Die Commons-Perspektive hat für mich einen Nachteil: Ist der Denkhebel einmal umgelegt, dann taucht die Frage nach dem Umgang mit den Ressourcen überall auf.
Seitdem ich begonnen habe darüber nachzudenken, verwickle ich mich immer öfter in Diskussionen mit meinen Kindern oder Freunden über Flaschenwasser (ja darf man jetzt keinen Sprudel mehr trinken?), Biogemüse (müssen wir das jetzt auch noch selbst anbauen?), Urheberrecht (was ist falsch daran, dass ein Schriftsteller von einem Haus in der Toscana träumt?), Autoverkehr (willst Du Ochsengespanne revitalisieren?) und so weiter … .
Kurzum: Ich mache mich überall unbeliebt. Ein Spaßverderber!
Dabei kann ich beweisen, dass ich nicht immer so verbissen war. In California habe ich mir einen 7.5-Liter-Ford LTD Country Squire gekauft, dessen 350 Pferdestärken starker 429 cubic-inch V8-Motor bei einem einzigen Tritt aufs Gaspedal 1 Galone Benzin verbrauchte (Autsch.) Und ich habe ihn geliebt, diesen röhrenden Sound, den der größte zivile Motor in der Geschichte von Ford auf dem Highway in die Wüste blies. Ich habe sie alle geliebt. Den roten Jaguar E von Jerry Cotton. Den Aston Martin von James Bond. Den DS21 von Jean-Paul Belmondo.
Und heute? Heute rege ich mich auf, bloß weil ein Stuttgarter Bioland-Laden Gen-Technik-freie Äpfel aus Argentinien und Neuseeland verkauft. Und das mitten im Sommer. Habe ich überhaupt ein Recht dazu, mich darüber zu empören? Nach all den ökologischen Sünden meines eigenen Lebens und den ganzen Inkohärenzen im eigenen Denken?
Ich sehe das inzwischen so: Jeder kennt das alte Sprichwort, nach dem Unwissen nicht vor Strafe schützt. Denn ich fühle mich moralisch verpflichtet, mich zu informieren (wobei die Materie zugegebenermaßen sehr komplex ist). Vor allem aber ist mein Unwissen oder meine Dummheit von damals keine Legitimation für heutige Ignoranz und erst recht nicht für die Dummheit von morgen.
Heute fahre ich keinen DS21 mehr. Leider ist der Grund dafür aber nicht mein überlegenes Klimabewusstsein oder meine charakterliche Tadellosigkeit. Ich kann mir eine solche Karre einfach nicht leisten. Der Geist ist zwar willig, aber die Instinkte sind schwach. Ich rede vielleicht wie ein Ökofundamentalist, aber im Grunde meines Herzens bin ich Jerry Cotton.
Warum ich nicht einfach dazu stehe? Ganz einfach: Ich habe Angst vor der Zukunft. Ich befürchte, dass meine Tochter und mein Sohn mich eines Tages fragen werden:
Warum habt Ihr das getan?
Ich werde vielleicht feige antworten: Ich habe nicht geahnt, was wirklich passiert. Keiner hat etwas gewusst! Wir haben gedacht, irgendwie wird das schon gutgehen. Die Klimaprognosen hätten ja auch wirtschaftsfeindliche Propaganda sein können! Und dass mein Ford … und die Dürre im Mittleren Westen … und die globalisierten Kornpreise … und die Patentierung der Biomasse … am anderen Ende der Welt … Lebensmittelpreise …
1,7 Millionen tote Kinder durch Unterernährung pro Jahr allein in Indien? Das habe ich nicht ahnen können!
Leider kenne ich ihre Reaktion. Das kommt mir alles sehr bekannt vor: Aber es stand doch sogar in der Zeitung! Jeder hat es gewusst!
Trotzdem bin ich kein Fundamentalist. Ich träume davon Jean-Paul Belmondo zu sein und im hydraulikgefederten DS durch das Frankreich der 70er Jahre zu schweben. Das heißt aber noch lange nicht, dass ich die Not zur Tugend machen muss. Man muss nicht jeden Mist zur Religion erheben, den man träumt. Und wenn ich Filme wie Asalto al sueño von Uli Stelzner sehe, dann weiß ich, dass es Menschen gibt und Schicksale, die mich mehr berühren, als das tolle Design des Aston Martin von James Bond.
Der gefällt mir trotzdem. Das ist Kult! Jeder sollte dazu freien Zugang haben. Aber im Kino.
… och nö, solch allgemeine Diskussionen gibt es doch allerorten. Das möchte ich nicht auch noch im Commons-Blog lesen. Nichts für ungut, lieber Jakob B. – beste Grüße von Jan Dieminger
Ich denke, Sie haben vermutlich Recht. Ich habe den Text etwas modifiziert, vielleicht hilft das. Hätte ich warnen sollen? Vorsicht Satire!
… ja, ein kleiner Satirehinweis hätte mir geholfen. Da war ich wohl etwas zu kurzsichtig. Beste Grüße – Jan Dieminger
Schön geschrieben. Mir fällt dazu die Passage in einem Schlager ein: „…..ständig hin und her gerissen, zwischen Sehnsucht und Gewissen … In Gefahr, mich zu verletzten, an den eignen Gegensätzen ….. hier was ich fühle – da was ich weiß“
Ich möchte nicht jemand anders sein. Ich will mit Menschen in meiner Umgebung Vereinbarungen treffen, wie wir gemeinsam arbeiten, was wir gemeinsam produzieren, wie wir schonend mit unseren Ressourcen umgehen, wie wir nachhaltig produzieren und wie wir Entscheidungen treffen, die auch Generationen nach uns in Frage stellen und umkehren können. Und ich bin noch soooo weit entfernt von meinen Zielen
🙂
http://www.udojuergens.de/lied/glut-und-eis
PS: Um hier keine Mißverständnisse aufkommen zu lassen – ich fahre keinen roten Jaguar E. Ich habe seit Jahren überhaupt kein Auto mehr und ich vermisse das auch nicht. Ich fahre Bahn. Da muss man nicht so auf Kratzer im Lack und Rost aufpassen.
Aber wenn ich mir mal wieder ein Auto kaufe, dann natürlich einen roten Jaguar E. 🙂
Fundamentalismus wird ja meist dann zum Problem, wenn die Empörung gegen gefährlich gefundenen Instinkte im BÜRGERLICHEN Individualismus verharrt also im idealistischen Moralismus, der übersieht,dass die jeweiligen Behauptungsbedingungen mehr oder weniger auch den Grad (die Möglichkeiten und Notwendigkeiten) individueller Mitmenschlichkeit, ökologischer Korrektheit usw. bestimmen. Wenn sich die kapitalistisch voneinander (ihrem Gattungsleben) und den ökologischen Voraussetzungen und Folgen der eigenen Tätigkeit usw. entfremdeten Individuen keinen (welt-)kommunistoschen Individualismus entwicketn ;-). Also selbst nach Wegen suchen, die es ihnen ermöglicht, das Bemühen darauf zu richten, zu fundamental anderen Behauptungsbedingungen zu kommen, die ein (welt-) kommunistisches Miteinander auch tatsächlich erlauben. Ausgänge aus selbstversuchuldeter Unvernunft, die nicht irgendwann zu Wegen aus unverschuldeter (weil den unvernünftig fundierten Behauptungsbedingungen geschuldeter) Unmündigkeit führen, führen halt auch in die Irre.
Die Sache mit den Äpfel und dem Klima zeigt, dass wir zu einem Miteinander kommen sollten, das auf Basis eines am Ende weltgemeinschaftlichen Nachhaltigkeitsmanagement funktioniert, und das Klimasystem der Erde, die wesentlichen Ressourcen usw. zu World-Commons macht.
Gruß von hh
PS. Inwieweit dann in Mitteleuropa nicht nur im Herbst auf Äpfel aus Argentinien verzichtet werden müsste, wird man dann (endlich!) sehen. Ohne weiteres lässt s8ch das ja schlecht klären. Siehe: http://www.spiegel.de/wissenschaft/mensch/oekobilanz-regionale-aepfel-sind-nicht-automatisch-klimafreundlich-a-560751.html
Hinter „also“ fehlt das Wort „nicht“. Oder man denke sich den Satz halt so:
Also selbst nach Wegen suchen, die es einem ermöglichen, das Bemühen darauf zu richten, zu fundamental anderen Behauptungsbedingungen zu kommen, die ein (welt-) kommunistisches Miteinander auch tatsächlich erlauben.
(Oben bei den gefährlich gefundenen Instinkten bitte das „n“ bei „gefährlich“ wegdenken)
@ Hhirschel: Ich lass mal einen Auskenner daran arbeiten, dass es für die Kommentare eine Korrekturmöglichkeit gibt. Bei Keimform haben sie das hingekriegt und mir hilft das auch immer :-).
@ Jan Dieminger: hihi, Danke. Aber jetzt passt’s besser.
@hhirschel: Die klimafreundlichen Äpfel aus Argentinien sind in der Tat ein interessanter Aspekt. Aber der Spiegelartikel springt eben viel zu kurz. Denn der Import dieser Äpfel erfolgt ja nicht durch Bauern vor Ort, sondern durch Discounter (ob nun Bio oder nicht), die zu Fuß in der Regel nicht erreichbar sind. Die letzten Meter legen die Äpfel deshalb einkiloweise im Auto zurück, während die lokalen Äpfel auf dem Apfelbaum im Garten vergammeln. Von den generellen Einflüssen auf die dörfliche oder städtische Vertriebsinfrastruktur ganz zu schweigen. Und diese letzten Verzweigungen im ökologischen Footprint bleiben in derartigen Studien völlig unberücksichtigt.
Die (oft völlig überflüssige) globale Verschiffung von Gütern ist eben immer auch ein gravierender Eingriff in lokale Lebensstrukturen und berührt aus meiner Sicht die Commonsfrage ganz entscheidend. Es geht ja nicht um die Frage, wieviel CO2 ein Apfel produziert, sondern darum, wie sich die mit solchen Produktions- und Transportprozessen assoziierte Lebensweise insgesamt auswirkt.
Naja, gerade der Schiffsverkehr ist ja – nicht zuletzt wegen den großen Mengen, die jedesmal transportiert werden können eine relativ umweltschonende Art des Transportes, Und das ist mit allerlei modernen Mitteln (einschließlich Segel) auch noch verbesserungsfähig. Wenigstens wiegt die Art des Einkaufs (mit PKW, zu Fuß oder mit dem Fahrrad) meist schwerer. (Abgesehen von den Mengen oder dem Anteil von Tierprodukten) Die mit Abstand schlechteste Ökobilanz haben wohl selbstgepflückte Erdbeeren, die mit dem eigenen PKW durch den Wochenend-Ausflugsverkehr kutschiert werden. (Abgesehen von den Erdbeeren aus den Plastikwelten Andalusiens, für deren Wasserbedarf einmalige Naturreservate zersört werden). Aber auch die vielen kleinen Lieferfahrzeuge, die mit verhältnismäßig kleinen Mengen viele kleine Wege abfahren, verhageln die Ökobilanzen vieler kleiner dezentraler Produktionsstandorte.
Und die Hauptnachfrage gibt es nun einmal in großen Städten. Urban Gardening in Kombination mit einer erfolgreichen Verdrängung des motorisierten Individualverkehrs aus dem Großstadtleben könnte das Problem entschärfen, aber nicht aus der Welt schaffen. Zumindest nicht, wenn man man ökofaschistischen Endlösungsfantasien in Sachen Bevölkerungspolitik keinen Raum geben möchte..
Meines Erachtens käme es auf die Schaffung bzw. Verallgemeinerung von Möglichkeiten an, Zertralismus und Dezentralismus ökologisch und sozialentwicklungsphilosophisch intelligent aufeinander abstimmen zu können. Wie könnten die Globalisierten dieser Erde dazu kommen, sich ihrer Produktions- und Verkehrsmittel als eine Weltgesellschaft zu bemächtigen d.h. als eine moderne, also freiheitliches Assoziieren gestattende Weltgemeinschaft. Die ein ökologisch und sozial ausgewogenes Ineinandergreifen von zentralen und dezentralen (Re-)Produktionskreisläufen auf Basis eines weltgemeinschaftlichen Nachhaltigkeitsmanagement erlaubt.
Natürlich wirdft das auch die Frage auf, wie große Lebensmittelbetriebe dazu bewegt werden können, sich den Regeln eines weltweiten Commoning zu unterwerfen. Ist nicht leicht, aber unter Umständen durchaus machbar.
Ein spannendes Thema, bei dem ich längst nicht alles für so klar halte, wie es scheint. Nehmen wir die selbstgepflückten Erdbeeren, die ich allerdings nur für ein Geschäftsmodell à la Duty Free Shop halte, in dem man suggeriert bekommt, es sei im Käuferinteresse keine Steuern zu bezahlen (auch wenn das Produkt teurer ist als im Laden inklusive Steuern). Die Frage ist doch, ob der Ausflügler wegen der Erdbeeren zum Bauern fährt oder wegen der frischen Luft, um dann auf dem Rückweg Erdbeeren mitzunehmen. Es ist ja nicht auszuschliessen, dass er sonst anschliessend zum Discounter fährt und die Erdbeeren dort aufwändig verpackt und global importiert zusätzlich zu seinem Ausflug noch abholt. Letztere Variante ist ja umso wahrscheinlicher, je weniger lokale Infrastruktur jeweils vor Ort vorhanden ist. Dazu kommt, dass der Bauer, der nun vor Ort keine Erdbeeren mehr anbietet, seine eigenen auch noch beim Discounter kaufen fahren muss … und so weiter. Mir scheint eine präzise Rechnung hier sehr schwierig, aber vielleicht bekommt SuperMUC das ja in den Griff.
Intuitiv glaube ich, dass der globale Warenverkehr Produkte umfassen sollte, die einen lokalen Charakter haben. Es gibt überhaupt keinen vernünftigen Grund lokal verfügbares Obst unreif um die halbe Welt zu verschiffen, um es dann durch Ethylenbegasung Containerweise zu reifen und geschmacklos auf den Markt zu bringen. Auch die Vielfalt geht dadurch völlig verloren. In den Württembergischen Streuobstwiesen gab es früher über 2.000 Apfelsorten. Das ist durch keine neuseeländische Großproduktion zu leisten, jedenfalls nicht ohne einen Mehraufwand, der die Kosten indiskutabel machen würde.
Und manchmal frage ich mich, welchen Effekt (nach der Bankenkrise) eine Discounterkrise auf die flächendeckende Versorgung der Menschen mit Lebensmitteln hätte … .
Ja, solche Sachen spielen herein. Der Nahtourismus soll ja im Prinzip auch attraktiv sein, Wie wiederum für das Stadtleben Bedingungen zu schaffen wären, die dem Bedürfnis nach „Nur-weg-Hier“ und entsprechend motorisiertem Verkehr entgegen wirken, was z.B. heißen könnte, dass hier angepflanzte Erdbeeren einer Umwelt ausgesetzt sind, die es ihnen erlaubt, nicht nur kulinarische Heavy Metal Fans zu erfreuen. Eine bessere Luftqualität wäre wohl auch für die notwendige Verbreitung der Ökovision überall in der Stadt herum stehender Apfelbäume der unterschiedlichsten Sorten (lebende Museen) notwendig.
Es ist gut, auch unter den gegebenen Bedingungen schonmal individuell zu versuchen, andere als die (situativ) unmittelbar eigenen (vom Rest der Welt isoliert sozialisierten) Bedürfnisse ins eigene Begehren, Tun und Bedenken einzubauen und so die derzeitige Unmöglichkeit eines tatsächlichen Commoning auf breiter (welt-)gesellschaftlicher Ebene ideell bzw.idealistisch zu überbrücken.
Das ist wohl auch deshalb notwendig, weil ohne dem wahrscheinlich das Bedürfnis nicht hinreichend wachsen und gedeihen könnte, im (welt-)gesellschaftlichen Miteinander darauf hinzuwirken, über die (Re-)Produktion der menschlichen Existenz und Bereicherungsmittel auf Basis (welt-)gemeinschaftlicher, also tatsächlich GEMEINSAMER Abwegungsprozesse (mit) entscheiden zu können. (Was allerdings auch nicht von allein geschieht. Vielfach steht dem der Stolz auf die eigene (anderen überlegene) moralische Leistung als isoliertes Individuum entgegen, die dann sogar zur Legitimation dienen kann, auf anderen Gebiet erst recht die Ökosau Ökosau sein zu lassen )
Es ist dabei natrlich zu bedenken, welche Zwischenschritte dafür notwendig sein könnten. Da ist etwa die „öffentliche Armut“ fast aller Gemeinden, die auch alle Bemühungen immer wieder durchkreuzt, auf Grundlage der heutigen Verhältnisse lokale Nachhaltigkeitsstrategien zu entwickeln um die zur Basis nachhaltiger Entwicklung vor Ort zu machen. Die Erfahrungen mit der rauhen kapitalistischen Wirklichkeit könnte auch zu durchaus praxistaugliche Ideen verarbeitetwerden, die helfen, die derzeitigen (sozial und ökologisch oft ruinösen) Bedingungen der Standortkonkurrenz zu verändern.
Also dass für überregional bedeutende Ansiedlungen von Produktionsstätten, Sportereignissen usw. etwa erst einmal Entwicklungspläne vorzulegen wären, die bestimmte Ziele einer nachhaligen Entwicklung berücksichtigen und die Notwendigkeit, das zu finanzieren verdeutlichen. Und die Gewerbesteuern nicht mehr diret an die Gemeinden gehen, sondern an überregionale Entwicklungsfond für eine zukunftsfähige Regionalentwicklung einzuzahlen wären. So dass das Geld die Gemeinden nicht mehr in dem destaströsen Ausmaß zu schnöden Mitkapitalisten macht, sondern in die Lage versetzt, gezielt zur Umweltfreundlichkeit und zur Maximierung sozialen Reichtums beizutragen.
Zentrale und dezentrale Entwicklungssouveränität brächten dann nicht mehr als Gegensätze wahrgenommen werden.
Gruß hh
Oh, ja, eine nachträgliche Korrekturmöglichkeit wäre wirklich super!
🙂 Gruß hh
Leider nicht so einfach. Einstweilen habe ich zumindest mal die Su zur Sau korrigiert.