Jakob der Letzte

Literarische Einblicke in die Geschichte der Allmende

Nein, es geht nicht um meinen Mitblogger. 🙂 Es geht um diesen Roman von Peter Rosegger.

Ich habe es mir zur Gewohnheit gemacht,  für den Urlaub immer nach Literatur von Autor_innen der entsprechenden Gegend zu suchen. Dieses Jahr waren wir in der Steiermark, und wer in die Steiermark fährt, kommt an Peter Rosegger nicht vorbei. Rosegger gilt als wichtigster Vertreter des poetischen Realismus, der – sehr realistisch eben – die Vorgänge in seiner Heimat (obere Steiermark) prosaisch dokumentiert und reflektiert.

Nun entdeckte ich ‚Jakob er Letzte‘ unter den bereits digitalisierten Büchern auf Gutenberg.de. Prima, ich wollte ohnehin darüber bloggen.

Ich hatte mir eine Ausgabe in Frakturschrift besorgt, weil ich fand, die Fraktur passt gut zum Thema und zur Sprache.  Alle Nase lang musste ich Brigitte fragen: Was heißt „verganten“? Und was „Pfaiden“ (das muss irgendein Kleidungsstück sein). Und redet man wirklich von „kreuzverwindierten“ Bauern?  Mal wusste sie Rat, mal nicht 🙂

Ich will hier einfach ein paar eindrucksvolle Ausschnitte dokumentieren. Zunächst zum Stichwort Bauernabtrennung, der Oberförster der Region um Altenmoos (das ist das Dorf, in dem die Geschichte spielt) tut sich in diesem Kontext besonders hervor. An einer Stelle sagt er:

„So muß man es schütteln, dieses Altenmoos. Was reif ist, fällt, was heut‘ nicht fällt, fällt morgen. Fest anpacken.“ – Er ging gegen den Reuthof.

Und auf dem Reuthof (das kommt von „reuten“ = ‚Steine lesen‘ um das Land urbar zu machen) lebt besagter Jakob mit seiner Familie. Er wehrt sich bis zu seinem tragischen Ende gegen das, worein die Anderen nach und nach „einwilligen“: wegzuziehen und das Land zu verkaufen.

Hier eine Szene: »Steuerrückstände!« brummte der fremde Herr, denn es war der Steuerbote aus Krebsau.

»Hab‘ mir’s gedacht«, murmelte der Bauer, »hab‘ mir’s eh‘ gleich gedacht. – Wie viel denn?«

»Fünfundzwanzig Gulden dreiundneunzig Kreuzer.«

»Oh, wieso denn?« fuhr der Bauer erschrocken auf.

»Und fünfzehn Gulden einundfünfzig Kreuzer Zuschläge.« … »Macht zusammen einundvierzig Gulden vierundvierzig Kreuzer, welcher Betrag binnen drei Tagen bei sonstiger Pfändung im Steueramt zu bezahlen ist.«

Der Waldstuber schwieg, ging aber mit über den Rücken gelegten Armen rasch die enge Stube auf und ab, einmal das eine, einmal das andere Kind mit den Füßen von sich stoßend.

»Himmelgottverflucht!« stieß er plötzlich hervor und begann ein schauderhaftes Schelten und Wettern gegen die Bauernabtrenner und besonders gegen den Steuerboten, der manches scharfe Wort schon gewohnt, verblüfft stillschwieg und zuhörte.

»Kann ich dafür?« sagte er endlich. »Glaubt ihr, es ist mir ein Vergnügen, zu den Nestern im Gebirg herumzuklettern und Grobheiten einzustecken? Ich habe Kinder daheim, wie ihr, aber schaut sie einmal an, ob sie so gesund und vollwangig sind, wie die Euren. Wir vom Amt sind dieselben armen Teufel, wie Ihr, oder ärmer! ärmer! Die Boshaften von uns haben wenigstens den Trost, daß sie andere ums Geld bringen können.«

»Höllvermaledeite Zustände das!« schrie der Waldstuber, und sein Haar sträubte sich auf, und seine Wangen waren erdfahl, »ich hab‘ das Geld nicht. Ich muß Mehl kaufen, daß wir was zu essen haben, den Kindern Gewand kaufen, den Arzt bezahlen, das Steueramt soll warten. – Ich laß bitten!« setzte er kleinlaut bei.

Der Bote schüttelte die Achseln. »Nichts zu machen«, sagte er, »der Kloiber-Franz in Sandeben hat auch so geredet, just so, ist gestern vergantet worden.«

Der Bauer schlug zum Boten gewendet die Hände zusammen und rief: »Seid Ihr denn nicht auch Menschen?«

»Wieso?« fragte der Steuerbote. »Wir sind Staatsbeamte.«

»Und der Staat?«

»– ist kein Mensch. …

In diesem Augenblicke trat der Waldmeister Ladislaus ein, um zu sehen, worüber denn hier so scharf gestritten würde. Als er die Sache begriff, und er begriff sie bald, sagte er lächelnd zum Waldstuber: »Du mußt heute andächtig zu deinem Schutzengel gebetet haben.«

»Warum das wieder?« fuhr der Bauer, der sich gehöhnt glaubte, drein.

»Weil er dir einen Retter schickt zu rechter Zeit«, sagte der Waldmeister, und hielt ihm seine Brieftasche hin: »Da drinnen sind deine fünfhundert Gulden.«

Der Bauer trat erschrocken einen Schritt zurück und starrte auf die Ledertasche, die der Waldmeister vor ihn hinhielt.

»Nimm’s nur«, sagte er freundlich, »nimm’s, es gehört dein. Der Kampelherr schickt dir’s für dein Haus und Grund.«

»In Gottesnamen!« sagte der Waldstuber und nahm das Geld.

Da war er fremd im Hause seiner Väter.

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Eine Notlage um die andere, eine Illusion um die andere … und die Höfe werden aufgegeben:

„Die Nachbarn haben verkauft. Die Bauern in dieser Gegend sind aber auf gegenseitiges Zusammenhalten angewießen. … Die Wege werden verwildern, der Einzelne kann sie nicht instand halten. Auf den brachliegenden Feldern wird Wald wachsen.“

Am Beginn des Kapitels, aus dem ich hier zitiere, macht mir eine Passage klar, wie dynamisch, widersprüchlich, mit sich permanent verändernden Interessen diese Einhegungsprozesse voran gingen. Irgendwann „kippte“ der Prozess von selber und die Menschen gingen „freiwillig“. Hier war mehr strukturelle denn direkte Gewalt am Werk.

„In Altenmoos begann sich sachte manches zu ändern. Früher hatten die Bauern im Sommer ihre Herden – für die auf den eigenen Grundstücken zu wenig Futter wuchs – gegen mäßiges Entgelt auf die Hochweiden der angrenzenden Großgrundbesitzer getrieben,… Es war altes Herkommen, das sowohl den Hochweidbesitzern, als auch deren Pächtern, den Bauern, zugute kam. Seit einiger Zeit war das abgestellt worden, der Waldkulturen wegen, wie es hieß. Der Oberförster, Oberjäger und Waldmeister Ladislaus war aber zu leidenschaftlich, um lange ein Hehl daraus zu machen, daß den Bauern die Viehweiden nicht der Waldkulturen, sondern der Wildhegung wegen versagt wurden. Man rechnete so: Bekommen die Bauern von uns die Almweiden nicht, so können sie nicht Viehzucht betreiben, wirtschaften ab, müssen uns gut oder übel ihre Güteln verkaufen, und Herr im Lande ist der Hase und der Hirsch, die wieder unserem Vergnügen dienen. Zur Hälfte betreibt man’s, zur Hälfte geht’s selber.“

Die fatale Rolle der exklusiven Jagdrechte in dieser Zeit, die dazu führte, dass die Leute nicht mal mehr Beeren sammeln durften (um das Wild nicht zu verschrecken), war auch so ein Aha-Effekt.

Später heißt es dann:

„So sank Zweig um Zweig, Ast um Ast – Glied um Glied von der Gemeinde Altenmoos. Jakob Steinreuter stand fest. Er ließ keinen neuen Brauch in sein Haus, kein Lotterbett, keinen Prunkspiegel, wie man solcherlei jetzt zu wohlfeilen Preisen bekommen konnte.“

… und gilt natürlich als engstirnig, rückwärtsgewandt und stur. Sein Schicksal zeigt, dass das Klammern am Alten keine sinnvolle Strategie ist, um mit verändernden gesellschaftlichen Verhältnissen umzugehen.

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Und eine letzte Szene noch.  Es geht um Fischfang und darum, was geschieht, wenn das „redliche Nehmen“ nicht mehr erlaubt ist. Es geht auch um einen kleinen Sieg der Bauern gegen die Privatisierung des Wassers und der Fische, aber am Ende kommt es, wie es kommen muss – unter diesen Machtverhältnissen.  

„Seit altersher war es verstattet gewesen in Altenmoos: Der Hase, der Vogel, der Fisch, so mit freier Hand gefangen wird, gehört dem Fänger. Das Gesetz war gnädig, aber die Tiere waren es nicht, sondern liefen oder flogen der täppischen Menschenhand munter davon. Nur der Fisch, der wässerige Augen hat und keine Ohren und keine Ahnung von den Gefahren für ein Wesen, das Fleisch und Blut hat, und wäre es noch so kalt, nur der Fisch war sorglos. Und in Altenmoos gab es genug Hände, die ohne Angel oder Beren (Netz) oder sonstige Vorrichtung täglich die schönsten, oft pfundschweren Forellen aus der Sandach zogen. Die Tiere flüchten sich gerne unter Steine oder Uferrasen, bleiben dort ruhig stehen und meinen, weil sie den Feind nicht sehen, so sehe er sie auch nicht. Legt sich nun der Bauer auf den Bauch, greift mit den Händen sachte unter den Rasen, und zwar so, daß die eine Hand mählich nach dem Kopf des Fisches, die andere nach dem Schweife langt. … Nach zehn Minuten ist die Forelle gebraten, der Fänger schält die versengte Haut weg, löst das milchweiße Fleisch von den Gräten und verzehrt es mit schnalzender Zunge.

Ein solches Wohlleben kann nun aber der zunächst berufene Fischer oder Jäger nicht mit ansehen. Das Fischwasser hat der Kampelherr gepachtet und auf einmal ist’s den Altenmooser Bauern verboten, Fische selbst mit den Händen zu fangen.

»Fischer, Ihr macht Fischdiebe!« sagte da der alte Pechölnatz einmal.

»Wieso?« begehrte der Kampelherrische Oberförster, Wald- und Wildmeister Ladislaus auf.

»Wir hätten mit dem schlimmsten Willen nicht Fische stehlen können, wenn das redliche Nehmen erlaubt geblieben wäre.«

»Untersteht Euch nicht!« rief der Waldmeister.

Zur Ehre der Altenmooser Bauern sei es gesagt, sie unterstanden sich nicht, oder nur höchst selten, nämlich wenn sich einer etwa die Hände einmal im Bache wusch und es verlief sich zufällig eine Forelle zwischen seine Finger.

Einmal hatte der Waldmeister den schönen Gedanken, den Altenmooser Bauern die Wiesenbewässerung zu verbieten, die im Frühjahre nötig ist; er behauptete, daß durch die Wasserentziehung in der Sandach der Fischstand gefährdet werde. Da setzten die Altenmooser gegen den Kampelherrn ein bösartiges Schriftstück auf. In dem fragten sie höflich an, ob sie – falls einer durstig würde – noch Anrecht auf einen Schluck Wasser hätten, das aus dem Berge rinnt, oder ob sie die durstigen Mäuler gegen Himmel halten müßten, damit es hineinregne? Oder ob der gnädige Herr vielleicht auch das Regenwasser vorwegs in Beschlag genommen hätte und nur der Hagel den Bauern gehöre? – Der Kampelherr schämte sich ein wenig und ließ ihnen die nötige Bewässerung.“

Später kommt die Sache mit dem Fischen vor Gericht, weil der Fluß die Wiese eines Bauern überschwemmt und dieser dann beschließt auf der überschwemmten Wiese zu angeln.

»Beim Gericht werden wir’s erfahren, wem die Fische auf meiner Wiese gehören.«

»Ganz schön«, entgegnete der Waldmeister und ging seines Weges. Weil er aber lieber Hammer als Amboß war, so verklagte er den Fischdieb.

Jetzt hub ein Prozeß an.

Der Rodel ging zum Gericht und brachte folgendes vor: »Die Sandach hat meine Wiese überschwemmt. Das Wasser rinnt zu und ab, und es ist ein See. Jetzt will des Kampelherrn Jägerknecht die Fische von meinem See haben. Ich sage aber: Der Kampelherr hat in der Sandach das Fischrecht, und nicht auf dem See. Für meinen Wiesengrund zahle ich Steuer. Das Heu ist hin auf Jahr und Tag, ich nutze die Fische und will sie zugesprochen haben.«

Der Kampelherr hatte drei Advokaten zum Prozeßführen, denn bei dem gab’s fortwährend an allen Enden zu tun. Einen davon schickte er nun zum Gericht gegen den Rodel. Der Herr Doktor… stellte bei Gericht folgendes: »Wir haben das Fischwasser der Sandach gepachtet, ob es jetzt im Bette rinnt oder über das Ufer tritt, wir haben es gepachtet. Das Gesetz hat der Sandach keinen Weg vorgeschrieben, auf dem es rinnen muß und die Bauern sollen Schutzwehren bauen, wenn ihnen das Wasser nicht recht ist. Sei das Wasser der Sandach klein oder groß, rinne es nach rechts oder links, wir haben in ihm das Fischerrecht und der Bauer Rodel, der uns die Forellen entwendet, soll bestraft werden.«

Hierauf entgegnete der Bauer Rodel: »Wer jetzt die Sandach messen will, sie hat in ihrem Bett so viel Wasser, als immer. Der See ist etwas Neues, ist im Regen vom Himmel gefallen und wenn der Kampelherr das Seewasser haben will, so soll er es pachten.«

Es handle sich ja nicht ums Wasser, hierauf der Herr Doktor sehr glatt, es handle sich um die Fische. Und die Fische seien nicht vom Himmel gefallen, sie seien aus der Sandach, seien dort mit Sorgfalt und Kosten gehegt und gepflegt worden, es sei an ihrem Eigentum kein Zweifel. …

Der Herr Doktor blätterte fortwährend in Büchern und Schriften um; der Rodel hatte immer zu wenig Urkunden bei der Hand, heute fehlte dies, morgen das. Es zog sich schon in die Monate hinein, die Protokolle gingen hin und her, auf und ab, und die Gesetze wurden gedreht über und über. Es schien von Anfang an klar zu sein, daß der Rodel an den Fischen kein Anrecht hatte, aber der Bauer kam immer wieder mit neuen Einwänden, …. Unbegreiflich blieb es allen in Altenmoos, daß der Rodel auf seinem Wiesengrund, wo er das Wasser nicht verkauft und nicht verpachtet hatte, nicht sollte fischen dürfen! …

»Basta!« sagte endlich das Gericht, »die Fische gehören dem Kampelherrn.«

»So soll er sie haben«, knurrte der Bauer zweideutig, und nun erinnerte er sich wieder einmal des alten Sprichwortes: Herrenwill‘ ist stärker als Bauernrecht.

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Stimmt schon, „Heimatliteratur“ steht sonst eher selten in meinem Bücherschrank. Aber ‚Jakob der Letzte‘ möchte ich nachdrücklich empfehlen.

Foto: Peter Rosegger, picture by Franz Josef Böhm, on http://de.wikipedia.org/wiki/Bild:Rosegger3.jpg

2 Gedanken zu „Jakob der Letzte

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