, die Wachstumskritik stehe im Dienst des Großkapitals? Kann es sein, dass das marxistische Lehrgebäude Scheuklappen erzeugt, die das Verständnis für die Transformation des Kapitalismus in ein Wirtschaftssystem der Nachhaltigen Entwicklung erschweren, weil sie das Denken auf die Dichotomie von Kapital und Arbeit fixieren, während es bei der Transformation doch darum geht, die Fokussierung auf die privaten Güter zu überwinden und den Gemeingütern gleichen Rang zu geben?
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Prof. Dr. Gerhard Scherhorn
Professor emeritus für Konsumökonomik,Universität Hohenheim, Stuttgart.
Senior Consultant, Wuppertal Institut für Klima Umwelt Energie, Wuppertal.
Erstveröffentlichung: Greenhouse Infopool
„…geht man heute von der Nachhaltigkeitslyrik zur Wachstumskritik über, denn die Denkfigur „Postwachstum“ ist eindeutiger, härter und anschaulicher als die Rede von der Nachhaltigen Entwicklung. So soll unmissverständlich klar werden, dass Nachhaltigkeit nicht ohne Systemänderung zu haben ist.“
Man sollte sich aber auch davor hüten, Prozesse der Findung und Refektion von Nachhaltigkeitsparametern, bzw. -zielen, -erfordernissen, -indikatoren, -hemmnissen usw. (siehe z.B. Wikipedia) durch Wachstumskritiklyrik und einer Anhimmlung des Begriffs (bzw. allerlei subjektive Vorstellungen von) „Systemveränderung“ zu ersetzen, dem alles zuvorderst zu dienen hätte.
Zeise macht offenbar den Fehler, dass er die kapitalitische Realtät mit ihren leidigen Interessensgegensätzen und der Unmöglichkeit einer (z.B. ökologisch) hinreichenden sozialen Steuerung von Produktion und Aneignung gegen Bemühungen ins Feld führt, mittels „Wachstumskritik“ zu mehr soziale Steuerung zu kommen. Marx hätte das vermutlich eine reaktionäre, d.h. nach Rückwärts gerichtete Kritik genannt, denn Zeise schlägt mit der so angewandten Klassenkampfkeule auch auf den nach Vorwärts drängenden emanzipatorischen Gehalt der „Wachstumskritik“ ein statt weitergehende Gedanken ins Spiel zu bringen. Das könnten beispielsweise Entwicklungsziele von „Wachstumskritik“ sein wie ein weltgemeinschaftliches Nachhaltigkeitsmanagement, in dessen Rahmen „die Völker selber“ verabreden, was zu welchem und wessen Zweck unter welchen Bedingungen, in welchem Umfang und zu welchen sozialen bzw. ökologischen Kosten, Risiken usw. wachsen und was lieber schrumpfen soll.
Gruß hh
Ein schöner Beitrag von Gerhard Scherhorn. Doch wird in ihm der Begriff des Gemeinguts sehr stark erweitert und letztlich mit jedwedem gesellschaftlich erstrebenswerten Ziel gleichgesetzt: „Gesundheit, Beschäftigung, Bildungschancen, gesellschaftlicher Zusammenhalt, Verteilungsgerechtigkeit“, oder gar das „weltwirtschaftliche Gleichgewicht“. Sicherlich eine große Begriffserweiterung im Verhältnis zu den Commons, wie sie sonst hier im Commonsblog diskutiert werden. Dies ist m.E. nicht hilfreich da durch unbegrenzte Erweiterung der Begriff jegliche Trennschärfe und damit letztlich Brauchbarkeit verliert.
War darüber auch gestolpert zumal das ja sehr unbestimmte Metaphern sind. Man kann vielleicht ein bestimmtes Niveau an Gesundheitsvorsorge, Gesundheitsürsorge oder Gesundheitszustand anstreben, es verteidigen usw. Das in der Hinsicht Angestrebte, das Zu-Tuende oder das Zu-Verteidigende kann zu einem Gemeingut werden (!) indem dessen Herstellung, Pflege und Genuss zur höchstpersönlich eigenen Angelegenheit aller wird. Das Gleiche lässt sich vielleicht zu einer bestimmten Qualität an Bildung usw. sagen. Man kann vielleicht, wenn etwas dann tatsächlich auch allgemein als ein Allgemeingut gilt, dies als solches verteidigen. Aber wenn man jetzt alle möglichen positiven „Werte“ zu Gemeingütern erklärt,wirds beliebig.
Da muss ich es wohl etwas präziser sagen. Nicht „Gesundheit“ oder „Beschäftigung“ als allgemeine Begriffe sind gemeint, sondern konkrete gesellschaftlichen Systeme – z.B. das Beschäftigungssystem. Es ist ein Aspekt dieser Systeme, als Gemeingüter betrachtet werden zu können. Das ist vor allem dann hilfreich, wenn es um die Bewertung von Externalisierungspraktiken geht. Die Entlassung eines Arbeiters ist in mehrerer Hinsicht ein Problem, zu einem gesamtwirtschaftlichen wird sie in Verbindung mit einer Externalisierungs-Strategie: Abwälzung von Kosten auf die Allgemeinheit zu Lasten des Gemeinguts Beschäftigung, d.h. der Teilhabe aller an gesellschaftlich sinnvollen und angesehenen Tätigkeiten. In den 1960er Jahren gab es dieses Problem nicht, jeder Entlassene hätte mit hoher Wahrscheinlichkeit gleich wieder einen Job gefunden. Heute kann man hinter vielen Entlassungen die Weigerung des Unternehmens sehen, stattdessen durch Arbeitszeitverkürzung zur Beschäftigung beizutragen. Das macht die Entlassung zur Externalisierungs-Strategie, und damit wird klarer, dass das Erhalten (hier besser: Verwirklichen) eines nach den Präferenzen der Allgemeinheit gestalteten Beschäftigungssystems von allen, die dieses Gemeingut nutzen, Ersatz-Investitionen fordert – in diesem Fall Ersatz dafür, dass Produktivitätssteigerungen bei hinter ihnen zurück bleibendem Absatz die Leistungsfähigkeit des Beschäftigungssystems abnutzen. Da der Absatz auf Grenzen stößt (z.B. Wiedergewinnung der knapper werdenden Rohstoffe), ist die Investition in Betriebsstrukturen für kürzere Lebensarbeitszeiten ein unerlässliches Mittel, die Abnutzung auszugleichen. Das wird besser erkannt und leichter verwirklicht, wenn wir die Gestaltung des Gemeinguts als eine gemeinsame Aufgabe behandeln. Von der können wir den Staat zwar nicht freistellen, dürfen ihn aber damit auch nicht allein lassen. Dass dies ihn überfordert, liegt ja offen zutage.
Ich verweise hier mal auf https://commonsblog.wordpress.com/was-sind-commons/
Dort werden die Commons/Gemeinschaftsgüter (interessant: nicht Gemeingüter) definiert als Ressourcen:
„Der Begriff der Gemeinschaftsgüter bezieht sich auf zwei zentrale Kategorien. Erstens auf endliche, materielle, natürliche Ressourcen wie Rohstoffe, Energieträger, Wasser, Wald u.v.m. und zweitens auf nicht fassbare, immaterielle, intellektuelle Ressourcen wie Wissen und Ideen – die codes der Informationsgesellschaft (Software) und die codes des Lebens; die Wissensallmende. “
Meines Erachtens geht der von Ihnen, lieber Herr Scherhorn, verwendete Begriff deutlich über diesen Rahmen hinaus, da es nicht mehr um Ressourcen geht, sondern um bestimmte Systemzustände. Mit wäre eine begriffliche Trennung hier lieb – ob das durch die Unterscheidung Gemeinschaftsgüter vs. Gemeingüter leistbar ist? M.E liegen diese beiden Begriffe zu nahe beieinander als dass sie in der öffentlichen Diskussion auseinanderzuhalten wären.
Einen sozial bzw. ökologisch vernünftigen Umgang mit der Freisetzung von Arbeitskraft, die durch Fortschritte in der Produktivitätsentwicklung bewirkt werden, könnte man zu einer Gemeinschaftsaufgabe (ich würde sagen: einer Weltgemeinschaftsaufgabe) erklären bzw. dafür streiten, dass dies auch wirklich eine wird, (was m.E. voraussetzt, dass sich eine als solche handlungsfähige menschliche Gemeinschaft herausbildet). Die schließlich erlangte Fähigkeit zur gemeinschaftlichen bzw. weltgemeinschaftlichen Steuerung des Arbeitsvermögens kann dann natürlich zu einem Gemeinschaftsgut (Weltgemeinschaftsgut) erklärt werden.
Eine Garantie von abhängiger „Beschäftigung“ wäre in meinen Augen allerdings keine sinnvolle Gemeinschaftsaufgabe. Die (bedingungslose) Garantie eines Grundeinkommens für alle wäre mir lieber.
„Eine Garantie von abhängiger „Beschäftigung“ wäre in meinen Augen allerdings keine sinnvolle Gemeinschaftsaufgabe. Die (bedingungslose) Garantie eines Grundeinkommens für alle wäre mir lieber.“
ja genau, wenn Du solche Systeme als Commons denkst, kann sowas wie „Garantie von abhängiger Beschäftigung“ eigentlich auch nicht mehr rauskommen. Weil ja der Punkt an den Commons ist, dass sie für Freiheit von Fremdbestimmung sorgen.
Jetzt muss ich mich mal einmischen:
Jörg, ich denke, Prof. Scherhorn hat recht, wenn er versucht, auch öffentliche Infrastrukturen bzw. komplexe soziale Systeme als Gemeingut zu denken. Daran haben wir vor 3 Jahren noch gar nicht gedacht. Aber inzwischen ist die Debatte etwas vorangeschritten. Im nächsten Buch wird das ein Thema werden. Etwa: Kann man die Energieversorgung und Energieinfrastruktur eigentlich als Gemeingut denken? Und wenn ja, wie sieht das aus. Welche Pflöcke müssen eingeschlagen werden, um das überhaupt denken zu können (die Arbeit von Herrn Scherhorn verstehe ich so, dass er diese Pflöcke einschlägt — und zwar ins gegenwärtig existierende System)
All das sind die Fragen, an denen wir uns gerade (sehr langsam) abarbeiten. Und in diesem Sinne ist die Erweiterung, die Du in dem Artikel von Herrn Scherhorn liest eine, an die wir uns wagen müssen.
Ich lege größten Wert auf die Unterscheidung Ressourcenebene – Ebene der Sozialbeziehungen und wenn Du über Gemeingüter/Commons/Allmende redest, bist Du immer auf der Ebene der Sozialbeziehungen (das Beschäftigungssystem ist ein konkreter Ausdruck dessen).
Deswegen ist unsere bislang verwendete deutsche Übersetzung „Gemeingüter“ ja auch unglücklich … sie assoziiert immer NUR die Ressourcenebene.
Im Grunde aber bedarf es noch einer ganz anderen Erweiterung. Die Commonsperspektive ist – so lerne ich immer wieder – noch viel prinzipieller als das bei Ostrom nachzulesen ist. Es ist wirklich ein Paradigmenwechsel, in dem es Trennung (hier die Ressourcen – da die Menschen, die mit ihnen umgehen) eigentlich nicht mehr gibt. In dem der Begriff Commons als lebendige, anpassungsfähige, an den Bedürfnissen der Menschen und Nachhaltigkeitsaspekten orientierte Selbstorganisationsvielfalt verstanden wird (schau mal hier: http://www.oya-online.de/article/read/503-Essenz_der_Demokratie_Die_Commonie.html), die einem Design folgen, dass so gestrickt ist, dass die Entfaltung und die Beiträge des Einzelnen auch das Ganze stärken und entfalten. Quasi als in built feature. d
Hm, kann man alles machen, man kommt dann eben in die Weiten der gesamten Diskussion über Gesellschaft als Selbstorganisationsprozess. Dann werden Gemeingüter eben „alles was wir gemeinsam für erstrebenswert halten (sollten) und uns aktiv selbst drum kümmern (sollten)“.
Dann geht es dem Begriff so wie dem der Nachhaltigkeit, der auch immer mehr angereichert wurde: von der Reproduktionsfähigkeit der Ökosysteme ging es dann weiter zum beliebten Dreisäulenmodell (ökonomisch, ökologisch, sozial), dann wurden Kultur, Demokratie und Frieden eingemeindet, und schliesslich stand Nachhaltigkeit so ziemlich für alles Wahre, Schöne und Gute. Aber für wenig spezifisches. Meines Erachtens hat der Nachhaltigkeitsbegriff mit der Trennschärfe auch seine politische Brauchbarkeit weitgehend verloren.
Letztlich gibt es da bei Begriffsverwendungen kein richtig oder falsch, nur Konventionen. Mein eigenes Bedürfnis geht eher in Richtung Klarheit und ggf. Trennschärfe, als in Richtung einer Subsumption von sehr vielem unter einem Begriff.
Einer Fetischisierung von Begriffen, die der Orientierung dienen (sollen), ob nun Nachhaltigkeit, Fortschritt, Emanzipation, Commons, Gott oder gute Regierungsführung wird man m.E. nie ganz entkommen. Die tritt stets in dem Maße auf, wie konkrete Zusammenhänge nicht benannt oder erkennbar sind. Das macht auch oft deren Magie aus, deren Fähigkeit auch ersteinmal Unvereinbares in einen Dialog zu bringen – was ja auch Voraussetzung dafür werden kann, etwas am Ende auf die Ebene sozialer Vereinbarungen heben, und die Gegensätze so aufheben zu können. Konkretisierunge sind einer verlässlichen Verständigung allerdings ausgesprochen zuträglich :-).
Darum benötigen Nachhaltigkeitsprozesse z.B. auch unbedingt Nachhaltigkeitsstrategien in denen konkret Wünschenwertes und (bis wann genau) Dafür-zu-Tuendes konkret festgelegt werden. (Und einen kontinulierlichen Prozess ihrer Überprüfung und Erneuerung, Erweiterung)
Eine Fetischisierung des Nachhaltigkeitsbegriffes, der einen bestimmten Qualitäts- bzw. Bedingungsrahmen für von Entwicklung beschreibt oder des Begriffs der Commons, der einen Anspruch der gemeinschaftlichen Bestimmung und Sorge beschreibt, hat m.E. nichts mit der Ausdehnung der damit jeweils gemeinten Gegenstände, Zustände usw. zu tun. Das ist jedenfalls nicht zwingend Ergebnis einer solchen Ausweitung sondern hat mit Dingen wie Genauigkeit, Nachvollziehbarkeit, Praxisbezug, konkrete Beschreibungen, Festlegungen zu tun.
Gruß hh, der sich z.B. fragt, wie eine nachhaltige Entwicklung Berlins zu einem Common, in dem Kontext also einer wrklichen Gemeinschaftsaufgabe werden könnte.
Sorry. Immer wieder diese Flüchtigkeitsfehler! In dem Abschnitt unter dem Smily war die Klammer nicht vollständig: Sollte heißen: (Und einen kontinulierlichen Prozess ihrer Überprüfung und Erneuerung, Erweiterung durchlaufen)
In dem letzten Abschnitt: Nachvollziehbarkeit, Gebrauch im jeweiligen Kontext usw. sind natürlich als Mittel, der Fetischisierung entgegenzuwirken erwähnt.
Btw. Der Begriff „Ressourcen“ bezeichnet ja eigentlich auch soziale Funktionen, keine natürlichen. Etwas wird durch seinen Gebrauchswert zur Herstellung eines gewünschten Effekts zu einer Ressource. Und zur gemeinschaftlich bestimmten Ressorce wird sie durch entsprechende Übereinkommen, Nutzungsrechte, u.U. auch Pflichten bezüglich deren Pflege und Erneuerung.