Und nun der zweite Teil meiner Anmerkungen zu den Anmerkungen über meine Anmerkungen. Heute geht es um selbige von Hans Hermann Hirschelmann. Der erste Teil steht hier. Diese Notizen sind eine Erinnerungshilfe. Ich schreib‘ also auch mir selbst. 🙂
Zuerst fällt die Commoning-“Definition“ ins Auge:
„verstanden als in gemeinsamer Verantwortung für die Herstellung und Nutzung gesellschaftlichen Reichtums getätigte Interaktionen.“
Ja, aber nicht nur. Wenn man auf diese Differenz hinweisen will, dann wäre der Satz vermutlich wie folgt richtiger:
„verstanden als in gemeinsamer Verantwortung für den Erhalt, die Herstellung und Nutzung gesellschaftlichen Reichtums getätigte Interaktionen.“
Ich kann mir auch Commons denken, die keinen gesellschaftlichen Reichtum (im Sinne von „für die ganze Gesellschaft nutzbar“) produzieren, ihn aber auch nicht minimieren.
Auch finde ich die Zusammenfassung meiner Grundaussage: “Form follows Funktion” zutreffend. Salopp gesagt: Wenn wir wissen, was wir gemeinsam wollen, können wir uns die entsprechende Organisationsform backen, die dieses Gemeinsame ermöglicht und schützt. Aber wie kommen wir dahin, zu wissen, was wir gemeinsam wollen?
Ein Beispiel aus der sperrigen Debatte um Freie Kultur: Erst wenn wir uns im Klaren darüber sind, warum und wofür wir als Gesellschaft freie Kultur brauchen (Gebetsmühle: Frei wie in Freiheit und nicht wie in Freibier) und dass open access für Freie Kultur notwendig ist, erst dann können wir Institutionen gestalten, die den Grundgedanken von Open Access (als Gelingensbedingung) für Freie Kultur schützen. Open Access ist schließlich kein Selbstzweck (weshalb ich es ein bisschen irreführend finde, dass sich die Bewegung selbst so nennt.)
Soweit der Konsens und schon sind wir bei den Problemen.
HHH mahnt mehr Präzision in der (meiner) Institutionendefinition an. Diese seien nicht nur
„Regelungsformen, die uns Rechte und Pflichten zuschreiben, um unser Handeln zu steuern“,
sondern (nach der Wikipedia) Systeme, die uns konditionieren. Stimmt. Sie prägen uns bis ins Mark und bis in die Neuronen. Man denke an die Prägung, die uns das Privateigentum aufdrückt. Und sie machen uns bis zu einem gewissen Grade vorhersehbar.
„Institutionen sind sicher Ausdruck bestimmter Formen, in denen die kapitalistische Vergesellschaftung (bzw. Teilung) von Arbeit, Genuss, Verantwortung usw. geregelt ist, aber sie sind nicht diese Regelungsformen. Das ist ein wesentlicher Unterschied.“
Einverstanden. Danke! Es lohnt, dem Gedanken im Original weiter zu folgen, den ich im Kern so verstehe: Wir formen die Steuerungsrichtung und Wirkungsmacht von Institutionen selbst, wir machen sie zum
„Ausdruck von Entfremdung kapitalistisch vergesellschafteter Subjekte von einander und ihrer Naturumwelt“
oder zum Ausdruck von commonsbasierter und -reproduzierender Interaktion oder zum Ausdruck von etwas Anderem. Sie sind dann nicht die Form von Entfremdung, von Commons oder von etwas Anderem – sie sichern dies nur. Es geht also darum, uns aus Commonsperspektive diese Wechselwirkung zwischen Form und Inhalt zu Nutze machen. Dies gilt auch für staatliche Institutionen, auf die sich HHH vor allem bezieht.
„Im “Unser” des staatlichen Vaterunsers sind eben tatsächlich alle (Herv. SH) eingeschlossen, nicht nur die – je nach Blickwinkel – “Guten” oder “Bösen”.
Gut, theoretisch. Offen bleibt, was das für eine wirksame Entfaltung von Commons/Commoning heißt und für die Frage, wie wir dahin kommen. (Aber mal ehrlich: Wie vielversprechend ist die Infusion von Commons-Inhalten in staatliche Institutionen oder z.B. Parteien?)
Zudem, so HHH Poulantzas zitierend:
„verdichten sich in den staatlichen Apparaten die (sehr ungleichen) gesellschaftlichen Kräfteverhältnisse”
und es sei unmöglich, zu dieser Verdichtung – etwa durch Nichteingreifen – nicht beizutragen, egal ob damit bestimmte Verdichtungskonsequenzen verhindert werden sollen oder das Nichttun schlicht auf Unkenntnis derselben beruht. Deswegen steuern Steuern tatsächlich was. Und wir können dieser Steuerung (unabhängig von unserer jeweils spezifischen sog. Steuermoral) nicht entgehen. Daraus ließe sich auch ableiten, warum die“keimförmige Entwicklung von Commoning im Schoße der alten Gesellschaft” (also die Infusion des Eigentlichen)
„tatsächlich nicht allein in Zusammenhängen geschieht, die … vermeintlich außerhalb der kapitalistischen (Re-) Produktionsverhältnisse stehen und deren (Re-) Produktionsformen bereits … unbeflecktes Commoning erlauben.“
Sehe ich durchaus auch so, nur scheint mir wichtig zwei Dinge auseinanderzuhalten. Einerseits die Rede in einer Transformationsperspektive und anderersetis die Formulierung einer Idee/Vision oder Definition von Commons oder Commoning. In der Debatte über Transformationen sehe ich kaum jemanden, die/der das Fähnchen des „unbefleckten commoning“ schwenkt.
Nun zur Frage von „für oder wider Gemeineigentum vs für oder wider Individualeigentum“ (den Unterschied zwischen beiden hatte ich als graduell bezeichnet, u.a. weil Ausschluss grundsätzlich bei beiden vorkommt.) Daher rührt auch meine These,
„dass nicht die Institution entscheidend ist, sondern die Prinzipien, die in diese Institution eingeschrieben sind.“
Oder – wie oben: Nicht die Form macht die Musik, sondern der Inhalt. Der Ausdruck. „Als gelernter Marx-Brother“ sieht HHH das „natürlich ganz anders“, denn “Eigentum” sei nichts anderes als ein geronnenes / substantiviertes „sich aneignen“, also eine
„aus der Entfremdung resultierende Fetischsierung“ und Abstraktion eines konkreten sozialen Prozesses; im Falle des Individualeigentums geronnen in einer „falschen Verallgemeinerung bestimmter Formen des … überhistorisch lebensnotwendigen Aneignens von Naturstoffen und Artefakten.“
Was an dieser Sicht „ganz anders“ ist, hat sich mir nicht erschlossen ;-). In der heute dominierenden Eigentumsform ist ein Entfremdungsprozess bzw das in kapitalistische Produktionsverhältnisse eingeschriebene Prinzip Entfremdung geronnen. Ja. Und natürlich ist es ein Unterschied, ob
„das Vermögen zur Vergabe von Nutzungsrechten und -pflichten“ … „weitgehend gemeinsam und nach gemeinsam bestimmten Regeln geschieht … oder nicht.“
… ob es also individuell ist. Aber es ist kein wesentlicher Unterschied. Im Wesentlichen nämlich bleiben das Ausschlussprinzip (gegenüber je Dritten außerhalb des Einzelnen oder der Gruppe) und die Verfügungsgewalt über das uns Äußere bestehen. Nur Niemandsland/ Open Access sind wesentlich anders (was nicht heißt gut/ wünschenswert.) und natürlich „Nicht-Aneignung“ – aber das steht bei Strafe des Todes nicht zur Debatte.
Dann folgt ein sehr komplexer Satz, der einen Zusammenhang herstellt zwischen privater Verfügungsmacht und einem sich „automatisch beschleunigenden Fortschrittsmotor“. Wenn ich HHHs Gedanken richtig verstanden habe, dann vertritt er die These, Gemeineigentum schließe dieses Hamsterrad aus. Das glaube ich nicht. Wenn sich eine Gruppe von Menschen (wenngleich gemeineigentümlich organisiert) in der kapitalistischen Marktlogik reproduziert, ist sie auch der Gefahr ausgesetzt, im Hamsterrad zu rennen. Die andere Eigentumsform allein verhindert das nicht (siehe Aktiengesellschaft, auch eine Form des Gemeineigentums). Da muss noch etwas anderes sein.
Es gibt allerdings einen Punkt an der Kritik an meiner Formulierung über den „graduellen Unterschied“…:
„Der graduelle Unterschied besteht darin,dass beim Individualeigentum eine Person allein über eine Sache verfügt und somit alle anderen von den Entscheidungsprozessen ausschließt. Beim Gemeineigentum tun dies mehrere Personen.“
… der ich sehr viel abgewinnen kann. HHH behauptet, dass das
„miteinander über die Entwicklung und den Einsatz gesellschaftlicher (Re-) Produktionsmittel entscheiden zu können (oder es womöglich zu müssen) eine ganz andere Form der individuellen Entscheidungsbefugnis über (bzw. individuelle Verantwortung für) die Art der Herstellung und Nutzung gesellschaftlicher Potenziale bedeuten, als wenn das isoliert voneinander mit dem Zwang zur Wahrnehmung isolierter Interessen geschieht bzw. zu geschehen hat.“
Das denke ich auch. Individualeigentum ist ganz anders eingespurt. Da sind nur wenige Gleise verlegt, die Fahrtrichtung ist meist vorhersagbar. Es gibt keine Störungen, weniger Weichen, weniger Wendepunkte usw. Auf diesen Unterschied weise ich immer wieder hin. Mir geht es bei der Aussage im Grund darum, die Rolle der formalen Eigentumsordnung NICHT zu überschätzen (was die traditionelle Linke gern tut): Denn was wir brauchen ist ein Paradigmenwechsel, ein kultureller Wandel. Da stehen die Mauern im Kopf zur Debatte, nicht nur die Eigentumsordnung.
Und am Schluss noch eine einfache Antwort auf eine einfache Frage:
„Dass Nutzer-/Produktionsgemeinschaften stets definiert gehören und es dabei unterhalb der Ebene eines weltgemeinschaftlichen Ressourcenmamagements auch sets ein Außen gibt, ist doch klar wie Kloßbrühe. Was soll daran schlimm sein?“
Nix!
Zusammenfassend sehe ich soviele Probleme wie HHH in unserer Debatte gar nicht. 🙂 Zur glühenden Verfechterin von Gemeineigentum werde ich dennoch nicht. Wir müssen viel grundsätzlicher über die Eigentumsfrage nachdenken, vielleicht neue Begriffe dafür finden. Wir haben uns schonmal auf einen (stolprigen) Weg gemacht.
Danke für das ausführliche Eingehen. Bevor ich für heute ins freundliche Leben entschwinde, mal eine positive Rückmeldung.
Wenn man auf diese Differenz (zwischen einem auf Commons basierenden und dem privateigentümlichen Füreinander) hinweisen will, …
Ja, na klar. Das sehe ich als eine notwendige Ergänzung / Korektur.
Irgendwecher gesellschafticher Reichtum muss und kann natürlich nicht immer einer sein, der der gesamten Weltgesellschaft zur Verfügung steht, Lokaler oder sonstwie partieller Reichtum sollte gesamtgesellschaftlichen Entwicklungszielen bezüglich einer ökologisch vernünftigen Existenzsicherung und Bereicherung nur nicht entgegen stehen. Um umgekehrt (allerdings auch auf die übrigen Lokalitäten usw. bezogen).. Ich denke, dass es an dem Punkt keinen Dissenz gibt.
Wir formen die Steuerungsrichtung und Wirkungsmacht von Institutionen selbst, wir machen sie zum „Ausdruck von Entfremdung kapitalistisch vergesellschafteter Subjekte von einander und ihrer Naturumwelt“ oder zum Ausdruck von commonsbasierter und -reproduzierender Interaktion oder zum Ausdruck von etwas Anderem.
Dabei gilt allerdings die historische Konstruktion dieses WIR zu beachten. Die Form, in der die (wir) Indivduen gewöhnlich ein handlungsfähiges WIR bilden (oder eben gerade nicht bilden) ist ja gerade von den materiellen Umständen (= strukturellen Möglichkeiten und Zwängen) bestimmt, wie den den technischen oder den institutionellen Möglichkeiten, dem – davon wieder abhängigen – Bildungsgrad usw.
Und die machen das WIR der weltweit miteinander interagierenden Menschen derzeit höchstens zu einem illusionären WIR, dessen Elemente (Individuen) tatsächlich voneinander und der Naturumwelt entfremdet denken und handeln. Der Gustus nach dem dieses WR dann Institutionen schafft und formt, ist also weitgehend ein von den Lebensumständen diktierter, den historischen Behauptungsbedingungen und dem daran angepassten Rechtfertigungsmanagement. Ein WIR, das in der Lage wäre, als solches über die strukturellen Grundlagen eines nachhatig guten Lebens ohne Raubbau, Gewalt und sozialer Ohnmacht zu entscheiden, muss ja erst noch geschaffen werden.
Im Ententfremdungsprozess nimmt die vormalige Sebstbestimmung der voneinander Entfremdeten dann die Form der sebst mit bestimmten Mitbestimmung an. Oder so ähnlich,
Oh, nein, da habe ich wohl wieder den Quotetag verwuselt. Der erste Abschnitt ist ein Zitat von SH.
Zum Aspekt „Staat und Transformation“ in Richtung eines globalen Commoning.
HHH:
Abgesehen natürlich von der Tatsache,dass Nationalstaaten oder eine Union von Nationalstaaten als solche ein definiertes Außen haben. Jedenfalls meine ich, dass auf die im Staatlichen fortwirkenden Kräfteverhältnisse der Gesellschaft zugunsten der Transformationsperspeektive selbstbewusst eingewirkt werden sollte.Und auch zugunsten einer Verbesserung von Handlungsbedingungen für Bereiche gemeinsamer Verantwortung (für die Her- und Bereitstellung, Pflege, Umweltfreundlichkeit/Weiterverarbeitungs- bzw. Entsorgungsfähigkeit und Weiterentwicklung nützlicher Dinge oder Tätigkeiten) .
SH:
Ja, vielleicht sollte ich die Transformationspersektive (Was ließe sich unterwelchen Umständen in Richtung „Etablierung eines weltgemeinschaftlichen Nachhaltigkeitsmanagements als Grundlage des weltgesellschaftlichen Stoffwechsels“ bewegen?) und die Frage der staatlichen Absicherung einzelner Bereiche des Commoning stärker auseinanderhalten. Für mich ist letzteres eines unter vielen (potenziallen) Ansätze des Ersteren.
Das Bedürfnis nach mehr Möglichkeiten, das menschliche Füreinander nach Maßgaben ökologischer Vernunft (mit-) steuern zu können, kann nur mit solchen Möglichkeiten wachsen, Ohne Dinge wie Ökosteuer (perspektivisch wären auch Ökozölle notwendig) und deren Einbettung in Umbauprogramme (Green Economy) kann das sich Verlangen nach einem globalen Commoning nicht hireichend ausbreiten.
Politische Parteien sind nunmal Institutionen, auf die eingewirkt werden muss, um Fortschritte festzuzurren..
Natürlich nicht jede Form. Es kann nur in so weit nach mitmenschlichen bzw. ökologisch vernünftigen Maßgaben entschieden werden, was wachsen und was schrumpfen soll, wie die Weltgesellschaft als solche d.h.als Weltgemeinschaft über die Entwickung und Anwendung der menschlichen Mittel zur Existenzsicherung und Bereicherung entscheiden kann. Das möglich zu machen halte ich für die zentrale Aufgabe der nächsten Jahrzehnte.
Gemeineigentümliche Entscheidungen auf dieser Grundlage funktionieren selbstverständlich nicht auf Betriebsebene. Sie können nur mittels überbetrieblicher Bestimmung von Entwicklungszielen funktionieren, dem Möglichmachen der Realisierung von regionalen, nationalen und globalen Umbauprogrammen mit deren Hilfe diese Ziele erreicht werden können, einer intelligenten Abstimmung von lokalen, regionalen und überregionalen Bedürfnissen und Möglichkeiten, von Produktionsbedürfnissen, Konsumtionsbedürfnissen und kulturellen Bedürfnissen wie etwa dem nach einer Grenzziehung, die hinreichend Umweltfreundlichkeit erlaubt und so weiter.
Da nur von den bestehenden Verhältnissen ausgegangen werden kann, muss erst einmal in die Konkurrenzbedingungen eingegriffen werden.Bio-FairTrade ist schon ein ganz guter Ansatz, nur müssen Mindeststandards des ökolgisch korrekten Fair Trade (und darüber der ökologisch korrekten Fair-Production) zur Grundlage des gesamten Welthandelssystem werden – bis zu einem Punkt, an dem die Produktion und Aneignung im Wesentlichen überhaupt nicht mehr über einen (welt-) Handel vermittelt werden (müssen).