Bei der ganzen Debatte über das Urheberrecht und den Diebstahl geistigen Eigentums, die derzeit durch alle Medien geistert (Thomas @sechsdreinuller twitterte gestern: Was am DFP-Pokal wirklich toll ist: 90 Minuten keine Urheberrecht-Tweets!) wundert mich, wie unpräzise die Forderungen der selbsterklärten Urheberrechts-Schutzfraktion definiert sind. Was genau soll hier eigentlich verteidigt werden?
Über das Geistige Eigentum, das angeblich gestohlen wird, habe ich mich schon vor einigen Tagen amüsiert. Betrachtet man die Welt aller möglichen Gedanken als eine Landschaft, so könnte man das Geistige Eigentum als ein Privatgrundstück verstehen, das man innerhalb dieser Landschaft erworben hat. Dieser Erwerb findet statt, indem der Urheber eines Gedanken diesen in irgend einer Form materialisiert, zum Beispiel mittels einer Schreibmaschine oder durch eine Zeichnung, die er macht. Das Urheberrecht legt fest wie und in welcher Form dieser Erwerb von Grundbesitz in der Landschaft der Gedanken zustande kommt.
Betrachten wir zunächst die Landschaft. In seinem Buch Die Physik, das Leben und die Seele stellt der Physiker und Neurobiologe Alfred Gierer folgende Rechnung auf: Es gibt 10 hoch 80 (also eine 1 mit 80 Nullen) stabile Partikel im Universum und 10 hoch 40 Elementarzeiten (das ist die minimale Zeit die benötigt wird, damit überhaupt etwas geschehen kann). Daraus folgert Gierer brilliant: Ein Computer, der so groß und so alt wäre wie das ganze Universum, der seit seinem Bestehen ununterbrochen rechnen würde und dessen Bauelemente einzelne langlebige Elementarteilchen wären, könnte bis heute höchstens 10 hoch 120 Operationen ausgeführt haben, nämlich die Anzahl der elementaren Bausteine (10 hoch 80) multipliziert mit dem Alter der Welt in Elementarzeiten (10 hoch 40). Die Anzahl 10 hoch 120, so Gierer, ist eine praktisch nie erreichbare Obergrenze kosmologisch möglicher Prozesse.
Er fährt fort, und jetzt wird es wirklich spannend: Wenn man innerhalb von drei Minuten eine beliebige, möglichst zufällige und unregelmäßige Folge von über 120 Ziffern auf ein Blatt Papier schreibt, so ist die sich ergebende Zahl ein einmaliges, originelles “Kunstwerk”… Für Texte von der Länge einer Schreibmaschinenseite oder die Passagierliste eines Großraumflugzeugs gibt es ebenfalls viel mehr Möglichkeiten, als je einzeln geprüft oder realisiert werden können (Quelle: Alfred Gierer (1985) ”Die Physik, das Leben und die Seele”, Piper München).
Lässt man einmal alle einschränkenden Aspekte beiseite (eine beschriebene Seite Papier stellt nie eine möglichst zufällige und unregelmäßige Folge von Buchstaben oder Wörtern dar, sondern bekommt ihre Bedeutung nur in einem kulturellen und historischen Kontext), so hat dies natürlich erhebliche philosophische Konsequenzen. Denn, so wird nun der eine oder andere Krimiautor sagen, dies beweist, dass schon eine einzige mit Schreibmaschine beschriebene Seite Papier ein einmaliges Werk darstellt, das ohne den Urheber niemals in dieser Form entstanden wäre. Eine perfekte Begründung für den Anspruch auf geistiges Eigentum also?
Wir wollen dem fiktiven Krimiautor seinen Anspruch auf sein Geistiges Eigentum nach dem Urheberrecht gar nicht streitig machen. Stattdessen stellen wir die Frage: Was will ein Autor mit seinem Geistigen Eigentum eigentlich beanspruchen und wie gehen wir als Gesellschaft mit diesem Anspruch um?
Will der Autor erreichen, dass niemand einen Gedanken je wieder haben darf, den er selbst bereits zu seinem geistigen Eigentum proklamiert hat?
Wozu sollte das nutzen? Würde das Urheberrecht auf den Satz „Ich habe Hunger“ die Ernährungsprobleme der Welt lösen? Und vor allem: Wie sollte man dies kontrollieren oder (falls Gedankenlesen schon erfunden ist) durchsetzen? Haben Sie je versucht, an irgend etwas nicht zu denken?
Es ist offensichtlich, dass derlei Motivationen nichts mit dem Begriff des Geistigen Eigentums zu tun haben können. Man kann nicht für sich beanspruchen, dass kein anderer je das Privatgrundstück in der Landschaft aller Gedanken betritt, als dessen Eigentümer man sich wähnt.
Aber um was geht es dann?
Natürlich geht es um die Veräußerbarmachung dieser Sache. Ein typischer Enclosure-Prozess, genau nach dem gleichen Prinzip, wie die historischen Enclosure Prozesse in England im 18. und 19. Jahrhundert. Dort wurden die Menschen von der Nutzung des bis dahin frei zugänglichen Landes ausgeschlossen, um dieses nun eingehegte Land veräußerbar zu machen. Der Eigentümer des Landes konnte sein Eigentum nun beispielsweise an einen Investor veräußern, der daran aber nur Interesse zeigte, wenn damit gleichzeitig ein exklusives Nutzungsrecht verbunden war. Um dies zu bewerkstelligen musste ein exklusives Nutzungsrecht erschaffen werden. Genau dies leistet die Einhegung. Das Prinzip, Menschen von der Nutzung einer Sache auszuschließen ist also eine gezielte Strategie, um einer an sich frei verfügbaren Sache einen ökonomischen Handelswert zu verschaffen.
Sagt dies etwas über den Kaufpreis der Sache aus?
Ja natürlich! Die Erzeugung künstlicher Knappheit erlaubt es, den Verkaufswert einer Sache beliebig zu erhöhen, solange diese Sache von Menschen gebraucht wird. Aber Silke hat in ihrem Beitrag schon darauf hingewiesen, dass Urheberrecht nicht das Recht auf ein faires Honorar bedeutet. Genau wie ein hoher Verkaufspreis von in Asien gefertigten Markenhosen nichts über den Lohn der Schneiderinnen vor Ort besagt. Es bedeutet nur, dass das Werk eines Urhebers zu einer veräußerbaren Ware wird, die auf dem Markt gehandelt werden kann und mittels des Urheberrechts in seiner Knappheit und damit seinem Marktwert beeinflusst werden kann. Schon die alten Handelsdynastien aus Venedig, Genua und Amsterdam wussten, dass man sehr viel leichter sehr viel Geld verdienen kann, wenn man ein exklusives Recht an einem Produkt hat und somit keine Konkurrenz. Wer an diesem Handel Geld verdient und wieviel, darüber sagt das Urheberrecht nichts aus! In den seltensten Fällen wird es der Urheber sein, der in der Regel seine Rechte längst veräußert hat. Oft verdient der Autor an seinem Werk überhaupt nichts und muss für die Veröffentlichung sogar noch Zuschüsse bezahlen, so wie dies bei den Autoren in der Wissenschaft beobachtet werden kann.
Aber ich will hier das Geistige Eigentum (obwohl es mir gestohlen bleiben kann, da es aus meiner Sicht ein unnützes und anachronistisches Konstrukt darstellt) gar nicht in Frage stellen. Ich will nur die Frage aufwerfen, ob jeder der solch geistiges Eigentum für sich beansprucht, eigentlich weiss was er damit anfangen will – außer andere daran zu hindern, dieses Privatgrundstück in der geistigen Landschaft zu betreten.
Dies ist übrigens keine böswillige Suggestion sondern tägliche Realität, denn die überwiegende Mehrzahl von Patenten dient nicht der Verwertung, sondern der Verhinderung von Ideen und Konkurenz.
Jeder Autor und Künstler hat selbstverständlich ein berechtigtes Interesse an Respekt vor seiner Schaffenskraft und seinem Werk. Diesen Respekt erzeugt man aber durch Verbreitung, durch Interessieren, durch Begeistern, durch das Schaffen von Zugang, durch Commoning – und nicht durch Einhegung, durch Enclosure, durch Aussperren. Respekt und Anerkennung entstehen durch Auseinandersetzung mit dem Werk, durch kulturellen Diskurs. Nicht dadurch, dass man potentielle Leser durch einen hohen Zaun und einen unangemessenen Preis beeindruckt.
Künstler sollen nicht altruistisch ohne Gegenleistung arbeiten und hungern wie Knut Hamsun. Wie jeder andere Mensch hat ein Künstler, Schriftsteller oder Wissenschaftler einen berechtigten Anspruch auf eine faire Entlohnung seiner Tätigkeit. Aber das Urheberrecht gibt auf genau diese Frage keine befriedigende Antwort.
Die wirschaftlichen Probleme der Kulturschaffenden haben ihren Ursprung nicht in einer angeblichen Umsonst-Mentalität im Internet. Es gab sie längst, noch bevor es das Internet gab. Die Künstler in meinem familiären und sozialen Umfeld beispielsweise, arbeiteten bereits unter sehr schwierigen ökonomischen Bedingungen lange bevor der erste PC auf dem Markt erschien. Die Ursache für die schlechte wirtschaftliche Lage vieler Künstler ist also nicht die digitale Reproduzierbarkeit von Kunst, sondern der unreife Umgang unserer Gesellschaft mit der Kultur. Die Tatsache, dass wir immer mehr dazu übergegangen sind nur noch Dinge als fördernswert anzusehen, die sich ökonomisch rentieren. Für die Menschen bereit sind etwas zu bezahlen.
Mit Commoning, also dem gemeinsamen Kümmern und Erhalt des Gemeinguts Kultur, hat die derzeitige Diskussion samt und sonders leider nichts zu tun.
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Wohltuend, wenn jemand in dieser ganzen aufgeladenen Hetze noch Fragen stellt und wirklich über Antworten nachdenkt.
Schön, dass es Ihnen gefällt. Es beschleicht einen ja beim Betrachten dieser Debatte das Gefühl, jeder suche nur noch nach Keulen um andere totzuschlagen. Ich weiss gar nicht, wie man im Anschluß an diesen „Krieg“ je wieder Lust bekommen soll ein Buch zu lesen.
Fragen sehe ich schon, aber keine Antworten. Nicht, dass es schlimm wäre, Fragen zu stellen, aber ich verkürzt verstehe ich:
1. Urheberrecht und geistiges Eigentum sind eine unangemessene Besitzergreifung.
2. „Künstler sollen nicht altruistisch ohne Gegenleistung arbeiten“
Irgendwie fehlt mir da die Synthese.
Meiner Meinung nach besteht die Synthese darin, dass man über eine Anpassung des Urheberrechts an vollkommen neue Umstände nachdenken darf bzw. muss.
Schön, dass jemand meine endlosen Antworten so schön in einem Satz zusammenfassen kann. 🙂
Es ist schon richtig, das jetzige Urheberrecht krankt in seiner Durchsetzung und auch an der konkreten Umsetzung. Die Frage, um die es bei dir im Kern ja geht, ist die nach dem Zusammenhang von Kultur und Gesellschaft. Und es fällt nicht schwer, dir in weiten Teilen zuzustimmen, wenn du einen freien Zugang zu Wissen und Kultur wünscht. Schließlich liegt es ja auch in der Absicht der Urheber, wahrgenommen zu werden und die Gesellschaft durch ihren Beitrag voranzubringen. Das Problem ist nur, dass viele Urheber gerne bezahlt werden wollen bzw. müssen, damit sie überhaupt die Möglichkeit haben, kulturell zu arbeiten. Und die an sich gute Theorie wird am Ende immer wieder auf dieses haßliche Problem zurückgeführt: Geld. Ich vermute auch und gestehe zu, dass ein Commonsmodell der bessere Weg für Zugang und Verbreitung ist. Nur ist das möglicherweise eine Wunschvorstellung, wenn es um die Kulturschaffung geht. Nicht das ich deinen Beitrag an sich angreifen wollte, nur fehlte mir darin eine konkrete Lösungsidee. Das klingt ein wenig so, ich bitte den polemischen Vergleich zu verzeihen, als wenn man feststellen würde, dass eine Welt ohne Krieg viel schöner wäre, und man alle Menschen auffordert, bitteschön ab jetzt ihre Mitmenschen zu lieben. Allein das „Urheberrecht zu anzupassen“ ist mir zu vage. Wie anpassen? Das meinte ich damit, dass mir die Synthese fehlt. Ich habe in meinem letzten Blogartikel („Urheberrecht: Verwertungsrechte“) zum Ende selbst versucht, alternative Modelle zu finden und muss gestehen, dass ich eine universelle Antwort natürlich auch nicht weiß.
Dies soll die eigentliche Antwort nicht ersetzen, aber ich möchte in der Kürze der Zeit (ich sitze in der DB Lounge und warte auf den Zug) ein Beispiel erwähnen, das einfach nur zeigt, dass es schon jetzt für Autoren andere Modelle als die des Marktes gibt, die sinnvoll funktionieren:
Die deutsche Forschung wird vom Bund mit einigen Milliarden jährlich gefördert. Dieses Budget wird der Gesamtheit aller deutschen Wissenschaftler vertreten durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) zur Selbstverwaltung zur Verfügung gestellt. Die DFG entscheidet ohne Zutun des Staates (der nur die Rahmenbedingungen definiert), welcher Wissenschaftler für welches Projekt wieviel von diesem Kuchen abbekommt.
Was viele vergessen: Das Resultat dieser Forschung sind faktisch nur Publikationen. Wissenschaft schafft Wissen und keine sonstigen Produkte. Abgesehen davon, dass der nächste Schritt vielfach nicht sauber umgesetzt wird, nämlich der freie Zugang zu diesem Wissen, zeigt dies doch ein funktionierendes Modell.
Kaum ein vernünftiger Mensch kommt auf die Idee, Wissenschaftler müssten vom Verkauf ihrer Publikationen leben. Oder ihr Gehalt müsse sich danach richten, wieviel sie publizieren (*ironisches Grinsen*). Das Resultat könnte man aus Frederike Habermanns Beitrag im neuen Commons-Buch vorwegnehmen: Punkt-Punkt-Komma-Strich-Publikationen! Der Wissenschaftler wird im Prinzip für seine Arbeit bezahlt und nicht für die Verwertung seiner Rechte.
Ich wäre verrückt, wenn ich hier in der Bahnlounge eine DAG, eine Deutsche Autorengemeinschaft nach dem Vorbild der DFG gründen wollte. So ist das Beispiel nicht gemeint. Aber es zeigt aus meiner Sicht, dass bereits jetzt auch andere Modelle jenseits von Markt und Staat zur Finanzierung von Werken wirkungsvoll funktionieren. Und zwar auch solche, die ein durchaus ähnliches Budget Volumen wie der deutsche Buchmarkt haben.
PS: Das NIH in den USA knüpft an eine Förderung die Bedingung des freien Zugangs zu den Resultaten. Und auch wichtig: Kein Wissenschaftler wird gezwungen, sich auf diesem Wege fördern zu lassen. Es geht nicht um Diktat, sondern um Möglichkeiten und Rahmenbedingungen.
Ein „DAG“ wäre nicht notwenig schlecht und ähnlich wie eine Kulturflatrate. Das Problem ist da natürlich, dass man Kunst noch schwerer bewerten kann als Wissenschaft oder dass es mehr „..,-„-Veröffentlichungen gibt. Das sind neue und andere Probleme, ist aber nichts, was man nicht vielleicht irgendwie lösen könnte. Wieso nicht darüber nachdenken?