Commons statt Grüne Ökonomie. Rio+20 anders denken

Das ist der Titel eines Beitrags, den ich jüngst im Umweltjournal von Rheinland-Pfalz veröffentlicht habe, und den ich auch unseren Blogleser_innen nicht vorenthalten will. Deshalb gib’ts ihn hier in voller Länge.

Commons statt Grüne Ökonomie. Rio+20 anders denken

Königin Elisabeth feiert ihr diamantenes Tronjubiläum; dicht am ursprünglich für den UN Gipfel für Nachhaltige Entwicklung vorgesehenen Termin. Aus diversen Terminoptimierungsgründen kommen die Regierungsvertreter in Rio de Janeiro nun erst nach den Feierlichkeiten für die Queen zusammen. Ob sie unserer Zukunft dabei genauso viel Respekt zollen wie dem britischen Königshaus, steht zu bezweifeln. Der „zero draft“, den die UN in Vorbereitung des Gipfels im Oktober 2011 zur Kommentierung freigab, bot wenig Ermutigendes. Und auch die drei Monate später publizierte Fassung mit den Anmerkungen und Textvorschlägen zahlreicher Nationalstaaten, lässt nicht mehr als das Leitmotiv eines grünen Kapitalismus erkennen: viel Markt und etwas mehr Regulierung für (vorgeblich) mehr Naturschutz bei deutlich höheren Preisen.

Green Economy“: Monster oder Segen?
In Denken und Sprache des offiziellen Rio+20 Prozesses wird der im Kern unauflösbare Widerspruch zwischen der Notwendigkeit eines drastisch geringeren Ressourcenverbrauchs einerseits und der Forderung nach wirtschaftlichem Wachstum andererseits durch Begrünung unsichtbar gemacht. Nur so lassen sich „ökologische“ und „ökonomische“ Nachhaltigkeit zusammenbinden, während kulturelle und politische Fragen ausgeblendet werden. Nur so kann das Beharren darauf, keine neuen „Handelsbarrieren“ zu schaffen (§31 des zero draft) einträchtig neben der durchaus commons-kombatiblen Idee stehen, lokale Planungs- und Entscheidungsprozesse zu stärken (§ 20, 44, 61), als hätten lokale Akteure in Welthandelsfragen irgend ein Sagen.

Der 700 seitige UNDP Bericht „Towards a Green Economy“ vom Februar 2011 benennt treffend die wichtigsten Symptome von Ressourcenerschöpfung und sozialer Spaltung. Seine Botschaft lautet: Ein weiter wie bisher kann es nicht geben, doch das grüne Wachstum kann es richten. Spätestens seit diesem Bericht gilt die Green Economy als vielversprechender, potentieller Brückenbauer und zentraler Wachstumshebel. Vor allem die Europäische Union und das Gastgeberland Brasilien haben sich ihr verschrieben. Die USA hingegen wirken bekanntermaßen jeglichem Vorstoß zur Internalisierung von Umweltkosten entgegen. Andere Länder, z.B. aus Lateinamerika oder der OPEC, sind aus anderen Gründen Green-Economy-kritisch. Sie fürchten entweder eine neue Art des Protektionismus oder die Erneuerbaren Energien. Und Teile der Sozialen Bewegungen – insbesondere aus dem Süden – haben das Kernkonzept des offiziellen Rio+20 Prozesses gar als „Monster“ qualifiziert. NO-Green-Economy titeln sie ihre Veranstaltungen während sich Umweltorganisationen aus den Industrieländern fragen, wie diese Verteufelung des doch immerhin Grünen der hiesigen Öffentlichkeit zu vermitteln sei. Das wundert nicht, denn parteiübergreifend klingen weder „green“ noch „economy“ sonderlich problematisch. Die Wortwahl zeigt sogar eine Offenheit für unterschiedliche Wirtschaftsweisen, die in China oder Kuba anders aussehen als in Deutschland oder den USA. Im offiziellen Sprachgebrauch gibt man sich polit-pragmatisch: Egal ob in dem einen oder dem anderen Modell von Economy: Hauptsache green.

Green Economy“: Ein Kind des Entweder-oder-Denkens

Um zu verstehen, warum soziale Bewegungen ihr Unbehagen massiv auf Rios Straßen tragen werden, muss man verstehen, dass die Green Economy auf zwei gigantischen Pfeilern steht, die in unser Denken gerammt sind. Die Phrase bezieht sich ausschließlich auf marktwirtschaftliches Verhalten im Sinne des modernen Kapitalismus oder auf diverse Staats- und planwirtschaftliche Handlungsweisen. In beiden ist eine Wachstumslogik ebenso eingebaut wie die Abhängigkeit von der Geldwirtschaft. Das macht die Lektüre der einschlägigen Papiere so ermüdend. Sie bietet nichts Neues. Die vielfältigen Formen alter und neuer Allmendwirtschaft kommen in dem Begriff nicht vor, weil sie schlicht unbekannt sind. In Sprache und Denken des offiziellen Rio+20 Prozesses bleiben Commons unsichtbar.

Daher regiert vielerorts bestenfalls Vorsicht, allenfalls Misstrauen und schlimmstenfalls das tief sitzende Sorge vor einer Agenda, die es ermöglicht, dass auch noch jene natürlichen Ressourcen vom Markt kontrolliert werden, die bislang nicht der Verwertung unterworfen waren. Das befürchtet beispielsweise der Alternative Nobelpreisträger Pat Mooney von der ETC-Group (Action Group on Erosion, Technology and Concentration). Diese Befürchtungen speisen sich nicht nur aus der jahrzehntelangen Beobachtung internationaler Verhandlungsprozesse und realer ökonomischer Verwerfungen, sondern auch aus den (UN-)Texten zur Green Economy selbst. In ihnen offenbart sich ein dualistisches Denken, das sich bislang als wenig tauglich erwiesen hat, soziale und ökologische Probleme zu lösen. Im bereits zitierten UNEP Bericht heißt es: „Sehr einfach ausgedrückt kann man Grüne Ökonomie als kohlenstoffarm, ressourceneffizient und soziale inklusiv denken.“ Das klingt innovativ, doch die im Anschluss propagierten Mittel der Wahl sind altbekannt. Sie ruhen auf zwei Pfeilern: Entweder auf marktbasierten Instrumenten oder auf der Strategie von „Command & Control“. Nicht das Programm der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands, sondern der UNEP Bericht preist Anordnung & Kontrolle als „kostengünstigste Lösung“ an, falls marktbasierte Instrumente nicht greifen. Kurz: Es wird nicht nur streng dualistisch, sondern auch streng vertikal gedacht. Auch und gerade in jenen Institutionen, die dem Markt im Sinne des Gemeinwohls Schranken setzen sollten. Deshalb wird der Protest heute wieder direkt auf die Straßen und Plätze getragen.

Die potentielle Wirkung einiger marktbasierter Anreize oder politischer Entscheidungen auf die Steuerung ökologischer Entwicklungen soll nicht vom Tisch gewischt werden. Es ist ein wichtiger Unterschied, ob die Auf- oder Abrüstung von Fangflotten subventioniert wird. Nicht minder wichtig ist, ob die Agrarindustrie unterstützt wird oder der ökologisch-dynamische Anbau. Derartig sinnvolle Vorschläge stehen auch offiziell auf der Tagesordnung, wenngleich zu erwarten ist, dass sie an nationalen Widerständen scheitern. Doch solange im Rio+20 Prozess und mit der Green Economy die zentralen Fragen nicht auf den Tisch kommen, ist Widerstand berechtigt. Das sind Fragen wie: Wem gehören die Ressourcen? Wie werden sich Nutzungsrechte an Land, Meeren, bio-genetischen Ressourcen neu verteilen, wenn auch noch der letzte Winkel der Erde – ganz im Sinne „produktiver“ und „effizienter“ Ressourcennutzung – mit einem Preisschild versehen ist? Produktiv und effizient für wen? Welche Rolle kommt den realen Sachwaltern der Biodiversität zu? Die Ökofeministin Ariel Saleh nennt sie die „Meta-Industriellen“ – Bauern, Fischer, Sammler, zwei Drittel sind Frauen. Wo kommen sie überhaupt vor? Wer vertritt an den internationalen Verhandlungstischen ihre Rechte und Interessen?
Das ist ein Problem. Das andere ist…

Alter Wein in neuen Schläuchen

Die Ergebnisse des Policy-Mix, der schon die umweltpolitische Debatte und Praxis der letzten 40 Jahre geprägt hat und nun der Green Economy zum Durchbruch verhelfen soll, fasst Ulrich Hoffmann in seinen „Überlegungen über Klimawandel, Grüne Wachstumsillusionen und Entwicklungspotential“ (UNCTAD Dezember 2011) zusammen:

  • die CO2 Emissionen sinken nicht, 2010 sind sie um 5,3 Prozent gestiegen
  • die globale Kohlenstoffintensität (Kohlendioxidemission pro wirtschaftlicher Ertrag) fiel zwischen 1980 und 2008 von 1 kg/ US-Dollar (USD) auf 770 gr/USD. Nötig wären bis 2050 sechs gr/USD.
  • Der Rebound-Effekt könnte zwar durch Besteuerung neutralisiert werden, aber das ist politisch nicht durchsetzbar.
  • Der Ökologische Fußabdruck der Industrieländer wird oft nur exportiert statt reduziert.
  • Der Globale Fußabdruck überstieg 2007 (letzte verfügbare Zahl) die ökologische Tragfähigkeit der Erde um 50 %.
  • Die G-20 Länder subventionieren jede Tonne CO2 mit mehr als 9 USD (mehr, als das Emissionsrecht pro Tonne gegenwärtig auf dem Europäischen Emissionsrechtehandelsmarkt kostet)
  • Die ökologische Steuerungswirkung dieses Marktes ist laut Carbon Trade Watch und dem Corporate Europe Observatory auf absehbare Zeit gleich Null, während Preise für energieintensive Produkte ebenso steigen wie die Mitnahmegewinne aus diesem frisch installierten Mark.

Die Liste ließe sich endlos fortsetzen und durch ähnlich alarmierende soziale Befunde ergänzen. Linear-arithmetische Herangehensweisen, egal ob sie auf Marktmechanismen setzen oder auf staatlichen Direktiven beruhen, sind schlicht eine Illusion. Sie werden der Komplexität menschlicher Interaktionen nicht gerecht.

Alternativen zum herrschenden Wirtschaftsmodell und seiner grünen Variante

Die mit Uneinigkeit einher gehende konzeptionelle Kurzatmigkeit innerhalb der UN stimmt einige Aktivisten verhalten optimistisch. Anlässlich des thematischen Weltsozialforums im Januar 2012 im südbrasilianischen Porto Alegre war das deutlich spürbar. Wo aber jenseits harscher Kritik an der Green Economy die Reise hingeht, darüber bestand auch hier keine Einigkeit. Zwar ist klar, dass alle den not-wendenden Paradigmenwechsel wollen, doch der Blick in die Texte der No-Green-Economy-Aktivisten offenbart eher das Unerwünschte (Green Economy, Kontrolle der Konzerne, Wachstumsmantra) als das Erwünschte. Das vielzitierte Neue und Andere bleibt oft im Dunkeln. Eben darin liegt die Bedeutung der Commons-Debatte.

In Porto Alegre fand, etwas abseits vom Vorbereitungsprozess für den „Gipfel der Völker“ auf Einladung des GRAP (frei übersetzt: Gruppe, die den Weltsozialforumsprozess reflektierend begleitet) eine spannende Diskussion statt. Etwa 100 Aktivistinnen und Intellektuelle waren gekommen, um in 17 Arbeitsgruppen Alternativen zum offiziellen Rio+20 Prozess zu formulieren. Dabei standen die Commons als alternatives sozioökonomisches Paradigma auf der Tagesordnung. Alternativ sowohl zum vorherrschenden Wirtschaftsmodell als auch zu seiner grünen Variante.

Commons und Commoning?!

Der Commons-Begriff erlebt nicht erst seit der Verleihung des Wirtschaftsnobelpreises an Elinor Ostrom (2009) eine Renaissance. Sie hat in jahrzehntelanger Forschung deutlich gemacht: Wege der nachhaltigen und selbstbestimmten Ressourcennutzung sind auch und vor allem „jenseits von Markt und Staat“ zu suchen, aber Patentrezepte gibt es nicht! Ostroms zentrale Botschaft hat in die offiziellen Rio+20 Dokumente bislang keinen Eingang gefunden.

Im deutschsprachigen Raum wird Commons meist unzulänglich mit „Gemein(schafts)güter“ oder „Allmende“ übersetzt. Unzulänglich deshalb, weil die „Güter“ wie etwas uns Äußerliches anmuten und die „Allmende“ auf die Vormoderne zu verweisen scheint. Dabei sind Commons so alt wie die Menschheit und so modern wie das Internet.

In der aktuellen Diskussion gibt es verschiedene Begriffsauffassungen. Die erste bezeichnet mit Commons all jene Ressourcen der sozialen, natürlichen und kulturellen Sphäre, die geteilt werden (müssten). Wasser, Wald und Fischgründe, Land, die Atmosphäre, Wissen, Kultur, Bodenschätze, Code und vieles mehr. Die zweite meint nicht die Ressourcen selbst, sondern versteht sie stets in Beziehung zu ihren Nutzerinnen und Nutzern. Hier steht die Frage im Zentrum, was wir aus unseren gemeinsamen Ressourcen machen. In wessen Interesse, mit welchen Institutionen und zu welchem Zweck? Wasser kann zum Beispiel beides sein: Ware (als Flaschenwasser im Supermarkt) oder Commons (als von allen genutzte, finanzierte und gepflegte Quelle). Es liegt auf der Hand, dass beides in sehr unterschiedlicher Weise für Teilhabe und Nachhaltigkeit sorgt. Es liegt ebenso auf der Hand, dass das eine zum „Wachstum“ beiträgt und das andere ohne Wachstum auskommt.

Commons fallen also nicht vom Himmel. Aber sie brauchen weder ein Wachstums- noch ein Produktivitätsmantra, sondern Aufmerksamkeit, intensive Kommunikation, gemeinschaftlich getragene Regeln, verwertungsfreie Bereiche, die frei von Profitinteressen sind sowie Gestaltungsfreiräume. Gerade letztere werden aber durch den zusätzlichen Verwertungsdruck, den die Green Economy schafft, weiter beschnitten.

Doch die Entfaltung einer Sache als Commons erfordert eine spezifische Praxis. „There is no commons without commoning“ hat der Historiker Peter Linebaugh einmal gesagt und damit einen der wichtigsten Sätze der Debatte geprägt. Ohne diese soziale Interaktion, die als Commoning bezeichnet wird, keine Commons. Commoning ist ein relationaler Begriff. Er beschreibt keine Marktmechanismen und keine Technologien, sondern Prinzipien, die dafür sorgen, dass Problemlösungen lokal angepasst sind und von den Nutzerinnen und Nutzern tatsächlich mitgetragen werden – weil sie sich ernst genommen fühlen, weil die Problemlösungen nicht „für“ sie, sondern mit ihnen entwickelt werden und weil die rein technologische Innovation nicht die dringend notwendige soziale Innovation ersetzt. Commons sind vor allem Letzteres.

Entscheidend ist demnach nicht: Was sind Commons? Sondern: Was ist Commoning?

Prinzipien der Commons

Nach Ostrom sind gemeinschaftliche Entscheidungen durch all jene, die von einer Ressource berührt sind, ebenso unabdingbar für dauerhafte Commons wie das Monitoring durch die Nutzer selbst oder durch ihnen rechenschaftspflichtige Personen, verbunden mit angemessenen Sanktionen und einem Mindestmaß staatlicher Anerkennung des Rechts der Nutzer, ihre eigenen Regeln selbst zu bestimmen. Es geht um das Recht auf und das Prinzip der Selbstorganisation, das große Versäumnis der klassischen Ökonomie. Selbst organisieren heißt auch selbst entscheiden. In Commons werden Entscheidungen idealerweise im Konsens gefällt. Das Konsensprinzip erfordert nicht, dass bei Abstimmungen alle „Ja“ zu sagen haben. Es drückt vielmehr aus, dass es keine Gegenstimmen geben darf und Menschen bereit sind, ihre Meinung zurück oder in einer neuen Diskussionsrunde auf den Prüfstand zu stellen. Damit verknüpft ist das Prinzip: Eine Personeine Stimme. Wer dazu gehört und wer nicht, muss also klar bestimmt werden. Ostrom zeigt, dass es für gelingendes Gemeingutmanagement förderlich ist, dass die Ressourcengrenze ebenso klar definiert ist wie die Gruppe der Nutzungsberechtigten. Innerhalb dieser Grenzen gilt: nicht die Anteile an verfügbarem Kapital entscheiden über die Mitbestimmungsmöglichkeit, sondern einzig die Frage, ob ich auch mitbestimmen möchte.

Für globale Gemeingüter gilt prinzipiell: eine Person – ein Anteil. Egal ob jemand aus Deutschland kommt oder aus Guinea-Bissau, jeder Mensch hat die gleichen Nutzungsrechte an der Atmosphäre. Auch innerhalb lokaler oder regionaler Ressourcensysteme gilt dieses Prinzip. Bei Ressourcen, um die wir in der Nutzung nicht konkurrieren, ist es aus Sicht der Commons hingegen unnötig, den Zugriff zu begrenzen (Open Access)

Innerhalb eines Commons gilt Diskriminierungsfreiheit nach der alle unabhängig vom sozialen Status oder anderen Merkmalen die gleichen Teilhaberechte haben. Voraussetzung dafür, dass diese Prinzipien gelebt werden können, ist unbedingte Transparenz, weg vom „Prinzip der Geheimhaltung“ hin zum „Prinzip der Öffentlichkeit“, wie die Piraten sagen würden. Transparenz ist entscheidend für gelingende Politik und gelingendes Commoning gleichermaßen. Entscheidender noch als Fehlerfreundlichkeit, das heißt kontinuierliche Bewegung, Versuch und Irrtum und permanentes Lernen aus Erfolgen und Fehlern um herauszufinden, was funktioniert und was nicht. Dafür bedarf es der ständigen Wiederholung (Iteration) zur schrittweisen Entwicklung von programmatischen Aussagen, Verfahrensweisen oder technischen Hilfsmitteln mit Feedbackschleifen in allen Planungs-, Entwicklungs- und Anwendungsschritten. Commoning ist nicht einfacher als das Leben selbst.

Werden diese (und andere) Prinzipien berücksichtigt, dann ist es wahrscheinlicher, dass Ressourcen weder über- noch unternutzt werden und dass es nach dem Empfinden aller fair zugeht. Die konkreten Regeln – wer hat Zugang, wer darf nutzen, wer kontrolliert? – sind dabei so verschieden wie die realen Lebenssituationen. Gleiches gilt für die Kommunikations-, Organisations- und Eigentumsformen. Gemein aber ist allen Commons das Fehlen einer außenstehenden, ordnenden Autorität. Die Idee, Regelumsetzung und Kontrolle zu zentralisieren (egal ob durch Staat oder Markt) widerspricht der Logik der Commons.

Commons sind also komplexe soziale Systeme und nicht einfach „gemeinsam zu nutzende Ressourcen“. Deshalb kann ihrer Einhegung und Übernutzung nicht ausschließlich durch Einpreisung begegnet werden. Wenn die Politik dies dennoch fordert, muss sie sich der Kritik stellen, selbst den letzten Odem dieser Erde dem Kapitalisierungszwang zu unterwerfen und damit Machtungleichgewichte zu zementieren. Denn sobald das Preisschild dran ist, kann jedes Gut und jede Dienstleistung zur Handelsware oder zum Finanzmarktprodukt werden. „Die ich rief die Geister, werd ich nun nicht los!“

Kultureller Wandel statt Green Economy
Die Green Economy hält die Akteure des Marktes und die Regierungen der Nationalstaaten für die wichtigsten Akteure auf dem Weg in eine faire und nachhaltige Zukunft? Commoners hingegen sagen: Es sind die Menschen vor Ort, die einerseits in Kenntnis der lokalen Problemlagen am ehesten befähigt sind, vielfältige (!), nachhaltige und dezentrale Nutzungsformen zu entwickeln, und die andererseits mehr Möglichkeiten brauchen, ihre Bedürfnisse auch dann zu befriedigen, wenn sie kein Geld in der Tasche und kein Sozialstaat in der Nähe haben. Und das ist die überwältigende Mehrheit.

Für die Erweiterung ihrer Gestaltungsmöglichkeiten brauchen sie den Staat, nicht zur Rundumversorgung. Bislang allerdings ist das Verhältnis zum Staat in der Commons-Debatte ein eher kritisches. Schließlich hat der Staat neben dem Markt historisch zu den enclosers gehört (> engl. enclosure/ Einzäunung, Einhegung). Zu oft waren die Repräsentanten des Staates weder willens noch in der Lage, die Gestaltung unserer Zukunft von privater Gewinnerzielung, von der Verabsolutierung finanzieller Anreize und von der Wettbewerbslogik zu entkoppeln. Zu ausschließlich ist (auch in den Rio+20 Papieren) von „milliardenschweren Investitionsprogrammen“ und der Notwendigkeit neuer Infrastrukturen oder technologischen Lösungen die Rede. Obwohl auch diese in der Regel ihre Abfallprodukte – bei Beibehaltung unseres Produktions- und Konsummodells – in die Commons pumpen. Zu wenig ist die Rede von der Rolle dieses Produktions- und Konsummodells, von jener unserer Lebensstile und vom erforderlichen kulturellen Wandel. Dass die meisten Regierungen so agieren, ist folgerichtig. Schließlich hängt auch die politische Macht gegenwärtig am Tropf des Wirtschaftswachstums.

Commonslobby kommt von unten
Commons zeigen dem Konsens von Porto Alegre zufolge einen „alternativen Rahmen auf, nicht nur für einen Wandel der Alltagspraxis, sondern auch für gesellschaftliche Normen und eine Politik, die Selbstbestimmung als zentrales Element sozialen Wandels anerkennen“. Kollaborative Konsumstrategien, geldfreie Tauschformen, die Praxis des Teilens, Subsistenzorientierung, der freie Zugang zu Wissen und Daten, nutzergetragene Managementsysteme für gemeinsame Ressourcen wie Wald, Bewässerungskanäle oder Fischgründe spielen hier eine wichtige Rolle. Sie alle sind komplementär zueinander zu denken. Und sie alle kommen in der Green Economy nicht vor, weil durch sie nicht die Wirtschaft wächst, sondern „nur“ die institutionelle Kreativität und die Vielfalt lebendiger Beziehungen.

KASTEN

Anregung zur Weiterarbeit, ohne Anspruch auf Vollständigkeit

Regelungsbedarf Marktbasierte Instrumente Anordnung/ GesetzStaatliche Maßnahmen Commonsbasierte Instrumente
Senkung der CO2 Emissionen und Gerechte Teilhabe an der Nutzung der Atmosphäre Emissionsrechtehandel(zweifelhafte ökologische Steuerungswirkung,kein Instrument zur Teilhabegerechtigkeit) Ökosteuer(ökologische Steuerungswirkung insbesondere bei entsprechenden Reinvestitionen,Verteuerung lebensnotwendiger Produkte für alle) „Das Öl im Boden lassen“ vgl. Yasuni ITT Initiative aus Ecuador oderder Skytrust (Himmels-Treuhand) von FEASTA sowie denBudgetansatz des Wissenschaftlichen Beirats der Bundesregierung Globale Umweltfragen (WBGU)
Biodiversitätserhalt Keinestattdessen:Patentierung von Saatgut

Konzentration auf am Markt erfolgreiche Kulturpflanzensorten

Zentrale Genbank im ewigen Eis (Svalbard International Seed Vault (SISV)).Erhalt des genetischen Codes, aber Verlust des traditionellen Wissens zu Anbau und Pflege Vielfalt der lokalen, von Gemeinschaften gepflegtenSaatgutbankenErhalt durch Nutzung

Kein Patent auf Saatgut

Stromversorgung Strombörse fürprivate Stromerzeuger (ähnlich der Wertpapierbörse)kein Anreiz zum Stromsparen, da das Geschäft auf Stromverkauf beruht

Produzent getrennt von Konsument

BesteuerungKartellrechtoder:

staatliche Stromerzeuger, zentrale Versorgung

Produzent getrennt von Konsument

Dezentrale Stromerzeugung in unterschiedlichen Rechtsformen auf Basis erneuerbarer, vor Ort verfügbarer EnergienProsumenten
Überfischung auf Hoher See Verdrängungswettbewerb durch Aufrüstung der FangflottenHandelbare Fangquoten (ITQs) Subventionen der Hochseefischerei oder Wegfall derselbenAbrüstung der Fangkapazitäten (zur Durchsetzung der Kappung) Erklärung der Ressourcen der Meere als Gemeinsames Erbe der Menschheit (vgl. erste UNCLOS-Entwürfe)Lokale Managementsysteme wie z.B. TURFs in Chile
Weitere Beispiele…

Commons und Rio+20

Obwohl zivilgesellschaftliche Gruppen bemüht sind, zumindest die Sprache der Commons in die offiziellen Texte einzubringen, ist es unwahrscheinlich, dass Commons Eingang in die offiziellen Abschlussdokumente von Rio+20 finden werden.  Commons Action at the UN ist ein Zweckbündnis zivilgesellschaftlicher Organisationen, das die Verhandlungen beobachtet, Handreichungen für die Regierungsdelegationen produziert und die UN-Botschafter mit Vorschlägen versorgt, wie die in Rio+20 diskutierten Probleme durch den Commonsansatz zu lösen sind. Das Bündnis argumentiert, dass langfristig nur eine Commons-basierte Wirtschaftsweise in der Lage sei, den Zielen des Rio-Prozesses näher zu kommen. Erklärtes Ziel von Commons Action at the UN ist nicht nur die Einrichtung eines UN-Expertenpanels zum Thema, sondern dass „alle Regierungen und teilnehmenden zivilgesellschaftlichen Organisationen und Major Groups1, mit diesem Ansatz vertraut sind, der aus mindestens drei Teilen besteht: commoners, commoning und Gemeinressourcen (common goods)“. Auch inhaltlich wird weitergedacht, etwa über Maßnahmen für den Übergang zu einer commonsbasierten Wirtschaft oder zu der Frage, wie dieser Übergang finanziert werden kann. (z. B. http://titanpad.com/economic-20shift)

Im Begriffsverständnis der „uns gemeinsamen Ressourcen“, die geschützt werden müssen, werden Commons freilich in aller Munde sein. Stellvertretend dafür steht der Delhi Sustainable Development Summit (DSDS). Das Event bringt hochrangige Vertreter aus Politik, Wirtschaft und Gesellschaft zusammen. Das diesjährige Thema lautet: ‘Protecting the Global Commons: 20 Years Post Rio’. Man wird (siehe Kasten) genau auf die Instrumente schauen müssen.

In den sozialen Bewegungen hingegen werden Commons als alternatives Paradigma viel Aufmerksamkeit bekommen. Darauf verweist die Synthese der Arbeitsgruppenergebnisse von Porto Alegre. Auch die Versammlung der sozialen Bewegungen von Porto Alegre, die offiziell zum Alternativgipfel aufrief, der vom 15. bis 23. Juni 2012 parallel zur UN-Konferenz in Rio de Janeiro stattfindet, richtet ihre Aufmerksamkeit auf das „unsere“. Zur Mobilisierung geladen wird unter dem Titel: „Gipfel der Völker für Soziale und Umweltgerechtigkeit – Gegen die Merkantilisierung des Lebens und für die Verteidigung der Gemeingüter“.

Inmitten der allgemeinen Rat- und Konzeptionslosigkeit, die auch nach Rio+20 andauern wird, geraten Commons ohnehin verstärkt in die Diskussion. Rio+20 könnte zumindest ein Moment sein, an dem es nicht nur gelingt, möglichst viele Menschen in möglichst vielen Ländern für unsere gemeinsame Zukunft zu mobilisieren, sondern deutlich zu machen, dass wir diese Zukunft nur gestalten können, wenn wir uns von den dualistischen Pfeilern befreien, die in unser Denken gerammt sind. „Nein zu dieser Grünen Ökonomie. Ja zu den Commons“, hat Pat Mooney als Mobilisierungsslogan vorgeschlagen. Das zeigt die Richtung.

Literatur:

Ulrich Hoffmann: Some reflections on Climate Change, Green Growth and Development Space. UNCTAD Discussionpaper Dezember 2011.

UNEP: Towards a Green Economy – Pathways to Sustainable Development and Poverty Eradication, Nairobi 2011

Barbara Unmüssig: Grüne Ökonomie – die neue Zauberformel? Erwartungen an die Rio+20 Konferenz, Zeitschrift Vereinte Nationen, Ausgabe 1/2012 S.3-9.

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1 Während des 1992er Gipfels in Rio wurden 9 Major Groups als „Träger des Wandels“ identifiziert. Eine davon sind die Nichtregierungsorganisationen. Jede Major Group hat offiziell benannte sogenannte „Organisierende Partner“. Diese haben nun für die Nichtregierungsorganisationen Gruppe verschiedene webbasierte Arbeits- und Diskussionsinstrumente entwickelt. Darunter das Wiki: http://ngorioplus20.wikispaces.com/, welches nach Themen sortiert (geclustert) ist. Kürzlich wurde dort das Commons Cluster eingerichtet. http://ngorioplus20.wikispaces.com/Commons+cluster

2 Gedanken zu „Commons statt Grüne Ökonomie. Rio+20 anders denken

  1. Natur- und Umweltschutz von unten…
    letztlich lässt sich das Commons Prinzip auf alle oder zumindest die meisten Umweltfragen anwenden, denn auch die Nutzung oder Verschutzung der Landschaft nutzt diese als Recource, die für alle da sein sollte. Hierzu hatten wir vor einigen Jahren mehr oder weniger vergeblich versucht die Idee eines „Natur- und Umweltschutz von unten“ in die Diskussion zu bringen… http://www.projektwerkstatt.de/uvu/haupt.html

  2. „Nicht das Programm der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands, sondern der UNEP Bericht preist Anordnung & Kontrolle als „kostengünstigste Lösung“ an, falls marktbasierte Instrumente nicht greifen. Kurz: Es wird nicht nur streng dualistisch, sondern auch streng vertikal gedacht. Auch und gerade in jenen Institutionen, die dem Markt im Sinne des Gemeinwohls Schranken setzen sollten. Deshalb wird der Protest heute wieder direkt auf die Straßen und Plätze getragen.“

    Klingt schon ein wenig nach „linker“ Teaparty, oder? Der Grundfehler dieser Herangehensweise scheint mir der idealistische Fehlschluss nämlich die illusionäre Vorstellung zu sein, dass die gesellschaftlichen Möglichkeiten und Zwänge aus irgend einem falschen Denken herrührt. Jetzt sind nicht nur Ökosteuern des grünwirtschaftlichen Teufels sondern auch noch strengere Vorschriften bzw. bessere Ökostandards. Als ob sich das planeratische Zusammenwirken von heute auf Morgen nach Prinzipien einer Weltallmende organisieren ließe. Glücklicherweise bringt aber wohl auch diese Art falsches Denken interessante Perspektiven hervor.

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