Ich habe jüngst eine Artikelserie veröffentlicht und Stefan Meretz von Keimform.de (links im Bild) sowie HHH von ‚Ökokommunismus wagen‘ haben sie ausführlich kommentiert. Großes Dankeschön vorab! In zwei Blogeinträgen notiere ich ein paar Gedanken dazu (wegen der Länge nicht in den Kommentaren der Originaltexte). Es sind nicht nur Antworten, sondern auch Merkposten , um das für mich Wertvolle Revue passieren zu lassen.
Zunächst zu Stefan (ausführlichere Rückmeldung war versprochen.) Er weist auf viele wichtige Dinge hin, etwa dies hier (Achtung Gebetsmühle!):
„Wir machen »etwas« zu einer Ressource, nichts »ist« Ressource. Dieser soziale Prozess des »etwas« zu einer Ressource-Machens, um unsere Lebensbedingungen vorsorgend zu sichern, kann warenförmig oder commonsförmig strukturiert sein.“
Das aktive Benennen dieser Warenform als grundsätzlich von der Commons-Form verschieden, meint Stefan, sei deshalb so wichtig, damit die
„Warenform im Denken“ nicht „zum quasi-natürlichen Fundament von »Wirtschaft«“ gerät, „dem die Commons als Außergewöhnliches bestenfalls ergänzend hinzugefügt werden können, obwohl die Wirklichkeit ja umgekehrt ist.“ (was hier beschrieben wird)
Stefan befürchtet nun, dass die Betonung der Einzigartigkeit jedes Commons (genauer: Die Einizgartigkeit jedes Commoning-Prozesses) das Grundlegende und prinzipiell Verbindende zuschüttet und damit das Verallgemeinerbare in den Commons unsichtbar macht; (verallgemeinerbar in dem Sinne, dass der Commons-Gedanke Gesellschaft im Kern strukturieren kann gleich jede Lebensregung zu usurpieren).
„Wenn alle Commons dem sozialen Prinzip nach gleich sind und konkret alle verschieden, dann kann eine CCPE heute genauso wenig möglich sein wie vor 200 Jahren.“
Warum hier eine Kausalbeziehung hergestellt wird, erschließt sich mir nicht. Ist nicht das soziale Prinzip (hinter der konkreten Erscheinung) das Verallgemeinerbare und damit das, was zur commons-basierten Restrukturierung von Produktion als „grundsätzliche Alternative zur Warenproduktion“ taugt? Und ist es nicht so, dass wir zwar nicht eine konkrete Lösung oder Organisationsform A nach B übertragen können, sehr wohl aber das Organisationsprinzip hinter der Organisationsform?
Und eben deshalb: (schon wieder Gebetsmühle!), wird man in der Commons-Debatte immer und immer wieder auf den Gedanken stoßen, dass es kein Modell gibt, kein Patentrezept, keinen Automatismus. Ich glaube allerdings, es gibt Muster, die übertragbar sind und genau diese machen Commons Creating Peer Production möglich, nicht in einem scaling-up prozess, sondern in einem „scaling across“ Prozess. (dazu siehe unten)
Stefan postuliert
„Es muss eine neue Qualität in den Commons geben, die erklärt, warum Commons heute eine Chance haben und eine grundsätzliche Alternative zur Warenproduktion darstellen.“ (Herv. S.M.)
Mag sein, aber nicht nur:
- In der Geschichte folgt aus A nicht zwangsläufig B. Es gibt lediglich eine neue Chance und es kommt darauf an, was wir daraus machen.
- Vielleicht muss es einfach nur andere historische Verhältnisse und technologisch-infrastrukturelle Voraussetzungen geben.
- Ich komme mehr und mehr zu der Überzeugung, dass nicht die wie-auch-immer-geartete-Qualität entscheidend ist, sondern die Frage der gemeinsamen Zukunftsvorstellung. It’s a problem of ideation. Anders ausgedrückt und ins Offene gedacht: Das emanzipatorische Potential liegt nicht in den Commons (als komplexe soziale Systeme), sondern in unserer Vorstellungskraft, die auch unabhängig von konkreter Commons-Praxis reifen kann (aber nur durch sie konsolidiert wird). Das ist die zentrale Energiequelle.
Ich habe es an anderer Stelle mal so ausgedrückt:
Nicht die gemeinsame Ressourcennutzung und -verwaltung ist der springende Punkt, sondern der tatsächliche Versuch, den Zweck dieser Ressourcennutzung der Bedürfnisbefriedigung aller unterzuordnen. Solange dieser Unterschied übersehen wird, werden wir (…) nie in Gemeingut von einem Klubgut und (…) nie ein emanzipatorisches Commons als Entfaltungsraum für alle vom gemeinschaftlich organisierten Ringen um die Fleischtöpfe unterscheiden können.
Anschließend folgt in Stefans Anmerkungen ein wichtiger Hinweis zum Unterschied zwischen Rechtsform (kodifizierte Fremdbestimmung) und Organisationsform (Selbstbestimmung). Bingo. Da habe ich nicht sauber argumentiert. Weiters bin ich selbstredend damit einverstanden, dass Privateigentum individuelle Verfügung einspurt, denn „Privateigentum ist nicht neutral, sondern hat die intendierte Funktion Warenproduktion zu ermöglichen und sicherzustellen.“ Aber hat es „nur“ diese Funktion? Ich denke, Privateigentum macht etwas mit uns. Unter anderem macht es mit uns, dass wir keine Gemeineigentumserfahrung mehr machen. Das prägt bis ins Mark.
Doch abgesehen davon bleibe ich bei dem „tendenziell gefährlichen“ Gedanken, dass man
»nahezu jede Rechts- oder Organisationsform so nutzen (kann), dass sie Commoning fördert« und halte es zudem für unzutreffend, dass „nahezu jede Rechtsform commoning verhindert“.
Das „oder“ ist irreführend, denn es vermischt zwei grundsätzliche verschiedene Dinge. DANKE für diesen Hinweis! Aber die Kernaussage behalte ich aus oben genannten Gründen bei: Wenn die gemeinsame „Idee“ klar ist und man sich aus einer Haltung des Commoning heraus organisiert, kann man die entsprechenden Organisationsformen für Commons funktionalisieren und vor allem kann man geeignete Rechtsformen entwickeln. Anders gesagt: Es geht nicht um die Form, es geht um den Inhalt, die Prinzipien/ Muster/ Ideen, die in die Form eingeschrieben sind.
Und – es wäre schon ganz gut, wenn Organisationsformen des Commoning auch rechtlich abgesichert sind (wie beim Mietshäusersyndikat).
Stefans Fazit:
„Das bedeutet im Folgeschluss, dass die Commons das (individuelle wie das kollektive) Privateigentum loswerden müssen, wollen sie eine gesellschaftliche Verallgemeinerbarkeit erreichen.“
… halte ich für empirisch nicht belegbar und tendenziell ahistorisch.
Weiter geht es mit meiner These, dass Commons »notwendigerweise des Schutzes« bedürfen. Hier wirft Stefan die interessante Frage auf, ob das tatsächlich immer und notwendigerweise so ist, auch in einer Gesellschaft, in der Commons nicht vom Markt umzingelt und vom Staat eingehegt sind? Meine vorläufige Antwort: Ja. Stefans Argument ist salopp gesagt: In einer Commons-Gesellschaft haben doch alle was sie brauchen; denn
„rivale Güter und Ressourcen (können) so hergestellt, genutzt und erhalten werden, dass alle genug haben, einschließlich zukünftiger Generationen.“
Das mag so sein (hoffentlich), macht aber eine Haltung zum Thema Grenzen nicht überflüssig. „Für alle genug“ kann noch immer eine Grenze (und damit politisch zum Beispiel einen cap, eine Deckelung) voraussetzen, die signalisiert, dass im Umgang mit rivalen Ressourcen nicht alle alles haben können.
Mir scheint es auch hier nötig, nicht mit einem groben Entweder-Oder-Besteck heranzugehen: Also nicht nach dem Muster zu diskutieren: Grenzen? Ganz oder gar nicht! Wir können die Existenz von Grenzen (z.B. die begrenzte ökologische Tragfähigkeit der Erde) akzeptieren (was heißt „wir können?“ Wir müssen.!) Wir können, wo möglich, für die Durchlässigkeit von Grenzen sorgen und sie „osmotisch“ gestalten: Beiträge, die das Commons stärken werden „hereingelassen“. Umgekehrt aber verhindert die osmotische Grenze, dass dem Commons Ressourcen und Energie entzogen werden (etwas zur individuellen Vermarktung). Und: wir können die Produktivität der Grenzen und Grenzräume fördern. Wie wurde es auf der Sommerschule formuliert?
„Eine Gesellschaft von der Marktwirtschaft auf eine Commons-Gesellschaft umzubauen, bedeutet nicht einfach Grenzen beseitigen.“
Das würde ich unterschreiben. Und dann muss Schutz bei rivalen Gütern, nicht nur Exklusion bedeuten, wie Stefan schreibt, sondern „osmotische Grenzen“ können das faire Teilen (als Konzept) schützen. Die Notwendigkeit der Grenzziehung jedenfalls ergibt sich m.E. nicht ausschließlich aus der „Bedrohung durch die dominante Verwertungslogik“.
Ein letzter Punkt: „Auch die Idee des allmählichen, gleichförmigen Wachstums ist zumindest begrenzt:“
Von gleichförmig sag ich nix (natürlich wachsen Commons und/oder Netzwerke nicht gleichförmig), sondern ich experimentiere mit dem Begriff der Kristallisation, mit dem Gedanken einer sich vierdimensional ausbreitenden Idee von Netzwerkknoten zu Netzwerknoten im Unterschied zum „Upscaling«. Stefan empfindet dies als „defensives Ausweichen“. Zwar sei die „bloß quantitative Dimension“ der Vorstellung vom Upscaling zu kritisieren, da der Prozess gesellschaftlicher Verallgemeinerung vor allem ein qualitativer sei, aber dies habe
„keine Raumdimension, sondern kann nur inhaltlich bestimmt sein.“
(etwa das Aufheben der Warenform durch die Commonsform) . Völlig d’accord. In diesem Teil meines Textes ging es allerdings um die Dimension (das Raum-Zeitliche), weshalb die „Kristallisationsidee“ aufkam, also das Wachsen in jede Richtung.
Das Bild der Kristallisation wird (aus Verallgemeinerungsperspektive von Stefan kritisiert. Gewiss zu Recht. Es diente mir jedoch nur, um die Idee des quantitativen Wachsens von unten nach oben zu dekonstruieren und nicht, um gesellschaftliche Verallgemeinerung der Commons ins Bild zu setzen. Für Letzteres ist gewiss die Befassung mit Selbststrukturierung in Netzwerken hilfreicher (wie im Abschnitt 4 kurz skizziert). Und das erzeugt neue, treffendere Bilder. Die dafür wichtigen Begriffe „Polyzentrizität, Netzwerkeffekt und Stigmergie“ helfen beim Ins-Bild-Setzen allerdings wenig :-).
Inzwischen ist mir übrigens noch ein anderer Begriff begegnet, der das „upscaling“ herausfordert: das „scaling accross“, so wie hier von Meg Weathley benutzt. Auch damit würde ich spielen.
Vielen Dank für deine schöne Befassung mit meinen Argumenten! Ich werde deine Überlegungen sorgfältig nachvollziehen und dann das eine oder andere nochmal aufgreifen. Das braucht etwas Zeit 🙂
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