Überall gibt es Commons-(Sommer-)Schulen. In London, in Barcelona und, tamtamtam: in Bechstedt. Noch dazu gab es dieses Jahr eine Sommerschule auf der Insel Vis in Kroatien. Sie nannte sich Grüne Akademie und wurde von mehreren grünen-nahen Stiftungen getragen. Teilnehmer_innen aus 16 vorwiegend osteuropäischen Ländern waren dabei und ich hatte die Ehre, die ganze Woche begleiten zu dürfen. Dort habe ich erfahren, wie lebendig die Commons-Debatte in manchen Bereichen ist.
Besonders gilt das für Städtische Commons. Das Thema wird angesichts solcher Verhältnisse immer wichtiger und die Länder Ex-Jugoslawiens sind aus historischen Gründen ein spannendes Laboratorium. Natürlich ist die Frage nach städtischen Commons eng mit Landnutzungsaspekten verbunden. Und deshalb beginne ich mit Krk, einer der 1000 kroatischen Inseln.
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Er sitzt da, rund und wuchtig. So ein bisschen wie Obelix im roten T-Shirt. Man merkt sofort: Hier spricht einer markig. Eine Inselauthorität! Er heißt Vjeran Piršić und das ist der Eindruck, den er macht. Wumm! Er sagt einfache Dinge die sitzen:
„Wenn Ihr wirklich Commons verteidigen wollt, dann müsst Ihr aufhören, so viel über Commons zu reden und vor Ort kämpfen. Der größte Fehler, den man machen kann ist zuviel zu debattieren und zuviele Bücher zu machen. Das Beste ist doch, den Leuten vor Ort einfach zu helfen logische Dinge zu tun.“
Für Piršić sind Commons irgendwie logisch, eigentlich das Normalste der Welt. Man müsse eben „nur ein paar einfache logische Dinge tun.“ Zum Beispiel
„nur dann Baugenehmigungen erteilen, wenn mindestens ein Quadratmeter Photovoltaik installiert ist und ein halber Hektar Lebensmittel angebaut werden kann und wenn der Abfall auch als commons behandelt wird, den man gemeinsam in Humus verwandelt“.
In der Stadt in der ich lebe, gibt es auch Bauauflagen. Und obwohl es hier eng ist und der Platz nicht mal für Fahrradwege reicht, lautet die Regel: Baugenehmigung gibt es nur, wenn eine entsprechende Anzahl von Parkplätzen geschaffen wird. Unterschiedliche Denke. Unterschiedliche Lösungen.
Die sicheren Formulierungen von Piršić haben viel mit dem Inseldasein zu tun. Auf Krk hatte man die Vereinbarungen der Bevölkerung in grauer Vorzeit auf Stein und Schafsfell geschrieben. Heute nutzt man auch dort Computer, doch zugleich ist „traditionelles Wissen“ noch weit mehr als eine akademische Floskel. Die Leute wussten immer, sagt die Inselauthorität,
„dass man nicht mehr Holz schlagen darf, als auf einen Eselsrücken passt. Wir wissen auch, dass wir auf der Insel nicht mehr als 20.000 Schafe haben können. Das wissen wir aus 3000 Jahren Erfahrung. Und jetzt kommen die Weltbankberater und wollen uns erklären, wie viele Schafe wir haben dürfen.“
Derzeit weiden auf Krk 12.000 Schafe. Die Bevölkerung will mehr ansiedeln, um sich vom Festland unabhängiger zu machen. Wie sie zu ihren Entscheidungen kommen, frage ich.
„Wir diskutieren, aber wir treffen nie eine Entscheidung sofort. Wir schlafen immer noch eine Nacht darüber.“
Krk will erste CO2 neutrale Insel des Mittelmeeres werden, denn Inseln seien – das findet auch Vjeran Piršić- ein gutes Laboratorium. Auch in rechtlicher Hinsicht. Immer wieder werden spezifische rechtliche Vereinbarungen für die Inseln ausgehandelt.
Später bin ich mit dem Koordinator der Arbeitsgruppe zu Urban Commons im Gespräch. Tomislav Tomašević ist zwar weniger massiv aber genauso energisch wie Piršić. Er gehört zu einer Gruppe engagierter junger Kroaten, für die Commons zum Zentralbegriff geworden ist.
Das Problem sei, so sagt er, dass öffentliches (i.e. staatliches) und gesellschaftliches („societal“) Eigentum immer miteinander vermengt werde. Das Gesellschaftliche werde dem „Öffentlichen“ (i.S.v. Staatlichen) einverleibt und damit unsichtbar gemacht. Die Erfahrung in Südosteuropa zeige zudem, dass Privatisierung über Nationalisierung erfolgt. In den meisten Ländern gab es nach dem Zerfall Jugoslawiens etwa eine Dekade lang nationalistische Regierungen.
Diese Prozesse sind alles andere als einfach zurückzuholen, denn mit dieser Natio-Privatisierung geht viel Wissen und Beziehung verloren. Wenn aber die Beziehung – z.B. zu einem städtischen Raum – weg ist, wie soll dann ein Identifikationsprozess der Menschen mit diesem Raum stattfinden? Wie sollen sie selbst zum Gestalter ihrer Städte werden?
Ein neues institutionelles Design zu denken und vorzuschlagen sei daher eine wichtige Form des Widerstands, findet Tomašević.
Das Beispiel Pula und spitzfindige Formen des Landgrabbing
Die nordkroatische Stadt ist nicht mit anderen vergleichbar, denn etwa ein Drittel des Stadtgebietes war viele Jahrzehnte für militärische Zwecke gesperrt. Sechs (ehemalige) Militärzonen direkt am Meer prägen die Struktur der Stadt am Südzipfel Istriens.
In den 90ern wurde wild gebaut, erst seit Anfang 2009 gab es einen Masterplan für Pula. Doch Stadtväter denken bei Masterplänen gewöhnlich an Investoren, nicht an die Menschen oder an die Stadt als Gemeingut. Die Gebiete sollten ausgeschrieben werden für noch mehr touristische Infrastruktur, noch mehr Hotels und noch mehr Golfplätze. Tatsächlich wurde die kroatische Küste bereits zubetoniert. Davon profitieren aber nicht unbedingt die Anwohner, sondern vor allem wohlhabende Renter_innen aus westeuropäischen Staaten.
Der Staat richtet demzufolge sein Handeln an den potentiellen Bedürfnissen der Urlauber und Ruheständler aus: So ist das Land – kein Witz – das erste Land der Welt, dass ein Golfplatzgesetz erlassen und die Schaffung von Golfplätzen zur nationalen Priorität erklärte. Golfplätze stehen damit in einer Reihe mit Schulen, Krankenhäusern und der Sozialfürsorge – den anderen drei „nationalen Prioritäten“ des Landes.
Dagegen gab es massiven Widerstand. Das Gesetz konnte so im November 2011 zu Fall gebracht werden, doch nach anderthalb Jahren waren die 10 größten Golfplätze bereits durch. Die schiere Dimension des Ganzen erinnert an Landgrabbing. Der Begriff des golf-grabbing macht die Runde. Und damit nicht genug, scheint das Procedere anzustecken. In Bulgarien wird eine Gesetzgebung diskutiert, durch die die Entwicklung von Ski-Ressorts favorisiert werden soll. Die Gemeinden vor Ort befürworten das in der Regel. Sie versprechen sich davon zahlungskräftige Touristen. Diese Denklogik wird auch mit dem Argument durchgesetzt, dass ja nur getan würde was die EU verlange – wobei die Bürger nie genau wissen, was konkret Gegenstand der Beitrittsverhandlungen zur EU ist. Fakt ist: Pfähle werden in den Grund der Städte gerammt. Im Wortsinn. Es wird weiterbetoniert.
Die Denklogik zu dekonstruieren, weil sie letztlich zu Abhängigkeit führt, bedarf eines sehr intelligenten re-framings, betont Tomašević. Und er verfolgt die Spur der Commons, weil sie ihm bislang am überszeugendsten scheint.
Inmitten des Kapitalismus ist gegen profitorientierte Landnutzung schwer anzukommen. Eine alternative „In-Besitz-Nahme“ wird etwa im Falle Pula dadurch erschwert, dass es gar keine community gibt, keine Menschen, die sich mit dem Land seit Jahrzehnten abgesperrten Land verbunden fühlen. Und wo keine community, da kein Commons.
Eine Gruppe innovativer und progressiver Architekten hat sich des Problems angenommen. Sie wollen nicht, dass ihre Stadt durchprivatisiert wird. Die inzwischen sehr bekannte PULSKA-Group bezieht sich konzeptionell eng auf die Commons, wie an dieser Komunal Urbanism Social Charta erkennbar ist.
„We imagine city is a collective space which belongs to all those who live in it, who have the right to find there the conditions for their political, social, economic and ecological fulfillment at the same time assuming duties of solidarity. This concept of the city is blocked by capitalist dialectic based on difference in public and private good. From these two poles State and Market emerge as the only two subjects. We want to escape this dialectic, not to focus on eventual „third subject“, but on a group of collective subjectivities and the common that they produce.
Wie, so fragte sich die Pulska-Group, können wir Verbundenheit mit einem Stück Erde herstellen, dass jahrzehntelang niemand betreten durfte? Die Gruppe hat eine der 6 ehemaligen Militärzonen namens Katharina besonders unter ihre Fittiche genommen, als Commons Space ausgerufen und die Leute dorthin gebracht, Feste und Workshops veranstaltet, Begegnungen, Begehungen und vieles mehr organisiert. Es ging einfach nur ums DA-sein, darum, Beziehung zum Land aufzubauen. Und darum, die Verwaltung zu überzeugen – durch die Belebung des Raums – das dieses Gebiet „gesellschaftlicher Besitz“ ist.
Ähnliche Kämpfe gibt es in Dubrovnik (z.B. mit der Gruppe SRD JE NAS), in Banja Luka, das auch seine Parkschützer hat, in Split, Skopje oder Zagreb. Ein katalytischer Moment war der Juli 2010, als in der kroatischen Hauptstadt an einem einzigen Tag 140 friedlich protestierende Menschen festgenommen wurden. Sie wollten der willkürlichen Änderung des Masterplans der Stadt und dem Abriss eines Teils der Varsavska Straße für den Bau einer Tiefgaragenzufahrt entgegen treten. Masterplan = Investorenfreundlichkeit.
„In diesen Protesten sind Umwelt- und Kulturbewegungen zusammen gekommen, das hat zu einer besonderen Dynamik geführt und wurde mit theoretischen Debatten über zivilen Ungehorsam, den öffentlichen Raum oder Commons verknüpft“, schließt Tomislav. Und mit dem Satz
„Wir müssen daraus eine Bewegung machen“, wendet er sich wieder seiner Urban-Commons-Arbeitsgruppe zu.
Fotos:
Grüne Akademie, Insel Vis/ Kroatien 2012, Arbeitsgruppe Urban Commons by Mirela Šavrljuga Aerial View of Pula by, GNU Licence for Free Documentation