Europäische Anti-Stevia-Allianz: Verschwörungstheorie oder Komplott?

Ausgerechnet meine Tochter giesst gestern Öl … ach was – Kerosin … in das Feuer meines emotionalen Ofens. Echaufieren nennt man das, soviel ich weiss. Also, die junge Dame muss als Deutsch-Hausaufgabe einen Artikel aus der Stuttgarter Zeitung über die Stevia-Pflanze kommentieren. Es geht um die neuerliche Zulassung durch die EU von Steviaglykosiden als Süßstoff in Lebensmitteln und Getränken. Wer „keine Skrupel hatte, seinen Kaffee mit Badesalz zu süßen, konnte Stevia bereits ausprobieren“, schreibt Tanja Volz in diesem Artikel. Die jetzt verabschiedete europäische Verordnung, so steht dort geschrieben, erlaubt nur die Verwendung von sogenannten Steviolglykosiden. Steviolglykoside werden von der Pflanze produziert. Sie bewirken, dass die Blätter süß schmecken. Weil diese pflanzlichen Stoffe aber chemisch gewonnen werden, darf man den Süßstoff nicht als natürlich bezeichnen. Nicht zugelassen sind weiterhin Teile der Pflanze, etwa die Blätter. Die Pflanze gilt nach wie vor als neuartiges Lebensmittel und darf nur nach einer gesundheitlichen Bewertung in den Handel kommen.

Das ist ja an Absurdität nicht zu überbieten. Ein pflanzlicher Inhaltsstoff darf nur chemisch aufbereitet verwendet und deshalb nicht als natürlich bezeichnet werden? Und die seit Hunderten von Jahren durch die Guarani-Indianer genutzte Pflanze gilt als neuartiges Lebensmittel, das erst einer gesundheitlichen Bewertung bedarf?

Wann wurde eigentlich der Rübenzucker in unseren Lebensmitteln das letzte Mal gesundheitlich bewertet? Ich sage nur Karies, Übergewicht … .

Nun, ich nehme einmal an, dass die Stuttgarter Zeitung unter Zeitdruck recherchiert und deshalb nicht tiefer in die Materie eingedrungen ist. Oder müsste ich Schlimmeres vermuten?

Tierversuche in den 80er und 90er Jahren hätten ergeben, so die Zeitung, dass ein Stoffwechselprodukt von Stevia Krebs auslösen und unter bestimmten Voraussetzungen unfruchtbar machen könnte. Allerdings seien diese Daten nicht haltbar. Warum erwähnt man sie dann eigentlich? Und warum wurden sie überhaupt publiziert?

Die europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit habe, so steht da weiter geschrieben, keine Krebs erregenden, toxischen oder negativen Auswirkungen auf die Fortpflanzungsorgane oder das ungeborene Leben gefunden. Die Frage, ob Stevia vielleicht impotent macht oder ADHS auslöst, wird allerdings nicht aufgeworfen. Zumindest nicht offensichtlich.

Allerdings müssten die Langzeitwirkungen von Stevia auf die Gesundheit weiterhin untersucht werden.

Daher, so die Zeitung weiter, dürften die Steviolglykoside nicht in beliebiger Menge in Schokolade oder Limonade gemischt werden. Die von der EU festgelegte maximal zulässige Tagesdosis von vier Milligramm pro Kilogramm Körpergewicht reiche nicht, um eine ganze Flasche Eistee mit Stevia zu süßen.

Na so ein Zufall.

Meiner Tochter ist jedenfalls der Appetit auf Stevia vergangen. Natürlich völlig unbeabsichtigt. Am liebsten würde man fragen, wer da einen Koffer Geld in Brüssel abgestellt hat. Der süddeutsche Rübenzucker? Acesulfam-K? Saccharin? Cyclamat? Sucralose? Alle zusammen? Oder ist das alles nur Zufall?

Vielleicht ist es ja auch ein überforderter junger Familienvater, der die EU-Kommission in Fragen der Lebensmittelsicherheit berät und im Stress die Geldquellen vergessen und die Zitate durcheinander gebracht hat.

Was den Geschmack angeht, so habe ich heute abend zufällig mein erstes Stevia-Lebensmittel entdeckt. Es schmeckte wunderbar! Bio-Jogurt Orange-Sanddorn mit Stevia und Rübenzucker gesüsst. Die EU schreibt das so vor, dass noch mit Rübenzucker dazu gesüsst werden muss. Aus Sicherheitsgründen. Ich sollte sie verklagen, weil sie mir den Zugang zu einer sinnvollen Ressource verbaut. Für jedes Loch in einem Zahn. Für jedes überflüssige Pfund.

4 Gedanken zu „Europäische Anti-Stevia-Allianz: Verschwörungstheorie oder Komplott?

  1. Die armen Japaner. Wo die doch so viel Stevia-gesüßtes Zeug zu sich nehmen… Seit Jahrzehnten.
    Wer is(s)t gesünder? Japaner oder Deutsche?

    (hach, muss gerade wieder an eine Doku denken: Hier liegt Frau X, sie ist jung gestorben, sie war erst 92.)

  2. Dein Beitrag strotz vor Unwissen und Popularismus.
    Es ist ein neuartiges Lebensmittel für Europäer. Im Südamerika hat man früher auch immer Cocatee getrunken (vllt macht man das auch nocht), deshalb ist das ganze noch lange nicht gesund.
    Außerdem hat die Zeitung sehr gut recherchiert diesbezüglich.

    Ich finde es auch nervig, weil ich gehofft hatte, dass es einen natürlichen Süßstoff geben könnte.
    Aber dennoch find ich es gut, wenn Nahrungsmittel erstmal getestet werden!
    Warum eine Zuckerrübe nicht mehr getestet wird liegt auf der Hand.
    Es gibt einfach ein paar Lebensmittel, auch Medizin etc. pp, die wir einfach schon so gewohnt sind, dass ein Verbot niemals durchsetzbar wäre. Aspirin ist da so ein Kandidat.

    Außerdem hat Diabetes nichts mit der Zuckerrübe zu tun. Die Ammis kriegen mehr Diabetes und die süßen ausschließlich mit Maissirup.

    Egal wie. Ich finde es komisch, dass gerade du, die wohl Naturprodukte mag, es nicht gut findet, dass unsere Produkte getestet werden.
    Ist „bio“ nicht das meistgeteste? Wollt Ihr/Du nicht gerade GESUNDE Lebensmittel????
    Irgendwie passen das bei dir nicht zusammen.
    Oder glaubst du etwa alles was natürlich ist, ist viel gesünder???
    Letzteren Trend erlebe ich immer mehr und ist ein gefährlicher Irrglaube.

    • Lieber T. Weishaar,
      zunächst möchte ich mich für Deinen engagierten Kommentar bedanken und vor allem für den Hinweis auf den fehlenden Zusammenhang zwischen Diabetes und Zuckerkonsum. Ich habe dies umgehend korrigiert.
      Ich persönlich finde übrigens Naturprodukte höchstens appetitlicher und nicht gesünder. Knollenblätterpilz, Rotfeuerfisch und Schierling sind sehr natürlich, aber durchaus nicht sonderlich gesund. Was mich beschlichen hat in diesem Zusammenhang ist der Verdacht, dass hier unter dem Deckmäntelchen der Gesundheitsfürsorge Lobbypolitik betrieben wird. Eine ganz ähnliche Situation findet sich ja bei den zahllosen Schildchen „Kein Trinkwasser“ an jedem x-beliebigen Brunnen. Die Strategie, bei natürlichen Dingen zunächst einmal ein „Vorsicht! Nicht getestet.“-Schildchen hinzuhängen und damit indirekt darauf zu verweisen, dass Industrieprodukte wie Tütenzucker und Flaschenwasser unbedenklich seien, ist ja sehr klug. Denn bei diesen Schildern vergeht einem ja tatsächlich der Appetit und gleichzeitig hat man den Eindruck, dass die Behörden einen vor gesundheitlichen Schäden bewahren. Ganz ähnlich wie beim Mindesthaltbarkeitsdatum. Wenn dieses überschritten ist, dann werfen wird das Joghurt weg – völlig unabhängig von der Frage, ob der Genuss in irgend einer Form beeinträchtigt wäre.
      Was mich ärgert ist der Mißbrauch sinnvoller Kontrollmöglichkeiten durch wirtschaftliche Interessengruppen und eine Presse, die unkritisch hierüber berichtet.
      Gruß, Jakob

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