Lehrbücher als Commons. Ein Biobuch zum Mitmachen

„Everybody is a genius: But if you judge a fish by its ability to climb a tree, it will live its whole life believing that it is stupid“

Albert Einstein.

Es sind gute Nachrichten für die Lehrmittelfreiheit und weniger gute für die Schulbuchverlage. Dabei sind diese in Sachen „digitale Schulbücher“ sehr aktiv (z.B. der Verband der Bildungsmedien). Doch Verlage haben gewöhnlich eine andere Vorstellung von (Lehrmittel-) Freiheit als die Open Educational Resource-Szene.

Über – positive wie negative – Erfahrungen mit ihrem Freien Biologiebuch sprach der Berliner Medienexperte Hennig Wedening auf der OC13 in Linz. Gemeinsam mit dem Biologielehrer Heiko Przyhodnig hat Wedening eine Crowdfunding-Initiative gestartet. Zehntausend Euro müssen sie sammeln (geschafft) und mindestens 1000 Fans (da bleibt noch was zu tun). Das zeige, ob die Idee von mehr als nur den Inititiatoren getragen werde, erklärt er dem Publikum der OC13.

Die Idee ist folgende: Ein OER-Biologie-Schulbuch zum Mitmachen für die 7. und 8. Klassen abgestimmt auf den Rahmenlehrplan von Berlin. Auf die Frage „Dürft Ihr das überhaupt?“, erfahren wir Interessantes über die Schulbuchzulassung. Selbige wurde 2006 in Berlin aufgehoben. Aber Schulbuchzulassungen sind für freie Schulbücher weitgehend irrelevant. Sie legitimieren nämlich nur die Ankäufer (denen damit erlaubt wird, ein Buch für die Schule zu erwerben). Wenn ein Buch nichts kostet, dürfen es die Schulen ohnehin „erwerben“. Und außerdem, ergänzt Wedening:

„Wir legen keinen Wert auf eine Schulbuchzulassung. Unser Inhalt ist zu 100% deckungsgleich mit dem Rahmenlehrplan und jedem steht es frei, es zu nutzen.“

Also ein Schulbuch für alle, nicht nur für Schüler_innen.

Das Buch steht unter einer CC BY SA Lizenz, „wenn wir noch ein NC dazu geben könnten, wäre vieles leichter“, aber es würde dann wieder Unsicherheiten für die Lehrerinnen und Lehrer geben. Was dürfen wir damit machen? Was nicht?

„Die großen Freigeister hatten uns geraten ‚Macht doch nur CC-BY’“, erzählt Wedening. „Da haben wir aber schnell festgestellt, dass das das Schwierigste überhaupt ist, denn dann hätten wir beispielsweise die CC-BY-SA Inhalte der Wikipedia nicht verwenden können.“

Das war für die Initiatoren ein entscheidender Grund, sich für das Copyleft zu entscheiden. Warum ich die Entscheidung auch aus einem anderen Grunde richtig finde, habe ich hier erklärt. Commons brauchen nämlich Schutz, nicht unbeschränkte Offenheit. Und das Copyleft enthält gewissermaßen eine Schutzklausel. Doch mit dem Copyleft gibt es auch ein Problem: Es macht offenbar Angst. Wissen zu teilen ist zwar im Prinzip ganz einfach, aber dahin zu kommen, es auch zu tun, ist  nicht (ganz so) einfach wie gedacht oder in den Worten des Referenten:

„Es heißt, aus der Deckung zu gehen und das ist einfach vielen dann zu heiß. 43 von 45 kontaktierten Inhalteanbietern waren nicht bereit, ihre Werke mit einer CCBYSA Lizenz zur Verfügung zu stellen – es könnte ja mal ein Verlag kommen und es dann kommerziell verwerten. …Schade, schade, schade, denn so werden die Inhalte gar nicht genutzt.“

Wichtig war den Initiatoren, das Buch von Anfang an nicht zu zweit, sondern kollaborativ zu erstellen, „um die Kraft der Vielfalt zu nutzen“ und damit auch eine Vielfalt von Ansichten zu spiegeln. Zudem sollte es fortlaufend erweiterbar sein – ein großer Vorteil gegenüber klassischen Schulbüchern, deren Inhalt über 6 bis 7 Jahre gleich bleibt. Das OER-Schulbuch hingegen kann ständig erweitert, verändert und vor allem korrigiert werden. Zudem sind klassische Schulbücher für alle identisch und stellen auch die gleichen Bedingungen an alle.

„Alle das Gleiche, im gleichen Alter, in der gleichen Geschwindigkeit, mit der gleichen Materialgrundlage. Uns aber war die Individualisierbarkeit ganz wichtig.“

Das sah Einstein genauso.

Es ist keinesfalls so, findet auch Wedening, dass OER nichts kosten darf, sondern es geht mittelfristig schlicht um

„höhere Qualität mit geringerem Aufwand“.

Das haben auch notorische klamme Länder wie Berlin und Brandenburg bereits entdeckt. Und im D64 White Paper wird deshalb kommuniziert:

„die anstehende Digitalisierung von Lehr- und Lernunterlagen erfordert auch eine Neukonzeption von Lehrmittelfreiheit. Freiheit von digitalen Lehrmitteln bedeutet nicht nur kostenlosen Zugang, sondern auch die Verwendung freier Lizenzen und freier Formate. …. Voraussetzung dafür ist aber die Reform der Finanzierung und Auftragsvergabe im Bereich von Lehrmitteln.“ (Leonard Dobusch)

Eben, der Staat muss Commons auch ermöglichen!

‚Frei‘ bezieht sich beim Mitmach-Biologiebuch übrigens auch darauf, dass es auf den verschiedenen Betriebssystemen nutzbar ist.

Am Schluss setzte Wedening nochmal den Unterschied zu den Digitalisierungsstrategien der Verlage ins Bild und blieb dabei beim Fach Biologie. Da kostet die gedruckte Fassung eines Lehrbuchs 24 Euro. 16 Euro sind für die E-book Fassung fällig, die allerdings nichts anderes ist als die digitalisierte Druckfassung, weswegen die Bücher kaum noch gekauft werden (vielleicht sollten es die Verlage doch mal mit geringeren Gewinnmargen versuchen). Den tatsächlichen „Mehrwert“ freier Lehrmittel bieten diese e-books nicht. Durch rigide Rechtevergabe wird die freie Nutzung und damit der eigentliche Vorteil digitaler Lehrmitteln torpediert. Die Funktion „kopieren“ wird einfach deaktiviert, die Texte sind nicht weitermailbar, anmerkbar oder veränderbar und ständig aktualisieren kann man sie auch nicht, denn in ein paar Jahren sollen ja wieder neue e-books verkauft werden. Den Zugang zu derart digitalen Schulbüchern bekommt man dann unter anderem:

„als praktische Jahreslizenz. Für jedes Buch in Ihrem ‚digitalen Bücherregal‘ zahlen Sie und Ihre Schüler/-innen für ein Jahr ein Drittel des Preises des gedruckten Buches.“

Fein, also schon im 4. Jahr teurer als die gedruckte Fassung. Ob Schüler_innen, Eltern und die notorisch klammen Kultusministerien das lange mitmachen steht zu bezweifeln.

Gut also, dass wie hier von Heike & Hans mit wirklichen Alternativen experimentiert wird. Nicht von Verlagen, sondern von Menschen initiiert, die Lehrmittelfreiheit durchbuchstabieren.

Lehrbücher als Common! Gibt’s eigentlich was Naheliegenderes?

Hier geht’s zum Blog des Schul-O-Mat ; hier zur Loop-Online-Plattform (von oncampus.de) für die Bucherstellung selbst und hier zum Wiki der nächsten Wikimedia Open Educational Resource Konferenz in Berlin am 14. und 15. September 2013.

3 Gedanken zu „Lehrbücher als Commons. Ein Biobuch zum Mitmachen

  1. Schulbuchverlage sitzen Seite an Seite in den selben Räumlichkeiten, wie Beamte und Angestellte der Länder- und Bundesministerien.

    Beim Neubau des Bundesbildungsministerium am Berliner Hauptbahnhof ist geplant, dass dort 1000 Büroarbeitsplätze entstehen, dabei fallen 350 auf Mitarbeiter des Ministerium und 650 auf Mitarbeiter diverser Lobbyverbände. Mit Sicherheit hängen Schrödelmitarbeiter, Langenscheidtangestellte uvm. direkt über den Schreibtischen der Verwaltungsbeamten.

  2. Und durch das DRM dürfen nicht mal Auszüge kopiert werden – für die wir wiederum stark steigende Summen an die Verlage überweisen. Allein dafür zahlen wir genug, um stattdessen freie Schulbücher herstellen zu können (puh, Grammatik) – für alle Klassen.

    Von 2011:
    Hier kommen wir zur Vergütung, also den harten Zahlen. Die sehen folgendermaßen aus:
    2011: 7,3 Mio €
    2012: 7,8 Mio €
    2013: 8,5 Mio €
    2014: 9,0 Mio €
    Alle Zahlen netto, also ohne Mehrwertsteuer. Die Zahlung wird nach dem Königssteiner Schlüssel unter den Ländern aufgeteilt.

    2014 werden es nur noch 93,4 % der heutigen Schülerzahlen sein. Rechnen wir es pro Kopf aus:
    2011: 7,3 Mio € / 8,8 Mio Schüler = 0,83 € pro Schüler (netto)
    2014: 9,0 Mio € / 8,22 Mio Schüler = 1,095 € pro Schüler (netto)
    Das macht nach 3 Jahren sehr genau 32% mehr Geld pro Schüler. Die Inflation abgezogen über den Daumen gepeilt noch ein Viertel.

  3. @Lennstar: „für die wir wiederum stark steigende Summen an die Verlage überweisen. Allein dafür zahlen wir genug,“
    Kannst Du mir evt sagen, wie der Fachbegriff oder der Haushaltsposten dafür heißt? Danke.

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