Commons in Thesen

… über Vertrauen und Verbindlichkeit

Auch die zweite Commons-Sommerschule war ungeheuer produktiv und kreativ. Viele neue Bausteine sind entstanden, die wir alle nach und nach auf dem Sommerschul-Wiki dokumentieren. Im folgenden verblogge ich einige allgemeine Commons-Thesen, die Stefanie Haupt in Anlehnung an unsere Arbeit mit dem Schweizer Historiker Daniel Schläppi  und dessen Thesen zur Geschichte der Alten Eidgenossenschaft entwickelt hat.  Derzeit arbeiten wir an der Dokumentation dieser Debatte während der Sommerschule (hier, in den Segnungen des Gemeindebiers, schrieb ich schon einmal darüber). Kommt auch bald – auf dem Commonsblog und natürlich drüben im Sommerschul-Wiki, DER online-Dokumentation der einzigen deutschsprachigen Commons-Sommerschule :-).

DIE THESEN
1) Flexibilität:

Commons müssen flexibel wie das Leben selbst sein und mit Ungleichheiten und Änderungen umgehen können. Das erfordert eine wiederkehrende Reflektion der Zustände.

2) Commons-Komplex:

Commons bewähren sich, wenn sie als Verknüpfung von Gemeingut-Ressourcen PLUS selbsterstellte Regeln gesehen werden. Commons sind ohne commoning nicht denkbar!

3) Rituale:

In Commons sind kollektive Praktiken und Rituale eine bewährte Praxis, um Unterschiedlichkeit jeder Art zu integrieren oder auszugleichen.

4) Vertrauen:

Commons beinhalten den Gedanken ‚Was ich gebe, das kehrt zu mir zurück‘ – wenn auch nicht unmittelbar und von der Person, die JETZT gerade profitiert. Dieses wird in etwa abgebildet in der Philosopie des Ubuntu-Volkes: ‚Ich kann nicht sein, wenn Du nicht bist!‘

5) Nutzungsrechte:

Commons funktionieren über Nutzungsformen/-rechte NICHT über Eigentumsrechte! Zugangsoffen, für alle, die diese Ressource benötigen und zum Erhalt beitragen.

6) Verbindlichkeit:

Die Verbindlichkeit ist eine der Voraussetzungen für die Schaffung oder Erhaltung von Commons. Die selbsterstellten Regeln sollten das berücksichtigen.

7) Widerstandskraft:

Durch viele (unterschiedliche) Commons nebeneinander steigt die Resilienz (Widerstandskraft) des gesamten Gesellschaftssystems – im Gegensatz zu einem zentral gesteuerten System. Sollte ein Commons ausfallen, funktionieren die anderen weiterhin und können auch Hilfestellung leisten.

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Et voilà. In den Kommentaren ist Platz für Diskussion. Für mich wird der Punkte „Rituale“ (insbesondere deren umverteilende Funktion, die ich in fast jedem Ritual beobachte) immer interessanter.  Das mag auch daran liegen, dass ich in einer weitgehend ritualfreien Umgebung aufgewachsen bin, was ich zunehmend als Mangel empfinde.

Zudem schiebt sich neben der zentralen Commons-Frage: „Wie entsteht Vertrauen?“,  die in These 6 angesprochene Frage: „Wie entsteht Verbindlichkeit?“ immer mehr in den Vordergrund.  Verbindlichkeit ist für mich in der Zusammenarbeit ganz wichtig; ich will  meinem Gegenüber nicht nur vertrauen, ich will mich auch auf mein Gegenüber verlassen können. Der Begriff hat meiner Ansicht nach den Vorteil, dass er eine Zuverlässigkeit transportiert, die nicht aus Zwang (control & command) generiert wird, sondern aus der Beziehung heraus entsteht. Verbindlichkeit kann als eine Tugend bezeichnet werden (Aristoteles lässt grüßen) – ist also etwas, das „taugt“ (taugen –> Tugend)

Ein kritischer Kommentar gilt These 5:  Nutzungsrechte sind ja Teil von definierten Eigentumsrechten, hier kommt es mehr als Opposition rüber. Der Punkt, um den es geht ist, dass Nutzungrechte auch jene innehaben (müssen), die nicht Eigentümer_innen sind. Das ist die zentrale Perspektive der Commons. Wie sind de facto de Nutzungrechte aller gestaltet? Deshalb formuliert Schläppi  in seiner Ausgangsthese  etwas präziser, wenngleich auch darin nicht deutlich wird, dass Commons in der Regel nicht durch „Eigentumslosigkeit“ gekennzeichnet sind, sondern Nutzungsrechte durch die Eigentümer_innen  so gewährt werden müssen, dass sich niemand über den Tisch gezogen fühlt:

„Commons sind nicht vom Eigentum her zu denken, sondern ausgehend von teilweise veränderungs- und prinzipiell zugangsoffenen Nutzungsformen von Ressourcen. Doch aus (privilegierten) Nutzungsmöglichkeiten ergeben sich keine individuellen Eigentumsrechte.“

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Hinweisen möchte ich zudem auf das Wirtschaftsprogramm der Hamburger Violetten. Richtig commonistisch.

Kleine Kostprobe:

„Wenn wir uns als ein System der Gemeinschaft begreifen, in welchem jeder ohnehin auf das Fremdversorgungsprinzip angewiesen ist, dann lassen sich Ideenreichtum, Neugier, menschliche Kreativität, Spaß an sozialer Interaktion und Produktivität auf neue Art einsetzen und ausleben. Das Zusammenspiel von Mensch, Technik und Natur kann einen anderen Charakter erhalten. Das Maß der Dinge und somit der neue „Wert“ sollen ab jetzt die unmittelbaren Bedürfnisse des Menschen und der Gesellschaft bilden. Diese müssen deshalb am Anfang gesellschaftlicher Bemühungen stehen.

COMMONS (Gemeinschaftsgüter / Gemeinschaftsressourcen) sowie deren Verwaltung und Selbstorganisation (Commoning) bieten dafür einen praktikablen Ansatz. Sie basieren auf einem anderen Vermittlungsprinzip von Bedürfnissen und ihrer Befriedigung. Diese Vermittlung erfolgt direkt und konkret, anstatt indirekt und abstrakt über den Marktmechanismus und dessen „unsichtbare(r) Hand“.

COMMONS sind eine Form kooperativ-gemeinschaftlicher Produktion, in denen ein Wettbewerb darum stattfindet, wie man zeitsparend und unter Einsatz der bestehenden Technik, Technologien und Ressourcen noch besser zum Gemeinwohl beitragen kann. Sie schafft darüber hinaus neue individuelle Freiräume, die unabhängig von Kosten all das ermöglichen, was in den Schranken einer Marktwirtschaft nicht denkbar oder gar verboten ist, z.B. Absprachen zwischen Produzenten zu treffen.“

8 Gedanken zu „Commons in Thesen

  1. Zu der Kritik bei Punkt 5 (Nutzungsrechte):
    @Silke:
    Das ist vermutlich eine Definitionssache. Ich denke nie von aktuellem Recht oder aktuellen Handlungsweisen her. Ich denke eher ‚von der Zukunft zurück’….. möglichst ohne Einschränkungen oder ‚Bretter vorm Kopf‘ 😉

    Nutzung und Nutzungsrechte bedeuten in meinem Sprachgebrauch:
    Es existieren keine Eigentumsrechte. Es kann jeder das (be-)nutzen, was er für das tägliche Leben benötigt. Diese Nutzung beinhaltet aber
    gleichzeitig eine Verpflichtung, die benutzten Gegenstände zu pflegen und zu erhalten.
    Ich sehe in einer commonsbasierten Gesellschaft keine Notwendigkeit für Eigentum. Eigentum hat seinen Sinn m.M. nur im Kapitalismus.

    • Ich versteh auch nicht, wieso es Nutzungsrechte nur als Teil von Eigentumsrechten geben soll. Das ist natürlich heute so, wenn alles jemandem gehört, dann sind Nutzungsrechte immer ein Zugeständnis des Eigentümers oder eine Einschränkung seiner Verfügungsmacht. Ich sehe es auch so, dass es in einer Commons-Gesellschaft Nutzungsrechte STATT Eigentumsrechten geben müsste.

  2. zur These 6 (Verbindlichkeit):

    Verbindlichkeit wächst in dem Maße, in dem Menschen verstehen und erkennen, dass sie alle wie in einem Netz(-werk) mit einander verbunden und aufeinander angewiesen sind.
    Niemand kann auf dieser Welt auf Dauer wirklich alleine existieren – diese Illusion wurde uns jedoch verkauft, um das kapitalistische Verwertungssystem in Gang zu halten und Menschen leichter kontrollieren und lenken zu können. Je mehr Menschen sich aus dem alten System lösen und zu neuen, gemeinschaftlich orientierten Systemen hin wenden, desto mehr Menschen werden anfangen, verbindlich zu handeln.
    Es ist eine Frage des Bewußtseins und des Verstehens: Wo und wie bin ich im Ganzen angesiedelt ? Und wie wirken meine Handlungen auf Andere und umgekehrt.

  3. Ich habe aber noch eine Anmerkung dazu:

    „… in denen ein Wettbewerb darum stattfindet, wie man zeitsparend und unter Einsatz der bestehenden Technik, Technologien und Ressourcen noch besser zum Gemeinwohl beitragen kann.“
    Ich glaube, dass zeitsparend nicht immer die beste Möglichkeit ist, zum Gemeinwohl beizutragen. Erstens, wenn ich eine Sache gern tue, habe ich eigentlich keinen Grund, sie möglichst zeitsparend zu erledigen, vielmehr kann es mir Spass machen, sie möglichst sorgfältig zu erledigen, weil sie mich ja nicht von Wichtigerem abhält. Viel wichtiger aber noch: für manche Tätigkeiten, wie die Beschäftigung mit Kindern oder die Pflege alter oder kranker Menschen, ist zeitsparend kein Qualitätskriterium, im Gegenteil, hier ist es doch wünschenwert, dass wir mehr Zeit dafür aufwenden können. Ich glaube, das Zeit sparen ist etwas, das nur im heutigen System relevant ist.

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