Wir schlendern durch die schnuckelige Altstadt der kroatischen Küstenstadt Split. Historisches Pflaster. Seehr historisches Pflaster.
Punkt zwölf schaut Kaiser Gaius Aurelius Valerius Diokletianus vorbei, tut so, als würde er sich für’s Volk interessieren und zieht mit einem SALVE wieder von dannen. Wir reden über die Geschichte Jugoslawiens, unser Leben und die Commons.
Gleich neben dem Diokletianspalast führen breite Stufen zur Kathedrale. Tiefer im „historischen Herzen der Altstadt“, inmitten des weltkulturellen Erbes kann man eigentlich nicht sein. Auf den Stufen liegen Sitzkissen und Tischbrettchen vor denen Kellner herumlaufen. … und dazwischen Menschen, die sich um die Kissen, Brettchen und Kellner nicht scheren. Sie wollen einfach nur sitzen (im Herzen der Stadt, aber nicht zu Tisch). Das versteh‘ ich.
Platz genug ist ja und einen öffentlicheren Raum als den zentralen, historischen Platz einer Weltkulturerbestadt kann ich mir auch nicht vorstellen.
Schräg hinter mir will sich nach all der Pflasterlatscherei ein älteres Paar niederlassen.
- „Sie können hier nicht sitzen!“ (der Kellner verweist sie von den nackten Stufen zwischen den improvisierten Cafétischen. Er ist vom Café Luxor. Gleich gegenüber, aber da knallt die Sonne. Weshalb das Luxor ein Auge auf die schattigen Plätzchen der Palaststufen geworfen und mit der Stadtregierung gedealt hat. )
- „Wieso nicht?“
- „Weil nur unsere Gäste hier sitzen dürfen. Dafür haben wir bezahlt … „
Ich schaue über den Platz. Da gibt es kein einziges freies, schattiges Plätzchen mehr. Frei wie in „die Freiheit, sich im Schatten kurz auszuruhen.“ Ich rege mich auf. Das mache ich manchmal. Dann gehe ich schnurstracks zur Stadtinfo. Dort sagt mir eine sehr junge Frau: „Aber so ist das doch, das machen alle. Wir leben im Kapitalismus“. Ach.
Ich weiß es zufällig besser. Es gibt Städte, die machen es anders, etwa im schwäbischen Vaihingen. Da gibt es jetzt einen Sommerstrand auf dem Marktplatz. Und da dürfen alle sitzen und schaufeln und Burgen bauen.
In der Nähe der Mauern des Diokletianspalastes lässt sich wunderbar hoffen, dass es früher irgendwie anders war. Doch kaum ist der Gedanke gedacht, begegnen wir der römischen Variante der „Verwarung“ des Menschseins.
Wer hier was reinwirft, erhält Absolution – aber nicht den Schlüssel zum Kästchen hinter der Mauer. Andernorts hat man Pfarrer zur Beichte. Doch mit so einer „Sündenvergebungsmaschine“ kann auch der Pfarrer wegrationalisiert werden.
Wie schaffst Du es nur, aus einer derart frustrierenden Geschichte eine lustige Episode zu basteln ohne vor Wut zu platzen? Mit welchem Selbstverständnis Gemeingüter jeder Art eingehegt werden WEIL DEM SYSTEM DIES GUT TUT, das lässt mich am lieben Gott zweifeln.
ha, du hättest mich mal sehen sollen. Mein Begleiter, der CC-Projektleiter von Serbien, hat die Fotos gemacht. Unter einem stand: „silke liberating public spaces“ und ob ich denn wüsste, dass es nichts bringt, wenn ich mich bei der Stadtinfo „beschwere“. Da war ich aber anderer Meinung. Mir hat es was gebracht, ich konnte ein bisschen Wut ablassen.
Dolle Geschichte! In mehrfacher Hinsicht!
Hab trotzdem was zu meckern
Ist der Kapitalismus ein Gefühlsmensch?
Hmmm…
Aber das ist exakt, was ich meine! Jeder Unfug ist damit zu rechtfertigen, dass es dem armen System gut tut.
Nun mal ehrlich: kann es einem System gut gehen? Hier ging es darum, dass es dem Rstaurantbetreiber, dessen Angestellte und der Stadtkasse gut gehen und der Betreiber deshalb skandalöserweise bestimmen darf, dass es sich die Menschen auf dem öffentlichen Platz nur gut gehen lassen dürfen, wenn sie sich bei ihm etwas zu Essen bestellen. Das Hauptproblem ist anscheinend die Vorstellung, dass dies normal ist und die Alternative Sibirien – und die Hüter der Stadtkasse sich keine Sorgen um ausbleibende Touristen machen brauchen. Bis jetzt 😉
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Ja, das Hauptproblem ist die Vorstellung. Daher sagte ich neulich: Was wir nicht denken können, können wir auch nicht gestalten (und erntete Widerspruch von Ihnen :-))
Die Formulierung dass es „einem System gut tut“ ist vielleicht etwas unglücklich, als sei das System ein belebtes Subjekt. In der gleichen Weise wird auch immer vom Wohl und Wehe des Marktes geredet. Die Märkte sind nervös, angespannt und warten ab oder sie reagieren gelassen usw. usf, da kritisiere ich auch die Wortwahl.
Äh … soll ich das in Zukunft so schreiben: „Jeder Unfug ist damit zu rechtfertigen, dass er ACHTUNG IRONIE!!! dem armen System gut tut IRONIE ENDE“. Was ich meinte war, ACHTUNG IRONIE!!!! das arme, arme System – es tut mir ja soooo leid IRONIE ENDE. 🙂 Ihr veräppelt mich doch, oder?
@ JB Ich sehe es in dem Falle so, wie SH, dass „das System“ halt kein mit eigenem Geist beseeltes Subjekt ist. Dessen Wohlergehen ist außer vielleicht für die Bertelsmannstiftung und ähnlichen (an nachhaltig guten Ausbeutungsbedingungen allgemeiner Natur) interesierten Institutionen kein treibendes Motiv für irgendwas. Eine solche Vorstellung sehe ich eher als Ausdruck des systemeigenen Zustandes der Entfremdung von (am Wohlergehen von diesem und jenem interssierten) Subjekten voneinander (und der Natur), die ihren privateigentümlichen oder jedenfalls in keiner vernünftigen Beziehung zueinander stehenden Behauptungsbedingungen unterworfenen sind. Im Kapitalismus funktionieren Mittel der Vergesellschaftung (außer Waren, Geld usw. auch sprachliche Mittel wie Begriffe) deshalb unweigerlich als Fetischche.
Wie sieht es mit dem Wohlergehen „der Märkte“ aus? Börsenkurse, Wirtschaftsdaten haben schon Subjektcharakter, oder? Obwohl sie natürlich auch Mystifikationen sind. Jedenfalls bereitet „deren Wohlergehen“ tatsächlich eine Menge Menschen / Institutionen reales Kopfzerbrechen – weil sie davon (also von gesamtgesellschaftlich nicht unbedingt rationalen Motiven) real abhängig sind.
Die sich daraus ergebene Aufgabe ist m.E. die Minimierung (und letztlich Emanzipation aus) der sich aus den bestehenden Abhängigkeitsverhältnissen ergebenen Nötigung/Möglichkeit, in aller einkaufsparadiesischen (politischen usw.) Unschuld lauter gefährlichen Blödsinn zu (re-)produzieren. Was m.E. die Herstellung einer als Solche handlungsfähigen Menschheit voraussetzt und diese sich aus den bestehenden (chaotischen und von privateigentümlichen Motiven bestimmten) Formen der Globalisierung heraus entwickeln muss. (Nicht per Jungfrauengeburt zur Welt kommen kann).
@ Silke H. Ja, da hast du mich wohl erwischt. Ich meine ja auch nicht, dass unser kapitalistischer Alltag uns keine Spielräume für die Übernahme persönlicher Verantwortung für die gesellschaftliche Macht und Herrlichkeit dieser und jener Vorstellungen lässt. Und in diesem Fall gehört die Privatisierung des Schattens (und damit der Erlaubnis für die um Vergebung ihrer Sünden an diesen Ort pilgernden Menschen, es sich wohlergehen zu lassen) natürlich vor allem skandalisiert und (mitsamt des offenbar gewordenen Gewöhnungseffektes) in ihrer ganzen Lächerlichkeit thematisiert. Hoffen wir, dass über diesem Ort bald nicht nur die Sonne lacht 😉
äh.. diesen Ort 🙂
ja, ich warte ja noch auf die Straßengehgebühr 100 m ein Euro
nun wahrscheinlich ist ja die Straße längst verkauft, das ist eben
realistisches Monopoly