Kunst und Commons: dOCUMENTA(13)

Silke und der wundervolle Wandteppich der polnischen Künstlerin Goshka Macuga.

Für ihren improvisierten Vortrag „Kunst als Commons“ auf der dOCUMENTA(13) in Kassel bekam Silke von dem auch ansonsten recht schweigsamen Publikum in einem der Ausstellungsräume keinerlei Applaus. Die Zuhörer schienen zwar aufmerksam zuzuhören, wirkten betroffen und nachdenklich, blieben aber auch nach der Präsentation regungslos. Auch eine zufällig anwesende Riesenschlange schien die Referentin zwar mit den Augen verschlingen zu wollen, tat aber ansonsten keinen Mucks. 🙂

Ausschnitt aus Llyn Foulkes „The Lost Frontier“

Mehr kann man einfach nicht erwarten in einer von Mickeymäusen beherrschten Kulturlandschaft.

Ein herrlicher Beitrag zur dOCUMENTA(13) wird von der Gruppe des österreichischen Quantenphysikers Anton Zeilinger präsentiert. Die künstlerische Esthetik des Experiments beruht auf seiner glasklaren Logik und den Schrecken, den man beim Anblick vom Ende der logischen Kausalität erfährt.

In einer sehr sehr schwachen Lichtquelle entstehen zwei Photonen gleichzeitig (in einem Zeitfenster von Femtosekunden*), die in entgegengesetzte Richtungen „davonfliegen“. Der Prozess der Entstehung der beiden Photonen ist so konstruiert, dass beide immer diesselbe exakt festgelegte Polarisationsrichtung** haben. Die beiden Photonen werden dann in zwei verschiedenen Räumen ungefähr 50 Meter voneinander entfernt durch die beiden Detektoren Bob und Alice registriert.

*Eine Sekunde enthält 1 Billiarde Femtosekunden, falls ich mich nicht verzählt habe.

**Polarisation ist ein Phänomen, das man auch von manchen Sonnenbrillen kennt. Verdreht man zwei übereinander gehaltene Brillengläser gegeneinander, so ändert sich die Helligkeit.

Wenn nun eines dieser Photonen auf den drehbaren Polarisationsfilter trifft,  mit dem die Physiker den Zutritt zum Detektor versperrt haben, so hängt seine Wahrscheinlichkeit diesen zu durchqueren von der Richtung des Polarisators ab. Stimmt diese Richtung mit der Polarisationsrichtung der Photonen überein, so wird jedes Photon den Polarisator ungehindert durchqueren und im Detektor ein Signal auslösen. Steht der Polarisator aber senkrecht zu dieser Richtung, so wird kein Photon den Polarisator durchqueren und der Detektor kann kein einziges Photon messen.

Steht nun vor beiden Detektoren ein solcher Polarisator, dann sollten beide Detektoren immer gleichzeitig ein Photon detektieren, solange die beiden Polarisatoren exakt die selbe Richtung haben. Sobald die Richtung der Polarisatoren aber von der Polarisationsrichtung der Photonen abweicht, sollten sowohl einzelne, als auch gepaarte Signale gemessen werden, denn für jedes Photon entscheidet sich ja erst am Detektor, ob es den Polarisator durchquert oder nicht. Genau dies beobachtet man aber nicht.

Ein Tafelbild auf der dOCUMENTA(13), das die Verschränkung der Quanten illustriert

Stattdessen bleiben die Signale immer gepaart. Entweder beide Photonen durchqueren ihren Polarisator oder keines. Und dies, so erklärt der anwesende Physiker mit sympathischem Wiener Dialekt, funktioniert sogar dann, wenn Alice und Bob auf verschiedenen Inseln meilenweit voneinander getrennt sind.

Unerklärlich! Woher wissen die beiden Photonen was das jeweils andere gerade macht? Wenn sich die Durchquerung des einen Polarisators erst bei Alice entscheidet und die des anderen Polarisators erst bei Bob, beide aber meilenweit voneinander entfernt sind … wie ist es dann möglich, dass in beiden Fällen immer dasselbe passiert – das Ergebnis aber dem Zufall unterliegt?  Quantenverschränkung heisst der Effekt, so wird uns erklärt. Mathematisch sei das Phänomen relativ einfach zu beschreiben, aber was dies in unserer vorstellbaren Welt bedeute? Der Physiker zuckt mit den Schultern. Dies sei eine Frage für die Philosophie. Mir fröstelt, ob der künstlerischen Esthetik des Experiments.

Silke hält es jedoch für erwiesen, dass etwas nichts auf einer Kunstausstellung zu suchen habe, für dessen Verständnis man einen Wiener Physiker benötige. Ich halte es hingegen für normal, dass hier viel gezeigt wird, für dessen Verständnis man einen Kunsthistoriker benötigt. Wir finden, bei aller Kooperativität, keinen Konsens in dieser Frage. Aber ich hoffe, dass dies keine negativen Konsequenzen irgendwo in den Tiefen des Universums bewirkt.

Bodenbarren und Soil-ERGS von Claire Pentecost auf der dOCUMENTA(13) in Kassel

Ein bisschen bodenständiger war der Beitrag von Claire Pentecost aus Chicago natürlich schon, deren Erdbarren und Soil-ERGS den Wert fruchtbaren Ackerbodens in Erinnerung rufen. Unsere mitteleuropäischen Landschaften sind Paläste aus braunem Gold, aber wir importieren unser Obst aus Argentinien.

Und vor dem Eingang zum Ottoneum – ein Neuanfang. Ein Blatt frische Stevia in einem wundervollen Käutertee versüsst den Tag, der voller Eindrücke und Gedanken bleibt. Kunstverständnis hin oder her, der Diskurs belebt jedenfalls Leib und Seele. Ich fürchte, ein Besuch reicht keinesfalls.

4 Gedanken zu „Kunst und Commons: dOCUMENTA(13)

  1. Nein, das obere Bild ist keine Fotomontage. Das hat wirklich so stattgefunden. Sogar die Schlange war echt. Und das Bild von Llyn Foulkes war künstlerisch mein absoluter Favorit.

  2. Selbst wenn ich das nicht glaube, ich hätte mich nicht vor diese Schlange gestellt, nicht mal vor eine gemalte. Wie kann man nur vor Mäuschen Angst haben und vor solchen Ungetümen nicht :-)??

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