IP-Allmende unter Beschuß

Nehmen wir an, unsere Postadressen gehörten nicht uns, sondern der Post. Und die Post würde sagen:

„Hey, wir machen das in Zukunft so: Wer will, dass wir seine Briefe und Drucksachen ordentlich zustellen, muss einen Vertrag mit uns unterschreiben, in dem wir erklären, was zu tun ist.“

Merkwürdige Vorstellung? In der Tat. Aber so ähnlich passiert das gerade mit den IP-Adressen des Internets. Der Mechanismus ist nicht so schwer zu verstehen, da man ihn aus fast allen Lebensbereichen kennt. Aber eins nach dem andern und am besten ganz von vorn.

Das Internet (> interconnected net) besteht aus vielen Rechnernetzwerken, die eine ozeanische Flut von Daten austauschen. Dieser Datenaustausch funktioniert nur, wenn es eindeutige Adressen für jeden Absender und Empfänger gibt. Und eindeutig heißt eindeutig, im mathematischen Sinne. Ein Briefträger kommt auch manchmal nur mit der Postleitzahl aus. Ein Computer nicht.

Um die Adresszuweisung zu regeln gibt es das ‚internet protocol‚ (‚ip‘). Davon existieren im wesentlichen zwei Versionen, die ‚klassische‘ Version ‚ipv4‘, sowie die Version der Zukunft ‚ipv6‚. Letztere spielt bislang noch eine untergeordnete Rolle. Aber sie wird kommen. Das ist klar.

Der Grund dafür ist einfach: Was sich noch vor 20 Jahren kaum jemand vorstellen konnte, ist eingetreten. Die verfügbaren IP-Adressen gehen zur Neige. Und zwar nicht, weil wir auf der Welt bald mehr als 4,3 Milliarden PCs haben … (soviele Adressen generiert das bisherige System), sondern weil alle möglichen Geräte des Alltags Minicomputer enthalten (werden). Handys sowieso, Kühlschränke, Uhren, Messgeräte, Autos, „Bücher“, Gehilfen, Sehhilfen und fast alles wo „smart“ davorsteht.

Die IP-Adressen nach der klassischen Version bestehen aus 32 Ziffern. Jeder Rechner bekommt also bislang irgend eine Zahl zwischen 0 und 2^32-1, also 4,3 Milliarden zugewiesen. Doch diese Anzahl verfügbarer Adressen ist bald ‚ausgeschöpft‘. Seit einiger Zeit ist deshalb von der „Knappheit der IP-Adressen“ die Rede (woran man gut sehen kann, das Knappheit sozial hergestellt ist und kein natürliches Ereignis ist).

Im neuen System, ipv6, besteht die Kennung der Internetadressen aus 128 Stellen, was sagenhafte 340 Sextillionen Adressen möglich macht. Das sieht so aus: 340.000.000.000.000.000.000.000.000.000.000.000.000. Ihr könnt gern einmal versuchen, die Zahl auszusprechen.

Die Frage ist nun: Wie werden diese Adressen konkret vergeben und genutzt? Was darf man damit machen, was nicht?

Bisher wurde der ipv4 Adressbereich (‚ip address space‚) immer als Commons gesehen. Alle sollten gleichberechtigten Zugang haben. Freilich war es trotzdem so, dass Geld in der Zugangssicherung einen gewissen Unterschied machte (etwa beim Reservieren von Adressbereichen), aber das Prinzip war Zugangsneutralität.

Die Vergabe der ip-Adressen, die koordiniert sein muss, um die Eindeutigkeit sicherzustellen, erfolgt durch so genannte ‚regional internet registries, RIR‚, die sich innerhalb der ‚community‚ (also der Gruppe von Menschen, die sich mit Internetverwaltung befasst) herausgebildet haben. Diese „community“ bestand insbesondere zu Beginn – zu Beginn der 90er Jahre – aus einer Mischung interessierter Techies und ‚kommerzieller Interessengruppen, die dann immer stärker zugelegt habe. Die Vergabe der Adressen erfolgt nach Hierarchieebenen, was man sich so vorstellen muss.

Die 1. Hierarchieebene (oberste) ist nicht eindeutig bestimmt. Die USA haben hier die Internet Assigned Number AuthorityIANA‚ platziert. IANA schwebt, wenn ich das richtig verstehe, noch immer etwas über der eigentlichen, aber noch sehr jungen „Internetregierung“ ICANN. Das mag mit der Geschichte des Internets zusammenhängen, wirft aber Legitimationsprobleme auf. „IANA“ so schrieb mir jüngst jemand, der sich in diesen Diskussionen sehr engagiert:

„wird von der community eher ‚mitgeschleift‘ und zum Grossteil auch einfach ignoriert“.

Trotzdem besitzt IANA die Autorität über die Zuweisung von Adressblöcken an drei unterschiedliche Regional Internet Registries (RIR). Und das ist ziemlich viel Macht.

Ein theoretisch halbwegs legitimiertes Organ an dieser ersten Position wäre wohl das ‚NRO‘ – das eigentlich nur die Gemeinschaft aller RIRs (siehe 2. Hierarchieebene) bezeichnet. Derzeit gibt es 5 davon: RIPE für (erweitertes) Europa, ARIN für Nordamerika, LACNIC für Lateinamerika, APNIC für Asien, AFRINIC für Afrika (siehe Foto). Sie alle sind soviel ich weiß gemeinschaftsbasiert, d.h. die jeweiligen juristischen Personen handeln im Sinne, in Vertretung und auf Weisung einer community. Zumindest offiziell. Das muss man sich dann so vorstellen, dass sich jeder an den Diskussionen zur Meinungsbildung – z.B. über das neue ipv6 beteiligen kann (siehe unten).
Die 3. Hierarchieebene besteht aus sogenannten LIRs (‚local internet registries‚). Im Prinzip sind das fast ausschließlich Unternehmen, grösstenteils Internet-provider irgend einer Art, unter anderem die Telekom oder Vodafone.
Die 4. Hierarchieebene sind schließlich wir. Einzelpersonen die nicht ‚LIR‘ sind, also die ‚Endnutzer_innen‘ ganz unten in der Pyramide.

Die Vergabe der ip-Adressen geschieht also entlang dieser vier Hierarchieebenen. In wenigen fällen kann Ebene 3 ausgelassen werden.

Und jetzt zum Punkt, der die Überschrift erklärt:
In RIPE (und nicht nur dort) gibt es starke Bestrebungen, die ‚ip commons‘ zu Waren zu machen und Regelungen durchzusetzen, die dazu führen, dass die LIRs die Adressen als veräußerbares Eigentum bekommen. Bei ARIN ist das Kind offenbar schon in den Brunnen gefallen, was nicht wundert, denn in US-dominierten Debatten ging es schon immer etwas marktfundamentalistischer zu.  Der Markt soll die Sache mit den IP-Adressen also künftig richten (und die „community“ legt jetzt nur fest, wie Marktregeln eingeführt werden und beansprucht, sie später zu überwachen). Folgerichtig erklärt dann der CEO von ARIN, John Curran, warum man in öffentlichen Äußerungen ‚Transfer‘ und nicht ‚Verkauf‘ sagen solle, schließlich würden ja noch community-Regeln gelten, „obwohl die Begriffe „verkaufen“ und „verkauft“ nicht unkorrekt sind“, schiebt er hinterher!

Die Auswirkungen dieses Paradigmenwechsels kann man sich leicht vorstellen:
Bisher haben alle ‚ip-Halter‘ (ob nun die kommerziellen oder die „Endnutzer“) nur Anspruch auf Adresszuweisung gemäß dem eigenen Bedarf. Das heißt, die konkrete Nutzung steht im Mittelpunkt. Das ist ein altes Allmendeprinzip. Nutze, was Du brauchst, aber nicht mehr, wie im Allemansrecht.
Nun soll schleichend eingeführt werden, dass die ‚ip-Halter‘ auf Ebene der LIR tatsächlich die absolute Verfügungshoheit über ‚ihren‘ ip-Raum besitzen. Es wird ihnen damit ermöglicht, Adressen bzw. Teile davon zu verkaufen. Ein Anspruch der Allgemeinheit z.b. auf Rückgabe nicht (mehr) benötigter ip-Adressen wird abgewehrt.

Wenn man das zu Ende denkt, wird vorstellbar, dass sich irgendwann einmal selbst die 340-Sextillionen IP-Adressen erschöpfen. Denn im Prinzip ist das künftig nur eine Frage des Preises. Sind IP-Adressen erst zur Ware geworden, kann man sie aufkaufen und horten. Man kann wunderbar damit handeln und wo gehandelt wird, da sind Handelskriege nicht weit. Und man kann natürlich ebenso wunderbar Politik damit machen.

Das wäre das Ende des allgemeinen IP-Adressen-Pool. Eines Pools, der bislang als Gemeingut galt (auch wenn es manche anders sehen, weil sie Commons mit dem Niemandsland verwechseln). Um in Zukunft ‚Internet zu machen‘ muss man zunächst ip-Adressen von einer Firma kaufen (das kann im Zweifelsfall in einem bestimmten Bereich nur noch eine einzelne Telecom sein) und sich deren Bestimmungen unterordnen.  Das wäre dann die Post, die wir uns zu Beginn des Artikels vorgestellt haben. Die Möglichkeiten ihrer Einflussnahme auf die Internet-Realität wären schier endlos und Netzneutralität Schnee von gestern.

Das RIPE, wo die Diskussion derzeit geführt wird, gliedert sich in themenbezogene Arbeitsgruppen. Die für dieses Thema relevanteste ist vermutlich die ‚address-policy-wg‘, auf deren Mailingliste die Diskussion nachvollzogen und beeinflusst (!) werden kann. Dort darf jede_r (des Englischen mächtige) mitmachen. Das Diskussionsergebnis gilt als ‚Wille der community‚.

Ip-Adressen und der Umgang damit bieten also jede Menge politischen Zündstoff. Die Zündschnur ist recht lang. Sie droht allmählich abzubrennen, aber es knallt erst, wenn es schon zu spät ist. Die Öffentlichkeit widmet dem Thema wenig Aufmerksamkeit. Das kann auch daran liegen, dass der technische Jargon in der Debatte abschreck. Dabei geht es dort um grundlegende Fragen zur Gestaltung der ‚Internet-Landschaft‘ der Zukunft. Es geht um die Frage, ob wir Endnutzer_innen auf die Konsumentendimension zusammengeschnurrt werden, um Zentralisierungstendenzen im Management des Internets und Monopolbildung bei Internet Service Providern (ISP) und Carriern (also jenen, denen die Leitungen gehören.)

Ich kann mir gerade nicht vorstellen, dass die Mehrheit der Menschen solch ein Internet will!

PS. Falls ich irgendwelche Strukturen, Kürzel oder Zuständigkeiten verwechselt oder sonstwas falsch verstanden habe, bin ich für Hilfe der Internet-Governance-Auskenner dankbar. Schreibt einfach in die Kommentare

PPS: Und ein dicker Blumenstrauß für meine Internetberater, die mir geduldig solche Themen erklären :-).

Abb 1: On Wikimedia Commons by dork, Lizenz: CC BY SA
Foto 2. sorry, kann die Quelle nicht mehr finden, wenn jemand helfen kann, bitte melden!

7 Gedanken zu „IP-Allmende unter Beschuß

  1. Pingback: p2p-economy | Pearltrees

  2. „Seit einiger Zeit ist deshalb von der „Knappheit der IP-Adressen“ die Rede (woran man gut sehen kann, das Knappheit sozial hergestellt ist und kein natürliches Ereignis ist).“
    Das verstehe ich nicht ganz – oder vllt du ^^
    Die Adressen sind knapp. Sie sind sogar schon „alle“. Der Grund, warum du noch eine bekommst, wenn du ins Internet gehst, liegt an 3 Dingen:
    1. SIe sind alle verkauft, aber nicht alle verbraucht. Die Adressen werden in immer kleineren Teilen weiterverteit, und natürlich kauft man so ein Paket, bevor man die erste Adresse davon braucht. (Dann wäre es ja zu spät).
    2. Angenommen, du hast ein Paket von 1024 IPs. Du hast 2000 Kunden. Reicht das? Ja, denn nicht alle greifen gleichzeitig zu. In Deutschland (aber nicht z.B. den USA) kriegst du daher jedes Mal beim Einwählen eine neue Adresse aus dem Bereich des Pakets deines Providers.

    3. Und dann gibts noch das subnetting. Aber das zu erklären wird zu lang. Als Beispiel könnte ich hier 254 Geräte an meinem Router bedienen, habe aber nach außen nur eine IP. Im Moment 92.195.216.104
    Das ist der eigentliche Grund, warum die IPs noch nicht „alle“ sind. Es gibt wohl schon mehr Geräte als Menschen – und davon gibts 7 Mia 😉
    (einer zuhause, einer auf Arbeit, privates handy, Diensthandy…)

  3. @Lennstar:
    Der Unterschied, auf den ich hinweisen möchte ist jener zwischen „knapp sein“ und „knapp gemacht“. Das ist ein großer Unterschied … denn wenn man sagt, Ressourcen/Dinge SIND knapp, dann wirkt das immer so, als würden uns die Ressourcen zwingen uns mit ihrer Knappheit rumzuschlagen. Das ist aber Unsinn. Ressourcen (z.B. natürliche REssourcen) sind höchstens endlich und daher müssen wir deren Grenzen beachten. Wenn wir hingegen sagen „Ressourcen/Dinge“ wurden knapp gemacht, dann wird klar, dass wir das auch anders machen können (und commoners sind ja bekanntlich „Andersmacher“.
    Kapitalistische Marktwirtschaft ist auf „knappheitsschaffende Institutionen“ (wie Wolfgang Hoeschel sagen würde) angewiesen. Eine solche „Institution“ ist, etwas zur Ware und handelbar zu machen (wie wir das in diesem Falle sehen), denn die IP Adressen „sind“ noch gar nicht knapp. Sie wurden nur „aufgekauft“ (aber nicht genutzt). Das ist Dein Punkt 1.
    Und in Punkt 2 erklärst Du, wie es möglich wäre, IPs so zu nutzen, dass sie eben nicht „knapp“ sind, sondern für alle reichen. Daran scheinen aber nicht alle ein Interesse zu haben.

    • Njein.
      In nicht allzu großer Zeit sind auch die aufgekauften IPs alle.
      Und Nr. 3 hat auch Grenzen. Ich kann 254 Computer bei mir anschließen, praktisch wird das aber nichts, weil die Leitung zum Router zu eng ist und die Banbreite des WLAN zu kurz.

      Aber in einem hast du Recht: Durch die Störerhaftung wird es mir auch verunmöglicht, meine Nachbarn in mein Subnetz zu lassen (oder jeden, der will).

      Aber um den Beitrag zusammenzufassen:
      Wir reden hier davon, die *Vergabe* nach dem Kritierium „brauch ich (bald)“ in einen *Verkauf* nach dem Kriterium „greift zu, so lange ihr bezahlt“ zu wandeln?

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